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Wege in eine solidarische Gesellschaft

Dieser Beitrag ist eine Antwort auf diesen Kommentar  zum letzten Blogeintrag. Kurz zusammengefasst, es geht um Beispiele dafür, wie etwas, das den Menschen nützt auch gut für die Natur ist und es geht um eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Unterschieden zwischen dem Konzept der Gemeinwohlökonomie und solidarischen Gesellschaftsentwürfen.

Also, erst einmal die Beispiele:
Alle funktionierenden Commons, die Ostrom untersucht hat, erfüllen diesen Anspruch, d.h. sie funktionieren und überleben nur, wenn sie das schaffen, das ist keine normative Forderung sondern gelebte Realität. Sie hat einfach geschaut, was ist der Grund, warum sich Menschen diese Mühe antun und das Ergebnis war, weil sie einen Vorteil davon haben, sich mit anderen abzusprechen, weil sie ihre Bedürfnisse besser befriedigen können, wenn die andern das auch können. Und dass es auch für die Natur gut ist, sieht man daran, dass die Ressourcen immer noch bestehen, sonst könnten sie ja nicht mehr funktionieren.

Konkret gibt es ja auch in Österreich Gemeinschaftswälder, die seit langem funktionieren und meist auch zu den Wäldern gehören, die noch in sehr gutem Zustand sind und auch diese Menschen machen das, weil sie offensichtlich einen Vorteil davon haben.

Es gibt Häuser, die mehr CO2 schlucken, als sie abgeben, also nicht klimaneutral sind, sondern einen positiven Klimaeffekt haben und auch ein gesünderes Wohnklima bieten. Dass sie auf lange Sicht auch noch billiger sind, versteht sich von selbst, d.h. wir müssen auch weniger arbeiten und haben mehr Freizeit (das gilt natürlich nur solange wir von Lohnarbeit leben müssen, wenn wir das nicht müssten, könnten wir sowieso weniger arbeiten). Wir können Häuser und Flächen so gestalten, dass sie das Regenwasser speichern, dadurch einerseits Überschwemmungen verhindern und andererseits wird weniger Wasser für die Bewässerung der Landwirtschaft gebraucht. So arbeiten Menschen in wasserarmen Gegenden seit langem und das sind fast alles Commonssysteme, weil sie zum Teil schon sehr alt sind oder in Regionen, wo es keine verlässlichen staatlichen Institutionen gibt. Über Privateigentum wären solche Regelungen nicht möglich. Wir können neuen Humus herstellen, dort wo er zerstört wurde, es ist möglich, Quellen wieder zum Fließen zu bringen, die schon versiegt waren, weil der Wald abgeholzt wurde, wir können Biodiversität vermehren und davon selber profitieren, weil dann auch die Lebensmittel, die wir ernten besser werden und es zur Ernährungssouveränität beiträgt. Auch das kann nie EineR allein, sondern dazu braucht es immer Netzwerke und Gemeinschaften.

Anderes Beispiel: eine Pflanzenkläranlage in einem Ort, aus der das Wasser in Trinkwasserqualität wieder rauskommt (gibt es) und von den selben Menschen auch als solches verwendet wird. Diese Menschen brauchen weder Regeln noch Aufpasser, damit sie kein blöden Sachen in ihren Abfluss schütten, weil sie selber den Schaden ausbaden und reparieren müssten. Dazu kommt, dass die Menschen unabhängig von öffentlicher – und zunehmend privatisierter – Infrastruktur werden, dass sie also mehr Autonomie in ihrer Lebensgestaltung haben – und das ist auch wieder billiger für sie. Das sind alles lokale Beispiele, die aber auch auf die globale Situation Auswirkungen haben.

