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Ausstellung und Buch: Boden für alle

Foto: AZW, © ESEL

Aus der Juni-Ausgabe der Contraste

Die Ausstellungen im Architekturzentrum Wien (AzW) behandeln immer wieder die Frage, was Architektur und Planung zur Lösung der globalen Krisen beitragen können. War es 2019 »Architektur für einen Planeten in der Krise« (siehe CONTRASTE 425), hat man sich im Coronajahr 2020 mit dem Thema »Boden für alle« auseinandergesetzt. Brigitte Kratzwald, Redaktion Graz, hat sich in einer kurzen Öffnungsphase auf der Ausstellung umgesehen und die gleichnamige Publikation gelesen.

Das Thema Boden ist an nahezu allen sozialen Bruchstellen beteiligt, die durch die Coronakrise zutage getreten sind: sie spaltete die Bevölkerung »in jene mit Zugang zu Freiraum und den ›Eingesperrten‹. Die Mehrfachbelegung durch Homeoffice und Homeschooling verdeutlichte die Notwendigkeit von großzügigem, flexiblem Wohnraum für alle. Die Beeinträchtigung von globalen Lieferketten warf einen Scheinwerfer auf mangelnde regionale Ernährungssicherheit. All dies ist eng mit dem Boden verknüpft«, heißt es im Vorwort des Buches. Seit der Finanzkrise sei das Kapital in »Betongold« geflüchtet, Investmentfonds träten an die Stelle von Bauherr*innen. Der Umgang mit dem Boden sei der Schlüssel für eine umweltschonende, gerechte und schöne Welt und die Raumplanung spiele dafür ein zentrale Rolle.

Die Uhr tickt

Betritt man den Ausstellungsraum fällt der Blick als erstes auf eine Wand mit Bildschirmen, auf denen man in Echtzeit miterleben kann, wie viel Boden in Österreich versiegelt wird. Jede Minute werden 9,89 m² Straßen gebaut, pro Stunde 1,74 neue Gebäude mit nur ein bis zwei Wohnungen fertig gestellt, während gleichzeitig die landwirtschaftliche Fläche ebenso im Minutentakt kleiner wird, und zwar um 10,5 ha täglich. Man erfährt staunend, dass es in Österreich so viele Ein- und Zweifamilienhäuser gibt, dass bei einer Belegung mit 4 – 5 Personen alle Einwohner*innen Österreichs darin Platz hätten – und fragt sich, weshalb dann immer noch mehr Wohnsilos in den Städten errichtet werden müssen.

Die Eigentumsfrage stellen

Die Ausstellung ist in verschiedene Stationen gegliedert, wo man eine Definition des Begriffs »Boden« aus verschiedenen Perspektiven, etwa der Ökonomie, Architektur, Landwirtschaft, Ökologie ebenso findet, wie Bodenproben von verschiedenen Orten. Im Zentrum steht jedoch das Thema Eigentum an Boden und seine Auswirkungen. Die Ausstellung beginnt wie das Buch mit einem historischer Rückblick auf den Prozess, wie Boden zum Privateigentum wurde und sich die Vorstellung von Boden als Ware durchsetzte, von der Antike über das Lehenswesen des Mittelalters bis heute, wobei Bodenspekulation bereits vor 100 Jahren zum Problem wurde. Dabei wird auch nicht der Blick auf die Kolonialzeit ausgespart und in einem Exkurs die Sicht von indigenen Gesellschaften auf Grund und Boden vorgestellt.

Was es bedeutet, wenn Boden als Ware behandelt wird, wird an verschiedenen Beispielen mit anschaulichen Tafeln und Grafiken demonstriert. So ist es etwa möglich in der Region von Kitzbühel durch Umwidmung von Grünland in Bauland einen Gewinn von fast 16.000 % zu erzielen. Zwischen 2015 und 2018 sind die Bodenpreise um 76 % gestiegen, während die Einkommen nur um 9 % zunahmen. Längst wurden Boden und Immobilien von einer Ware zum Finanzinstrument. Ein großer Teil der Wohnungen wird nicht mehr gebaut, um darin zu wohnen, sondern als Kapitalanlage – was dazu führt, dass es trotz umfangreicher Bautätigkeit kaum noch möglich ist, leistbaren Wohnraum zu finden.

