Silke Helfrich hat vor einiger Zeit am Beispiel Stuttgart 21 sehr richtig angemerkt, dass das, was allgemein als Partizipation bezeichnet wird, nicht ausreicht, um Menschen wirkliche Entscheidungsmacht zu geben über Dinge, die ihr alltägliches Leben betreffen. Und sie stellt fest, dass solche Verfahren nicht geeignet sind für die Herstellung und Erhaltung von Commons, denn dort geht es nicht „ums mit-bestimmen, sondern ums selbst-bestimmen“. Genau. Allerdings, mit der Gegenüberstellung von Partizipation und Emanzipation bin ich nicht ganz einverstanden.
7 Stufen der Partizipation
Wenn es um Bürgerbeteiligung geht, unterscheiden wir 7 Stufen der Partizipation. Entwickelt wurde dieses Konzept von Sherry Arnstein. Es gibt viele Prozesse, die von sich behaupten, partizipativ zu sein, jedoch Menschen instrumentalisieren, manipulieren oder sie auch zu Partizipation „zwingen“, etwa wenn der Erhalt bestimmter Leistungen von „freiwilliger“ Therapie oder Weiterbildung abhängig gemacht wird. Solche Dinge nennt Arnstein „Nicht-Partizipation“. Die ersten Stufen der Partizipation sind Information und Anhörung. Dann kommen die verschiedenen Grade der „Mitbestimmung“, die häufig in der Stadt- und Regionalentwicklung und auch in der Entwicklungspolitik angewendet werden, und die Silke in ihrem Beitrag mit Recht kritisiert. Trotzdem können alle diese Formen der Partizipation, je nach der Ausgangssituation, auch einen emanzipatorischen Effekt haben. Wenn ich rechtzeitig über eine Maßnahme informiert werde, kann ich mich darauf vorbereiten, eventuell mich auch entziehen, das bedeutet mehr Möglichkeiten über meine Zukunft selbst zu entscheiden, als wenn ich plötzlich vor vollendete Tatsachen gestellt werde.
Aber in allen diesen Fällen ist es natürlich so, dass zuerst Politiker (oft genug unter dem Einfluss von Konzern- und Industrielobbys) entscheiden WAS passieren soll. Damit die Menschen aber nicht das Gefühl haben, übergangen worden zu sein und Widerstand gegen die Entscheidungen von oben möglichst im Keim erstickt wird, werden BürgerInnen dann einbezogen, in die Entscheidung WIE die Pläne umgesetzt werden sollen. Sie dürfen dann noch ein paar „Behübschungen“ anbringen, so wie eben Stuttgart 21 plus. Hier war es allerdings schon zu spät um den Bürgerzorn zu beruhigen.
Teilnehmen setzt Zustimmung voraus
Der Punkt ist: wer an solchen partizipativen Prozessen teilnehmen will, muss erst einmal die Grundentscheidung akzeptieren. Also, wenn ich mitreden will, wie der Bahnhof in Stuttgart ausschauen soll, muss ich akzeptieren, dass er gebaut wird. Damit ich – wie vor einigen Jahren in der Steiermark – dabei mitreden darf, wie die steirische Landesregierung den Global Marshall Plan in ihrem Einflussbereich umsetzen soll, muss ich die Ansicht teilen, dass es sinnvoll ist, ihn umzusetzen. Die Fragen an sich – braucht Stuttgart einen neuen Bahnhof, ist der GMP die Lösung für unsere Probleme – dürfen dort nicht mehr gestellt werden. Dafür sorgen eigens ausgebildete „PartizipationsexpertInnen“, die dafür auch bezahlt werden und gar nicht einmal schlecht. Die Ruhigstellung der BürgerInnen lassen sich die Gemeinden auch gern einmal was kosten.
Das heißt aber nicht, dass solche Prozesse nicht trotzdem emanzipatorisches Potential haben und manchmal durchaus auch etwas aus dem Ruder laufen kann und die Menschen dann entdecken, dass sie auch eigene Forderungen stellen könnten. So gab es etwa in Graz ein von oben sehr stark gesteuertes Beteiligungsprojekt unter dem Titel „Zeit für Graz“, das dann nach einem Jahr sanft zu entschlafen drohte. Die beteiligten BürgerInnen wollten sich damit nicht zufrieden geben. Sie gründeten den Verein „Mehr Zeit für Graz„, der sich jetzt darum kümmert, dass die im „offiziellen“ Teil entwickelten Projekte nicht in den Schubladen verschwinden, sondern auch tatsächlich umgesetzt werden und sie verstehen sich auch als Ansprechpartner für andere Bürgerinitiativen. Sie achten also darauf, dass Bürgerinteressen in Graz nicht einfach übergangen werden können und stellen ihr Know How anderen zur Verfügung.
