Vom 13. – 15. April fand im Tagungshaus Wernsdorf bei Berlin ein BUKO Seminar mit dem Titel „Lokal, glokal, utopistisch – Wirtschaft für die Welt von morgen“ statt. Für die ÖsterreicherInnen: BUKO steht für „Bundeskoordination Internationalismus“, eine Dachorganisation von „linken“ entwicklungspolitischen Gruppen, die das herkömmliche Entwicklungsparadigma kritisieren und die sogenannte „Unterentwicklung“ im Süden als immanenten Teil kapitalistischer Ausbeutung thematisieren und das Verhältnis zwischen den kapitalistischen Zentren und der Peripherie in den Mittelpunkt stellen.
Dieser Beitrag ist der erste Teil meiner Überlegungen nach dem Seminar. Er handelt von einer Erfahrung die motivierend und frustrierend gleichzeitig war. Motivierend deshalb, weil ich viele neue spannende Impulse zu den Themen und Fragen, mit denen ich mich aktuell auseinandersetze, erhalten habe. Frustrierend deswegen, weil diese von einer Buko-Arbeitsgruppe namens „Schwertfisch“ bereits vor nahezu 20 Jahren entwickelt wurden – wo ich nach 10 Jahren Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Strömungen der Kapitalismuskritik angelangt war, standen andere also bereits vor 20 Jahren.
Irgendwie sind diese Diskussionen im Sand verlaufen, das Wissen und die Alternativvorschläge sind in der Versenkung verschwunden, im Internet sind kaum Spuren davon zu entdecken. 20 verlorene Jahre, in denen sich die Spirale der Zerstörung weiterdrehen und den Eindruck der Alternativenlosigkeit noch verstärken konnte? Alles schon dagewesen also? Warum kommt die linke Kritik in ihrer Entwicklung nicht weiter, muss immer wieder von vorne anfangen? Hätte sich die Welt anders entwickelt, wenn die Linke damals diesen Weg weiter verfolgt hätte? Darüber sich den Kopf zu zerbrechen ist natürlich müßig, sich die Texte von damals anzusehen dagegen, ist nach wie vor bereichernd. Ich möchte hier einige der für mich interessanten Aspekte vorstellen, einerseits aus Ulla Peters‚ Vortrag in Wernsdorf, andererseits aus dem 1995 erschienen Buch der Arbeitsgruppe Schwertfisch mit dem Titel „Zeitgeist mit Gräten. Politische Perspektiven zwischen Ökologie und Autonomie“ (gibt’s leider nicht mehr zu kaufen, danke Friede, fürs Ausborgen ;-)).
Gleich vorweg: der Begriff Commons tauchte damals nicht auf, ebenso wenig der Begriff Solidarische Ökonomie. Aber was unter dem Motto „Politisierung der Subsistenz“ von den Menschen – vor allem Frauen – in der Gruppe Schwertfisch diskutiert wurde, hatte die gleiche Zielrichtung und folgte weitgehend der gleichen Argumentationslinie. Es handelt sich in dem Buch vor allem um eine radikale Kritik am Konzept der Nachhaltigkeit und einem Bericht, der damals vom Wuppertal-Institut unter dem Titel „Zukunftsfähiges Deutschland“ (hier die Neuauflage 2008) vorgelegt wurde. Ähnlich wie heute die Idee einer Green Economy, die Vorstellung eines „grünen“ oder „nachhaltigen“ Wachstums, blendete die Studie die Produktions- und Herrschaftsverhältnisse aus, die die Ursache von Armut in den Entwicklungsländern und Naturzerstörung gleichermaßen sind und wälzt die Verantwortung weitgehend auf den Bereich des privaten Konsums ab. Die Hierarchie zwischen den von Männern entwickelten High-Tech-Lösungen in hoch bezahlten Vollzeitarbeitsplätzen und weiblicher, schlecht bezahlter Reproduktionsarbeit wurde, so die Kritik, aufrecht erhalten, ja noch verstärkt, weil Nachhaltigkeit vor allem bedeutete, weniger Technik im Haushalt zu verwenden. Ebenso blieb die Dominanz des industrialisierten Nordens über den Süden als Rohstoff- und Arbeitskraftlieferanten erhalten, wurde eher durch eine parternalistische Vorbild-Haltung à la „Wir zeigen euch wie es geht“ noch verstärkt.
