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Commons werden VON ihren NutzerInnen gemacht, nicht FÜR sie!

Bei den Diskussionen um die Commons wird immer wieder das Problem angesprochen, dass die Idee schwer vermittelbar ist, dass die richtigen Begriffe fehlen und, vor allem, immer wieder taucht die Frage auf, wie man denn die „wirklich Armen“ erreichen könnte. Was können wir denn für die machen?

Dazu kann ich nur sagen, es ist wichtig Begriffe, Theorien, Modelle und gute Argumente zu haben, damit wir uns auf politischer und wissenschaftlicher Ebene behaupten können. Und es ist auch richtig, dass alle diese Veranstaltungen hauptsächlich die Mittelschicht erreichen. Trotzdem, wir brauchen keine Commons für „die Armen“ zu machen. Commons waren von jeher die Sphäre der „Habenichste“, derer, die keinen Zugang zu anderen Formen der Existenzsicherung hatten, derer, die in der sozialen Rangordnung ganz unten waren. Und sie sind es auch heute noch. (Das heißt natürlich nicht, dass andere Menschen keine Commons nutzen oder sich aneignen). Den Bettlern, den illegalisierten MigrantInnen, den Obdachlosen aber brauchen wir Commons nicht zu erklären. Sie wissen, worum es geht und sie praktizieren es auch, es ist ihre einzige Überlebenschance – auch wenn sie vermutlich mit dem Begriff nicht viel anfangen könnten. Es sind eher diejenigen, denen es besser geht, die es oft zu anstrengend finden, Commons zu erhalten, oder denen die Bedeutung nicht mehr bewusst ist. Das Problem ist heute das gleiche wie häufig in der Geschichte: Commoning wird abgewertet, stigmatisiert, verächtlich gemacht oder gar kriminalisiert, darum können wir es nicht als solches erkennen und fördern, sondern wir wollen diese Formen der Selbstorganisation überwinden, weil sie uns minderwertig erscheinen.

Die Commoners von heute …

Da sind zum Beispiel die Grazer Bettler, sie sind vermutlich die am besten erforschten Bettler der Welt. Manche Stadtpolitiker wollen sie schon lange los werden, „organisiertes Betteln“ wird ihnen dann vorgeworfen, und das ist verboten. Ein Bettelverbot, so wird argumentiert, würde doch nur die Bettler vor denen schützen, die ihnen das Geld wieder abnehmen. Nun gibt es aber Untersuchungen, die zeigen, dass die Bettler sich zwar organisieren, dass das aber nicht durch jemand anderen passiert, dem sie unterstehen und für den sie betteln müssen. Sie machen das von selbst, sie kommen gemeinsam nach Graz und manche von ihnen legen am Abend ihr Geld zusammen und kaufen gemeinsam damit ein. Diese Art der Selbstorganisation sichert ihre Existenz besser ab, als wenn jeder auf sich alleine gestellt wäre, vermutlich wären sie jeder einzeln gar nicht in der Lage, nach Graz zu fahren. Das ist Commoning, diese Bettler machen und pflegen ihre Commons selbst, sie brauchen niemanden, der das für sie macht – und genau das ist es, was ihnen vorgeworfen wird, was dann als „organisiertes Betteln“ kriminalisiert wird. Unsere Aufgabe wäre, die Einhegung ihrer Commons zu verhindern, uns gegen ihre Kriminalisierung einzusetzen, denn damit gäben wir ihnen die Mittel in die Hand, sich selbst zu helfen. Die Proteste gegen das Bettelverbot in Graz gingen in diese Richtung, auch wenn die Motivation und Argumentation für diese Proteste bei den verschiedenen Gruppen sehr unterschiedlich und oft durchaus karitativ begründet sind.

Oder die MigrantInnen: auch die haben ihre Commons, in ihren Communities, ohne sie wäre es für sie kaum möglich, in unseren Ländern zu überleben. Aber auch das wird nicht gerne gesehen, häufig genug gegen sie verwendet, die wollen sich nicht integrieren, heißt es, die bleiben lieber unter sich. Ja, natürlich, denn dort haben sie ihre sozialen Netzwerke, gemeinsam ist es leichter, das Lebensnotwendige für alle heranzuschaffen. Aber das darf nicht sein, denn dadurch sind sie nicht so leicht auf dem Arbeitsmarkt verfügbar und entsprechend ausbeutbar.

