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Demokratie II

Und das war mein Input beim Sommerlabor „Demokratie von unten“ der Grünen Akademie, Überschneidungen mit dem vorherigen Beitrag liegen in der Natur der Sache, aber es ist doch auch einiges neu:

Zur Beschreibung der Ist-Situation beginne mit drei Zitaten – die ersten beiden sind aus dem neuen Buch von Felix StalderKultur der Digitalität“, in dem es überraschenderweise auch sehr stark um Demokratie geht, oder eher um Postdemokratie, und Stalder bezieht sich dabei auf diejenigen, die diesen Begriff geprägt haben, nämlich Jacques Rancière und Colin Crouch:

Der Charakter der politischen Prozesse hat sich verändert: vom Streit darüber, wie man einer prinzipiell offenen Zukunft begegnen wolle, hin zur Verwaltung vordefinierter Notwendigkeiten und alternativloser Konstellationen.

Als postdemokratisch bezeichne ich all jene Entwicklungen – gleich wo sie stattfinden –, die zwar die Beteiligungsmöglichkeiten bewahren oder sogar neue schaffen, zugleich aber die Entscheidungskapazitäten auf Ebenen stärken, auf denen Mitbestimmung ausgeschlossen ist. So entsteht eine dauerhafte Trennung zwischen sozialer Beteiligung und institutioneller Machtausübung.

Das dritte Zitat ist aus der Juni-Ausgabe der Zeitung Contraste – Monatszeitung für Selbstorganisation und es geht um die aktuellen Proteste in Frankreich:

Wie schon beim arabischen Frühling, den Indignados oder der Syntagmabewegung in Griechenland geht der Kampf über die Verhinderung der Arbeitszeitgesetzgebung hinaus. Es geht um aktive Beteiligung und Demokratie: tatsächlich und jenseits der Wahlurne die eigenen Belange in die Hand zu nehmen.

Und natürlich ist diese hier angesprochene Situation eine Antwort auf das Phänomen, das die beiden ersten Zitate beschrieben haben, die ihr alle kennt und worüber ich nicht mehr sagen muss.

Also, Szenenwechsel: Am 5. November 1978 stimmte Österreich über die Inbetriebnahme des Kernkraftwerkes in Zwentendorf ab. Mit einer – wie man es jetzt auch offiziell sagen darf, arschknappen Mehrheit von 50.47% entschieden sich die österreichischen BürgerInnen dagegen. Damals sprach niemand von einem „gespaltenen Land“, niemand focht den Ausgang der Abstimmung an.

Ich hab mich gefragt, warum das so ist und habe für mich zwei wesentliche Antworten gefunden – vermutlich gibt es viel mehr, aber ich hab ja hier auch nicht soviel Zeit 🙂

  1. Damals glaubten die Menschen noch grundsätzlich an eine postitive Zukunft und dass man auf dem richtigen Weg war, es ging um eine inhaltliche Abstimmung zu einer Sachfrage (auch wenn Kreisky versucht hat, daraus Kapital zu schlagen),
  2. damals hatten die Menschen noch weitgehend Vertrauen in die Politik und die politischen Institutionen.

Beides ist heute anders.

Erstens ist das Vertrauen in die Politik und die entsprechenden Institutionen schwer beschädigt – und das zu recht, wir kennen alle Beispiele dafür. Ich denke nur daran, dass zB die Brexit-Befürworter in England gar keinen Plan hatten, was sie machen wollten, wenn sie gewinnen. Das war ein reines Glücksspiel, ein Machtpoker auf Kosten der Menschen.

Und zweitens geht es heute in allen Abstimmungen und Wahlen nicht oder nur in marginalem Ausmaß um die Sachfragen. Es geht immer zugleich um grundsätzliche Richtungsentscheidungen, wohin sich unsere Gesellschaften entwickeln sollen. Um solche grundsätzlichen Entscheidungen zu treffen, braucht es aber ganz andere demokratische Instrumente, als wir sie heute haben, man kann sie vor allem nicht mit solchen knappen Mehrheiten treffen, denn natürlich verliert man dabei die zweite Hälfte der Menschen, die finden sich dann bei den Rechten wieder. Und daraus entsteht die Polarisierung, die heute den Eindruck der tiefen Spaltung unserer Gesellschaften erwecken.

