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Moving forward – but: which way?

Nun muss ich doch auch noch über „Moving Forward“ schreiben, den neuen Film des Zeitgeist-Movement, nachdem die mir nicht verständliche Euphorie weiter um sich greift, (hier auf SI-Net, in den Streifzügen gleich zweimal und kürzlich auch auf Keimform).

Ich hab den Film langweilig gefunden, irrelevant für die wichtigsten Fragestellungen unserer Zeit, extrem vereinfachend und phasenweise einfach dumm. So, das musste auch einmal gesagt werden. Aber es soll nicht unbegründet bleiben. Weil ich ihn eben ziemlich irrelevant finde, hatte ich eigentlich nicht vor, was drüber zu schreiben. Ihn aber als zukunftsweisend hochzujubeln, halte ich für verantwortungslos.

Der Film besteht aus vier Abschnitten: „Menschliche Natur“, „Soziale Pathologie“, „Projekt Erde“ und „Aufstieg“.

Und ja, zugegeben, der zweite Teil, der die Absurdität unseres derzeitigen Wirtschaftssystems zeigt, ist aussagekräftig, aber, wie der ganze Film, auch zu lang geraten, man könnte die Botschaft auch in kürzerer Zeit rüberbringen. Und ich muss mir nicht fast 3 Stunden einen Film anschauen, der schrecklich redundant ist und – außer in diesem Abschnitt –  jeden Realitätsbezug vermissen lässt, um zu wissen, dass wir in einer verrückten und zerstörerischen Gesellschaft leben, das weiß ich schon.  Falls es um den pädagogischen Aspekt geht: es gibt schon andere Filme, die das auch zeigen – wenn ich mich recht erinnere, gab es sogar im ORF mal einen sehr guten Film dazu – und die nicht soviel gefährlichen Schwachsinn mittransportieren. Außerdem stehen die verschiedenen Teile des Films in keinem nachvollziehbaren Zusammenhang miteinander, sie geben keinerlei Antwort auf die aufgeworfenen Probleme. Weil das, was im dritten Teil als Zukunftsvision dargestellt wird, greift keines der in den ersten beiden Teilen angesprochenen Probleme auf und ist aus meiner Sicht eine in absoluter Harmonie verpackte Horrorvision. Eine Gesellschaft, die alle Konflikte beseitigt hat, ist mir wesentlich suspekter, als eine solche, in der sie ausgetragen werden. Dazu weiter unten noch mehr.

Zuerst zum ersten Teil. Auch wenn wir in Betracht ziehen, dass der Film in den USA und für ein amerikanisches Publikum gemacht wurde, das offensichtlich nur schwer davon zu überzeugen ist, dass das Verhalten von Menschen auch von den sozialen Umständen abhängt, in denen sie leben, geschieht schon hier des Guten zuviel. Nicht nur was die Länge betrifft, sondern auch den Umgang mit dem Material. Der Beitrag bezieht sich hauptsächlich auf die Erkenntnisse von Richard Wilkinson, die lauten: je weniger soziale Ungleichheit in einer Gesellschaft existiert, umso weniger Krankheiten, Gewalt, Sucht, Selbstmorde und was weiß ich noch alles, gibt es. Also: die beste Gesundheitsförderung ist der Abbau sozialer Ungleichheit und damit ein politisches Programm. Es geht bei Wilkinson um die Gegenüberstellung individueller und gesellschaftlicher Verantwortung. Der Versuch, die Gesellschaft über moralische Appelle an die Menschen und durch Bildungsmaßnahmen zu verbessern, ist nicht zielführend. Das ist ein klarer Auftrag an den Staat, wie immer man dazu stehen mag, das ist Wilkinsons Hauptaussage.

In diesem Film mutiert es zu einer Wendung vom genetischen Determinisums zum Sozialdeterminismus, der politische Aspekt wird total ausgeblendet. Andauernd wird beschworen, wie wichtig es ist, dass Kinder in liebevollen Beziehungen aufwachsen – ein sehr konservatives Familienbild wird da unterschwellig auch noch mit verkauft. Das bleibt natürlich ein Gemeinplatz, wenn nie die Frage gestellt wird, was sie denn daran hindert, in solchen Beziehungen aufzuwachsen. Denn genau das kann der zweite Teil nicht leisten, weil er nicht darauf eingeht, wie die sozialen Beziehungen im Spätkapitismus geformt werden, weil er auf das Geldsystem, also auf die Tauschebene beschränkt bleibt und die Produktionsverhältnisse kaum anspricht. Noch viel weniger kann es der dritte Teil, der eine technokratische Alternative zum derzeitigen System anbietet.

Ausgehend von der Annahme, dass wir Menschen nicht in der Lage sind, mit den begrenzten Rohstoffen angemessen umzugehen, weil wir nie über das ganze dafür notwendige Wissen verfügen können, wird eine computergesteuerte Weltgesellschaft entworfen. Alle Rohstofflager werden aus der Luft erforscht und vermessen und bilden die Grundlage für die Steuerung der Produktion, die entsprechend den Bedürfnissen der Menschen und der effizientesten Ressourcennutzung geschieht. Alle Produktionsprozesse werden voll automatisiert, Städte werden ebenfalls nach diesen Prinzipien geplant. Heraus kommen kreisförmige, sterile Städte, in denen alles nach „rationalen“ Prinzipien angeordnet ist.

