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Für wen wir arbeiten II

Beim Worldcafé im Rahmen der Tagung Com’on in der Luxemburg-Stiftung in Berlin wurde auch über das Verhältnis zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeit (1:2) diskutiert. Es ging um die Frage, wenn ohnehin nur der geringere Teil der gesamtgesellschaftlichen Arbeit als Lohnarbeit verrichtet wird und davon ein guter Teil nur dem Systemerhalt dient, warum ist es so schwer, diesen kleinen Teil praktisch auszuschalten und die unbezahlte Arbeit zur direkten Reproduktion zu nutzen, ohne den Umweg über Lohnarbeit und Markt? Das wurde mit der Macht und mit dem Eigentum an Produktionsmitteln begründet.

Über die bezahlte Arbeit und die Produktionsmittel habe ich hier geschrieben und bin am Ende zu dem Schluss gekommen: wenn wir heute hier bei uns die Frage nach dem Eigentum an Produktionsmittel stellen, müssen wir uns erst klar werden, was eigentlich die Produktionsmittel sind, die wir für die Produktion einer solidarischen und zukunftsfähigen Gesellschaft brauchen und unter welchen Bedingungen eine solche möglich ist. Dann ginge es vielleicht erst mal eher darum, uns die Bedingungen wieder anzueignen unter denen wir unsere Gesellschaften reproduzieren. Und das betrifft vor allem den Bereich der unbezahlten Arbeit, die ja einen guten Teil der Bedingungen herstellt unter denen sich der Kapitalismus reproduzieren kann. Darum soll es hier um die Frage gehen, wie das Kapital die Kontrolle über die unbezahlte Arbeit ausübt.

Auch die Vorgeschichte dieses Beitrages verdient es, erwähnt zu werden. Ich war bei der 10-Jahresfeier der Zeitschrift Grundrisse. Eigentlich wollte ich abends mit dem letzten Zug noch nach Graz zurückfahren, dann hatte ich aber keine Lust, mittendrin wegzugehen. Nun gibt es zwar einige Leute, bei denen ich Wien übernachten könnte, aber ich kann schlecht um 9 Uhr abends Freundinnen oder Schwester anrufen und sagen, bitte bleibt doch noch mal bis Mitternacht auf, ich komm dann zum Schlafen. Also hab ich noch während der Diskussion einem der Organisatoren, der in der Nähe saß zugeflüstert „Habt ihr einen Schlafplatz für mich?“. Er hat zurückgeflüstert, „Ja, kein Problem“. Damit gab ich mich fürs erste zufrieden und nach der Diskussion, als irgendjemand bemerkt hatte, „Ach, du bist noch da? Wo schläfst du denn?“, hab ich geantwortet „Keine Ahnung, vielleicht muss ich ja hier übernachten“. Da sagte eine junge Frau neben mir „Nein, musst du nicht“. Überrascht schaute ich sie an, ich kannte sie nicht. Sie sei bei der Veranstaltung der Grünen Bildungswerkstatt vor 2 Wochen zu Commons in der Stadt gewesen, von dort kenne sie mich, sagte sie. Und sie habe eine Wohnung in der Nähe, schlafe aber heute bei ihrem Freund und ich könne die Wohnung gerne nutzen. So ist das mit den Commons :-)!

Überraschend auch die Lösung mit dem Schlüssel. Sie hatte mir ja den Wohnungsschlüssel gegeben, ich traf sie aber nicht mehr, bevor ich in der Früh wegging, also wohin damit? Ganz einfach: ebenfalls in der Nähe gibt es das Café Hummel und dort kann man Schlüssel und wohl auch andere Dinge abgeben, mit dem Namen des Empfängers beschriftet, die stecken das in eine Lade und die andere Person kommt sie sich holen. Eine geniale Einrichtung! Ich bin mir nicht sicher, ob das Café Hummel ein Commons ist, aber es bietet sicher eine Dienstleistung an, die das Commoning wesentlich erleichtert, die Menschen unterstützt, die Wohnungen, Veranstaltungsräume, Autos oder was auch immer gemeinsam nutzen wollen.

Ja, und bei dieser Veranstaltung habe ich auch die druckfrische deutsche Ausgabe des Buches von Harry Cleaver erstanden, „Das ‚Kapital‘ politisch lesen„. Bei der Zugfahrt am nächsten Tag habe ich darin gelesen und da fand ich eine Antwort auf die Frage, wie denn das ist mit der unbezahlten Arbeit. Also los:

Cleaver hat den Begriff „autonomist Marxism“ geprägt (da die Übesetzerin des Buches beschlossen hatte, diesen Begriff englisch zu belassen, folge ich diesem Beispiel). Eine der Besonderheiten dieses Zuganges ist, dass er die Konzeption von Arbeiterklasse erweitert. Das wird damit gerechtfertigt, dass nicht, wie meist angenommen, nur durch Lohnarbeit Mehrwertbildung und Kapitalakkumulation möglich wird, sondern dass im Gegenteil die unbezahlte Arbeit einen wichtigen Einfluss darauf hat, wieviel Mehrwert aus der Lohnarbeit erzielt werden kann. Deshalb habe das Kapital ein Interesse daran, möglichst viel der in einer Gesellschaft geleisteten Arbeit für seine Zwecke zu instrumentalisieren und Cleaver meint, dass das in den letzten Jahrzehnten enorm zugenommen hat.