Wenn es um die Nutzung natürlicher Ressourcen geht, dann ist das „für-die-Natur-gut-Sein“ eine zwingende Voraussetzung dafür, dass es allen besser geht, weil das tut es ja nur, wenn die Ressourcen erhalten bleiben, das braucht also keine Zusatzregelung, keine weitere Kontrolle oder besonders verantwortungsbewusstes Verhalten. Naturverhältnisse ergeben sich aus den sozialen Verhältnissen mehr oder weniger automatisch. Die Idee ist, es geht nicht darum, dass wir unseren Fußabdruck immer kleiner und kleiner machen, sozusagen immer auf Zehenspitzen durch die Welt schleichen müssen, weil wir sowas wie „Schädlinge“ sind, sondern wir können einen positiven Fußabdruck hinterlassen, wir können auch die natürliche Umwelt besser verlassen, als wir sie vorgefunden haben. Aber auch wenn das vielleicht noch eine Vision ist, schon wenn wir auf Null sind, brauchen wir uns nicht mehr „klein machen“ und ständig einschränken. Das funktioniert nur nicht in linearen Produktionsprozessen, die der kapitalistischen Logik von Extraktion, Inwertsetzung und anschließender Entsorgung folgen.

Wenn man jetzt von diesen natürlichen Ressourcen absieht und eher auf die kulturellen und sozialen Ressourcen schaut, funktioniert dieses die Bedürfnisse und Interessen der Menschen positiv zueinander in Beziehung setzen in jedem Verein. Jemand arbeitet deswegen im Fliegerklub mit, weil er dann Start- und Landeplätze benutzen kann und nur wenn alle ihren Beitrag leisten, können die Start- und Landeplätze auch erhalten werden. Ich habe das ja für die Foodkoop hier auch schon mal beschrieben. Und wie es bei der freien Software funktioniert, weißt du vermutlich besser als ich.

Zu den Werten:
Natürlich entscheiden die Menschen nach ihren Werten, aber es ist für das Funktionieren egal, auf Grund welcher Werte sie sich zum Mitmachen entscheiden, ich muss nicht die gleichen Werte mit den anderen BenützerInnen der Kläranlage, mit den andern Mitgliedern des Fliegerklubs oder der Foodkoop teilen. Es reicht, wenn wir alle Wasser trinken wollen, fliegen wollen oder Essen beim Bauern einkaufen wollen. Daher brauche ich auch keine Wertekunde in der Schule, sondern die Erfahrung der Vorteile der Kooperation während der Sozialisation. Die Teilhaber an den Gemeinschaftswäldern sind auch keine besseren Menschen als die aus der Nachbargemeinde mit dem privaten Monokulturwald und trotzdem funktioniert es. Wir müssen einfach nicht ständig an Menschen herumerziehen, das ist der große Unterschied, denn die Tatsache, dass es unzählige solcher Beispiele gibt, zeigt, dass die Menschen das schon können. Das ist nicht was, was wir erst erfinden und ihnen dann beibringen müssen. Wir müssen nicht die Menschen verbessern, wir dürfen nur nicht zulassen, dass diese Sozialformen abgewertet und zerstört, sondern müssen dafür sorgen, dass sie aufgewertet und gestärkt werden.

Zu den Bedürfnissen:
Natürlich verändern sich Bedürfnisse, und Bedürfnisse sind immer sozial geprägt und hängen auch von der Lebenssituation ab. Das heißt aber nicht, dass ich mir meine Bedürfnisse von anderen vorschreiben, oder, noch schlimmer, gezielt manipulieren lassen muss, weder von der Werbeindustrie, noch von den Moralaposteln. Das ist Entmündigung und das Gegenteil von Empowerment. Meiner Ansicht nach sollten wir aufzeigen, wie hegemoniale Herrschaft funktioniert und nicht die selben Herrschaftsinstrumente für unsere Zwecke wieder verwenden. Vielleicht versucht ihr einfach einmal zu hören, wie das klingt „wir müssen die Menschen umpolen“ – das ist autoritäre Sprache par excellence! Dass solche Formulierungen auf soviel Zustimmung und Begeisterung stoßen, finde ich wirklich erschreckend und ist für mich ein Zeichen dafür, wie sehr wir uns schon schleichend in Richtung einer autoritären Gesellschaft bewegen. Genau so das mit dem Belohnen und Bestrafen, das setzt ein Machtgefälle voraus, belohnen und bestrafen kann man nur Untergebene. Rechtliche Sanktionen, z.B. wenn du ein Strafmandat kriegst, weil du mit deinem Radl zu schnell fährst, berühren nicht deine Gleichstellung als Staatsbürger.

