Der erste Lockdown im März 2020 hat mich noch bewogen, einige meiner Gedanken aufzuschreiben hier und hier, die Reaktionen darauf, aber im weiteren Verlauf allgemein die Reaktionen von Menschen, von denen ich dachte, dass sie politisch ähnlich ticken wie ich, auf durchaus fundierte Kritik an den Maßnahmen und der Art der Kommunikation, hat mich so verstört, dass es mir quasi die Sprache verschlagen hat. Ich war nicht mehr fähig, meine Gedanken sinnvoll zu formulieren und ich hatte auch emotional nicht die Kraft, die Reaktionen auszuhalten.

Inzwischen treffe ich immer mehr Menschen, denen es auch so geht, ich konnte mich immer wieder gut austauschen und habe mit einigen anderen auch begonnen eine Sendereihe auf Radio Helsinki dazu zu gestalten. Das Motto „Über das Verschwinden der politischen Heimat“ (das war die erste Sendung, da war ich nicht dabei, inzwischen gibt es zwei weitere, die noch nicht online sind). So fühlt es sich nämlich an, wenn plötzlich die Menschen oder Gruppen, die ich bisher als meine politische Heimat empfunden habe, sich an der Politik der Angst beteiligt haben, während diejenigen, die für mehr Verhältnismäßigkeit plädiert haben, in eine Ecke gestellt wurden, in der ich nicht stehen möchte.

Es ist nicht so leicht zu beschreiben, was diese politische Heimat ausmacht, denn natürlich bin ich nicht mit allen Menschen, mit denen ich in den letzten Jahren zusammengearbeitet hab zu allen Themen einer Meinung. Es geht eher um eine Haltung, um Offenheit, um Dinge wie Menschenrechte, Menschenwürde, Freiheit, Empowerment, aber auch das Bewusstsein von gegenseitiger Abhängigkeit, von den Wechselwirkungen mit unseren nichtmenschlichen Mitwelt Ich bezeichne das jetzt mal mangels eines besseren Begriffs als „links-liberal“. Und, was mir immer wichtiger wurde, die Überzeugung, dass es notwendig ist, Brücken zu bauen zwischen Menschen aus den verschiedenen „Lagern“, also zuhören, gegenseitiger Respekt auch bei unterschiedlichen Meinungen, politische „Gegner“ nicht zu diffamieren.

Die gespaltene Gesellschaft

Ich versuche einmal einen Schritt zur Wiederfindung meiner Sprache mit Kommentaren zu einem Beitrag zur Spaltung der Gesellschaft im Standard vom letzten Wochenende von Hans Rauscher. Ich bin mit Rauscher politisch nicht immer einer Meinung, schätze aber seine Art zu argumentieren und nehme bei ihm eine offene, respektvolle Haltung anderen Meinungen gegenüber wahr. Gerade deswegen ist es mir ein Anliegen, einige Anmerkungen zu diesem Text zu machen.

Diese Spaltung der Gesellschaft ist offensichtlich und gehört zu den Dingen, die zu meiner Verstörung beitragen und wo ich mir viele Gedanken dazu mache, wie das passieren konnte und was man dagegen tun könnte. Besonders erschreckt mich, dass Spaltungstendenzen in Bezug auf Corona, aber nicht nur da, in vermehrtem Ausmaß von den Menschen kommen, von denen ich es am allerwenigsten erwartet hätte. Es waren nicht die Rechten, die den Begriff „Covidioten“ erfunden haben, es waren nicht die Rechten, die seriöse, anerkannte Wissenschaftler*innen als „Verschwörungstheoretiker*innen“ gebrandmarkt und Menschen nahezu als Mörder bezeichnet haben, weil sie Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen äußerten und dafür plädierten, auch die negativen Auswirkungen dieser Maßnahmen mit zu berücksichtigen. Sollte nicht gerade die Tatsache, dass wir einer neuen, kritischen Situation gegenüberstanden dafür sprechen, möglichst viele Meinungen zu hören und in die politische Entscheidung mit einzubeziehen?

