Ich habe mich ja schon an anderer Stelle gefragt, warum alle „die Märkte“ als oberste Instanz anerkennen und alle politischen Maßnahmen ausschließlich von deren Urteil abhängen. (Und ich war jetzt ganz überrascht, wie lange das schon her ist. Wie oft hat man uns inzwischen schon weis machen wollen, dass die Krise jetzt wirklich vorbei sei?) Dabei waren es dieselben PolitikerInnen, die sich ihnen jetzt unterwerfen, die „den Märkten“ diese Position zugewiesen hatten. Und es sind doch Menschen, die in diesen Märkten handeln und keine Naturgesetze, die hier ablaufen. Was sich derzeit vor unseren Augen abspielt geht tatsächlich immer mehr ins Absurde. Wenn ich die EU-Krisenbekämpfungspolitik verfolge, wird mir immer unbegreiflicher, was hier passiert und worum es eigentlich geht.

Einiges ist ja einleuchtend, einiges kennen wir schon. Das Spiel, Staaten durch Verschuldung zum Sparen zu zwingen, wurde ja zuerst bei den Entwicklungsländern und dann bei den ehemaligen Ostblockländern vorexerziert. Durch die Öffnung ihrer Märkte für europäische Güter und durch Direktinvestitionen sollten die Entwicklungsländer „aufholen“, „Entwicklung durch Handel“ nannte man das. Der Hauptzweck war jedoch, dass es dem Kapital der Industrieländer neue Anlagemöglichkeiten eröffnen und den Unternehmen neue Absatzmärkte schaffen sollte. Die Folgen sind bekannt: Spekulationsblasen und massive Leistungsbilanzdefizite der Entwicklungsländer, die dann von IWF und Weltbank „gerettet“ werden mussten und durch die sogenannten Strukturanpassungsprogramme konnten sie gezwungen werden, jene neoliberalen Programme von Marktöffnung, Senkung der Staatsausgaben und Privatisierung von Staatseigentum und öffentlichen Dienstleistungen (wieder einige Schnäppchen für europäische und amerikanische Investoren) durchzuziehen, die sie vorher verweigert hatten.

Ein ähnliches Spiel wurde mit den Ländern gespielt, die nach der Wende der EU beitreten mussten. Damit sie für den EU-Beitritt „fit“ wurden, mussten sie als Selbstbedienungsladen für westliche Investoren herhalten und die katastrophale wirtschaftliche Situation wurde den Menschen mit der Aussicht auf den EU-Beitritt schmackhaft gemacht. Viele glaubten, dann würde der große Aufschwung kommen, er kam auch, allerdings für die westlichen Länder – Österreich hat hier besonders profitiert – die sich ja alles, was irgendwie Profit bringen konnte, längst unter den Nagel gerissen hatten. Aber man hatte es wohl zu weit getrieben, bevor der Aufschwung wirklich bis zu allen Menschen vordringen konnte, kam die Krise.

Beide Vorgänge wurden von vielen Menschen, NGOs, WissenschaftlerInnen, auch von Attac, immer wieder kritisiert als imperialistisches Verhalten der reichen Länder gegenüber denen, deren Armut einen unmittelbaren Zusammenhang mit dem Reichtum jener hat und die durch diese angeblichen Entwicklungsprogramme erneut ausgebeutet wurden. Nach der Krise erlebten wir zu unserem Erstaunen das gleiche innerhalb der EU.

Island und Ungarn waren unter den Ersten, die Unterstützung vom IWF brauchten und bekamen die gleichen Strukturanpassungsprogramme verpasst. Da konnte man immer noch denken, dass die großen EU-Staaten um ihren Machterhalt kämpften und ihre Wirtschaft schützen wollten. Das nächste Opfer war Griechenland und hier traf es direkt die Eurozone, es ging ans Eingemachte. Und hier wurde ein Exempel statuiert: die „faulen“ Griechen, die über ihre Verhältnisse gelebt hatten, Korruption und Misswirtschaft werden von der Staatengemeinschaft bestraft. Ein weiterer Vorteil: uns kann man damit die Rute ins Fenster stellen, wenn die Österreicher oder die Deutschen gegen die Sparprogramme protestieren, dann heißt es, wir wollen doch nicht, dass es uns geht wie den Griechen. So, wie man dieser Tage den schlimmen Kindern mit dem Krampus droht – zumindest machte man das noch, als ich ein Kind war, heute droht man vermutlich mit Handyverbot.