Als Gegenentwurf dazu wird in dem Buch die Subsistenzwirtschaft beschrieben. „Subsistenz dient hier sowohl als Kritik an herrschenden Verhältnissen, wie als Perspektive politischer Veränderung“ schreibt Ulla in einer Beitrag im erwähnten Buch (S.69). Das sage ich auch gerne von den Commons: sie sind gleichzeitig ein Instrument zur kritischen Analyse des herrschenden Systems, eine Quelle der Autonomie von diesem System und ein Modell für eine neue Produktionsweise. Ich will jetzt gar nicht den Kurzschluss begehen, Commons und Subsistenz gleich zu setzen, sondern einfach einige Parallelen aufzeigen und Überlegungen anstellen, was wir von damals vielleicht lernen können und wo die aktuelle Diskussion manches vielleicht besser fasst.
In dem Artikel meint Ulla weiters, dass diese „Ineinssetzung von Analyse und Orientierung“ die Rezeption der Subsistenzperspektive erschwert habe. Ich finde das in der Commons-Diskussion eher als Stärke, vielleicht weil heute das Bedürfnis, nicht nur Kritik, sondern auch Alternativen aufzuzeigen, in der Gesellschaft allgemein viel ausgeprägter ist als damals. Absolut zustimmen kann ich der Aussage, diese Zweideutigkeit des Begriffes sei notwendig,
… weil Emanzipation und Widerständigkeit gegen Herrschaft nur dort ansetzen können, wo gesellschaftlich notwendige Arbeit geleistet und ausgebeutet wird. Wir können nicht gegen Ausbeutung kämpfen, ohne dort anzusetzen, wo Ausbeutung passiert. Wir müssen uns die eigenen Subsistenz und ihre lebenserhaltenden Qualitäten wieder aneignen (69).
Ja, genau, das ist auch mein wesentliches Argument für die Wiederaneignung der Commons, das Wiedererlangen von Kontrolle über unsere Lebensbedingungen, um die Unterwerfung unter die Zumutungen gegen das Kapital zurückweisen zu können. Wenn wir uns nicht selbst erhalten können, ist Widerstand gar nicht möglich. Daher ist der Bereich der Commons – oder eben der Subsistenz – ein ebenso wichtiger Ort des Widerstandes wie der Bereich der Lohnarbeit. Dieses Thema habe ich etwa hier unter der Frage, für wen wir eigentlich arbeiten, erörtert.
Für meine aktuelle Fragestellung, dem Potenzial der unbezahlten, nicht markt-vermittelten Arbeit für Protestbewegungen, Widerstand und soziale Transformation nachzugehen, die ambivalente Position dieses Bereiches zwischen Autonomie und Ko-optierung auszuloten und zu überlegen, wie es gelingen kann, durch solche „dissidenten Praktiken“ Energie und Ressourcen aus dem herrschenden kapitalistischen System abzuziehen, statt dieses damit zu versorgen, bietet die Subsistenz-Perspektive jedenfalls ein Fülle von Anregungen.
Subsistenz wird häufig als vormoderne, „minderwertige“ Form des Wirtschaftens angesehen und gerne abwertend mit dem Zusatz „nur“ versehen. Subsistenzwirtschaft soll das Überleben sichern, aber Wirtschaft müsse doch mehr leisten, als „nur“ Subsistenz.
Dem gegenüber verstehen die AutorInnen es Schwertfisch-Buches unter Subsistenz all jene nicht marktvermittelten Tätigkeiten, die „uns am Leben erhalten“, es geht um lebensfreundliches, nicht destruktives Wirtschaften, letztlich dient Subsistenz der Herstellung von gesellschaftlichen Bedingungen, die ein Gutes Leben ermöglichen. Unter den heutigen Bedingungen in den Industrieländern, wo es nicht ums nackte Überleben geht, ist Subsistenz eine Widerstandskultur, in der „dissidente Praktiken“ entwickelt werden, die sich dem Funktionieren im Marktsystem verweigern. Es geht darum, Dinge und auch uns selbst der Verwertung zu entziehen und die Kontrolle über die eigene Reproduktion zu erlangen, Einfluss auf die Produktionsprozesse zu nehmen und damit geht es auch um Machtverhältnisse. Der Begriff Subsistenz ist dazu geeignet, ökonomische und Geschlechterverhältnisse (und wohl auch Naturverhältnisse) gleichzeitig zu diskutieren.