Noch einmal Szenenwechsel: Ich persönlich habe mich, wie viele von euch wissen, in den letzten Jahren sehr intensiv mit Alternativen zum bestehenden Wirtschaftssystem beschäftigt und viele tolle Ansätze und Projekte kennen gelernt. Dabei ist mir mehr und mehr klar geworden: egal, ob es um den Klimawandel geht, um Ernährungssouveränität, eine Energiewende, die soziale Ungleichheit, die Zukunft der Arbeit oder den Umgang mit Flüchtlingen – in welche Richtung sich die Dinge entwickeln, ist in erster Linie eine Frage, wie in unseren Gesellschaften Entscheidungen getroffen werden, wessen Bedürfnisse dabei gehört werden und welches Wissen für diese Entscheidungen herangezogen wird.

Und da tut sich unglaublich viel. Es gibt eine Unzahl selbstorganisierter Initiativen bis hin zu den schon im Zitat genannten großen soziale Bewegungen. Diese sind ein klarer Ausdruck der Unzufriedenheit von BürgerInnen mit richtungweisenden politischen Entscheidungen und sie bilden auch Foren, in denen mit partizipativen Methoden an Alternativvorschlägen gearbeitet wird, in denen unterschiedliche Meinungen Platz haben und Menschen sich gegenseitig zuhören. Das ist so die Dynamik an der Basis.

Gleichzeitig erleben wir bei vielen Menschen und in vielen Organisationen ein gesteigertes Interesse an Räumen für respektvollen Dialog und an Instrumenten und Methoden für tragfähige und nachhaltige Entscheidungsprozesse. Soziokratie, systemisches Konsensieren, Open Space Konferenzen und Barcamps, Art of Hosting und Salongespräche erleben einen Boom. Das ist die Ebene der Organisationen.

Und schließlich gibt es von Verwaltung oder Politik initiierte positive Beispiele der „echten Beteiligung“ von BürgerInnenräten bis BürgerInnenbudgets. Beispiele finden sich im vorigen Post am Ende. Die Erfahrung zeigt, dass solche kollektiven Entscheidungen – sofern sie unter den richtigen Bedingungen getroffenen werden – oft besser und konsensfähiger sind, als Entscheidungen von ExpertInnen oder InteressensvertreterInnen.

Die Fragen, die mich beschäftigen sind:

Wie können wir dieses enorme Potenzial das schon da ist, gesamtgesell-schaftlich wirksam werden lassen?
Oder, anders formuliert, welche Bedingungen sind notwendig, damit wir zukunftsfähige Lösungen auf die anstehenden Herausforderungen finden, die viele Menschen mittragen können und die auch die Bedenken derer aufnehmen, die den Lösungen nicht zustimmen können und wie können wir diese Entscheidungen auch partizipativ umsetzen?

Und ich habe natürlich einige Überlegungen dazu angestellt, habe aber keine fertigen Antworten, einige dieser Überlegungen finden sich im vorigen Beitrag, ich schließe jetzt mit einer Werbeeinschaltung:

Es gibt eine Initiative einiger Menschen, zu denen auch ich gehöre, die sich zum Ziel gesetzt haben, solche Methoden und Instrumente der Entscheidungsfindung auf allen politischen und gesellschaftlichen Ebenen vorantzutreiben, wir sprechen von partizipativer Gesellschaftspolitik und nicht so gerne von Demokratie. Dazu wird es im November eine Konferenz geben, zu der wir heute schon einladen, man kann das Projekt auch finanziell und durch Mitarbeit unterstützen. Und die Einladung zu Teilnahme und Unterstützung wiederhole ich an dieser Stelle :)!