Zum Übergang:
Was den „Übergang“ betrifft, so gehe ich, das hab ich schon oft genug betont, nicht davon aus, dass wir dann eine Gesellschaft ohne Konflikte haben. Es gibt genug Konflikte innerhalb von Commons und es gibt auch genug Commons, die gescheitert sind. Das ist keine Garantie und es ist keineswegs vorausplanbar, wie sich die Gesellschaft entwickelt. Es wird also sicher immer noch genug Möglichkeiten geben, gut und richtig zu handeln und sich an Werten zu orientieren, aber wir sollten nicht unser Überleben davon abhängig machen. Was den Unterschied ausmacht ist, in einer Gesellschaft, die nach der Logik der Commons funktioniert, haben alle Menschen genug, man muss sie also nicht zur Mäßigung erziehen. In einer Gesellschaft, in der es keine Knappheit und wenig Hierarchie gibt, sind Kontrolle und Strafen einfach weniger wichtig. Der Unterschied zur Übergangstheorie ist, dass wir nicht erst mehr Kontrolle und Disziplinierung brauchen, um später weniger zu haben, sondern, dass es von Anfang an um Hierarchieabbau geht, dass es darum geht Kontrolle und Einschränkungen zu reduzieren und mehr Selbstbestimmung zu ermöglichen. Aus meiner Sicht sind Hierarchieabbau und Selbstermächtigung die Voraussetzungen für jede positive soziale Veränderung und nicht deren erhoffte Konsequenz. Das ist der Weg, nicht das ferne Ziel, wenn die Welt einmal besser geworden ist. Ein wichtiger Grund für den Kontrollzwang ist ja die Annahme, dass alles knapp ist und wir immer irgendwie „sparsam“ sein müssen und die ist wesentlicher Bestandteil des Weltbildes, das den Kapitalismus ermöglicht hat, schließlich muss Knappheit hergestellt werden, damit der Markt funktioniert. Wenn wir eine andere Gesellschaft wollen, dann können wir auch mit dieser Annahme brechen und davon ausgehen, dass das was wir zum Leben brauchen im Überfluss vorhanden ist, wenn wir es richtig verwenden.

Commons bedeutet zu allererst, weg vom privaten Reichtum und hin zum Überfluss für alle – so hat es mal irgendjemand formuliert und die Idee des „Guten Lebens“ geht genau in diese Richtung. Und ja, das wäre vielleicht wirklich was für die Schule, aber ein neues Fach müssen wir nicht draus machen, eher die Schule so organisieren ;-), ich hab’s schon gesagt, wir sollten nicht ständig versuchen, den Leuten was beizubringen. Es wär viel wichtiger, sie zu befähigen selbst zu denken und es reicht, wenn wir vermitteln können, dass die Dinge nicht so sein müssen, wie sie sind, sondern auch anders sein können.

Und damit nicht alles so verstreut im Netz herumfliegt, hier noch eine – leicht veränderte – Kopie meines Kommentares in SINet zu diesem Artikel von Andreas Exner:

Ich stimme nur in einem Punkt nicht mit dir überein und deshalb finde ich die Pauschalabwertung der GWÖ nicht zielführend. Denn, obwohl es nicht akzeptabel ist, dass ein Modell allen übergestülpt werden soll, muss man doch die Tatache respektieren, dass hier Menschen beginnen, ihre Angelegenheiten selbst in die Hand zu nehmen. Und das sprichst auch du an:

“Dabei artikuliert sie der Natur ihrer Konzeption nach vor allem die Unzufriedenheit der kleinen Unternehmer*innen – und jener, die ihnen vertrauen wollen.”