Etwas, was heute bei uns fast unumstritten ist, nämlich dass unser Umgang mit der Natur ganz wesentlich von den sozialen Beziehungen in unseren Gesellschaften abhängt, wird hier absolut ignoriert. Die Natur wird nur als Ressourcenpool verstanden und überhaupt nicht in ihrer Lebendigkeit wahrgenommen, nicht als etwas, das einen eigenen Lebensanspruch hat und eigenen Gesetzmäßigkeiten folgt, in die auch wir eingebunden sind und deren Berücksichtigung die Voraussetzung für unser Überleben ist. Vielmehr wird die Natur nach angeblich objektiven technischen Kriterien optimiert. Lebensmittel wachsen in steriler Erde in Hochhäusern, die Bedeutung der Bodenorganismen für das Gedeihen der Pflanzen und für die Reproduktion der natürlichen Umwelt wird nicht erkannt, auch nicht, dass Bäume Sauerstoff produzieren, denn die gibt es anscheinend nur mehr zur Behübschung der Städte, rundherum ist alles kahl. Biodiversität wird ersetzt durch Rationalisierung auch der natürlichen Prozesse, zuviel Vielfalt ist hier anscheinend genau so bedrohlich wie auf gesellschaftlicher Ebene.

Der Film geht von der unhinterfragten Vorstellung aus, dass es eine objektives Wissen gibt, dass Wissenschaft immer wahr ist, das man die Welt – als natürliches und gesellschaftliches System – nach eindeutig richtigen, weil rationalen Kriterien steuern kann und dass das nur ein Computer kann, weil Menschen das umfassende Wissen dafür nicht haben. Die unsichtbare Hand rationaler Wissenschaft also, anstatt der unsichtbaren Hand des Marktes. Dass wissenschaftliches Wissen, genau wie der Markt, sozial hergestellt und daher von Machtverhältnissen bestimmt wird, kommt den Filmemachern gar nicht in den Sinn. Dass, sogar unabhängig von der sozialen Konstruiertheit jedes Wissens, sich wissenschaftliche Erkenntnisse immer auch als falsch herausstellen können, dass gerade auch positivistische Naturwissenschaftler sagen, dass es kein gesichertes Wissen geben kann, ebenso.

Genau so schwach ist der letzte Teil, der offensichtlich zeigen soll, wie der Übergang zu dieser schönen neuen Welt geschehen soll und sich doch nur auf einige sehr allgemeine Bilder von protestierenden Menschenmassen und hilflosen Politikern beschränkt, bis schließlich die Menschen überall auf der Welt ihr Geld abheben und in großen Haufen vor ihren Nationalbanken auftürmen. Ein starkes Bild, zugegebenermaßen – aber es bleiben die Fragen offen: wie kam es dazu und, was dann? Welche Erfahrungen, welche Art der Kommunikation, welche Argumente und welche Motivation bringt die Menschen dazu, sich von der Geldwirtschaft zu lösen? Welche Konflikte mussten überwunden werden, welcher Preis wurde gezahlt? Und eben, was kommt dann? Irgendwie ist das wie ein negativer Geld-Fetischismus. Nur weil das Geld weg ist, muss eine Gesellschaft noch lange nicht besser sein, als die, die wir jetzt haben. Die Vision des dritten Teils ist ein klarer Beweis dafür. (Das ist auch der Grund, warum die Demonetarisierungs-Initiative einiges Unbehagen bei mir auslöst, da wird mir zu pauschal das Geld zum Sündenbock erklärt). Auch in einer Gesellschaft ohne Geld kann es Gewalt und Herrschaft und Unterdrückung geben.

Denn die Hauptfragen werden in diesem Idealbild der computergesteuerten Welt gar nie angesprochen: Wer hat das Computerprogramm gemacht? Wie wurde entschieden, wie das Produzierte verteilt wird, falls die Menschen mehr bestellen, als der nachhaltigen Nutzung von Ressourcen zuträglich ist? Welche alternativen Entwürfe mussten verworfen und bekämpft werden, bis man zu diesem kam und wie hat er sich durchgesetzt? Aus welchen früheren Machtkämpfen ist dieses Computerprogramm hervorgegangen, das eine bestimmte gesellschaftliche Machtkonstellation als anscheinend objektiv, rational und die einzig mögliche auf Dauer stellt? Der Film zeigt eine Art „Endlösung“ (ich schreibe das ganz bewusst, ihr dürft’s mich auch dafür prügeln), allerdings eben erst nach deren Durchsetzung, drum schaut sie so hübsch aus, ist ja wirklich fein, wenn alle Konflikte ausgeräumt sind. Denn, dass es ein Modell für die ganze Welt geben muss, eines, das von allen als richtig akzeptiert werden muss und gegen das man sich nicht wehren kann, aus dem einzigen Grund, weil es wissenschaftlich begründet ist, das ist ein technokratischer Totalitarismus, gegen den alle menschlichen Diktatoren sich als Waisenknaben ausnehmen.

