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Unsere Werte? Nein, danke!

Ich muss jetzt einmal Dampf ablassen, diese Wertediskussion geht mir so auf den Hammer!

Von links bis rechts sind sich plötzlich alle einig, dass die Flüchtlinge, die jetzt kommen, sich integrieren und an „unsere Werte“ anpassen müssten. Ich frag mich die ganze Zeit, was bitte sind das für Werte und wer ist das „wir“?? Ich glaube nicht, dass es irgendwelche Werte gibt, die ich mit allen ÖsterreicherInnen, Deutschen oder EuropäerInnen teile. Ich glaube, dass ich mehr Werte mit der afghanischen Familie teile, die ihr Land verlassen hat, weil sie möchte, dass ihre Tochter frei aufwachsen kann oder der syrischen Akademikerfamilie aus Aleppo, die keineswegs freiwillig ihre Heimatstadt verlassen hat und hier dringend so schnell wie möglich wieder ein normales Leben leben möchte (konkrete Menschen, keine fiktiven Beispiele), als mit vielen ÖsterreicherInnen und nicht einmal nur den ganz Rechten.

Aber unabhängig davon hab ich noch ein paar Fragen: wo bleiben diese angeblich so wichtigen und von allen geteilten Werte, wenn es um Außenhandelspolitik geht, um das Abdullahzentrum (es wird ja in Saudiarabien eh nicht jeden Freitag jemand geköpft) oder wenn es um Investoren aus dem arabischen Raum geht? Wenn nur Geld ins Land kommt, dann sind die Werte offensichtlich egal – ist es das, was die Flüchtlinge möglichst rasch lernen sollen?

Oder: Diese angeblich so unverzichtbaren westlichen Werte haben unsere Regierungen offensichtlich nicht daran gehindert, im nahen Osten Konflikte zu schüren und Kriege vom Zaun zu brechen, um den Zugang zu Rohstoffen zu sichern. Es ist offenbar auch mit diesen Werten vereinbar, dass der Westen nach wie vor auf Kosten der Länder lebt, aus denen – eben als Folge dieser Ausbeutung – nun immer mehr Menschen zu uns kommen. Es ist offenbar auch mit diesen Werten vereinbar, die ökologischen Grenzen unserer Erde zu missachten und damit die Lebenschancen der nächsten Generationen zu reduzieren. Wollen wir wirklich, dass die Menschen, die jetzt zu uns kommen, diese Werte übernehmen?

Oder: seit Jahren kritisieren viele Menschen, gerade aus linken, progressiven und sich für emanzipatorische haltenden Milieus, dass unsere Gesellschaft krank sei, Menschen krank mache, emanzipatorische Entwicklung verhindere, Egoismus fördere, Solidarität schwäche, usw. Und nun plötzlich scheinen vielen von ihnen die Werte dieser – angeblich kranken – Gesellschaft schützenswert? Also, noch einmal, welche Werte?

Meist wird dann die Freiheit von Frauen und die Haltung zu Homosexualität genannt. Da sollten wir aber nicht vergessen, dass wir damit auch in Österreich selbst in einer Minderheit sind. Ich denke, das Frauenbild der meisten Anhänger von FPÖ oder dem Team Stronach unterscheidet sich nur marginal von dem eines Teils der jungen Nordafrikanischen Männer in Köln, Wien oder sonstwo. Dass sich die gleichen Männer nun plötzlich für die Rechte der Frauen stark machen, die noch vor wenigen Monaten meinten, ein Griff an den Po müsse doch erlaubt sein, ist wirklich Zynismus pur. Und natürlich geht es dabei nur um „unsere“ Frauen (die das vermutlich auch nicht selbst definieren dürfen, ob sie wirklich unter diese Kategorie Frauen fallen wollen), denn ich habe noch nie gehört, dass sich diese selbsternannten Verteidiger der Frauenrechte schon einmal gegen die sexuelle Gewalt an weiblichen Flüchtlingen stark gemacht hätten. Oder gegen die Werbung, die noch immer in hohem Maß auf halbnackte Frauen setzt. Also, dass es allen Menschen um die Rechte von Frauen und Homosexuellen ginge, wenn von „unseren geteilten europäischen Werten“ gesprochen wird, damit lügt sich eine kleine selbsternannte Elite selber in die Tasche. Die Mehrzahl der Menschen meint mit „unsere Werte“ etwas ganz anderes, vielleicht eher sowas wie „Hände falten, Goschn halten“, oder Schnitzel und Bier oder …