Genau. Sie artikulieren diese Unzufriedenheit aber nicht nur, sondern schreiten auch zur Tat, indem sie versuchen, ihre Unternehmen nach von ihnen entwickelten Kriterien umzugestalten. In diesem Sinn ist es für sie doch eine emanzipatorische Praxis, indem sie ihr Leiden am System nicht länger hinnehmen, sondern versuchen, ihr Umfeld selbst aktiv zu gestalten und auch ihr bisheriges Tun in Frage zu stellen. Sie beginnen dadurch selbst ihre Geschichte – im Sinne eines positiven Zukunftsentwurfes – zu schreiben und das halte ich nicht nur für legitim, sondern halte es für einen durchaus schätzenswerten Beitrag zu der allgemeinen Suche nach Alternativen.

Und ich maße mir nicht an zu entscheiden, ob das richtig oder falsch ist, das ist nur aus ihrer Situation heraus beurteilbar. Denn das von dir formulierte Ziel: “wo eins NICHT Unternehmerin, wo eins NICHT Lohnabhängiger sein will” das kann ich für mich ganz klar definieren, aber ich kann es anderen nicht verordnen, ohne ebenso missionarisch zu werden. Was ich mir anmaße ist, klar aufzuzeigen, dass der Versuch der Verallgemeinerung dieser Praxis autoritäre Züge enthält.

Denn wenn eine Minderheit versucht, durch die Normierung von Abläufen und die Disziplinierung von Individuen ihre Geschichte zu verallgemeinern und postuliert, was für sozial verantwortliche Kleinunternehmer*innen emanzipatorisch ist, muss für die anderen recht und billig sein, dann wird’s bedrohlich.

Daher unterscheide ich zwischen der Gemeinwohlökonomie als Praxis von Unternehmer*innen, die konkrete Dinge in ihrem Lebensumfeld verändern wollen und dem missionarischen Projekt, das diese Idee als gesamtgesellschaftliches Modell generalisieren will.

Und jetzt is a Rua, weil jetzt muss ich wieder was andres tun ;-), aber die Diskussion war wichtig und anregend und ist sicher noch nicht aus, es naht ja die Sommerakademie!

1 thought on “Wege in eine solidarische Gesellschaft

  1. Liebe Brigitte,

    voller Interesse verfolge ich die Beiträge und Diskussionen in Deinem Blog. Ich muß gestehen, dass ich nicht immer alles gleich verstehe, da mir oft theoretisches und historisches Hintergrundwissen fehlt. Diesen Artikel habe ich als besonders rund um umfassend wahrgenommen. Sowohl was die Perspektiven betrifft als auch die Wahrnehmung der Gemeinwohlökonomie mit ihren positiven und problematischen Aspekten.

    Beim Lesen der Beiträge kommen mir immer wieder Assoziationen zur Mediation. Die Mediation als ein Werkzeug das hilft die Sichtweise zu öffnen und damit von einem begrenzten Ganzen das es aufzuteilen gilt (Mangel – was der eine bekommt wird dem anderen fehlen) hin zu einer Sicht der Fülle zu kommen wo der Konflikt dann auf ganz andere und viel nachhaltigere Art gelöst werden kann.

    Bei meiner Ausbildung habe ich auch ein wenig „Gewaltfreie Kommunikation“ gelernt. Dabei ist mir klar geworden, wie wichtig Sprache und Verwendung von Sprache für das Weltbild ist, das wir haben.

    Ein bisschen „Schule“ oder „Antischule“ die den Menschen Perspektiven eröffnet oder einfach anbietet, damit ein Raum entsteht in dem Veränderungen möglich werden würde ich schon hilfreich finden. Dafür gibt es dann ja wohl auch so etwas wie die Sommerakademie. Aber manchmal dachte ich schon, es wäre gut eine „Volksschule“ anzubieten, den die Sommerakademie besucht nur wer schon „Vorbildung“ hat.

    lg. aus dem
    Süden

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