Ich möchte den ersten Lockdown im Frühjahr 2020 ausdrücklich von all dieser Kritik ausschließen. Damals war ich zwar auch darüber entsetzt, allerdings im Rückblick denke ich, dass ich in Anbetracht des Nicht-Wissens als Politikerin vermutlich auch so gehandelt hätte. Aber alles was danach passiert ist, ist für mich nach wie vor vollkommen unverständlich. Diese Ratlosigkeit drückt sich übrigens auch in unseren Radiosendungen aus. Es ist nicht so, dass ich wüsste wie es geht, ich kann nur überhaupt nicht verstehen, wie es sein konnte, dass dieses Angstregime so lange aufrecht erhalten werden konnte und immer noch wird.

Und auch Hans Rauscher bedient in seinem Artikel immer wieder diese Rhetorik der Spaltung, spricht von Impfbefürwortern und Impfgegnern, Maßnahmenbefolgern und Maßnahmenverweigerern, jungen Partypeople und ängstlichen Älteren.

Impfen ist keine Ideologie

Ich weiß wohl, dass es Menschen gibt, die sich das Schild „Impfgegner“ umhängen, das dürften aber nicht sehr viele sein. Ich halte es aber für sinnvoll bei allen medizinischen Maßnahmen, besonders bei solchen, die an Gesunden gesetzt werden, Vorteile und Risiken ernsthaft abzuwägen. Impfung ja oder nein ist keine ideologische, sondern im besten Fall eine medizinisch fundierte Entscheidung. Nun gab es nach weniger als einem Jahr eine Impfung gegen diesen Virus, was ich für eine großartige Leistung der Wissenschaft halte. Diese Impfung wurde in einem verkürzten Verfahren zugelassen, trotz doch relativ starker Nebenwirkungen, was wohl der Situation angemessen war. Was wir dabei nicht vergessen sollten: es handelt sich um eine völlig neuartige Impfung, nie zuvor wurde diese Form genetischer Impfstoffe angewendet. Das heißt auch, wir haben keine Ahnung, was diese Impfung mit uns macht, wie der Körper darauf reagiert, welche Langzeitwirkungen (zB Autoimmunerkrankungen) auftreten können. Daher ist es bei dieser Impfung umso wichtiger, Nutzen und Gefahren für verschiedene Personengruppen abzuwägen.

Um die Gefährlichkeit des Covid19 Virus (und damit den Nutzen der Impfung) abschätzen zu können, muss man es mit bekannten Virenerkrankungen vergleichen, dazu bietet sich das Influenza-Virus an, auch wenn dieser Vergleich verpönt wurde. Vergleichen heißt nicht verharmlosen, es kann ja auch rauskommen, dass es gefährlicher ist. Und genau das ist bei den Vergleichen herausgekommen: für manche Gruppen der Bevölkerung ist Covid19 gefährlicher als Grippe, für einige sogar viel gefährlicher. Für diese ist die Risikoabwägung vor einer Impfung recht eindeutig und viele von denen sind ja bereits voll immunisiert. Für andere Gruppen, speziell für Kinder und Jugendliche ist Covid jedoch weniger gefährlich als Grippe, genau genommen ist in Österreich entweder kein oder 1 Kind an Covid19 gestorben (ich habe beide Angaben gefunden und kann nicht sagen, welche stimmt), statistisch macht das aber ohnehin keinen Unterschied. In Deutschland waren es 4. Während doch immer wieder einige Kinder an Grippe sterben, was auch noch nie Anlass zu öffentlicher Besorgnis war (offizielle Zahlen, keine alternative facts). Gleichzeitig sind für Kinder und Jugendliche natürlich die – noch unbekannten – Langzeitwirkungen wesentlich relevanter als für alte Menschen. Aus meiner Sicht ist es daher wirklich unverantwortlich, Kinder und Jugendliche zu diesem Zeitpunkt zu einer Impfung mit diesem neuartigen Impfstoff, über den wir noch so wenig wissen, zu drängen und schon wieder Schuldgefühle in ihnen zu schüren.

