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Den Platz in der Stadt anders verteilen

Für die Mai-Ausgabe der Contraste habe ich einen Schwerpunkt zum Thema Verkehrswende von unten koordiniert und darin kamen auch zwei Initiativen aus Graz vorgestellt: Nach dem Beitrag über Critical Mass hier nun das Interview mit Christian Kozina von MoVe iT.

MoVe iT – ein Verkehrskonzept von unten für die Stadt Graz

Vor zwei Jahren entstand die Initiative »MoVe iT« – eine Abkürzung für »Mobilität und Verkehr in Transition«, die auch für sich alleine stehen kann – mit zwölf Forderungen an die Stadt Graz. Brigitte Kratzwald sprach für Contraste mit dem Gründer und Pressesprecher Christian Kozina.

Christian, kannst du erzählen, wie das alles begonnen hat?

Angefangen hat es damit, dass ich an der Uni eine Lehrveranstaltung gehalten habe, in der es darum ging, zu thematisieren, wie Graz autofrei werden könnte. In der Lehrveranstaltung selbst hat sich das gar nicht so verwirklichen lassen und darum habe ich dann aus den dort entwickelten Ideen ein Mobilitätskonzept geschrieben, das war 2018, und hab mir überlegt, wie ich das nach Außen tragen könnte. Ich bin auf die verschiedenen Mobilitätsinitiativen zugegangen, die es damals in Graz gab, die Radlobby Argus, den Verein Fahrgast, die Lastenradleute, Menschen von Systemchange und andere Menschen, die ich halt kannte. Mit denen hab ich das noch ausgefeilt und dann haben wir das in einer gemeinsamen Pressekonferenz veröffentlicht. Es gab viel Interesse und viel positives Feedback, darum haben wir bei einem weiteren Treffen beschlossen wir wollen daran weiterarbeiten.

Was habt ihr damit gemacht?

Wir haben dann Fahrradparaden und Demos organisiert, gegen Feinstaub und allgemein für eine andere Verkehrspolitik. Wir wollten aber auch proaktiv sein und haben konkrete Forderungen entwickelt und in einem internen Prozess besprochen und abgestimmt. Im Sommer 2019 haben wir diese Forderungen dann allen Stakeholdern vorgelegt und uns von ihnen noch Feedback geholt. Das waren politische Parteien, die Wirtschaftskammer, die Holding Graz (für den öffentlichen Verkehr in Graz zuständig, Anm. d. Redaktion). In dem Rahmen ist dann auch der Name entstanden und im Herbst 2019 haben wir schließlich unsere Kampagne gestartet. Wir haben sie in einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit vorgestellt und die Unterschriftensammlung begonnen. Wir haben über 12.000 Unterschriften gesammelt, das ist mehr als die Zahl, die in Graz notwendig ist, um eine Volksbefragung einzuleiten, allerdings wollten wir diesen formalen Weg nicht gehen. Für uns war es einfach wichtig, den Rückhalt für unsere Forderungen in der Bevölkerung sichtbar zu machen. Im Jänner 2020 haben wir diese Unterschriften dann plakativ vor dem Rathaus an den Gemeinderat übergeben.

Genau zu diesem Zeitpunkt wurden die »Fahrradmillionen« beschlossen. Stadt Graz und Land Steiermark haben vereinbart, bis 2030 je 50 Mio. Euro in den Ausbau der Fahrrad-Infrastruktur in Graz zu investieren, damit sollte insbesondere der Bau von Radschnellwegen forciert werden. Dazu sollten auch mehr Stellen für die Radverkehrsplanung geschaffen werden. Wir wissen nicht, ob und wie das mit unseren Aktivitäten zusammenhing, aber auf jeden Fall war schon die Unruhe in der Bevölkerung spürbar und es war klar, dass etwas geschehen musste in Bezug auf Verkehr. Einiges ist dann tatsächlich auch geschehen, aber vieles andere natürlich nicht.

Du hast ja schon einiges über eure Aktivitäten erzählt, kannst du darauf noch ein wenig genauer eingehen?

Grundsätzlich arbeiten wir auf drei Schienen, die immer miteinander verknüpft sind. Es gibt zum ersten die AG Inhalte, die die Forderungen erarbeitet und weiterentwickelt. Die bringen wir dann im zweiten Schritt an die Öffentlichkeit, durch Aktionen im öffentlichen Raum, Demos, Radparaden und durch Medienarbeit.

