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Ich muss mich an dieser Stelle entschuldigen, …

… dass ich auch nur für einen Augenblick denken konnte, dass es dasselbe bedeutet, wenn Wirtschaftskammerpräsident Leitl und ich über koordinierte europäische Wirtschaftspolitik nachdenken, so wie ich es in diesem Kommentar, wenn auch mit Augenzwinkern, angedeutet habe.

Was es für Leitl & Co. tatsächlich heißt lernen wir durch das „Europäischen Semester„. Es geht keineswegs darum, angemessene Arbeitsbedingungen, Löhne und soziale Absicherung in ganz Europa herzustellen, sondern, wie es die Zeitung Solidarwerkstatt bezeichnet, um die „Entmündigung des Parlaments“ in Bezug auf die Budgethohheit und um Eingriffe ins Arbeitsrecht.

„Neben Defizit und Verschuldung der Staatshaushalte sollen weitere wirtschaftspolitische Kriterien unter die Kontrolle der EU kommen. Der Überwachung und letztlich auch den Sanktionen der EU sollen in Hinkunft auch Staaten liegen, die eine mangelnde „Wettbewerbsfähigkeit“ bzw. defizitäre Leistungsbilanz aufweisen. Damit sichert sich die EU erstmals den direkten Zugriff auf die Lohn- und Sozialpolitik der Länder. Denn klarerweise sind Löhne und Sozialleistungen die ersten und raschesten Schrauben, an der (nach unten) gedreht werden kann, um dem goldenen Kalb „Wettbewerbsfähigkeit“ Opfer zu bringen.“

Das heißt, nicht die deutschen ArbeitnehmerInnen sollen mehr verdienen, sondern die griechischen und die irischen weniger – sonst gibt’s keine Hilfe von der EU. Dabei war in Irland gar nicht die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit die Ursache für die Verschuldung, trotzdem hat vor wenigen Tagen auch das Oberhaus des Parlaments einem Gesetz zugestimmt, dass die Mindestlöhne um 1 € senkt, damit Irland von der EU „gerettet“ wird. Wenn „natürliche Personen“ so etwas tun, heißt das Erpressung und ist eine strafbare Handlung, wenn es die EU Kommission macht, heißt es Rettungsschirm.

Ich habe mich letzte Woche mit einem Kollegen getroffen für die Vorbereitung einer Veranstaltung, bei der es um „die Krise“ gehen soll. Allerdings nicht darum, worum es ohnehin seit 3 Jahren ununterbrochen geht, nämlich wie das Kaninchen auf die Schlange auf Börsenkurse, Staatsschulden, Ratings und Wachstumsraten zu starren und die Gier der Banker zu beklagen, sondern darauf  zu schauen, was im Schatten der Krise geschehen ist, wie die Krise genutzt wurde, um Dinge durchzusetzen, die sonst nicht möglich gewesen wären, wie andere Themen einfach dahinter versteckt wurden und wie sich Macht und Ressourcen noch mehr von unten nach oben verschoben haben. Und zu zweit sind uns noch mehr Dinge eingefallen, als mir eh schon klar waren (würde für drei Veranstaltungen reichen 😉 ) und uns ist klar geworden: Krise ist Klassenkampf von oben!

Ja, ich mag das Wort auch nicht. Erstens, weil ich die Kampfrethorik nicht mag. Und zweitens, weil ich weit und breit keine Klassen sehe und schon gar nicht, dass sie kämpfen (Ausnahmen bestätigen die Regel und sind außerdem fast überall auf Randgruppen beschränkt). Drittens ist die Verwendung dieses Begriffes die beste Möglichkeit die restlichen paar Menschen, die noch bereit sind, sich für gesellschaftliche Veränderungen einzusetzen, auch noch zu verjagen. Aber, wenn ich auch keine Klassen sehe – eine Klasse hat sich in den letzten Jahren kräftig zu Wort gemeldet, kann gar nicht mehr übersehen werden und verfolgt ihre Interessen immer unverhohlener. Nämlich die des globalen Kapitals. Und die hat von der Krise in einem Ausmaß profitiert, das wir uns 2007, als alles begann, nicht hätten träumen lassen.