Ich höre schon die Gegenargumente und versuche gleich darauf zu reagieren:

  1. Es gehe ja nicht um die Kinder, sondern die könnten ihr Großeltern anstecken. Antwort: die Großeltern sind ja bereits geimpft wenn sie das wollen. Und zum Glück scheint diese Impfung die geimpften Personen recht gut vor schweren Erkrankungen zu schützen. Andererseits ist eben noch nicht klar, ob die Impfung auch verhindert, dass wir andere anstecken. Aus dem gleichen Grund ist es auch meiner Sicht mit dem heutige Wissen zweifelhaft, die Impfung für bestimmte Berufsgruppen verpflichtend zu machen, obwohl ich gerade im Pflegebereich es auch ohne Zwang zum Selbstschutz sinnvoll fände. Aber was normale Arbeitsplätze betrifft ist es doch so, dass es einem Geimpften nicht schaden kann, neben einer ungeimpften Person im Büro zu sitzen (umgekehrt natürlich auch nicht, weil auch solche schrägen Argumente schon aufgetaucht sind).
  2. Es gebe auch Menschen, die sich aufgrund ihrer Krankheiten nicht impfen lassen können. Das stimmt und ich finde das ein interessantes Argument, weil es die ja schon vorher gab, darüber aber nie gesprochen wurde. Für diese Menschen wäre ja wohl jede Infektion lebensbedrohlich. Da finde ich, können wir ja aus den Erfahrungen der Pandemie lernen. Wenn wir solche Menschen besuchen können wir – in Absprache mit ihnen – die Instrumente anwenden, die wir gelernt haben: Maske, Desinfizieren, Testen. Und Kindern und Jugendliche die in Haushalten mit solchen gefährdeten Personen wohnen, können natürlich geimpft werden, es soll ja kein Impfverbot geben, aber auch keine Diskriminierung von aus guten Gründen nicht geimpften Kindern und Jugendlichen.

Individueller Umgang mit den Maßnahmen

Nun, ich weiß, es gibt auch die radikalen „Maßnahmengegner“ und vielleicht gibt es auch wirklich diejenigen, die sich ganz strikt an alle Regeln gehalten haben (obwohl ich den Verdacht habe, dass das auch die ganz strengen Coronapolizisten auf Twitter privat nicht immer so streng gehandhabt haben). Ich kenne aber in meinem privaten Umfeld niemanden der oder die in eine dieser Gruppen passen würde. Es ist ja so, dass alle diese Maßnahmen wenn man sie länger als ein paar Wochen umsetzt, selbst gesundheitsgefährdend sind. Menschen merken, wenn es ihnen oder ihren Kindern körperlich schlecht geht oder sie an ihre psychischen Grenzen stoßen. Dann versuchen sie Wege zu finden, wie sie das tun können, bzw ihren Kindern erlauben können, was sie für ihre körperliche und seelische Gesundheit brauchen, ohne sich selbst und andere mehr als nötig zu gefährden.

Ich kenne eigentlich nur Menschen, die sehr verantwortungsvoll gehandelt haben, obwohl sie nicht alle Regeln strikt eingehalten haben. Ich persönlich bin zb ziemlich viel herumgefahren während der Lockdowns, nach Kroatien, nach Deutschland, nach Wien, in die Obersteiermark. Es war ja nicht verboten obwohl es so kommuniziert wurde, man musste halt bestimmte Regeln einhalten, was ich auch getan habe (In Zügen aus Kroatien wurde halt nicht kontrolliert, das Virus kommt ja mit dem Auto über die Grenze 😉 ). Trotzdem habe ich immer wieder gehört, muss man den „ausgerechnet jetzt“ wegfahren? Ja, muss man – wenn das „jetzt“ viele Monate dauert, wenn die Freund*innen eben nicht in der Nähe wohnen, wenn ich Schnee und Kälte nicht mehr aushalte und mal in die Wärme muss. Ob ich mich anstecke, hängt ja nicht davon ab, wo ich bin, sondern was ich dort mache. Und wenn ich 2 Wochen in den Süden fahre, mir dort ein Apartment miete, wo ich auch selbst kochen kann und stundenlang in der Gegend herumwandere treffe ich vermutlich weniger Menschen als ich getroffen hätte, wenn ich zu Hause geblieben wäre.