Und dann begannen „die Märkte“ auf den Euro zu spekulieren, Irland, Portugal, Spanien wurden von den Ratingagenturen herabgestuft und müssen mehr Zinsen für ihre Staatsanleihen zahlen. Und die Rettung der Banken hatte die Staaten in hohe Schulden gestürzt, so dass diese Zinserhöhungen eine massive Bedrohung darstellten und der Euro immer mehr in Bedrängis geriet. Dann kamen die hektischen Bemühungen um den immer größer werdenden Schutzschirm der EU – und das bange Warten auf die Reaktion der Märkte. Und die fällt nicht so aus, wie die Konstrukteure dieses Schirmes sie sich erhofft hatten. Überraschung! Märkte sind keine Maschine, bei der man einen Hebel umlegt und dann reagiert sie in einer bestimmten Weise. Auf Märkten handeln Menschen und diese Menschen bekommen mehr Rendite, wenn die Bonität der Staaten schlechter eingestuft wird und sie mehr Zinsen zahlen müssen. Also haben sie keinen Grund mit den Spekulieren aufzuhören, weil EU-Politiker Schutzschirme aufspannen, im Gegenteil, je besser die Kredite abgesichert sind, desto weniger riskant ist die Spekulation, warum sollten sie damit aufhören. Wie das geht beschreibt Stefan Schulmeister:

„Doppeltes Wirtschaftswunder: Durch immer schnellere Spekulation destabilisieren die Alchemisten die wichtigsten Preise, und gegen diese Unsicherheit verkaufen sie Sicherheiten aller Art – beides mit hohem Gewinn.

Die Entwicklung in Irland und Griechenland ist exemplarisch: Durch Spekulation mit/auf Staatspleiten treiben die Finanzalchemisten die Zinsen für Staatsanleihen auf bis zu zehn Prozent („Risikoprämien“). Gleichzeitig borgen sie sich von der EZB Geld zu einem Prozent und kaufen damit die hochverzinslichen Papiere. Wird ihre Beteiligung an Rettungskosten angesprochen, dann bestehen sie auf hundertprozentiger Bezahlung, also auf null Risiko.“

Eine sehr treffendes Posting im Standard:

Rating – neuer Name für Schutzgelderpressung.
Die Mafia hat endlich einen legalen Namen für die Schutzgelderpressung gefunden – Der Verkauf von Ratings.

1. Wer uns beauftragt, um dessen Feinde kümmern wir uns.
2. Wir sind nicht billig, aber unser Angebot kann man nicht ablehnen.
3. Wer nicht zahlt, wird schlecht bewertet.
4. Wer schlecht bewertet wird, verliert das Vertrauen der Märkte und bekommt echte Finanzierungsprobleme.
5. Der Markt wird unter den „Überlebenden“ neu aufgeteilt.
6. Die Rating-Agentur gewinnt immer.
7. Das Spiel beginnt von Neuem.

Die Opfer sind gesunde Unternehmen und ganze Volkswirtschaften. Die Geschäftsgrundlage heißt „freier“ Markt.

Das trifft es ziemlich gut und hier beginnt mein absolutes Unverständnis. Ich verstehe einfach nicht, warum die PolitikerInnen dieses Spiel noch mitspielen. Aber vielleicht hat ja jemand einen guten Vorschlag. Für ihren Machterhalt kann es nicht mehr gut sein, zu deutlich wird, dass sie absolut nicht mehr ein und aus wissen und mit den Sparprogrammen haben sie mittlerweile den Großteil aller Menschen in Europa gegen sich. Um den Zweck der Markterschließung, den diese Praktiken in den Entwicklungsländern hatten, kann es innerhalb der EU doch auch nicht gehen. Ich glaube auch nicht, dass die Wirtschaft davon profitiert – gut ein schwacher Euro kurbelt den Export an, aber ich weiß nicht, ob das die anderen Nachteile aufhebt. Eher habe ich das Gefühl, die Politik hat dieses Prozedere inzwischen so automatisiert, dass sie nicht mehr anders kann und dass dieses Spiel längst eine Eigendynamik angenommen hat, in der der Blick auf „die Märkte“ nur mehr ein verzerrtes Vexierbild erfasst. Es profitieren ganz offensichtlich nur mehr sehr wenige sehr finanzstarke Spekulanten und die ganze EU lässt sich von ihnen vor sich hertreiben.

Ich will damit keinesfalls sagen, dass die Gier oder die Verantwortungslosigkeit weniger Menschen an dem ganzen Schlamassel schuld ist. Auch wenn die Vorstellung schon ihren Reiz hat, dass da irgendwo jemand sitzt und sich wie Rumpelstilzchen ins Fäustchen lacht „heute koch ich Irish Stew, morgen brau ich spanisches Bier und übermorgen stürze ich die Bank of England“, dieser „jemand“ sitzt dort vor allem, weil wir ihn dort sitzen lassen und er macht genau das, was in diesem aus dem Ruder gelaufenen System sein Job ist: für seine Auftraggeber den maximalen Gewinn herauszuholen. Und die europäischen Regierungen unterstützen ihn nach Kräften dabei, in dem sie weiter Geld in dieses Fass ohne Boden pumpen, anstatt das Loch zu flicken.

