Und hier nun der dritte und zumindest vorläufig letzte Teil meiner Corona-Trilogie – frau kann ja nie wissen, was uns noch bevorsteht. Die ersten beiden finden sich hier und hier.
Wenn wir nun schon eineinhalb Jahre unter massiven Einschränkungen unseres Alltags gelebt haben, dann sollten wir uns zumindest überlegen, was wir – individuell und als Gesellschaften – daraus lernen können. Denn, wenn ich die Ursachenforschung richtig verstanden habe, dann kann es jederzeit wieder passieren, dass ein neues Virus auf Menschen überspringt. Es kann auch eine Covid19-Mutation auftreten, gegen die die Impfung nicht wirkt. Also, wir müssen damit rechnen, dass wir demnächst wieder vor einer ähnlichen Situation stehen und all das hätte wenigstens einen Sinn gehabt, wenn wir beim nächsten Mal weniger angstgetrieben und mit mehr Ruhe und Vertrauen an die Sache herangehen könnten.
Persönlich war meine erste Überraschung, dass neue Viren überhaupt ein Risiko sind. Ich gebe zu, ich hab da einiges verschlafen. Mit klimabedingten Katastrophen hatte ich gerechnet, mich gefragt, wie es wohl sein würde, wenn die Kipppunkte erreicht sind. Heute weiß ich, dass viele davor gewarnt haben, vor neuen Viren, die die Menschheit bedrohen könnten. Die WHO, die EU. Sie haben Pandemiepläne entwickelt – und sie nicht eingehalten. Die Warnungen nicht ernst genommen, wie alle anderen Warnungen, dass die Art wie wir leben den Planeten und uns selbst zerstört. Gewarnt hatten aber auch Umweltschützer, Wissenschaftler die sich mit der Reduktion der Biodiversität befassen. Und eigentlich ist es ja klar, dass es ein Virus sein musste, der die Industrieländer aus ihrer Überheblichkeit reißt.
Die Krise ist längst da, die Klimakrise, die Biodiversitätskrise. Für viele Menschen im globalen Süden gehört sie bereits zum täglichen Leben. Nur wir ignorieren sie, uns betrifft sie nicht. Der Meeresspiegel steigt? Wir bauen die Dämme höher. Dürre, Unwetter, Überschwemmungen? Die Versicherung zahlt und Lebensmittel kann man importieren. Die Bienen sterben aus? Wir bauen Drohnen, die die Blüten bestäuben. Hitzewelle? Wir bauen Klimaanlagen in unsere Häuser. Die reichen Ländern lebten immer noch im Gefühl, sie könnten die Krisen aussitzen und bestenfalls mit „grünem“ Wachstum, mit „grünen“ Technologien abschwächen, eindämmen, überleben eben. Erst der Virus konnte zeigen, dass wir auch nicht unverwundbar sind. Und ja, die letzten Überschwemmungen haben vielleicht doch einige aufgerüttelt, aber so wirklich aktiv hat unsere Politiker*innen nur der Virus gemacht.
Und was haben wir als politische Individuen, als Gesellschaften gelernt?
- Dass es möglich ist, innerhalb kürzester Zeit einen Großteil der Wirtschaft herunter zu fahren; dass Wirtschaftswachstum, Verschuldung, Wettbewerbsfähigkeit plötzlich keine bedeutenden Werte mehr sind, Geld im Überfluss da ist. Das ist gut zu wissen – vor allem zu Beginn herrschte ja bei vielen die Hoffnung, dass das nun auch in Bezug auf die Klimakrise passieren würde, die Hoffnung hat sich leider nicht bestätigt.
- Dass es auch in demokratischen Ländern mit robustem rechtsstaatlichen Rahmen möglich ist, all diese rechtsstaatlichen Mechanismen auszuschalten und Grundrechte über eine lange Periode massiv einzuschränken und dass sich weder Oppositionsparteien noch Medien ernsthaft dagegen zur Wehr setzen. Ja viele als emanzipatorisch und progressiv geltenden Menschen haben zu meinem Entsetzen noch strengere Einschränkungen verlangt, was vermutlich nur möglich war, weil massiv Panik geschürt wurde.