Nur, dieser Klassenkampf kommt nicht laut und sichtbar daher, er versteckt sich hinter komplexen Verträgen, schön klingenden Programmen und einer Rhetorik, die allgemeine Interessen vorschützt.

Auf jeden Fall, diese EU-Sache wäre vor 4 Jahren so nicht möglich gewesen. Nach den Diskussionen um die Bolkestein-Richtlinie, die letztlich nur durchging, weil Gesundheit und Soziales ausgenommen wurden von der Dienstleistungsfreiheit und uns eigene Regelungen versprochen wurden, nach den Verhandlungen über den Verfassungsvertrag, da war es klar: Gewerkschaften und NGOs würden darauf bestehen, dass die EU nicht nur eine Wirtschafts-, sondern auch eine Sozialunion werden musste. Die Finanzkrise war da eine günstige Gelegenheit, dieses Thema schnell wieder in der Versenkung verschwinden zu lassen.

Es wurde ja schon oft genug gesagt: die ganze Geschichte des Neoliberalismus ist eine Geschichte der Umverteilung von unten nach oben, von den Entwicklungsländern in die Industrieländer, von den ArbeitnehmerInnen zu den AktionärInnen. Die Freihandelsverträge, die Strukturanpassungsprogramme, die Direktinvestitionen in den Entwicklungsländern, die zu deren „Entwicklung“ beitragen sollten, aber dazu führten, dass schließlich durch Kreditrückzahlungen und Rückführung von Gewinnen mehr Geld vom Süden in den Norden floss, als Entwicklungshilfegelder in die umgekehrte Richtung. In den Industrieländern die Senkung von Unternehmenssteuern, der Rückgang der Lohnquote, die Schwächung der Gewerkschaften, die Zunahme prekärer Arbeits- und Lebensverhältnisse, all das wurde schon vor der Krise vielfach thematisiert. Dazu die Privatisierung vormals öffentlicher Einrichtungen und Dienstleistungen, die für das Kapital neue Akkumulationsmöglichkeiten erschlossen hat und gleichzeitig die Erreichbarkeit der Dienstleistungen eingeschränkt, ihre Qualität verschlechtert, die Nutzung verteuert hat.

David Harvey und Raj Patel (ich hab grad gesehen, dass es das Buch jezt auch auf Deutsch gibt, wirklich eines der besten Bücher, die in den letzten Jahren geschrieben wurden!) haben das schon als Klassenkampf bezeichnet, dabei konnten sie noch nicht wissen, wie das Kapital die Finanzkrise genutzt hat, um seine Macht noch zu steigern und die der Gewerkschaften noch mehr zu schwächen und noch mehr von unten nach oben umzuverteilen. Noch während in den Medien Katastrophenszenarien an die Wand gemalt wurden, um die Menschen auf die Sparprogramme vorzubereiten, wurde die Krise für diejenigen, die sie verursacht haben, zum Akkumulationsmotor. Die Hedgefonds spekulieren längst wieder, und das mit Erfolg, die Banken schreiben Gewinne, die Investoren gewinnen, weil sie in der Krise billige Aktien kaufen konnten, deren Kurse jetzt steigen, die Manager kassieren Boni. Nur die Staaten und damit die SteuerzahlerInnen werden noch lange an der Abtragung der Schulden arbeiten, die für die diversen Rettungsaktionen gemacht wurden.

Die Zeitung der Solidarwerkstatt schreibt in der Ausgabe unter dem Titel „Vom Neoliberalismus zum Neokolonialismus“ über die „innere Kolonialisierung Europas durch die EU“, indem die gleichen Maßnahmen, die früher in den Entwicklungsländern angewendet wurden, nun im Rahmen der Sparprogramme auch in den Ländern Europas zum Einsatz kommen, die EU-Hilfe zur Krisenbewältigung brauchen.

In der gleichen Zeitung meint Joachim Becker, der EU-Schutzschirm für Irland habe vor allem den deutschen Banken genützt. Und auch die Banker selbst sagen, dass die EU-Rettungsschirme für Griechenland und Irland hauptsächlich Rettungsschirme für die deutschen Banken waren.