Dazu würde natürlich gehören, jene Mängel des Euroraums zu beheben, die zu den wichtigsten Ursachen dieser Krise gehören – den Standortwettbewerb zwischen Staaten der Eurozone. Griechenlands Problem ist natürlich nicht die Faulheit seiner Menschen, sondern zu einem guten Teil die Niedriglohnpolitik in Deutschland (und, wenn auch zu einem geringeren Ausmaß, in Österreich) geschuldet. Deutschland ist Exportweltmeister (seit 2009 Zweiter, nach China) – und jeder Exportüberschuss bewirkt natürlich wo anders ein Handelsbilanzdefizit, im Falle von Deutschland hauptsächlich in Griechenland, aber auch in Portugal oder Spanien. Hier gibt es mehr Information dazu. Solche Unterschiede können durch die Wechselkurse ausglichen werden, was natürlich nicht funktioniert, wenn die Länder eine gemeinsame Währung haben. Irlands Problem ist zwar anders gelagert, aber auch hier ging es um Wettbewerb zwischen Euroländern. Durch die niedrigen Unternehmenssteuern hat Irland viel ausländisches Kapital angezogen, ist dadurch stark gewachsen, saß aber letztlich auf einer großen Spekulationsblase, die die Banken beinahe in den Bankrott getrieben hat. Näheres dazu gibt es hier.

Auch das haben wir bei Attac schon lange gesagt: in einem Raum mit gemeinsamer Währung muss es auch eine koordinierte Steuer- und Wirtschaftspolitik geben (koordniert muss nicht „gleich“ bedeuten). Standortwettbewerb innerhalb der Eurozone ist wirtschaftlicher Sprengstoff, der beim geringsten Funken hochgehen kann und das hat er jetzt getan. Aber daran wird nicht gerüttelt – die Iren kürzen zwar Pensionen und Sozialausgaben, aber sie dürfen ihre niedrigen Unternehmenssteuern beibehalten, da wird schon an der nächsten Blase gebastelt. Auch Deutschlands Exporte sind nur durch das geringere Wirtschaftswachstum zurückgegangen, die Niedriglohnpolitik hat sich unter dem Vorwand der Krise eher noch verschärft.

Es gab in den letzten Tagen mehrere durchaus realistische Vorschläge, wie man aus dieser Situation herauskommen könnte, in komprimierter Form hier von Attac:

Zur unmittelbaren Rettung des Euros schlägt Attac ein 3-Punkte-Sofortprogramm vor:

  1. Garantie aller Staatsschulden aller Euro- oder EU-Mitglieder durch die EZB. Dies würde die Zinsen für Griechenland, Irland und Co. drastisch senken und die Spekulation auf den Staatsbankrott beenden.
  2. Bedingungen für die Inanspruchnahme der Garantie: Kooperation in der Steuerpolitik: Finanztransaktionssteuer, Vermögenszuwachssteuer, progressive Vermögenssubstanzsteuer
  3. Mit den geschätzten Einnahmen von rund 500 Milliarden Euro (allein 270 Milliarden aus der Finanztransaktionssteuer) können die Staatsschuldenquoten der teilnehmenden Länder unter die Maastricht-Grenze von 60 Prozent gedrückt werden.

Europa benötigt gerade in der Krise dringend eine koordinierte europäische Steuerpolitik. Nur so kann das Ansteigen der Staatsschulden und das Aushungern der öffentlichen Budgets durch immer geringere Kapital, Vermögens- und Unternehmenssteuern gestoppt werden.

Ausführlicher, aber mit vergleichbarem Inhalt, von Christian Felber im Standard und in dem schon oben zitierten Artikel von Stefan Schulmeister in der Presse.

Und bei allen diesen Vorschlägen ginge es ohne die rigiden Sparprogramme, es wäre allerdings notwendig, dass einerseits diejenigen, die vor und auch noch während der Krise profitiert haben zur Kasse gebeten werden und dass endlich das Casino geschlossen wird, auf dem seit Jahren auf unser aller Risiko gezockt wird und das die Regierungen der ganzen Welt in Geiselhaft hält.

Ein Gedanke zu “Das Casino schließen!”
  1. Unglaublich, hätte nicht gedacht, dass der Präsident der österreichischen Wirtschaftskammer mein Blog liest und dann noch so schnell drauf reagiert :-). Herr Leitl sagt heute im Standardinterview: „Wer die gemeinsame Währung mit Vertrauen ausstatten will, der muss eine stärkere gemeinsame Wirtschafts-, Budget- und Steuerpolitik dahinter betreiben“. Bis jetzt war das immer ganz pfui, wenn wir das gesagt haben. Vielleicht tritt Herr Leitl ja demnächst Attac bei?
    Der ganze Artikel ist hier:
    http://derstandard.at/1291454149851/Wirtschaftskammerchef-Leitl-fuer-Steuer-Union

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