Die Gemeinwohlökonomie lädt zum Geburtstagsfest – 1 Jahr Gemeinwohlökonomie gilt es zu feiern. Das bezieht sich darauf, dass vor einem Jahr eine Gruppe von UnternehmerInnen begonnen hat, ihre Unternehmen an der von ihnen entwickelten Gemeinwohlmatrix auszurichten und diese Gruppe seither auch noch um einiges größer geworden ist. Das kann man schon als Anlass zum Feiern nehmen, dazu kann man ihnen auch gratulieren.
Aber um der Wahrheit die Ehre zu geben: die Frage nach dem Gemeinwohl beschäftigt die Menschheit natürlich schon viel länger und viele Philosophen und Wissenschaftler haben sich den Kopf darüber zerbrochen, wie dieses denn zu erreichen sei. Und das kann man auch zum Anlass nehmen, noch einmal der Frage nachzugehen, was denn den Gemeinwohlansatz vom Commons-Ansatz unterscheidet. In einer Diskussion hab ich einmal gemeint, die beiden hätten unterschiedliche theoretische Grundlagen, daher unterschiedliche Analysen der Ist-Situation und unterschiedliche Vorstellungen davon, wie diese zu verändern sei.
Auf Nachfrage habe ich hier und hier versucht, einige dieser Unterschiede näher zu bestimmen. Einen weiteren Aspekt habe ich erst kürzlich verstehen gelernt, nämlich den juristischen. Peter Linebaugh hat ja die Geschichte der Commons nicht nur als Geschichte sozialer Kämpfe nachgezeichnet, sondern auch als Geschichte der Rechtsentwicklung. Weil ich mich für soziale Kämpfe mehr interessiere als für Recht und das meist auch recht schwer verständlich finde, hab ich mich bisher nicht so sehr damit beschäftigt. In der Deutschen Sprache scheint das auch gar nicht so wichtig, weil Commons und Gemeinwohl ja auf den ersten Blick sich sehr unterschiedlicher Begriffe bedienen und nicht so leicht verwechselt werden können. In der englischen Sprache ist das anders. Während die einen von Commons als den „common goods“ reden, beziehen sich die anderen auf das Gemeinwohl, auf englisch „for the common good“. Der Bedeutungswechsel von Begriffen im Lauf der Rechtsentwicklung ist hier deutlich nachvollziehbar und führt zu Missverständnissen, was James Quilligan dazu veranlasste, diesen Bedeutungswechsel zu rekonstruieren.
Linebaugh hat die gesetzliche Absicherung der Commons durch die Magna Carta und die Charter of the Forests am Beginn des 13. Jahrhunderts in England untersucht. Literarische Dokumente noch viel älterer gesetzlicher Regelungen finden sich etwa im Alten Testament. Damals wurden Fragen der Verteilung im Wesentlichen als Fragen des Zugangs zu Ressourcen gesehen und diese waren Kernbestandteile des jeweils herrschenden Rechts. Commons sind Ressourcen (in der Geschichte meist Land), die niemandem als ausschließliches Privateigentum gehören und von Menschen zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse gemeinsam genutzt werden. Und zwar nach Regeln, die – nach Quilligan – aus dem Naturrecht, dem Gewohnheitsrecht, in England dem sogenannten „Common law“, stammen und die Nutzungsrechte an Commons sowie die Verteidigung dieser Rechte gesetzlich garantieren. Dadurch wird erst einmal die Bedürfnisbefriedigung aller gesichert und auch ein gewisses Ausmaß an Unabhängigkeit. Inwieweit dadurch auch „Reichtum“ für alle hergestellt werden konnte, wie „hier“ diskutiert, das müsste man sich jeweils noch genauer anschauen.
Mit dem Liberalismus wurde die Absicherung des privaten Eigentums die wichtigste Aufgabe des Rechts, die Frage der Verteilung wurde von der rechtlichen zur politischen Frage und ist damit nicht nur von gesellschaftlichen Machtverhältnissen, bzw. der Willkür der Herrschenden abhängig, sondern auch vom wirtschaftlichen Erfolg: gibt’s kein Geld (oder kann man den Menschen einreden, dass es keines gibt), gibt’s natürlich auch keine Umverteilung, weil Verteilung erst im nachhinein angestrebt wird und nicht schon über Zugangsrechte – die ja private Eigentumsrechte einschränken würden – mitgedacht ist. Natürlich aber gab und gibt es auch in dieser Tradition viele Menschen, die sich mit der Frage gerechter Verteilung auseinandersetzten, und damit, was denn die für die Gesamtgesellschaft beste Verteilung der Güter sei, und wie diese erreicht werden könne.