… und ihre Commons

Ein anderes Beispiel: eine Frau bei der Veranstaltung in Bremen erzählte, in ihrer Stadt gäbe es jetzt viele Leute aus Bulgarien und die gehen mit ihren Kindern durch die Straßen und durchwühlen die Mülleimer. Für diese armen Menschen müsse man doch etwas tun, was kann denn Commons da bedeuten? Richtig, für die müssten wir etwas tun. Aber der Skandal ist nicht, dass sie in Mülleimern wühlen, der Skandal ist, dass Dinge in Mülleimer geworfen werden, die andere noch brauchen können, und vor allem auch jede Menge Lebensmittel. Auch das ist eine Einhegung von Commons und die Menschen, die sie aus den Mistkübeln holen, verteidigen ihre Commons, die machen das selber. Nicht Dumpstern ist kriminell, sondern es müsste gesetzlich verboten sein, Dinge in den Müll zu werfen, die andere noch brauchen können. Das durchzusetzen könnten wir mit ihnen gemeinsam tun. Es gibt ja auch Menschen, die das aus politischen Gründen machen, weil sie genau gegen diese Auswüchse der Konsumgesellschaft auftreten, nicht unbedingt, weil sie es sich nicht anders leisten können.

Heute geben ja Supermärkte manchmal das, was übrig bleibt, den sogenannten „Tafeln“ und dort wird es dann an „sozial Bedürftige“, abgegeben, macht diese wieder zu Almosenempfängern. Mit Hochglanzfoldern beworben, wo sich Supermarktketten ihrer sozialen Verantwortung rühmen. Aus Großzügigkeit und Wohltätigkeit geben sie etwas für die „Armen“ – und ein paar Hartz IV Empfänger kriegen noch einen Minijob dabei. (Eine Kritik an den Tafeln gibt es z.B. hier und hier). Nein, nicht Almosen für die Armen, sondern ein Recht der Armen auf die Commons, so müsste es sein. Was niemand mehr braucht, darf niemandem gehören, das muss anderen zur Nutzung überlassen werden, ohne Wenn und Aber – und die Organisation kann auch denen überlassen werden, die es brauchen. Wenn man bedenkt was täglich allein an Lebensmitteln weggeworfen wird, könnte das das Überleben vieler Menschen um vieles erleichtern. Es würde es die Existenz der Menschen sichern, die entweder im System keinen Platz habe oder sich ihm bewusst verweigern.

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, natürlich ist es noch nicht die Lösung, das Betteln zu erlauben und die Abfälle der Wohlstandsgesellschaft „den Armen“ zu überlassen. Aber es kann der Anfang der Lösung sein, weil der Rechtsanspruch den Menschen ihre Würde zurückgäbe, weil ihre Existenz gesichert wäre und sie ein Stück weit die Kontrolle über ihre Lebensbedingungen in die eigenen Hände nehmen könnten. Sie könnten aus dieser Position heraus selbst den nächsten Schritt machen. Die Nutzung von Commons ist ein Akt der Selbstermächtigung, das ist gefährlich für die Mächtigen, darum wird es um jeden Preis zu verhindern versucht.

Das Recht auf Commons kann nur kollektiv ausgeübt werden

Man sieht aber: nicht ein Bettler allein wird als Bedrohung erlebt, nicht einzelne MigrantInnen, nicht „die Armen“ als Einzelpersonen, denen hilft man gerne durch wohltätige Maßnahmen. Aber wenn sie sich zusammenschließen, wenn sie die Reichen und Mächtigen nicht mehr brauchen für ihre Existenzsicherung, wenn sie unabhängig werden, dann stellen sie eine Bedrohung dar. Denn dadurch erlangen sie ein Mindestmaß an Würde, Macht und Kontrolle zurück, sie sind nicht mehr so leicht kontrollierbar und nicht mehr so abhängig von den Almosen der Reichen. Das gilt noch viel mehr für illegalisierte Menschen. Viele einzelne „illegale“ Arbeitskräfte lassen sich leicht ausbeuten, aber wehe, sie organisieren sich! Darum sind das Recht auf Versammlungsfreiheit und das Recht sich zu organisieren essenzielle Menschenrechte, vielleicht sogar wichtiger, als die auf Nahrung oder Gesundheit, weil die ersteren es erst möglich machen, für die zweiteren zu kämpfen! Das Recht auf Commons ist immer ein kollektives Recht, das Organisierung verlangt, um seinen Zweck der Ermächtigung zu erfüllen.