Im Zentrum der Ausstellung befindet sich eine Sitzecke, die ganz aus »Boden«, nämlich einem neuartigen Baustoff aus Lehm, besteht. Dort kann man in Büchern blättern oder sich mit einem Monopolyspiel unterhalten. So nebenbei erfährt man dabei, dass diesem Spiel sozialreformerische Ideen zugrunde lagen und es ursprünglich ein zwei Versionen gespielt werden konnte. Eine, die bis heute bekannt ist, bei der es darum geht, Bodenmonopole zu schaffen und dafür Einnahmen zu lukrieren, bis die Mitspielenden pleite sind; eine zweite, in der mit einem egalitäres Steuermodell experimentiert werden kann. Erhalten blieb leider nur die »kapitalistische« Variante.

Ausstellung to go

Das dazugehörige Buch folgt im wesentlichen der Gliederung der Ausstellung. In vier Kapiteln mit den Überschriften »Die Ware Boden«, »Wer plant die Raumplanung?«, »Oh, du mein Österreich« und »Andere Länder, andere Sitten«, werden jeweils die Informationen der Ausstellung wiedergeben. Der Mehrwert des Buches liegt also zum einen darin, dass man sich die zahlreichen und komplexen Informationen von der Ausstellung quasi mit nach Hause nehmen kann. Zum anderen bereichern die vertiefenden Texte, für die so bekannte Autorinnen wie Vandana Shiva oder Saskia Sassen gewonnen werden konnten. Im Unterschied zur Ausstellung, wo Modelle, die sich als Alternative zum Privateigentum an Grund und Boden bewährt haben, in den letzten Stationen versammelt sind, werden im Buch unter dem Titel »Gutes auf den Boden bringen« die positiven Beispiele am Ende jedes Abschnitts vorgestellt.

Boden als Ware

In diesem Abschnitt erfährt man Interessantes über das Zustandekommen von Bodenpreisen. Die starke Steigerung der letzten Jahre ist einerseits auf einen Rückzug der öffentlichen Hand zurückzuführen, andererseits auch auf die Finanzialisierung, das heißt, dass Immobilien als Geldanlage verkauft werden. Auch Pensionskassen und Versicherungen nutzen diese Anlageform vermehrt. Das kann zu dem Paradox führen, dass Mieter*innen mit steigenden Mieten zu kämpfen haben, während ihre Pension genau davon profitiert.

Zu Aufwertung von Boden oder Immobilien kann es auch durch Investitionen in der Umgebung kommen, die häufig durch die öffentliche Hand getätigt werden. Steigt durch öffentliche Investitionen der Wert eines Grundstücks, so muss der Besitzer – zumindest in Österreich – dafür nur einen geringen Betrag an Steuer bezahlen, während bei einer eventuellen Rückwidmung die öffentliche Hand dem Besitzer den ganzen ursprünglichen Wert als Entschädigung abgelten muss. Grundsätzlich wird Eigentum an Boden steuerlich privilegiert, als Geldanlage für die letzten fünf Jahre hat Boden im Vergleich zum Sparbuch oder Gold die weitaus größte Rendite bei niedrigster Besteuerung abgeworfen.

Als Alternative zum Ausverkauf öffentlichen Bodeneigentums formulierten Bodeninitiativen in Basel zwei Forderungen: Der Kanton Basel solle Grundstücke nicht mehr verkaufen, sondern nur ein Baurecht vergeben und durch eine Abgabe auf den Mehrwert durch Wertsteigerungen soll der umwelt- und familienfreundliche Wohnbau gefördert werden. Der erste Vorschlag wurde bei einer öffentlichen Abstimmung mit großer Mehrheit angenommen. Das Modell der Besteuerung von Wertanstiegen von Immobilien zum Zweck des Ausbaus öffentlicher Infrastrukturen hat sich in einigen Städten Kolumbiens durchgesetzt.