- Dass Menschen füreinander eine Bedrohung sind und dass es Solidarität sein kann, seine Freunde und seine Familien nicht zu treffen – hoffentlich können wir das bald wieder verlernen …
- Wir haben gelernt, wie wissenschaftlicher Fortschritt geschieht, wie sich Viren verhalten, wie Impfungen wirken und vor allem, dass es nicht „die einzig richtige wissenschaftliche Tatsache“ gibt, sondern vor allem in einem neuen Feld es viele einander widersprechende Studienergebnisse geben kann. Hier hätten die Medien durchaus ein wenig mehr Kontext und Einordnung betreiben können, anstatt heute die eine und morgen eine andere wissenschaftliche Meinung unkommentiert weiterzugeben.
Wir wissen heute noch recht wenig über die Impfungen, wir wissen schon ein wenig mehr über den Virus und auch das eine oder andere über die Wirkungen und Nebenwirkungen der Maßnahmen. Diese sind besonders schwer zu vergleichen, weil erstens die Kombination von verschiedenen Maßnahmen in den Ländern sehr unterschiedlich war, aber auch die Zählung, die Anzahl der Test usw. Zudem sind das ja keine doppelblinden Laboruntersuchungen, wo alle Parameter konstant gehalten werden können, sondern die Pandemiemaßnahmen waren ja Feldstudien im wahrsten Sinn des Wortes mit allen dabei auftretenden Verzerrungen. Mit so viel Vorsicht sind sie auch zu genießen.
Und bei all diesen Unwägbarkeiten gibt es aber eines, das immer wieder sichtbar wird: es gibt kaum Korrelationen zwischen Maßnahmen und Infektions- bzw. Sterbezahlen. Also, es gibt Länder mit strengen Maßnahmen und vielen Toten und solche mit weniger Maßnahmen und weniger Toten aber eben auch umgekehrt. Eine weitere Ungereimtheit ist, dass – was aus den offiziellen Zahlen zu lesen ist – die Anzahl der Neuinfektionen bei jedem Lockdown zurückging, bevor die Maßnahmen greifen konnten. Ich habe irgendwo einen Vergleich der Staaten der USA gesehen zwischen solchen mit und ohne Maskenpflicht, wo diejenigen weniger Krankheitsfälle hatten, wo es keine Maskenpflicht gab. Ich kann das natürlich nicht kontrollieren – ich ziehe aber auch nicht den Schluss daraus, den manche ziehen könnten, nämlich das Masken krank machen. Im Gegenteil, ich denke, dass es diesen Winter kaum Influenza-Infektionen gab, dass ich schon fast 2 Jahre nicht einmal mehr einen Schnupfen hatte und das auch von anderen gehört habe, beweist, dass diese Maßnahmen sehr wohl Ansteckung verhindern können – die Frage ist eben um welchen Preis. Neben all den schon häufig aufgezählten Nebenwirkungen frage ich mich auch: wenn wir uns gar keinen Viren und Bakterien mehr aussetzen, was macht das mit unserem Immunsystem, ist das überhaupt noch selbständig arbeitsfähig? Darüber habe ich noch nichts gehört.
Was also könnten wir aus diesen Nicht-Korrelationen zwischen Erkrankungen und Maßnahmen lernen? Ich sehe zwei Schlussfolgerungen, dich ich für relevant halte für den Umgang mit weiteren Pandemien.
- Wenn es keine Korrelation zwischen Maßnahmen und Infektions- bzw. Sterbezahlen gibt, dann wäre es naheliegend, dass andere Parameter wichtiger sind. Und da gibt es recht gut Daten dazu, dass sozialstrukturelle Aspekte einen großen Einfluss darauf haben, wo wie viele Menschen sterben und wer stirbt. Sozial Randgruppen, Armutsbetroffene, Menschen in prekären Arbeits- und Wohnverhältnissen sind weit stärker vom Virus betroffen als solche, die sich gut schützen können. Luftverschmutzung und Vorerkrankungen, die auch oft bei ärmeren Menschen häufiger auftreten, sind weitere Faktoren. Hier gäbe es also genug Aufgaben für Politik und für linke Gruppen um für die nächste Krise besser gerüstet zu sein. Die Reduzierung sozialer Ungleichheit, Beendigung von präkeren Arbeitsverhältnissen, die Wohnsituation verbessern. Das alles sind genuin politische Aufgaben, die Grundrechte nicht einschränken sondern fördern – zB das Recht auf Wohnen.