Die Selbstermächtigung durch kollektive Aneignung und Nutzung von Commons, das ist aber auch ein wichtiger Grund dafür, dass Commons für die Herrschenden eine Bedrohung darstellen und immer umkämpft waren, häufig kriminalisiert wurden. Nicht erst seit der Durchsetzung des Kapitalismus, sondern schon in der Bibel gibt es unzählige Geschichten davon.

Das klassische und am besten bekannte Beispiel der Einhegung von gemeinsam genutzen Land und des Verschwindens der Rechte der Commoners im Zuge der Industrialisierung ist nur ein spezifisches Beispiel. Die Einhegung von Commons hat weder durch den Kapitalismus begonnen, noch hat sie jemals geendet. Daher ist es auch nicht richtig, Commons als veraltete, vormoderne Sozialform anzusehen, die der „Entwicklung der Produktivkräfte“ nicht mehr angemessen war und daher von der moderneren Marktwirtschaft abgelöst wurde.

Commons gibt es immer wieder neu, …

Jede gesellschaftliche und ökonomische Formation entwickelt ihre Form der Commons. Gewerkschaften, mit ihren vielfältigen Formen solidarischer Ökonomie von Versicherungen bis zu Einkaufsgenossenschaften, waren ein wichtiges Commons in der Zeit des Industriekapitalismus. Sie erreichten durch die umfassende Organisierung genug Macht, dass es fast 100 Jahre dauerte, bis diese gebrochen werden konnte (auch wenn Selbstorganisation dort schon lange keinen Platz mehr hatte, was dann eben auch dazu führte, dass sich neue, unabhänginge ArbeiterInnenorganisationen bildeten). Nicht umsonst war die Isolierung und Entsolidarisierung der ArbeitnehmerInnen durch die vielen verschiedenen Vertragsformen, durch Einzelvertäge, Praktika und Ich-AGs, ein wichtiges Instrument zur Entmachtung der Gewerkschaften bei der Durchsetzung des Neoliberalismus.

Allerdings ist der Umgang mit Commons nicht immer so klar und eindeutig, nicht immer sind alle Commons gleich gefährlich für die Herrschenden. Immerhin entheben Commons sie auch zum Teil der Verantwortung, für die Beherrschten sorgen zu müssen. Je nach gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Situation kann die Duldung von mehr oder weniger Commons durchaus im Sinne des Machterhaltes sein. Auch der Kapitalismus enteignet nicht nur Commons, sondern er braucht sie auch, er lebt davon. Das Kapital wäre ohne unbezahlte Arbeit nicht in der Lage Profite zu akkumulieren, nicht ohne die unbezahlte Versorgungsarbeit, aber auch nicht ohne Commons. Das ist ja auch ein Grund dafür, dass die Diskussion um die Commons heute wieder wichtig wird. Weil nämlich die Erosion der Commons mittlerweile schon das Kapital selbst bedroht. Wieviele und welche Commons jeweils geduldet werden, was an Selbstorganisation jeweils erlaubt ist, hängt, so denke ich, von der jeweiligen Phase der wirtschaftlichen Entwicklung ab.

… aber, wem nützen sie?

Ein gutes Beispiel ist der von Foucault beschriebene Übergang vom Merkantilismus zur Lehre der Physiokraten. Hungersnöte waren für die Herrscher lange Zeit eine Bedrohung, weil die Macht des Landes dadurch ebenso geschwächt wurde, wie ihre Legitimation als Herrscher. Der Merkantilismus versuchte, Hungersnöte durch detaillierte Regelung des Kornanbaues, der Lagerung und des Verkaufs zu verhindern. Es gelang nicht. Auf Grund der strengen Regeln, war das System viel zu wenig flexibel. Die Physiokraten hingegen meinten, man müsse einfach die Lebensmittelproduktion und den Verkauf sich selbst regeln lassen. Der „freie Kornumlauf“ war schließlich die Methode, die großflächige Hungersnöte am besten verhindern konnte. Der freie Kornumlauf ermöglichte einerseits die Selbstorganisation des Marktes, der flexibel reagieren konnte, auf jeden Fall aber auch die Selbstorganisation von unten, die nicht mehr durch strenge Gesetze beschränkt wurde. Mehr Freiheit konnte also der Sicherung der Macht des Herrschers dienlich sein.