Während das Lockdowns haben wir zum Beispiel einen Pop-up-Radweg am Joanneumring eröffnet, indem wir dort einen roten Teppich ausgerollt haben. Bei der Aktion »Adventbim« haben wir zwei Lastenräder als Straßenbahn »verkleidet« und weihnachtlich geschmückt und sind damit zum Griesplatz gefahren, um zu zeigen, dass es dorthin eine Straßenbahn braucht. Und in den letzten Wochen haben uns an den Aktionen der Fridays for Future beteiligt. Außerdem gibt es Informationsveranstaltungen wie Filmabende oder Podiumsdiskussionen – letzteres ist gerade pandemiebedingt nicht möglich – und Veröffentlichungen durch unsere eigenen Social Media sowie Presseaussendungen und – konferenzen.

Die dritte Schiene ist dann die Lobbyarbeit bei Politik und Verwaltung, die konkrete Zusammenarbeit mit diesen Stellen, um die Forderungen auch umzusetzen. Das Ziel ist immer, politische Entscheidungen zu beeinflussen. Gerade in der Mobilitätspolitik haben Gemeinden viele Entscheidungskompetenzen, da ist viel möglich und damit können Gemeinden auch bei den Wähler*innen punkten.

Wie geht es jetzt weiter?

Jetzt geht es darum, dafür zu sorgen, dass diese Forderungen, hinter denen ja viele Menschen stehen, vermutlich noch viel mehr als die 12.000, die unterschrieben haben, auch präzisiert, weiterentwickelt und umgesetzt werden. Es geht ja nicht nur um Radverkehr, sondern zum Beispiel auch um die Verbesserung des öffentlichen Verkehrs. Auch daran arbeiten wir wieder mit allen drei Schienen. Die AG Inhalt entwickelt konkrete Umsetzungsvorschläge, wir bringen sie an die Öffentlichkeit durch Aktionen und Medienarbeit und wir arbeiten auch mit den zuständigen Personen in der Stadt zusammen. Da haben wir etwa vor kurzem eine »Academy« organisiert, wo wir Menschen aus Politik, Verwaltung, Stadt- und Raumplanung – auch die neu angestellten Personen für die Entwicklung des Radverkehrs – mit Expert*innen zusammengebracht haben. Das war ein sehr guter Austausch auf Augenhöhe. Wir wollen ja nicht gegen die Verwaltung arbeiten, sondern die Kooperation suchen, dabei aber keine unnötigen Kompromisse eingehen und klar bei unseren Forderungen bleiben.

Welche Forderungen sind das genau?

Wir haben insgesamt 12 Forderungen, die den Fußverkehr, den Radverkehr, den öffentlichen Verkehr und vor allem die Verkehrssituation insgesamt betreffen. Die zentrale Frage ist, wie kann man Menschen motivieren, auf andere Verkehrsmittel umzusteigen? Das bedeutet auch den Raum und die Infrastruktur anders zu gestalten. Man weiß, dass Menschen pragmatisch agieren und das Verkehrsmittel verwenden, das am schnellsten und am flexibelsten ist. Wenn das das Auto ist, nehmen sie das Auto, ist es in der Stadt das Rad oder der öffentliche Verkehr, dann nehmen sie die. Es muss also dieses Verhältnis stimmen, und das stimmt in Graz nicht und darauf zielen alle unsere Maßnahmen ab. Man muss den Platz in der Stadt anders verteilen und dem Autoverkehr Platz wegnehmen.

Was sind eure nächsten Pläne?

Es gibt viel Motivation in unserem Netzwerk. Die Mobilitätsinitiativen profitieren von der Zusammenarbeit auch für ihre jeweils eigenen Anliegen und es sind auch noch viele motivierte Menschen dazu gekommen. In circa einem Jahr steht die Gemeinderatswahl an, da wird es dann spannend, was im nächsten Regierungsprogramm stehen wird. Wir werden darauf achten, dass möglichst viele unsere Forderungen dort hinein kommen.

Christian Kozina ist Hauptinitiator von MoVe iT, forscht und lehrt an der Universität Graz und engagiert sich zivilgesellschaftlich für nachhaltige Mobilität, zukunftsfähiges Wirtschaften und Bürgerinnenbeteiligung mit Schwerpunkt Graz.

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