Von Aristoteles bis ins Mittelalter und auch noch darüber hinaus wurde angenommen, es gäbe so etwas wie ein natürliches, durch ein göttliches Gesetz oder die menschliche Natur bestimmbares, gemeinsames Interesse aller, das nur gefunden werden müsste. Heute gehen PhilosophInnen davon aus, dass Menschen eben unterschiedliche Interessen haben, es also keinen gemeinsamen Nenner für das geben könne, was „für alle gut“ ist, sondern dass es um den Ausgleich von Interessen gehe. Habermas meinte, dass man diesen in einem herrschaftsfreien Diskurs erreichen könne, John Rawls entwarf die Idee vom „Schleier des Nichtwissens“, dass also Regelungen unter der Perspektive entwickelt werden sollten, dass niemand wissen könne, welche soziale Position er in der Gesellschaft in Zukunft einnehmen würde. Ein aktueller Versuch, Verteilungsgerechtigkeit zu erreichen, ist der „Capability Approach“ mit den bekanntesten VertreterInnen Amartya Sen und Martha Nussbaum.
Allen gemeinsam ist, dass es darum geht, Privateigentum richtig zuzuteilen. Gerechtigkeit soll also auf dem Umweg über ausschließendes Privateigentum hergestellt werden, das nach bestimmten Kriterien zugeteilt werden muss. Gemeinwohl wird definiert als „der größte Nutzen für die größte Zahl von Menschen“. Man kann dann noch darüber diskutieren, nach welchen Kriterien Ressourcen zugeteilt werden sollten, wie es in der Geschichte von der Flöte und den drei Kindern, die darum streiten, zum Ausdruck kommt (ich hab darüber hier geschrieben). In jedem Fall ist klar: jedes Ding kann nur einem Menschen gehören und alle anderen sind damit automatisch von seiner Nutzung ausgeschlossen.
Gemeinwohl wird erreicht über die Befriedigung von Einzelinteressen, ist also die Summe individueller Nutzen, wobei Nutzen als Akkumulation von privaten Eigentumsanteilen definiert wird, die man dann zum Gemeinwohl addieren kann. Entsprechend der Theorie vom abnehmenden Grenznutzen, dass also die gleiche Menge einer Ressource für denjenigen mehr Nutzen bringt, der weniger davon hat, wird normativ eine egalitärere Verteilung gesellschaftlichen Reichtums gefordert. Der gesamtgesellschaftliche Nutzen sei höher, wenn auch die Armen etwas vom gesellschaftlichen Reichtum abbekommen, dazu kann, je nach Sichtweise, auch der Staat etwas beitragen, aber eben immer nur in Form der Zuweisung von Eigentumsanteilen an Individuen.
Quilligan sagt nun, genau der Versuch auf diese Weise das Gemeinwohl („the common good“) zu vergrößern, hat zur Einhegung der Commons (der „common goods“) geführt, um diese in viele kleinere und größere Anteile an Privateigentum aufzuteilen. Da diese Eigentumsform damit zur Grundlage des Gemeinwohls und rechtlich festgeschrieben wurde, verschwanden die Rechte auf Commons aus dem gesetzlich verhandelbaren Bereich. Denn in Commons wird die Bedürfnisbefriedigung und Entfaltung aller eben gerade dadurch erreicht, dass Ressourcen nich individuell zugewiesen, sondern gemeinsam genutzt und verwaltet werden, es geht nicht um die Befriedigung von Einzelinteressen, sondern um Regeln, die die Bedürfinsbefriedigung für alle ermöglichen, ohne sie in Einzelinteressen aufzusplitten, die als gegeneinander stehend angenommen werden. Das ist mit dem heutigen Rechtssystem nicht abbildbar, während in der englischen Sprache immer noch der Eindruck entsteht, man spreche ohnehin von den gleichen Dingen. Diese rechtlichen Unterschiede und die damit zusammenhängenden Probleme für die Schaffung und Erhaltung von Commons zu kennen, ist aber auch für uns wichtig.
In dem Zusammenhang noch eine Werbeeinschaltung: den Artikel von Quilligan, Diskussionen zu der Frage der Fülle und der Rolle der Macht in den Commons und vieles Andere mehr gibt es zu lesen in dem Buch “Fülle organisieren. Gemeingüter – Jenseits von Markt und Staat”, das im nächsten Jahr erscheinen wird!
danke, brigitte, deine texte machen einen sonntag spannender.
da kann dann das hirn bei der gartenqarbeit weiterspinnen…..
liebe grüße
erna