Wieviel Mehrwert aus der Lohnarbeit lukriert werden kann, hängt vom Verhältnis ab zwischen dem was der Arbeiter bezahlt bekommt und dem Tauschwert dessen, was er in dieser Zeit produziert, der sogenannten Mehrwertrate. Der Arbeiter bekommt soviel bezahlt, wie für die Reproduktion der Arbeitskraft notwendig ist. Wieviel genau das ist hängt von den jeweiligen gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen, dem allgemeinen Lebensstandard, der Produktionsweise, usw. ab; ob also etwa ein Auto dazugehört und Urlaubsreisen, oder eine gute Ausbildung – letzteres wird ja in Österreich, wie auch an anderen Orten, gerade verhandelt. In jedem Fall, je höher der Lebensstandard, den die Arbeiter einfordern, desto geringer die Mehrwertrate. Deshalb ist es ein wesentliches Ziel des Kapitals, die Reproduktionskosten für Arbeit niedrig zu halten und das geht am besten dadurch, dass es das Kommando auch über die unbezahlte Arbeit an sich zieht. Cleaver schreibt:

Kapitalismus ist vor allem eine globale Arbeitsmaschine, ein Gesellschaftssystem, das auf der endlosen Unterwerfung unserer Leben unter die Arbeit beruht – Arbeit, die vom Kapital auf verschiedene Arten, die ihm das Kommando über uns verschaffen, organisiert wird. Diese Durchsetzung der Arbeit – die immer die Durchsetzung der nichtentlohnten ebenso wie der entlohnten Arbeit beinhaltet hat – bleibt immer noch sowohl das grundlegende Merkmal des Kapitalismus als auch weiterhin die Quelle der meisten unserer Probleme.

Viele Tätigkeiten jenseits der Lohnarbeit dienen dazu, die Kosten für die Reproduktion der Arbeitskraft zu reduzieren und viele soziale Gruppen, die normalerweise nicht der Arbeiterklasse zugerechnet werden, tragen dazu bei: Hausfrauen und Mütter indem sie die Versorgung und Erziehung übernehmen; Studierende, weil sie unbezahlt sich die Fähigkeiten aneignen, die sie für die Produktion von Mehrwert brauchen; Arbeitslose, weil sie eine Konkurrenz für die darstellen, die noch Arbeit haben und daher es möglich machen, die Löhne und Sozialleistungen zu drücken; Vereine, die die Behebung von sozialen oder ökologischen Schäden der Produktionsweise ehrenamtlich übernehmen; PensionistInnen, die noch Teile der Kindererziehung übernehmen, usw. Alle diese Gruppen können also aktiv in den Klassenkampf eingreifen, indem sie sich weigern, weiterhin kostenlose Ressourcen für das Kapital bereitzustellen und dadurch die Reproduktionskosten der Arbeitskraft erhöhen.

Diese Theorie entstand aus den Frauen- und Studentenprotesten der 70er und 80er Jahre, die erstmals begannen, das Thema der unbezahlten Arbeit anzusprechen. Aber Silvia Federici hat gezeigt, dass schon im Übergang von der Feudalzeit zur kapitalistischen Produktionsweise nicht nur die Herstellung des männlichen Industriearbeiters vorangetrieben wurde (durch Enteignung und Repression), sondern mit mindestens gleicher Gewalt auch die Herstellung der weiblichen Reproduktionsarbeiterin. Die Kontrolle über das wichtigeste Produktionsmittel, den weiblichen Körper, der den Nachschub an Arbeitskraft sicher stellt, gehörte von Anfang an zur kapitalistischen Entwicklung dazu. In dem Ausmaß, wie sich die Frauen dagegen zur Wehr setzten, wurde die Kontrolle des Kapitals über immer mehr unbezahlte Tätigkeiten von immer mehr Menschen, nicht nur Frauen, verteilt. Je weniger das Kapital in der Lage ist, alle in die Lohnarbeit zu integrieren, desto mehr verstärkten sich diese Tendenzen.

So wurden etwa die in den 1980er Jahren mit emanzipatorischen Anspruch entstandenen alternativen Arbeitsformen längst zum Normalfall und wurden zum kategorischen Imperativ für alle: jedeR muss Unternehmer/in ihrer/seiner selbst sein, ständig an seinem/ihrem Humankapital arbeiten, immer erreichbar, immer aktiv, immer im Wettbewerb sich bewährend. Die neuen Medien machen es möglich, dass man Arbeit und Freizeit kaum mehr trennen kann, dass es einem oft nicht bewusst ist, wieviel Zeit täglich man „für das Kapital“ arbeitet, obwohl man nicht im Büro sitzt.