Partizipation und darüber hinaus
Die letzte Stufe der Partizipation nach Arnstein gibt den Menschen dann aber eben auch Entscheidungsmacht. Selbstorganisation ist dann natürlich noch ein Schritt über selbst diese letzte Stufe hinaus. Die Selbstermächtigung der Menschen ist die Voraussetzung für die Entstehung von Commons. Diese Selbstermächtigung wird von vielen PolitikerInnen als Gefahr gesehen, denn, wie der Begriff schon nahelegt, sie würden dann an Macht verlieren. Zumindest an Macht über die BürgerInnen. Darum sorgen sie normalerweise auch dafür, dass das nicht geschieht. Selten gibt es Parteien wie die Brasilianische Arbeiterpartei Partido dos Trabalhadores (PT), selbst aus einer Widerstandsbewegung gegen die Militärdiktatur entstanden, die, als sie in Porto Allegre an die Regierung kam, sagte, für uns war es immer klar, dass wir, wenn wir gewählt werden, unsere Macht mit denen teilen, denen wir sie verdanken. Hin und wieder gelingt es aber BürgerInnen, in partizipativ angelegten Projekten auch wirklich Entscheidungsmacht zu erlangen. Von solchen Beispielen (und vom Beispiel Porto Allegre) berichtet Hilary Wainwright in ihrem Buch „Reclaim the State“, mit dem ich mich in diesem und in den nächsten Blogbeiträgen beschäftigen werde.
Die Frage wer letztlich Entscheidungen treffen darf, ist neben der Machtfrage, auch noch ganz wesentlich davon abhängig, welches Wissenskonzept vorherrscht. Da Wissen die Voraussetzung für Handeln ist, hängt davon auch ab, wem zugetraut wird, soziale Veränderung zu bewirken. Davon handelt ein wichtiges Kapitel in Wainwright’s Buch, mit der Überschrift
A mass of sense (im erwähnten Buch S. 71 – 116)
Dieser Begriff stammt von Thomas Paine, auf den sich Wainwright dabei bezieht. Er hatte gemeint, in jedem Menschen schlummere ein großes Potenzial an Wissen, Vernunft und Kreativität, das im Fall von Revolutionen zum Ausbruch gelangt. Paine sah es als Aufgabe einer Regierung, die Bedingungen dafür zu schaffen, dass dieses ganze Potential an Wissen und Fähigkeiten jedes einzelnen Menschen sich auch unter den alltäglichen Lebensbedingungen entfalten kann. Tut sie das nicht, so beschneidet sie nicht nur die Entwicklungschancen der Menschen, sondern auch die Gesellschaft als Ganzes bleibt hinter ihren Möglichkeiten zurück.
Allerdings wird dieses Wissen selten wirklich geschätzt, wie sie weiter ausführt, weder bei den Liberalen noch bei den Sozialdemokraten. Für Hayek, einen der wichtigsten neoliberalen Theoretiker, ist Wissen etwas, was nur Individuen zugeschrieben werden kann, es ist also immer unvollständig, meist nur implizit und schwer fassbar, kann daher auch nicht zentralisiert werden. Der Staat oder die Regierung kann daher nicht das Wissen haben, das notwendig ist, um über den Gang der Wirtschaft zu bestimmen. Gesellschaft kann nicht von oben „geplant“ werden. Aber auch die Möglichkeiten kollektiven, zielgerichteten Handelns schätzte Hayek gering ein. Er war der Ansicht, dass wir die Konsequenzen unseres Tuns nicht abschätzen können, dass daher soziale Prozesse das zufällige Produkt individuellen Handelns sind. Daher meinte er, es sei das beste, die Koordination der individuellen Aktivitäten einer neutralen äußeren Instanz zu überlassen, nämlich dem Markt, der über den Preismechanismus für eine sinnvolle Verteilung der Güter sorgen würde. Er sah die Entwicklung der Gesellschaft als evolutionären Prozess, den man in seinem Fortschreiten so wenig wie möglich behindern sollte. Das sei die einzig mögliche Aufgabe für eine Regierung – also in Marktprozesse nicht eingreifen, wie wir es ja von den Neoliberalen kennen, aber die besten Bedingungen schaffen, dass der Markt sich entwickeln kann.