Subsistenzwirtschaft ist aber auch die Grundlage für die kapitalistische Marktwirtschaft, sie ist das Fundament auf dem jede gesellschaftliche Produktion aufbaut, weil sie die Grundlage dafür, die menschliche Arbeitskraft herstellt. Diese wird vom Kapital kostenlos angeeignet, es werden also ständig Ressourcen und Energie aus dem Subsistenz-System ins Marktsystem abgesaugt. Dadurch wird die Subsistenz immer weiter ausgelaugt und letztlich zerstört – eine der Hauptursachen für die sogenannte „Unterentwicklung“ des Südens – und ein Problem, das durch die Krise nun auch in Europa angekommen sein dürfte.
Subsistenz per se ist also noch keineswegs politisch, sondern liefert vor allem auch erst die Existenzbedingungen für die kapitalistische Marktwirtschaft, die aus sich selbst nicht überlebensfähig ist, sondern immer auf die kostenlose Bereitstellung von Ressourcen aus Bereichen außerhalb seiner selbst angewiesen ist. Der Bereich der Subsistenz ist also immer umkämpft. Genau die gleiche ambivalente Situation kennzeichnet auch die Commons. Während aber Warenproduktion ohne Subsistenz nicht möglich ist, kann Subsistenz ohne Warenwirtschaft bestehen. Von da her rührt ihr Potenzial zu gesellschaftlicher Transformation.
Allerdings bedeutet Subsistenz nicht automatisch Emanzipation, weil die Subsistenzarbeit häufig von voneinander isolierten Individuen, meist Frauen, in Privathaushalten geleistet wird und daher leicht vom Kapital ausgebeutet und angeeignet werden kann. Die Bedingungen unter denen Subsistenzarbeit geleistet wird, sind also die Voraussetzung für die Reproduktion von Herrschaft (70). Es geht daher um die Wiederaneignung der Bedingungen unter denen Subsistenzarbeit geleistet wird. Genau das meint der Begriff „Politisierung der Susistenz“: die Subsistenzarbeit aus ihrer Unsichtbarkeit herauszuholen und ihr emanzipatorisches Potenzial sichtbar zu machen.
Für Subsistenz wie Commons gilt: in diesem Verhältnis zum kapitalistischen System geht es darum, Energie aus dem System abzuziehen, anstatt sich vom System ausbeuten zu lassen. Eine grundsätzliche Wertschätzung der Subsistenzarbeit und guter Wille alleine reichen dafür nicht aus, sondern es ist notwendig sich jenen Strukturen und Praktiken zu widersetzen, die die Subsistenz – und die Commons – zerstören (71).
Eine Stärke dieses Ansatzes, Subsistenz zu politisieren, ist die eindeutige und radikale Verbindung von Kapitalismuskritik mit der Kritik an Patriarchat und Rassismus, etwas das in der Commons-Debatte häufig zu kurz kommt, auf jeden Fall zusätzlich, sozusagen von „außen“, eingebracht werden muss. Dass Commons nicht automatisch herrschaftsfrei sind, das wird oft zu wenig bedacht. Der Nachteil gegenüber dem Commons-Begriff ist, dass der Begriff Subsistenz häufig mit reiner Selbstversorgung mit Lebensmitteln, mit Mangelwirtschaft und Rückständigkeit assoziiert wird. Der Commons-Begriff ist besser geeignet, die verschiedenen Diskursstränge – von den Kämpfen um Land über die Dezentralisierung der Energieversorgung bis zu den aktuellen Auseinandersetzungen um geistiges Eigentum – miteinander zu verbinden.
Was Ulla noch betont hatte, war die Frage der Autonomie. Volle Autonomie, so ist auch in diesem Blog wiederholt zu lesen, kann es nicht geben. Sie meinte, es wäre notwendig, den Begriff „Abhängigkeit“ positiv zu besetzen, etwa als „Eingebundenheit“ oder so ähnlich. Da passt das Argument, das wir in der Commons-Diskussion gerne verwenden gut dazu: dass nämlich in Commons-Beziehungen die volle Entfaltung des Individuums gerade durch die Eingebundenheit erst möglich wird.
[…] 15. April 2012 im Tagungshaus Wernsdorf bei Berlin beruht dieser Beitrag, den ich zum ersten mal hier veröffentlicht […]