Das ist der Titel eines Buches von Hilary Wainwright, vom Transnational Institute und Herausgeberin von Red Pepper. Sie stellt sich darin die Frage:
„Wie können öffentliche Mittel wirklich öffentlicher Kontrolle durch die BürgerInnen zugänglich gemacht werden, denen sie ja zugute kommen sollen, und denen sie im Grunde ihre Existenz verdanken? Wie kann „das Öffentliche“ wieder in die „öffentlichen Dienstleistungen“ Eingang finden und den Menschen reale Macht über öffentliche Ressourcen, auf die sie Anspruch haben, gegeben werden?“
Sie weiß natürlich, dass derzeit die Staaten im Interesse des Kapitals handeln und große Konzerne und internationale Wirtschaftsorganisationen die Politik weitgehend bestimmen. Sie meint aber, dass es möglich ist, dass wir uns den Staat wieder aneignen, dass wir erreichen können, dass nicht er uns, sondern wir ihn kontrollieren, dass er – wie wir in der Commons-Diskussion gerne sagen – vom autoritären, kapitalistischen Staat zum „Partner Staat“ werden kann.
Ich habe Hilary bei der Commons Konferenz im November 2010 in Berlin kennen gelernt. Uns hat die Frage zusammengeführt, ob und was die Idee der Commons zu einer Transformation und Restrukturierung des Sozialstaats beitragen kann. Wir haben dann einen Workshop darüber organisiert und weil ich mich ja lange mit dem Thema Sozialstaat beschäftigt habe, bevor ich bei den Commons gelandet bin, hat mich die Frage seither nicht mehr losgelassen und das Buch fand ich, wie schon im letzten Beitrag erwähnt, sehr inspirierend in dieser Hinsicht. In den ersten beiden Kapiteln geht es um eine Beschreibung der Ist-Situation und um die Vision, die dagegen gesetzt wird.
Nicht-staatliche Formen demokratischer Macht entwickeln
Die repräsentative Demokratie reicht auf jeden Fall nicht aus, um den BürgerInnen eine wirkliche Beeinflussung der Politik zu ermöglichen. Während sie nur alle paar Jahre ihre Stimme abgeben können, haben wirtschaftliche Interessensverbände und Medien ständigen Zugang zu politischen EntscheidungsträgerInnen. Es müsste eine andauernde, interaktive und transparente Beziehung geben zwischen den gewählten Mandataren und den Menschen, die sie vertreten sollen, so dass es keine öffentlichen Ausgaben geben kann, ohne öffentliche Kontrolle.
Auch Wainwright kritisiert, dass der Begriff Partizipation heute oft missbraucht wird um damit Regierungshandeln zu legitimieren und Ziele der Regierung von BürgerInnen absegnen zu lassen. Partizipation als Mittel zur Ruhigstellung von BürgerInnen gab es schon bei den Studentenprotesten Ende der 60er Jahre in Frankreich. Damals entstand das Bonmot: „ich partizipiere, du partizipierst, wir partizipieren, sie profitieren!“ Partizipation wurde zu einem Synomym für die Verschleierung von Machtfragen und die Ablenkung von substanzieller Systemkritik. Um das zu ändern ist es notwendig, dass BürgerInnen auch die Macht des „Agenda-Setting“ haben, also eigene Themen einbringen können und auch über die Rahmenbedingungen entscheiden unter denen der Prozess abläuft. Es geht also ganz klar um die letzte Stufe der Partizipation und möglicherweise schon darüber hinaus in Richtung Selbstorganisation.
Wainwright setzt sich für eine Erhaltung öffentlicher Güter und Dienstleistungen ein, sie will aber die Art des Sozialstaates, die wir derzeit haben – oder in den letzten Jahrzehnten hatten -, nicht „konservieren“. Heute stehen wir vor der Situation, dass durch die Verlagerung vieler Aktivitäten vom Staat auf den Markt, von der politischen auf eine technische Ebene, von öffentlicher Beteiligung zu professionellen Beratern, diese Dinge dem Einfluss der BürgerInnen entzogen werden. Wir sollten nicht zulassen, dass die Machtverschiebungen der letzten Jahrzehnte zugunsten des Finanzkapitals die fundamentalen Errungenschaften des Sozialstaates zerstören, nämlich dass die grundlegenden öffentlichen Güter und Dienstleistungen, die wir zum Leben brauchen, durch eine Umverteilung des Reichtums für alle zur Verfügung gestellt werden.