- Man könnte auch annehmen, dass Menschen in den Ländern mit strengen Maßnahmen sich nicht wesentlich anders verhalten haben als in den Ländern, die weniger strikte Maßnahmen verhängt hatten, das heißt ja im Umkehrschluss nicht, dass dort gar nichts getan wurde. Vermutlich gibt es immer ein kleine Gruppe von Menschen, die solche Maßnahmen verweigert. Aber es könnte sein dass durch das autoritäre Auftreten unserer Regierung zu Beginn der Pandemie und die überzogenen Polizeieinsätze, auch Menschen verloren wurden, die sich bei vernünftiger Information und dem Vertrauen in ihre Eigenverantwortung eher an die Maßnahmen gehalten hätten. Ich denke, wenn Menschen vernünftig informiert werden, und wenn die strukturellen Rahmenbedingungen geschaffen werden (es gibt Gratis-Masken, es gibt die Möglichkeit für Homeoffice, es gibt die Möglichkeit für Unternehmen, die zusperren, finanzielle Unterstützung zu bekommen, es gibt Unterstützung für Schulen und Altersheime, die sich überlegen, wie sie Kontakte reduzieren können und verschiedene Schutzmaßnahmen ergreifen, ohne Menschen ganz zu isolieren usw.), dann verhalten sich Menschen sehr ähnlich wie sie es bei strikten Ver- und Geboten tun, die ja sowieso kaum jemand einhalten kann, ohne sich selbst zu schaden. Also, alles was es jetzt gab als Möglichkeit anstatt als Pflicht, keine Polizeikontrollen bis in die Privatwohnungen hinein, Ermutigung zu Aufenthalt um Freien – das wären Möglichkeiten mit viel weniger negativen Auswirkungen durch eine Pandemie zu kommen. Dieses gegenseiteige Vertrauen, dass Menschen eine Gefahrensituation recht gut einschätzen können und sich entsprechend verhalten und wir nicht immer einen „starken Führer“ brauchen, der uns sagt, was wir zu tun haben, hätte auch die Spaltungen in der Gesellschaft vermieden.
Und wir sollten noch etwas lernen: Grundrechte sind nicht etwas, das wir uns verdienen müssen, sie sind auch kein Privileg (Stichwort „Privilegien für Geimpfte“), sie sind eben Grundrechte, die uns immer zustehen und nur unter ganz bestimmten sehr dringenden Bedingungen so wenig wie möglich eingeschränkt werden dürfen. Was derzeit an Druck auf Menschen gemacht wird, die nicht geimpft sind, ist mit einem Rechtsstaat nicht zu vereinbaren, die große Bedrohung die das rechtfertigen würde gibt es nicht mehr – aber es treibt den Keil in die Gesellschaft immer weiter hinein, bald wird es möglicherweise eine ungeimpfte Parallelgesellschaft geben. Darum möchte ich mich hier einem Aufruf von Jens Berger auf den Nachdenkseiten anschließen: „Lassen wir uns nicht spalten!“ Wer geimpft ist, braucht sich von Ungeimpften nicht zu fürchten, also stellen wir uns gegen deren Ausgrenzung! Und so lange es Zutrittsregelungen gibt, müssen Tests gratis bleiben!
[…] es etwas mit Angst zu tun hat. Darum werde ich diesem Thema den nächsten Post widmen und in einem dritten dann der Frage, was wir daraus lernen […]
[…] einem dritten Beitrag habe ich mich mit der Frage beschäftigt, was wir daraus lernen […]