Raumplanung als Schlüssel

Raumplanung als Staatsaufgabe, so erfährt die Leserin, geht auf den Nationalsozialismus zurück, ist aber nichts desto weniger, gerade bei knapper werdendem Boden und zunehmenden Interessenskonflikten von zentraler Bedeutung für eine sorgsamen Umgang mit dem Boden. Bedürfnisse von Landwirtschaft, Wohnbau, Verkehr, Energieversorgung, Naturschutz, wirtschaftliche Interessen, wie etwa Tourismus müssen unter einen Hut gebracht werden. In Österreich ist die Zuständigkeit für Raumplanung »fragmentiert, nicht leicht zu durchschauen und trotzdem stark hierarchisch«. Die Zuständigkeit ist zwischen Bund, Ländern und Gemeinden aufgeteilt, was zusätzlich zu Bundesgesetzen zu neun verschiedenen Landesgesetzen führt, die letztlich in den Gemeinden umgesetzt werden müssen. Da Bürgermeister*innen in den Gemeinden die oberste Bauinstanz sind, kommt es aus wahltaktischen Gründen auch immer wieder zu Gefälligkeitsentscheidungen, wie sie in der Ausstellung an Hand von drei Comics überspitzt dargestellt werden. In letzter Zeit haben sich jedoch auch oft kooperative Planungsprozesse etabliert, bei denen die Bevölkerung einbezogen wird.

So geht‘s auch

Einige interessante Beispiele für innovative Planung schließen diesen Teil ab. Da geht es einerseits um kreativen Umgang mit Altbestand, andererseits um Rückbau. Zweiteres zeigt die Stadt Seoul vor: Stadtautobahnen wurden abgerissen um den darunter liegenden Fluss freizulegen oder belassen, aber zu einer Erholungsfläche umgebaut. Der Verein Bodenfreiheit in Vorarlberg setzt die Kreativität der Zivilgesellschaft ein, um eine weitere Verbauung von Grünraum zu verhindern, durch Aufkauf strategisch wichtiger Flächen oder durch ein eigens erfundenes »Gehrecht«, das Recht über einen Grund zu gehen und dadurch Verbauung zu verhindern.

Als Modell für den Schutz von Boden durch Immobilienspektulation wird das habitat vorgestellt, die österreichische Variante des Mietshäusersyndikats, verbunden mit einem grundsätzlichen Plädoyer für andere Wohnformen.

Blick über die Grenzen

Im letzten Abschnitte des Buches geht der Blick über die Grenzen Österreichs hinaus, zuerst nach Deutschland, wo im Grundgesetz festgehalten ist »Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen«. Das bietet mehr Möglichkeiten zum Bodenschutz, wie die österreichische Verfassung, in der es heißt »Das Eigentum ist unverletzlich«. Südtirol hat verschiedene Maßnahmen gesetzt, um das Horten von Bauland zu verhindern. Die Schweiz verfügt über ein Bundesgesetz zum quantitativen Bodenschutz, dass die Ernährungssicherheit garantieren soll.

Wollte man eine Erkenntnis aus Ausstellung und Buch ziehen, so ist es wohl die: Planung kann mehr als man glaubt, gesetzliche Rahmenbedingungen zum Bodenschutz sind wichtig, aber das beste Gesetz hilft nicht, wenn die Umsetzung mangelhaft ist. Obwohl die Situation in Österreich im Fokus steht, kann das Buch sicher auch von deutschen Leser*innen mit Gewinn gelesen werden. Auf der Webseite ist eine virtuelle Ausstellungsführung verfügbar.