Vorletztes Wochenende waren wir in Villach, bei der Winter School Solidarische Ökonomie. Wir haben dort unter anderem auch darüber diskutiert, wie die Diskussionen über Commons und Solidarische Ökonomie zusammenhängen. Thorsten, Christoph, Jule und Silja haben ihr Forschungsprojekt an der kritischen Uni Kassel vorgestellt. Ein Vorzeigebeispiel dafür, wie selbstbestimmtes Lernen und kritische und emanzipatorische Forschung ausschauen können. Gratulation! (Sie haben auch einen Bericht von der Winter School geschrieben). Aber eine ganz wesentliche Frage im Lauf des ganzen Wochenendes war: Wie können wir es schaffen, dass wir unsere Grundbedürfnisse über solidarische Ökonomie, oder Commons, oder wie immer wir das Ding nennen, abdecken, damit wir unabhängig sind vom Marktsystem und von Lohnarbeit? Denn das ist eine Voraussetzung für eine Systemänderung, ohne diese Möglichkeit sind auch der politischen Arbeit Grenzen gesetzt und ohne diese Möglichkeit können wir nicht aufhören, den Kapitalismus zu reproduzieren.

Es ist klar, dass wir, ausgehend von der Gesellschaft, in der wir leben, Geld dafür brauchen. Ich sage es meist so: Wir dürfen, wenn wir über Commons reden, nicht auf die Frage der Umverteilung von gesellschaftlichen Reichtum verzichten. Wir müssen aber Umverteilung nutzen, um Commons zu schaffen, anstatt nur Privateigentum umzuverteilen. Denn nur der Zugriff auf Commons gibt uns die Macht, uns den Zumutungen des kapitalistischen Systems zu entziehen und auch politische Veränderungen zu erreichen. Oder, anders ausgedrückt, wir müssen die Ressourcen, die wir für Solidarische Ökonomie brauchen, irgendwie „freikaufen“, wir dürfen das Geld, das wir dafür brauchen, nicht nach den Regeln des Marktsystems, für Lohnarbeit und Äquivalenttausch einsetzen, sondern müssen andere Umgangsformen damit finden, ansonsten bleiben wir immer in denselben Widersprüchen gefangen.

Letztes Wochenende haben einige von uns sich wieder beim Symposium „Einfach einfach und gemeinsam bauen“ in Herzogenburg getroffen. Organisiert vom „Garten der Generationen“, dessen treibende Kraft Markus Distelberger ist. Ich hatte diese Menschen im vergangenen Juni beim Open Space Symposium kennen und schätzen gelernt. Der „Garten der Generationen“ ist ein Projekt, das viele Elemente von Solidarischer Ökonomie oder Commons vorbildlich umsetzt und hat mich damals schon sehr beeindruckt. Das Symposium selbst war für mich damals ziemlich ambivalent, sehr interessante Beiträge und viel Esoterik, Wohltätigkeit und Harmoniesucht nach dem Motto „wenn wir uns nur alle lieb haben, dann wird die Welt von selber besser“ wechselten einander ab. Ich nahm schon an, dass solche Dinge bei dem Bau-Symposium, das doch sehr praxisorientiert war, nicht so viel Platz einnehmen würden, war dann aber trotzdem noch einmal positiv überrascht: das Bausymposium war sozusagen die praktische Anwendung der am Wochenende davor diskutierten Theorien :-).

Wie schon bei den vergangenen Veranstaltungen in Graz hat sich auch in Herzogenburg gezeigt, dass das Thema „gemeinsam Wohnen und Bauen“ im letzten Jahr in Österreich enorm an Bedeutung gewonnen hat. Die Veranstalter mussten noch weitere Räume zumieten, um dem Ansturm gerecht zu werden, insgesamt hatten sich 140 Personen angemeldet. International anerkannte „ExpertInnen“ für verschiedene Formen ökologischen Bauens, Menschen mit viel Erfahrung in Praktiken des „Selber Machens“, in Selbstorganisation und gemeinschaftlichen Aktivitäten und einfach Menschen mit dem Ziel alternative Lebensformen zu verwirklichen. Wohnraum zu schaffen bedeutet natürlich, ein wichtiges Element unserer Grundbedürfnisse abzudecken, das wichtigste nach der Nahrungsmittelversorgung. Deshalb war es auch durchaus stimmig, dass Veronika Bennholdt-Thomsen, die ich schon bei der Commons-Konferenz in Berlin kennen gelernt hatte, die Veranstaltung mit dem Vortrag „Was bedeutet für unser Leben heute Subsistenz?“ eröffnete. Und ihr Einleitungsstatement war auch gleich der rote Faden, der sich durch die Veranstaltung zog. Sie sagte „Subsistenz bedeutet Widerstand gegen das totalitäre Geld- und Warensystem“. Es bedeutet vor allem, wegzukommen von den Instrumenten Markt und Lohnarbeit und es bedeutet, nicht alles über den Umweg über Geld zu denken, nicht immer die Rationalität und den Kostenfaktor an oberste Stelle zu setzen und damit zur wichtigsten Begrenzung unseres Tuns zu machen. Veronika nennt das auch „Lebenswirtschaft“. Das Alles klang ja auch schon beim Permakultur-Seminar an – und wieder einmal haben wir bemerkt, dass es viele Begriffe gibt, die sehr ähnliche, miteinander zusammanhängende Dinge ansprechen: Commons. Gemeingüter, Solidarische Ökonomie, Subsistenzwirtschaft, auch Permakultur, wenn man sie in einer umfassenden Bedeutung versteht.