Die Netzwerke, die wir uns aufbauen müssen, die Weiterbildungen, das Seminar für Work-Life-Balance, ist das wirklich für uns – oder nur dafür, dass wir besser ausbeutbar werden für das Kapital? Sogar bei den Kindern: jedes Kind hat heute noch Sport, Musik und was weiß ich noch für Kurse, Kinder und Eltern investieren jede Menge Zeit und Arbeit dafür, den Kindern eine gute Ausgangsposition im Wettbewerb um den Arbeitsplatz zu schaffen. Cleaver meint, dass „die Kindheit im 21. Jahrhundert ebenso der Arbeit unterworfen ist, wie sie es in der Fabrikproduktion des 19. Jahrhunderts war“! Es ginge also darum, dass wir uns klar drüber werden, was wir denn wirklich „für uns“ tun und was nur, um in diesem System irgendwie überleben zu können. Nicht so ganz klar unterscheidbar, natürlich, aber es könnte sich doch lohnen. Die Arbeiten zu verweigern, die unserer Verwertbarkeit dienen, schwächt das Kapital und erhöht die Zeit, in der wir etwas anderes machen, Alternativen entwickeln können. Diese Unterscheidung kann natürlich jeder nur für sich treffen, denn diese Verschiebungen in der Arbeitswelt wirken sich ja unterschiedlich aus.

Zum Beisipiel: die neuen, flexiblen Arbeitsverhältnisse werden oft als Erfolg dargestellt, als ein Mehr an Selbstbestimmung, die Möglichkeit seine Arbeitszeit den eigenen Bedürfnissen anzupassen, flachere Hierarchien, usw. Das dürfte aber nur in wenigen Fällen zutreffen. Wenn jemand so viel verdient, dass er mit fünf Tagen Arbeit im Monat genug zum Leben verdienen kann, dann hat eine solche Regelung sicher die Auswirkung, dass er wesentlich mehr Zeit für alternative Zwecke zur Verfügung hat, als wenn er um das selbe Geld 8 Stunden täglich im Büro sitzen müsste. Wenn aber jemand 60 Stunden die Woche arbeiten muss, um überhaupt davon leben zu können, dann ist zu Hause zu arbeiten oft die einzige Möglichkeit, die Arbeit noch irgendwie mit einem Leben in sozialen Beziehungen vereinbaren zu können. Mehr Zeit für nichtbezahlte Arbeit, die nicht der Funktionsfähigkeit am Arbeitsmarkt dient, hat mensch dadurch sicher nicht. Die Entscheidung, wem die Flexibilisierung der Arbeit nützt, wird aber für Person eins anders ausschauen als für Person zwei. Ich denke, ich kann aber ohne viel Risiko davon ausgehen, dass der zweite Fall wesentlich häufiger vorkommt, als der erste.

Vor der Frage nach den Produktionsmitteln – oder zumindest gleichrangig – scheint mir also die Frage zu kommen, wie wir uns die Zeit wieder aneignen können, in der wir formal nicht zur Vermehrung des Kapitals arbeiten. Denn dort entstehen die Möglichkeiten die Alternativen aufzubauen, vielleicht auch die Produktionsmittel, die wir für die Produktion einer neuen Gesellschaft brauchen. Cleaver spricht von der Notwendigkeit

unsere Tätigkeiten – einschließlich jener, die wir jetzt „Arbeit“ nennen – dahingehend zu reorganisieren, dass sie mit unseren eigenen Bedürfnissen frei vom kapitalistischen Kommando zusammentreffen. Und dann: Wir müssen all jene alternativen Methoden der Produktion und Distribution der Dinge, die wir zum Leben brauchen, sowie der Art, auf die wir leben wollen, einschätzen und wohl auch entwickeln, die wir außerhalb der kapitalistischen Beziehungen im Zuge der Schaffung von neuen Commons/Gemeingütern, die frei von Kommodifizierung, Geld und Finanz sind, erfunden haben.

Dem ist erstmal nichts hinzuzufügen – außer, dass leider nicht dabei steht, wie das am besten geht und dem Vorschlag, das vielleicht zum Neujahrsvorsatz zu machen: zu erkennen, welche unserer Tätigkeiten jener neuen Art zu leben dienen und welche nur die alte stärken und dann versuchen, daran etwas zu ändern.

In diesem Sinne verabschiede ich mich für heuer von den geschätzten Leserinnen und Lesern und wünsche uns allen dass 2012 das Jahr der Commons wird :-)!

2 thoughts on “Für wen wir arbeiten II

  1. … außer, dass leider nicht dabei steht …
    was wohl nicht dabei stehen kann, denn das Problem, welches der methodologische Individualismus nicht loesen konnte, wird hier nicht einmal als Problem gesehen. Und ob das eine ausreichende Loesung war oder nicht, sei dahingestellt. Aber zumindest hat ja KM genau dies zu beantworten versucht durch die Trennung von kapitalistischer Mehrwertproduction und Produktion dessen, was heute gemeinhin als added value bezeichnet wird und zu gerne mit dem surplus value verwechselt wird.
    Dazu in gewisser Hinsicht mehr an spaeterer Stelle und anderem Ort (wenn mich die Vorsehung nicht taeuscht am 30ten)

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