Dafür müssen wir, meint Wainwright, das Konzept der „öffentlichen“ Güter und Dienstleistungen stärken und dürfen es nicht auf den Staat reduzieren. Die Öffentlichkeit habe das Vertrauen in den Staat verloren, da er ein schlechter Treuhänder war. Deshalb gehe es nun darum, „nicht-staatliche Formen von demokratischer Macht“ zu entwickeln. Neue Demokratietheorien sollten sich an kreativen Praxisbeispielen orientieren, besonders an Initiativen, wo neue Organisationsformen entwickelt werden. Die Basis der Demokratie sind Organisationsformen, die es ermöglichen, dass die Kreativität jedes einzelnen zum Wohlergehen aller beitragen kann. Zentral für diese neuen Formen der Demokratie ist ein neuer Umgang mit Wissen und ein neues Wissenskonzept, darüber habe ich ja beim letzten Mal schon geschrieben. Ich denke, dass die empirische Arbeit zu Commons, die Ostrom und ihr Team leisten, genau in diese Richtung geht und da viel dazu beitragen kann.
Wainwright spricht von einer neuen „politischen Geografie“, was bedeutet, dass lokal und global keine Gegensätze sind, sondern das Lokale das Globale produziert – oder zumindest die Möglichkeit dazu hat. Das Lokale kann globale Beziehungen verändern, Beweis dafür sind die Erfolge der globalisierungskritischen Bewegungen, die in ihren lokalen Communities agiert und trotzdem globale Konzerne beeinflusst haben. Das bedeutet, dass jene lokalen Beispiele von „Demokratie von unten“ auch globale Bedeutung und Wirkung entfalten können.
Dabei „echte“ Partizipation von „falscher“ unterscheiden
Partizipation hat Konjunktur – in diversen Förderprogrammen von EU und anderen internationalen Organisationen ebenso, wie in Stadtentwicklugsprojekten, die doch meist nur der Erhöhung der Profite der Investoren dienen. Unter dem Begriff „Governance“ sollen alle Stakeholder an Entscheidungen und deren Umsetzung beteiligt werden, BürgerInnen haben dabei kaum die Macht, Wirtschaftspolitik, vor allem auf globaler Ebene, wirklich zu beeinflussen. Wainwright bezieht sich hier vor allem auf den von der Regierung Blair eingeschlagenen „dritten Weg“, von dem sie sagt, er versuchte sozialdemokratische Ziele mit neoliberalen Mittel zu erreichen. Wenn jedoch die Mitteln den Zielen widersprechen, sollte das immer Anlass zur Skepsis sein.
Verträge zwischen Stadtregierungen und Unternehmen in Public Private Partnerships sind für BürgerInnen nicht einsehbar und daher demokratischer Kontrolle entzogen. (Ein Beispiel wo BürgerInnen die Offenlegung durchgesetzt haben, ist der Berliner Wassertisch). Sie bemerkt allerdings, dass es derzeit wieder eine Tendenz zur Rekommunalisierung gibt, weil sich herausgestellt hat, dass die den öffentlichen Diensten eigenen Werte und Ziele nicht durch die Marktlogik zu erreichen sind.
In jedem Fall: wenn wir mit Begriffen wie „Partizipation“, „Einbeziehung“ oder „Empowerment“ konfrontiert sind, müssen wir immer fragen, woher sie kommen, in welchem politischen Kontext sie verwendet werden, innerhalb welcher Machtverhältnisse – sichtbarer und unsichtbarer – sie zum Einsatz kommen, von wem sie angewendet werden und für welche Zwecke. Und – gibt es auch Zwecke, die nicht auf den ersten Blick ersichtlich sind?
Eine Reise um die Welt auf der Suche nach neuen Formen der Demokratie
Die hat Wainwright in den Jahren 1999 bis 2003 unternommen. Begonnen hat sie in Porto Alegre, dann gab es drei Stationen in England, wo nach den Jahren des Kahlschlags öffentlicher Dienste unter Tony Blair der sogenenannte „New Deal for Communities“ für benachteiligte Stadtteile neue Möglichkeiten eröffnete und dann ging es nach Trondheim in Norwegen, nach Grottamare in Sizilien und und nach Sevilla. Nach einigen Jahren ist sie wieder gekommen, um zu sehen, wie sich die Experimente weiterentwickelt haben und das ist in diesem Buch festgehalten. Mehr darüber demnächst.