Unvorsichtige Junge und ängstliche Alte

Ja, klar hat es die „unvorsichtigen“ Jungen gegeben, es liegt in der Natur der Jugend, nicht immer alle Risiken und Chancen sorgfältig abzuwägen. Aber gerade die Jugendlichen mussten auch besonders unter den Maßnahmen leiden – die Frage ist, ob das wirklich immer angemessen war. Vor allem aber: ich kenne viele junge Menschen, die sehr übervorsichtig waren, weniger aus Angst um sich, sondern aus Angst davor, andere anzustecken – diese Angst ist ihnen ja wirklich nachhaltig eingebläut worden. Und ich kenne ältere Menschen, die das Ganze ziemlich gelassen sahen. Wir haben vielleicht noch eine viel selbstverständlichere Einstellung zu Krankheiten, so nach dem Motto, wir haben schon vieles erlebt, wir werden wir das auch noch überstehen. In unserer Kindheit war es noch normal, dass die Herdenimmunität (was ich übrigens für ein schreckliches Wort halte, wir sind keine Schafe) dadurch hergestellt wurde, dass fast jedes Kind Masern und Mumps hatte. Was aber wieder nicht heißt, dass diese Menschen nicht trotzdem gewisse Vorsichtsmaßnahmen für angemessen hielten, schließlich will man ja nicht um jeden Preis krank werden, wir wissen ja was das heißt und dass eine Krankheit eben auch langwierig sein kann. Dieses Wissen, dass Krankheit eben zum Leben dazu gehört, ist heute kaum noch da. Vielen Großeltern war es aber auch einfach wichtig ihre Enkelkinder zu sehen, aber auch all diese Menschen haben eben Vorsichtsmaßnahmen nach ihrem Ermessen eingehalten.

Genau diese Fähigkeit für die eigene Situation selbst geeignete Maßnahmen zu entwickeln wurde den Menschen aber während der ganzen Pandemie abgesprochen, auch und gerade von Menschen die „meiner“ – ehemaligen – politischen Heimat angehören. Und genau diesen Blick auf die und den Respekt vor der Vielfalt der Möglichkeiten mit den Herausforderungen der Pandemie umzugehen braucht es, um die Spaltungen zu überwinden.

Ich hab zwar oben geschrieben, und das stimmt auch, dass ich ziemlich ratlos bin, warum die Pandemie diese Dynamik entfalten konnte, aber ich habe doch den Verdacht, dass es etwas mit Angst zu tun hat. Darum werde ich diesem Thema den nächsten Post widmen und einen dritten dann der Frage, was wir daraus lernen könnten..

PS: Ich bin 66 und geimpft, darum habe ich keine Angst vor ungeimpften Menschen und treffe mich gerne mit allen, die das wollen und gebe auch gern allen die Hand, die das auch wollen, ohne sie jemandem aufzudrängen.

PPS: Eine sehr gute Zusammenfassung aller Fakten und der sich daraus ergebenden Unsicherheiten und Fragen – nur aus offiziellen Quellen, keine „alternativen“ Fakten – bietet dieses Papier, das sich auch als Angebot zur Diskussion versteht und Vorschläge dafür macht.

2 Gedanke zu “Spaltung der Gesellschaft und der Verlust der politischen Heimat”

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