Unsere westlichen Gesellschaften werden sich durch die Zuwanderung, die auch in den nächsten Jahren noch anhalten wird, ändern, das steht außer Frage. Dass solche Veränderungen, von denen wir noch nicht wissen, wo sie hingehen werden, Angst hervorrufen können, ist verständlich. Wovor man dabei mehr Angst haben muss, vor dem „Fremden“ oder vor den rechten, repressiven und durchaus auch frauenverachtenden und homophoben Gruppierungen, die derzeit immer mehr Gewicht in unseren Gesellschaften bekommen, muss jede/r für sich selbst entscheiden. Ich für mein Teil finde den Rechtsruck in unserer Gesellschaft deutlich bedrohlicher als Menschen aus anderen Ländern. Unsere Gesellschaften müssten sich aber sowieso verändern, wenn sie lebenswert und zukunftsfähig werden wollen, was viele von denen, die jetzt unsere Werte schützen wollen, schon seit Jahren einfordern – warum nicht diese beiden Formen notwendiger Veränderung verbinden? Warum nicht sogar schauen, was wir von den Zuwanderern diesbezüglich möglicherweise lernen können? Warum also nicht aus den positiven Aspekten verschiedener Kulturen eine neue europäische Kultur machen? Und nicht so sehr zwischen „uns“ und den „anderen“ unterscheiden, sondern danach, was ist sozial und ökologisch wünschenswert?

Es gibt ja schon viele Stimmen, die in den Zuwanderern die Sicherung unseres Wohlstands für die Zukunft sehen, sei es als Arbeitskräfte oder als Garanten für Pensionen in einer alternden Gesellschaft. Das ist aber immer noch sehr an „unseren Werten“, nämlich den finanziellen orientiert. Einen erfrischend anderen Zugang zu dieser Thematik haben Ulrike Guerot und Robert Menasse in diesem Text in Le Monde Diplomatique gefunden:

Sie stellen dabei die Konzepte von Grenzen, Pässen und Staatsbürgerschaft überhaupt zur Diskussion und erinnern uns daran, dass diese Konzepte auch noch sehr jung und keineswegs „naturgegeben“ sind. Im Gegenteil, man könnte denken, dass uns die zur Aufrechterhaltung dieses Systems notwendige Bürokratie viel Geld und Energie kostet, die wir in wichtigere und für die alten und die neuen BewohnerInnen Europas dienlichere Dinge stecken könnten.

Ihren Vorschlag im letzten Absatz des Artikels, warum nicht einfach die Menschen ihre Siedlungen bauen zu lassen, wo sie ihre eigene Kultur hier in Europa weiter leben könnten, hab ich gestern in eine Diskussion mit ansonsten durchaus ähnlich gesinnten Menschen eingebracht und entrüsteten Widerspruch geerntet: willst du denn, dass hier bei uns die hart erkämpften Frauenrechte missachtet werden? Zum Thema Frauenrechte siehe oben – es macht aus meiner Sicht keinen Unterschied ob Frauenrechte von Österreichern, Deutschen oder Arabern missachtet werden. Ich finde es auch ziemlich daneben, andere Kulturen darauf zu reduzieren, wie ein Teil von ihnen mit Frauen umgeht, es kommen viele Menschen, vor allem Frauen, gerade wegen dieses Umgangs mit Frauen in ihren Ländern zu uns.

Und dann finde ich, muss man immer noch unterscheiden zwischen strafrechtlich relevanten Dingen und kulturellen Vereinbarungen. Vergewaltigung, Zwangsheirat, weibliche Genitalbeschneidung sind strafrechtliche Tatbestände, gegen die kann man vorgehen, ohne gemeinsame Werte beschwören zu müssen. Wenn sich die Community in Neu-Kundus bei mir um die Ecke dafür entscheidet, dass Frauen ein Kopftuch tragen sollen, dann kann ich damit leben. Oder dass man nicht halbnackt auf die Straße geht (auch Männer nicht) oder keine Werbung mit nackten Frauen haben will, dann würde ich mir vielleicht sogar überlegen, dorthin zu ziehen. Und wenn jetzt jemand sagt, dass vielleicht die Frauen ihre Wünsche in der Kopftuchabstimmung nicht adäquat einbringen konnten, dann mag das schon stimmen. Aber zumindest müssen die Frauen in dem Fall nicht mehr eine weite, anstrengende, lebensgefährliche Flucht auf sich nehmen (nebenbei, Vergewaltigung gilt meines Wissens bei uns keineswegs immer als Asylgrund, soviel zu „unseren Werten“, sind ja nur „ausländische“ Frauen, die vergewaltigt wurden), um diesem Regime zu entgehen, sondern sie müssten nur in den Bus steigen um ins nächste Dorf zu fahren, wo sie ohne Kopftuch leben könnten. Was ich sagen will ist, ich glaube, auf diese Weise könnten wir letztlich diese unseren Werte besser durchzusetzen, als mit Werteschulungen und Infofoldern, weil die Menschen einfach die Wahl haben könnten – Frauen und Männer.