Oder: am Beginn des Fordismus, als es noch galt, erst einmal Nahrung für alle zu beschaffen, da war es durchaus noch hilfreich, wenn die ArbeiterInnen einen Schrebergarten hatten oder eine Nebenerwerbslandwirtschaft. Mit zunehmender Sättigung des Bedarfs wurde es immer wichtiger, dass die Menschen alles, was sie brauchten, auch kaufen mussten und dass sie auch neue Bedürfnisse entwickelten, die in Bedarf verwandelt werden konnten. Die Schrebergärten wichen den neuen Wohnsiedlungen, die praktischerweise auch durch den steigenden Wohlstand der Arbeiterklasse notwendig wurden, und damit wurden die Menschen gleich dreifach abhängiger von Lohnarbeit und Markt: durch die höheren Mieten, weil sie alle Lebensmittel kaufen mussten, und weil sie nun auch für ihre Freizeitgestaltung Geld brauchten. Auch die Nebenerwerbslandwirtschaften wurden immer unrentabler, weil ja der Absatz der industriellen Landwirtschaft gesichert werden musste. Und heute, in Zeiten einer existenziellen Überproduktions- und Unterkonsumtionskrise des Kapitals, ist es besonders wichtig, dass Menschen jede Möglichkeit genommen wird, außerhalb des Marktes ihre Existenz abzusichern. Daher auch die aktuelle Kriminalisierung jeglicher Form von Subsistenzwirtschaft, indem man jeden kleinsten Bauern den gleichen Regeln unterstellt wie große Nahrungsmittelkonzerne, oder indem man die Weitergabe von Saatgut oder den Verkauf von Heilkräutern verbietet, usw. Und die zunehmende Kriminalisierung von Bettlern, Hausbesetzern, Obdachlosen, allen die halt versuchen, außerhalb des Marktes zu überleben, ob freiwillig oder gezwungenermaßen.

Commons der Wissensgesellschaft

Andererseits zeigt sich aber offensichtlich, dass in einer Zeit wo die Produktion immer mehr dezentralisiert wird, wo Wissen – und ständig sich änderndes Wissen – ein wichtiger Produktivfaktor wird, es nicht länger sinnvoll ist, dieses Wissen zu monopolisieren. Mehr und mehr setzt sich die Einsicht durch, dass Patente auf geistiges Eigentum die Forschung eher behindern als fördern, dass es Arbeitskräfte produktiver macht, wenn man – wie die Physiokraten das Korn – das Wissen frei zirkulieren lässt. Wissenscommons scheinen, zumindest in gewissen Ausmaß, durchaus nützlich für die Kapitalakkumulation zu sein. Natürlich gibt es da auch noch Gegenwehr, es leben ja auch noch viele vom Eigentum auf Wissen, aber der Trend lässt sich nicht übersehen.

Wenn sich nun immer häufiger Formen freier Wissensorganisation durchsetzen, so heißt das durchaus nicht automatisch, dass sich die Produktionsverhältnisse grundsätzlich ändern, dass sich Wissenscommons und Peer-Produktion sozusagen „von selbst“ durchsetzen würden, weil sie „besser“ seien, sich das auch auf die materielle Produktion ausdehnen würde und das dann zur Überwindung des Kapitalismus führt. Eher denke ich, dass es eine neue, dem aktuellen Entwicklungsstand der Produktivkräfte und dem aktuellen Produktionsmodus angemessenere, Form der Ausbeutung ist.

Genau so, wie die in den 70er und 80er Jahren geforderte Autonomie in der Arbeitswelt heute eine Form angenommen hat, die dem Kapital nützt, weil Menschen sich selbst effizienter ausbeuten, als es jeder Chef kann, kann auch die Peer-Produktion so eingesetzt werden, dass sie der Profitmaximierung dient und dem Kapital nützt. Weil die Arbeiter zwar lustvoller und motivierter arbeiten, aber für die Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse immer noch vom Kapital abhängig und daher ausbeutbar sind.