Das Symposium selbst war eigentlich schon ein Beispiel für eine solche Form sozialer Organisation. Der Teilnahmebeitrag ist gestaffelt, die die mehr zahlen können, ermöglichen die Teilnahme von Menschen, die nur wenig Geld beitragen können. Die Methode verlangt viel Eigeninitiative und Selbstverantwortung und -organisation, aber vor allem, alle haben den gleichen Stellenwert. Auch die sonst oft hochbezahlten Experten arbeiten hier ohne Honorar, teilen praktisch ihr Wissen mit denen, die es anwenden wollen. Zu unserer Gruppe aus Villach stießen noch andere mit ähnlicher Einstellung. Es gab die Möglichkeit um wenig Geld im Veranstaltungsgebäude zu übernachten, auf Matratzen in einer Art Studio, eine Gruppe junger Leute hat uns mit Lebensmitteln von einer Dumpster-Tour versorgt, wir bekamen Kartoffel vom Garten der Generationen geschenkt, einige haben etwas eingekauft und das alles kam in unseren „Lebensmittel-Pool“ von dem wir alle gemeinsam gegessen haben. Abends wurde gesungen und diskutiert, ich fühlte mich in alte Zeiten zurückversetzt und hab mich wirklich sehr wohl dabei gefühlt ;-), danke an alle – ich freue mich darauf, euch wieder zu sehen.

Aber, wenn das auch etwas war, dass das Wochenende noch wertvoller machte, es waren die Inhalte selbst, die von gesellschaftlicher Bedeutung sind. Der Bogen schloss sich mit einem Workshop am Sonntag, den Markus, Veronika und ich gemeinsam anboten und in dem Markus seine Ideen einer „Lebens-(Bau-)Wirtschaft“ vorstellte.

Die eine, der Vermögenspool, ist schon realisiert. Menschen können ihr Geld in diesem Pool anlegen, der Verein „Garten der Generationen“ kauft dafür Grund und baut Häuser, die anderen Menschen, unabhängig von ihrem Vermögen und Einkommen, nur abhängig von deren Wohnbedürfnissen und deren Bereitschaft, in einer Gemeinschaft zu wohnen und dazu auch beizutragen, zur Verfügung gestellt werden. Alle, BewohnerInnen und GeldgeberInnen, sind Mitglieder des Vereins, BewohnerInnen können Geld einbringen, das ist aber keine Bedingung. Die Geldgeber können ihr Geld nach einer gewissen Zeit wieder herausnehmen, ohne Zinsen, aber wertgesichert, dafür muss neues Geld nachfließen. Alles Geld, alle Immobilien sind im Eigentum des Vereins. Dadurch werden Eigentum und Nutzungsrechte getrennt und selbstbestimmtes Wohnen wird nicht von den finanziellen Voraussetzungen abhängig gemacht. Weil Markus Rechtsanwalt ist, ist das alles auch rechtlich hieb- und stichfest und über eine Treuhandlösung können die Anleger auch sicher sein, ihr Geld wieder zurückzubekommen. Das ist ein sehr gut geeignetes Modell um das in Villach formulierte Ziel zu erreichen, nämlich Geld aus dem System durch Umverteilung zu nutzen, um alternative Lebensformen zu ermöglichen. Oder, so wie es Markus ausdrücken würde, die bestehenden rechtlichen und institutionellen Möglichkeiten zu nutzen, sie aber nach einer anderen Logik zu verwenden und dadurch neue Sozialformen möglich zu machen. Es gehe, sagt er, um eine Entmystifizierung des Rechts und um seine Nutzbarmachung für unsere Zwecke. Subversion als Mittel zur Revolution :-).

Aber Markus geht noch einen Schritt weiter: für das Bauen selbst entwickelt er das Modell der „Bauhütte“, ich würde es ganz einfach „Baukollektiv“ nennen, ein Begriff, den Markus offenbar vermeiden will, was vielleicht eh ganz gescheit ist. Es geht um nichts Geringeres als die Überwindung von Lohnarbeit für die Existenzsicherung. Er will, dass das Bauen zu einer gemeinschaftlichen Aktivität wird, die als freudvolles Tätigsein erfahren werden kann, wo alle Menschen ihre Fähigkeiten einbringen können, wo nicht Effizienz und Leistungsdruck an erster Stelle stehen. Und er nennt das, in Anlehnung an Veronika, Lebens-Bau-Wirtschaft.