Und zuletzt, und gerade in Bezug auf die im ersten Teil aufgeworfenen, aber im ganzen Film nie behandelte Frage nach dem Sozialen: welche sozialen Beziehungen entstehen in einer Gesellschaft, die vollkommen von der Produktion und Verteilung der Dinge, die sie zu ihrer Reproduktion braucht abgeschnitten ist, weil dafür Maschinen zuständig sind, die von einer unnahbaren Macht gesteuert werden? Was machen die Menschen in einer solchen Gesellschaft den ganzen Tag? Wie geht man mit Menschen um, die das Computerprogramm in Frage stellen? Und, was ist wenn der Computer ausfällt und niemand mehr eine Ahnung von natürlichen Zusammenhängen hat, bzw. diese natürlichen Zusammenhänge gar nicht mehr existieren? Ganz abgesehen davon, dass ich glaube, dass ein solcher Umgang mit der natürlichen Umwelt ihre endgültige Zerstörung bedeuten würde.

In dem ganzen Film kommen keine handelnden Menschen vor, man sieht sie nur als anonyme Masse, erst als manipulierte, destruktive, dann als harmonisch-abgehobene. Den Menschen wird die Fähigkeit abgesprochen, Entscheidungen selbst zu treffen. Entweder sie sind durch Gene determiniert oder durch die sozialen Verhältnisse oder durch Geld oder durch wissenschaftliche Rationalität. Und anscheinend auch die Handlungsfähigkeit, die Menschen die in der schönen neuen Welt herumlaufen und sich auf blühende Wiesen legen, schauen aus wie aus einem Werbefilm für Bio-Alpenmilch – die tun nix! Und dann kommen sie noch als Experten vor (im ersten Teil) und zwar als männliche. Es gibt in diesem Film nichts, das lebt, keine lebendige Natur, keine handelnden Menschen und auch keine Frauen. Das ganze ist die Ausgeburt der Phantasie von männlichen, weißen Technikfreaks. Vielleicht kein Zufall, dass alle begeisterten Kommentare auch von Männern sind?

Auch wenn die alle sagen, sie würden nicht in so einer Stadt wohnen wollen, ich denke, das ist als Kritik noch zu kurz gegriffen, denn es geht nicht ums „Wohnen wollen“, es geht darum, ob es überhaupt noch Entscheidungsmöglichkeiten gibt, ob „wollen“ überhaupt noch möglich ist! So zu tun, als weise dieser Film den richtigen Weg, er habe aber noch einige „Kinderkrankheiten“, oder „Unzulänglichkeiten“, nur weil die Leute dort ihr Geld wegschmeißen, ist meiner Meinung nach eine grobe Verharmlosung – dieser Film weist, wenn überhaupt (ich habe ja nach wie vor das Gefühl, dass er eigentlich keine wirkliche Aussage hat, weil es eben keinen roten Faden gibt), in eine absolut falsche Richtung. Wenn es darum geht, gangbare Zukunftsvisionen zu entwickeln, die Menschen auch dazu ermutigen, selbst aktiv zu werden, dann sind die Filme über Transition Towns oder über Kuba in der Zeit, als die sowjetischen Öllieferungen ausblieben, bei weitem besser geeignet, auch wenn sie keine so spektakulären Bilder bieten! Bitte wieder aufwachen und runterkommen!

2 thoughts on “Moving forward – but: which way?

  1. Wo Du schon Werbung machst fuer einen Film, den Du ablehnst, mach ich ‚mal Werbung fuer eine Zeitung, die ich ablehne, denn
    „dass wir in einer verrückten und zerstörerischen Gesellschaft leben, das weiß ich schon.“
    Und damit stehst Du nicht allein, den auch die FAZ weiss es schon – zu einem anderen Thema – oder auch doch zum gleichen Thema?

    http://www.faz.net/s/RubF3CE08B362D244869BE7984590CB6AC1/Doc~E6A4CCD1B561C46C59551E2D14B914411~ATpl~Ecommon~Scontent~Afor~Eprint.html
    Gruss aus Budapest

  2. Danke Brigitte. Fühlt sich gut an, wenn es jemand anderem auch so geht. Du hast einiges gasagt was meiner Meinung nach mal dringend gesagt werden musste. Die Emotionen die in deinem Kommentar mitschwingen kann ich gut verstehen, mir geht es ähnlich. Ich fühlte mich komisch mit dem ersten Film – wenn auch aus anderen Gründen als ich es mit diesem tue…
    Mein größtes Problem ebenfalls: Keine Subjekte, keine Prozesse, kein Weg + eine Vision mit autoritären Zügen. Und auch deinen Seitenhieb zum Demonetarisierungsdiskurs kann ich nachvollziehen. Auch wenn ich die Debatte trotzalledem sehr hilfreich finde. Lass es mich nochmal sagen: es geht um Herrschaft und Macht. Die Sexismen werden nicht mit der Warengesellschaft veschwinden.

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