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Warum wir demonstrieren

Seit Oktober gibt es in Wien wieder Donnerstagsdemos, inzwischen gehen in fast allen Landeshauptstädten zumindest zweiwöchentlich Menschen auf die Straße, um ihren Unmut über die türkis-blaue Regierung öffentlich Ausdruck zu verleihen.

Hin und wieder werde ich gefragt: Was sind denn eure Forderungen, was wollt ihr denn erreichen? Oder, ein anderer Hinweis: man müsste doch auf die Flyer draufschreiben, worum es geht. Das ist schwierig. Einerseits, weil es eben ein breites Bündnis ist, das nicht von großen Organisationen oder gar Parteien getragen wird, die Themen vorgeben. Und daher gibt es den Konsens, sich nicht auf Forderungen zu einigen. Wenn man sich die Schilder und Transparente bei den Demos anschaut, sieht man, dass Menschen durchaus aus unterschiedlichen Gründen mitmachen, je nachdem, wo sie die Politik entweder am eigenen Leib verspüren oder was sie besonders stört. Das halte ich auch für eine große Stärke, weil man dadurch die Kräfte bündeln kann, ohne sich in Details zu zerfransen.

Für mich ist es aber auch gar nicht relevant, bestimmte Themen anzusprechen, oder politische Forderungen zu stellen, weil diese Regierung für mich kein legitimies Gegenüber ist. Sie ist zwar demokratisch gewählt, daran besteht kein Zweifel. Aber: Diese Regierung stellt bewusst und öffentlich Dinge wie Pressefreiheit oder grundlegende Menschenrechte in Frage, letztere werden sogar systematisch unterlaufen und versucht einzuschränken. Diese Regierung diffamiert NGOs, die sich genau dafür einsetzen und versucht – ebenfalls über Gesetze – ihnen die Arbeit zu erschweren. Diese Regierung besetzt wichtige Stellen in Regierung und Justiz mit Rechtsextremen. Diese Regierung schürt die Angst in der Bevölkerung, indem sie bewusst Unwahrheiten verbreitet, anstatt ein gedeihliches und friedliches Zusammenleben zu fördern. Diese Regierung unternimmt alles, damit es geflüchtetet Menschen bei uns so schlecht wie möglich geht und damit möglichst wenig Kontakt mit Einheimischen geschieht. Damit verhindert sie Integration, was auf länger Sicht ein hohes Gefahrenpotenzial birgt – ganz im Gegensatz zu der von ihr immer wieder beschworenen Sicherheit, die sie herstellen will. Diese Regierung stellt regelmäßig rassistische und hetzerische Beiträge in die Medien oder teilt sie. Auch wenn sie sich danach entschuldigt und distanziert, der Schaden ist schon angerichtet. Diese Regierung setzt sachlich geäußerte Kritik mit ihrer Hetze gleich und geriert sich als Opfer. Diese Regierung versucht, ihren Rassismus auch in Gesetze zu gießen, die dann regelmäßig – und Gott sei Dank noch – vom Verfassungsgericht aufgehoben werden, weil sie nicht verfassungskonform sind oder von der EU-Kommission beeinsprucht werden, weil sie EU-Recht widersprechen. Diese Regierung hat zudem nicht die geringsten Ideen, wie man die großen Themen des 21. Jahrhunderts, wie Migration, Klimawandel oder Digitalisierung konstruktiv gestalten könnte, im Gegenteil, sie verweigert sich bei diesen globalen Themen internationaler Zusammenarbeit und will uns glauben machen, wenn wir uns abschotten, dann werde wieder alles gut. Damit verbaut sie uns die Zukunft. (Gut, mit dem letzten Punkt steht sie nicht allein da und das würde sie rein rechtlich nicht delegitimieren, Ideenlosigkeit ist leider für Politiker*innen nicht veboten, Hauptsache, sie streiten nicht …).

Die Aufgabe einer Regierung ist es, zum Wohle des Landes tätig zu sein. Was dazu geeignete Instrumente sind, darüber gibt es verschiedene Meinungen und genau darüber soll es in der politischen Auseinandersetzung gehen. Wird eine konservative Regierung gewählt, muss man mit konservativer Sozial- und Wirtschaftspolitik rechnen. Dagegen können Betroffene mit konkreten Forderungen und Alternativvorschlägen öffentlich auftreten, mit unterschiedlichen, durch die Verfassung garantierten Methoden. Aber bei allem was eine östereichische Regierung tut, muss sie sich an die Verfassung halten und an die entsprechenden internationalen Verträge, die sie unterzeichnet hat, und die dadurch Verfassungsrang haben, etwa die Europäische Menschenrechtskonvention oder die internationale Flüchtlingskonvention der UNO. Eine Regierung, die das nicht tut, gefährdet Demokratie und Rechtsstaat und verliert damit ihre Legitimation. Eine solche Regierung ist eine Gefahr für unser Land und für Europa. Das ist der Grund, warum ich bei den Donnerstagsdemos mitmache und dafür keine spezifischen Forderungen brauche.

 

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