Aber auch die Sozialdemokraten haben wenig Zutrauen zum kollektiven Wissen aller Menschen. Sie sehen das Veränderungspotential beim Staat, der von der Partei kontrolliert werden muss. Sie gehen davon aus, dass alles zu einem Zeitpunkt relevante Wissen explizit und abrufbar ist, und daher von Experten angewendet werden kann. Es kann beim Staat zentralisiert werden. Der „kleine Mann“ und die „kleine Frau“ dürfen iher Probleme beschreiben, Vater Staat verschreibt die Medizin. Die Menschen sind für sie nur als WählerInnen wichtig, nicht als MitgestalterInnen des Sozialen.
Aber, so meint Wainwright, Regierungen brauchen das Insiderwissen von Menschen in den Unternehmen, in den Stadtteilen, bei den Außenstellen des Staates in den öffentlichen Diensten. Dieses Wissen kann nicht wissenschaftlich hergestellt werden. Mit dieser Wissenschafts- und Expertengläubigkeit berufen sich Sozialdemokraten also immer nur auf das Wissen der jenigen, die den Status quo managen und sind nicht in der Lage, Zukunftsperspektive zu entwickeln. Sie müssen sich letztlich von denen beraten lassen, die das System aufrecht erhalten, das sie zu ändern angetreten sind. Das sieht sie als wichtigsten Grund dafür, dass auch sozialdemokratische Regierungen schließlich in den Armen derer landen, die neoliberale Ideen verkaufen und keine eigenen Alternativen entwickeln können. Das halte ich für einen interessanten Aspekt.
Die sozialen Bewegungen der späten 60er Jahre (Frauenbewegung, Studentenbewegung) waren die ersten, die das gesellschaftlich gültige Wissen und die Art, wie es hergestellt wird, hinterfragt haben. Sie haben gelernt, sich ihres eigenen Wissen bewusst zu werden, es zu teilen und zu kombinieren und sich dadurch die Möglichkeit zur Selbstbestimmung und Kontrolle über ihre Lebensbedingungen zu erkämpfen. Was ich auch noch wichtig finde: sie meint, dass es der Wohlfahrtsstaat war, also die Errungenschaft unserer Vorfahren, der Menschen überhaupt erst in diese Position gebracht hat, dass sie diesen weiteren Schritt der Emanzipation gehen konnten.
In diesem kollektiven sozialen Wissen liegt, aus der Sicht von Wainwright, das Potential für soziale Veränderung. In Krisenzeiten brechen starre Machtstrukturen auf und dadurch dass Menschen zusammen arbeiten, und die Vielfalt ihres Wissens und ihrer Fähigkeiten einsetzen, können sie diese Risse vergrößern und manchmal eine Veränderung der Strukturen erreichen. Menschen können dann die Bedingungen verändern, unter denen sie ihre Geschichte machen. Von solchen Beispielen handelt das Buch, mehr darüber demnächst.
Literatur auf die sich Wainwright bezieht:
Thomas Paine: The Rights of Man. In: The Thomas Paine Reader, London, Penguin, 1987
Friedrich von Hayek: The Use of Knowledge in Society. In: Individualism and Economic Order. University of Chicago Press, 1948
Auch bei der letzten Stufe des Partitipationsmodells bewegt sich die Entscheidungsmacht nur im Rahmen des jeweiligen Projektes oder der existierenden Struktur. Das ist nicht nichts, es ist ein Schritt, aber es ist noch keine Emanzipation. Insofern finde ich die Kritik, dass Partizpation immer ein paternalistisches Gewährungsverhältnis enthält, berechtigt. Commons sind tatsächlich der entscheidende Schritt darüber hinaus: die Selbstermächtigung. ( Brigitte, ich bin nicht ungeduldig 🙂 )
Ja, das seh ich auch so. Steht ja auch drin, dass die Kritik berechtigt ist und dass es um das „darüber hinaus“ geht. Ich wollte nur diese Gegenüberstellung von Partizipation und Emazipation relativieren, weil eben jede Stufe emanzipatorisch wirken kann und letztlich das Potential für das „darüber hinaus“ enthalten kann. Und zu untersuchen, welche Bedingungen es dafür braucht, das war Hilary’s Ziel und das find ich spannend, weil von 0 auf 100 wird es nicht gehen.
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[…] wirklicher Selbstorganisation ermutigen. Über die verschiedenen Stufen der Partizipation habe ich hier geschrieben. Viele – auch viele gelungene – Beispiele finden sich auf der Seite […]