Man muss vielleicht an dieser Stelle einfügen, dass die Familie Distelberger vor 20 Jahren eine Privatschule gegründet hat, weil sie der Überzeugung war, dass alle Kinder gern lernen, wenn man sie nur lässt. Dieses Prinzip wollen sie jetzt auf Arbeit anwenden und auch diese zu einem kollektiven Lernprozess machen. Die Schule gibt es noch heute, nachdem ihre Kinder der Schule entwachsen waren, nahm die Familie das nächste Projekt in Angriff, ein Wohnprojekt, aber noch mit „konventioneller“ Baumethode. Dann ein Kartoffelacker und ein Selbsterntefeld, wo genau diese Erfahrungen mit gemeinschaftlicher Arbeit gemacht wurden. Das derzeitige Projekt ist sozusagen der konsequente nächste Schritt, der aber über die anderen auch hinausreicht, vielleicht durchaus auch auf Grund der aktuellen gesellschaftlichen und ökonomischen Situation. Im Grunde die Abschaffung des Kapitalismus mit seinen eigenen Mitteln ;-).

Menschen sollen – oder sollte man besser sagen können oder dürfen? – dort einerseits ihre Arbeit gratis einbringen, natürlich mit Essen, Trinken und Schlafmöglichkeit versorgt, und Spass und Feiern dürfen auch nicht zu kurz kommen. Gemeinsames Tätigsein als integrativer Lebensbestandteil, nicht als getrennt von der Lebenszeit. Wir haben das in verschiedenen Varianten durchgedacht. Menschen könnten so etwas als eine Art Urlaub machen, es gibt viele Beispiele dafür, dass das funktionieren kann, weil die Erfahrung mit der eigenen Hände Arbeit etwas zu bauen heute vielen Menschen fehlt. Es könnten aber auch Bauprojekte sich gegenseitig aushelfen, so dass alle dann, wenn sie es brauchen, über ausreichend Arbeitskräfte verfügen. Wir könnten dadurch auch Wissen untereinander weitergeben. Aber es soll auch so sein, dass Menschen, die kein anderes Einkommen haben, unterstützt werden, dass es vor allem auch eine Versicherung für die gibt, die sonst keine hätten. Markus denkt an die Einführung einer „Baukasse“ aus der finanzielle Unterstützung kommen kann, entsprechend den Bedürfnissen der MitarbeiterInnen und nicht an eine bestimmte Leistung gebunden. Und wieder der Vorteil des Rechtsanwaltes, es werden auch gleich mögliche Formen der vertraglichen Regelung mitgedacht, wie das unter den bestehenden instutionellen und rechtlichen Rahmenbedingungen möglich ist.

Ein weiterer Punkt ist die Frage, wie gehen wir mit den sogenannten „Experten“ um. Einerseits ist es natürlich gerade beim Hausbau auch notwendig auf Fachwissen und Erfahrung zurückzugreifen, schließlich wollen wir in den Häusern ja auch gut leben können, ohne dass es rein regnet oder sie über unseren Köpfen zusammenkrachen. Andererseits braucht es ja auch einen Architekten oder Baumeister um eine Baugenehmigung zu bekommen. Und normalerweise haben diese dann die volle Verantwortung und sind dafür haftbar. Was dann bedeutet, dass sie sich an Vorschriften und Normen orientieren müssen und dass sie kaum bereit sind, sich auf Experimente einzulassen. Für partizipative Planung bleibt da wenig Raum. Wenn wir als Gruppen gemeinsam bauen und planen wollen, müssen wir auch Verantwortung mit übernehmen und dürfen sie nicht allein den Experten überlassen, dafür wollen wir von diesen, dass sie ihre Erfahrungen und ihr Wissen an uns so weiter geben, dass wir auch selbst verantwortungsbewusste Entscheidungen treffen können. Und wenn was schief geht, gemeinsam mit den Experten nach Lösungen suchen, anstatt diese zu verklagen. Das braucht eine andere Art von Vertrag als das bestehende Modell der Auftragsvergabe, mit dem ein Bauherr – in dem Fall die Baugruppe – praktisch eine Leistung kauft, damit aber ihre Mitbestimmungsmöglichkeiten auf ein Minimum reduziert werden. Es geht also auch um eine Entmystifizierung des Expertenwissens.

Also: Geld nicht als Tauschmittel einsetzen, sondern entsprechend den Bedürfnissen verteilen, Arbeitskraft nicht als Ware, sondern als kreatives Potential sehen, Selbstentfaltung zulassen, in der Überzeugung, dass das allen nützt, nicht nur stoffliche Ressourcen, sondern auch Wissen als Commons nutzen und dadurch verbreiten, Verantwortung teilen, anstatt beides bei einigen Experten zu konzentrieren, das sind die Grundzüge, die hier entwickelt werden und die eine vielversprechende Antwort auf viele unserer Fragen nach einem Systemwandel darstellen. Und vielleicht gibt es dann auch einmal Expertinnen für Bauen – das war vielleicht der einzige Wermutstropfen des Symposiums, es gab keine einzige Frau, die einen inhaltlichen Workshop angeboten hätte, und das kurz vor dem Frauentag :-(.

Ein Gedanke zu “„Lebens-Bau-Wirtschaft“ – Die Praxis des Systemwandels”

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