Allerdings, weil die Wissensarbeiter, die auf diese Weise kooperieren, nicht mehr innerhalb des Arbeitsprozesses kontrolliert werden können, muss die Kontrolle über den Konsum, bzw. über den Zugang zu lebensnotwendigen Ressourcen erfolgen, es müssen alle materiellen Commons enteignet werden. Es einerseits fast unmöglich zu machen, irgend etwas außerhalb des Marktes zu erwerben, andererseits die Arbeitsbedingungen immer prekärer zu machen, damit der Druck auf die Wissensarbeiter, das Wissen im Sinne des Kapitals zu nutzen, steigt, ist eine effiziente Methode der Kontrolle scheinbar autonomer Arbeitskräfte, die noch dazu in globalen Netzwerken ihr Wissen teilen und so ganz freiwillig immer auf dem neuesten Stand halten. Die zunehmende Prekarisierung, der bei ihrer Arbeit angeblich so freien, autonomen und miteinander kooperierenden WissensarbeiterInnen ist ein deutliches Signal für diese Entwicklung. Es gibt meiner Meinung nach einen klaren Zusammenhang zwischen der zunehmenden Bedeutung von immateriellen Commons und der verstärkten Einhegung materieller Commons.

Die Wissenscommons dienen daher keineswegs immer automatisch der Ermächtigung der WissensarbeiterInnen, im Gegenteil, die Arbeitsbedingungen werden immer entwürdigender. Die Tatsache, dass gemeinsame Nutzung von Wissen effizienter ist, als Privatisierung von Wissen, bedeutet per se noch nicht, dass sich die Logik der Commons so durchsetzt, dass sie zur Ermächtigung der Commoners beiträgt. Von dieser Effizienz kann auch zuerst einmal das Kapital profitieren. Es handelt sich dann, wie manche sagen, um „verzerrte“ Commons.

Das Problem ist, dass wir vom Wissen, von der freien Software, auch vom Open Source Drucker, nicht satt werden. Nur wenn es möglich ist, durch Commons die grundlegenden Bedürfnisse abzudecken, machen sie uns ausreichend unabhängig vom System, um uns Würde, Macht und Kontrolle über unsere Lebensbedingungen zurückzugeben. Das zumindest können wir von den Bettlern und den Mistküblern lernen – und nicht sie von uns! Wir müssen unsere Commons ebenso selber machen. Die Wissenscommons können dazu durchaus beitragen, das kann aber nur in jeden Fall spezifisch beurteilt werden.

9 thoughts on “Commons werden VON ihren NutzerInnen gemacht, nicht FÜR sie!

  1. Warum machst du auf einmal einen Dualismus auf zwischen sog. »immateriellen« und »materiellen« Commons auf? Was überhaupt soll das sein? Ich dachte Commons sind gerade nicht die Güter selbst, sondern eine soziale Form, die Beschaffenheit also nur ein Aspekt?

    Wieso erklärst du mit einem Mal die Peer-Produktion zu einer neuen Form der Ausbeutung? Das behauptest du so locker und abwertend, aber wie begründest du es? Jetzt sag nicht, PP nutze dem Kapital, das wäre doch allzu flach. Worin besteht die Ausbeutung? Ich verstehe es nicht.

    Ist es nicht so, dass das Kapital stets und immer alle Commons nutzt und nutzen muss, um sich zu reproduzieren? Die Bettler-Commons wie die Peer-Produktion (sind die Bettler-Commons nicht auch eine Form von Peer-Produktion?). Das ist eine rhetorische Frage, denn du schreibst es ja vorher selbst. Umso unverständlicher ist für mich, dass du danach das vergisst.

    Die Frage »wem nützt es« ist eine gefährlich Blick verengende und personalisierende Frage. Es ist eine falsche Frage, bringt Dualismen ins Spiel, wo es um Widersprüche geht, fordert zu falschen Einseitigkeiten auf, wo es zuerst mal um das Verstehen der Widersprüche und unserer Eingebundenheit darin geht.

    Im übrigen bin ich immer noch der Meinung, dass Genossenschaften kein Commons sind, sondern kapitalistische Unternehmen. Das ist aber eine andere Erkenntnis-Baustelle, die mich jetzt hier nicht so beschäftigt hat.

    Die paar Einwände betreffen nur einen ganz kleinen Teil des ansonsten sehr schönen Artikels. Ihr Herauspicken erzeugt ein schiefes Bild. Aber ich will sie genannt haben.