„Wir wissen nun, wie EU-„Schutzschirme“ funktionieren: Die EU- Steuerzahler haften, irische und griechische BürgerInnen bluten, deutsche Banken verdienen“.

Umverteilung von unten nach oben – je mehr Krise, desto mehr Umverteilung. Und das mit kräftiger Mithilfe der Regierungen.

Anderes Beispiel: Mitarbeiterbefragung im Fiat-Werk in Turin: Da haben die ArbeitnehmerInnen nicht nur einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen zugestimmt, sondern auch Einschränkungen im Streikrecht akzeptiert! Da ist es durchaus gleichermaßen berechtigt wie zynisch, wenn der Fiatchef von einer „historischen Wende bei der Mitarbeitermitbestimmung“ spricht.

Und ebenso berechtigt ist, wenn dieser Kommentar von einem „Tabu-Bruch“ spricht und dass die „Revolution zugunsten des Kapitals ausgegangen ist“. Demokratisch legitimierter Klassenkampf oder doch eher Bestechung – oder Erpressung? Zur Ehrenrettung der FiatarbeiterInnen muss gesagt werden, dass 46% von ihnen dagegen gestimmt haben. Derzeit gibt es zwar Proteste, ich bezweifle, dass es was ändert.

Und, ach ja, war da nicht noch was mit der Kimakrise? Auch so ein Thema, das man gut hinter dem Getöse um die Bankenkrise verstecken konnte, was nicht heißt, dass die Zeit nicht gut genutzt wurde. Wenn schon nicht dazu, etwas gegen den Klimawandel zu unternehmen, so doch dazu, draus Profit zu schlagen:

Die Titelstory des Geo-Magazins 12/2010 hieß „Ein Planet wird verheizt“, der Untertitel: „CO2 – das neue Gold“. Der Beitrag ist auf der Webseite nachzulesen, braucht etwas Zeit, ist aber sehr empfehlenswert, absurder geht’s kaum noch!

Dazu kommt die  Zunahme an Überwachung und Kontrolle, die Demontage von Menschenrechten, die Verschärfung der Situation für Flüchtlinge an der Europäischen Außengrenze. All das konnte inzwischen still und heimlich, ohne viele Widerstände passieren, während aller Augen auf die Krise gerichtet waren. Die Stärkung des rechten Lagers, in Österreich lag bei Umfragen HC Strache teilweise bereits an zweiter Stelle, in Ungarn hat die Rechte schon die Regierungsmacht erobert. Die zunehmende Repression gegen Arbeitslose – und nun die Kürzungen beim Sozial-, Kultur- und Wissenschaftsbugdet. Die Prekarisierung einer Anzahl von Menschen, die bisher beispiellos ist, vor allem, weil sie mehr und mehr die gut Ausgebildeten betrifft. Und all das, weil wir angeblich alle unseren Beitrag leisten müssen, damit die Wirtschaft wieder wächst. Aber inzwischen wird es immer klarer, „wir alle“ sind nur „wir unten“, die die wir weder an den Hebeln der Macht sitzen, noch auf Säcken voll Geld!

Stell dir vor, es ist Klassenkampf und keiner geht hin? Warum merkt es keiner? Weil uns die Politiker einreden, sie retten jetzt für uns das Klima, sie sorgen dafür, dass es wieder Jobs gibt und Wachstum, sie retten uns aus der Krise. Die Politiker aller Parteien haben also fleißig mitgeholfen beim Erfolg des Kapitals im Klassenkampf, teilweise, weil sie erpresst wurden, teilweise, weil sie wohl wirklich den falschen Versprechungen geglaubt haben, teilweise, weil es um ihren Machterhalt ging. Das müssen wir immer bedenken, wenn wir unsere Hoffnungen auf den Staat setzen.

Hier eine ähnliche Analyse von Markus Koza mit der Aussicht auf den „autoritären Kapitalismus“ in der EU – immerhin, die Gewerkschaft warnt. Ob ein erhobener Zeigefinger reicht?