  2. Ich schreib jetzt einmal gar nicht so viel dazu, ich finde es ok, dass du die Punkte herausgepickt hast, die dich stören, ich mach das ja auch ;-).

    Ja, natürlich sind commons eine soziale Form, aber es macht aus meiner Sicht – und meiner ganz konkreten persönlichen Situation – einen Unterschied, welche Ressourcen wir zu Commons machen, ich würde das nicht als Dualismus sehen, eher als Pluralismus. Ob ich eben davon leben kann oder nicht, ganz simpel, aber existentiell. Und da sind die Bettler uns Wissensarbeitern voraus. Ich bin eben sehr skeptisch gegenüber dieser Idee, diese Produktionsweise könne sich durchsetzen, weil sie „besser“ ist, ich bin da nicht so optimistisch und wollte das auch einmal sagen. Und irgendwann, wenn ich Zeit habe, noch einmal ausführlicher begründen.

    Aber die Kurz-Begründung hab ich ja geschrieben – wenn Wissen frei sein muss (zumindest zum Teil), weil es die Akkumulation begünstigt, dann muss Essen eingehegt werden, weil die Arbeit ansonsten nicht mehr kontrollierbar ist. Gerade das wollte ich damit aussagen: dass eben das Kapital nicht zu jeder Zeit alle Commons gleich ausbeutet, bzw. manche ausbeutet und andere verbietet und dass sich das verändert mit den Transformationen der kapitalistischen Produktion und der damit zusammenhängenden Regierungsrationalitäten.

    Und ich glaub immer noch – und immer mehr -, dass die Unterscheidung zwischen Commons und solidarischer Ökonomie müßig ist, es ist eher eine Frage der persönlichen Präferenz und der Strategie, welchen Begriff man wählt ;-).

  3. So, jetzt noch mal mit hoffentlich mehr morgendlicher Klarheit:

    Ich wollte nicht polarisieren zwischen „den“ immateriellen un „den“ materiellen Commons. Diese Dualität gibt es sicher nicht. Es gibt eine Vielzahl von Commons mit unterschiedlichen Ressourcen, der derzeitige Trend gilt auch nicht für alle „immateriellen“ Commons, sondern eher für industrielle Patente. Wenn es z.B. um Musik oder Filme geht, da tobt der Kampf um Eigentumsrechte ja gerade extrem, aber da sehen wir eben auch das Problem: wenn wir künstlerische Produkte frei zugänglich machen wollen, wovon leben dann die KünstlerInnen? Aber wenn wir z.B. von öffentlichem Raum reden, von Gesundheitssystem und Bildung, sind ja materiell und immateriell gar nicht zu trennen, da gehört immer beides zusammen.

    Commons sind eine soziale Form und eine soziale Praxis, die sich immer in einem spezifischen Verhältnis zum Kapital befindet und in einem Verhältnis zum Staat als politischem Regierungsinstrument (das derzeit die Interessen des Kapitals absichert, aber das muss nicht immer so sein).

    Commons haben sowohl das Potential, der Akkumulation des Kapitals zu dienen, indem sie Produktionsmittel, Wissen oder Arbeitskraft, gratis oder günstig zur Verfügung stellen. Das nenne ich Ausbeutung der Commons durch das Kapital. Sie haben aber auch das Potential, die Menschen, die Commons herstellen, unabhängiger von den kapitalistischen Produktions- und Verwertungszusammenhängen zu machen, weil sie ihnen ermöglichen, ihre Grundbedürfnisse jenseits des Marktes zu befriedigen.

    Commons haben, weil sie kollektives Handeln erfordern, auch das Potential die Machtposition ihrer NutzerInnen gegenüber dem Staat zu verbessern, darum werden sie von Regierungen oft als Bedrohung gesehen. Es kann aber auch die Legitimation von Regierungen erhöhen, wenn sie die Herstellung und Erhaltung von Commons unterstützen.

    Commons können natürlich nie alle diese Potentiale gleichmäßig und gleichzeitig entfalten. Was ich denke ist, dass es von den gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen abhängt, welche Commons welches Potential entfalten. Dass es also zu jeder Zeit eine bestimmte Kombination von Commons gibt, die zugelassen und ausgebeutet werden, weil sie dem System nützen, die unterstützt werden, weil sie die Legitimation einer Regierung stärken und solche, die enteignet, also privatisiert, oder verboten und kriminalisiert werden, weil sie das System bedrohen. Das hängt mit sozialen Kämpfen zusammen, aber auch mit den Interessen der Herrschenden.

    Die These, die ich in meinem Beitrag oben ausdrücken wollte ist, dass mit zunehmender Bedeutung von Wissen als Produktionsfaktor, es sich herauskristallisiert hat, dass es für die Kapitalakkumulation effizienter ist, einen bestimmten Wissensbereich als Commons zu behandeln. Wir beobachten daher eine Stärkung von bestimmten Wissenscommons, aber gleichzeitig eine zunehmende Einhegung und Kriminalisierung von anderen Commons, die für die Befriedigung grundlegender Bedürfnisse nötig sind. Das interpretiere ich so, dass verhindert werden soll, dass diese Commons, vor allem im Kombination, ihr Potential zur Stärkung der politischen Machtposition entfalten können.

    Da wir uns immer in dieser ambivalenten Situation befinden, d.h. in allem unserem Tun immer beide Potentiale enthalten sind, emanzipatorische und systemerhaltende (das gilt für die solidarische Ökonomie genau so), halte ich die Frage, „Wem nützt es?“, oder besser „Wem nützt es mehr?“ für zentral, wenn es um soziale Veränderung geht. Dienen die Commons, die wir herstellen, nur dazu, Arbeitskraft oder Wissen billiger zur Verfügung zu stellen, oder versorgen sie uns mit lebensnotwendigen Dingen, und schaffen uns einen Freiraum, in dem wir Alternativen entwickeln können? Können wir Ressourcen von Markt oder Staat abziehen, um damit unsere Commons zu stärken? Und, auch wenn wir die Commons nicht „essen“ können, verbessern sie unsere Machtposition gegenüber dem Staat? Letzeres scheint mir z.B. für freie Software und soziale Netzwerke eine relevante Frage. Aber diese Fragen können eben immer nur für eine konkrete Situation beantwortet werden und für eine solche Beurteilung kann es schon sinnvoll sein, analytisch zwischen materiellen und immateriellen Commons zu unterscheiden.

    Und zum Schluss noch O-Ton einer Kellnerin in einer Konditorei in Salzburg:
    „wir haben strikte Anweisung, nach Küchenschluss unverzüglich alles wegzuschmeißen – und zwar ausnahmslos.“

    Das erinnert an das „Maultaschenurteil“.

  4. An bestimmten Punkten ist es aus meiner Sicht unverzichtbar zu differenzieren. Zwar kann man allgemein von _dem_ kapitalistischen System und _der_ Kapitalakkumulation sprechen oder gar von _dem_ Kapital sprechen, wenn man sich analytisch auf einer gesamtgesellschaftlichen Ebene bewegt. Trotzdem sind das keine tatsächlich handelnden Entitäten, sondern analytische (Zusammen-)Fassungen, die wir herstellen. Es gibt nicht _das_ Kapital (_die_ Kapitalakkumulation etc.), sondern derer viele mit jeweils unterschiedlichen Interessen. Die Koinzidenz von Nutzung dieser Commons und Einhegung jener Commons ist keine von einer Zentrale, von »dem Kapital«, ausgeheckten Strategie, sondern Ergebnis der bornierten Einzelinteressen der Einzel-Kapitale. Das Landgrabbing hat systematisch _nichts_ mit ein partiellen Nutzung von Wissens-Commons zu tun (das sollte man im übrigen auch nicht überschätzen: Nach wie vor kämpft »das Kapital« mehrheitlich verbissen um die Verschärfung der Immaterialgüterrechte, vgl. jüngst erst wieder der Vorstoß von Microsoft).

    Eine Abwertung der PP oder anderer Commons im Informations- und Wissenssektor wie sie etwa sehr stark von Massimo de Angelis betrieben wird, ist total unangebracht, spalterisch und inhaltlich für mich nicht nachzuvollziehen. Mir schien, dass du in die gleiche Kerbe hauen wolltest — dein Kommentar relativiert das jedoch wieder.

    Wenn du schreibst, »Commons sind eine soziale Form und eine soziale Praxis«, dann bedeutet das doch, dass eben das als _Wesen_ der Commons bestimmt wird. Das bedeutet jedoch, dass es von untergeordneter Bedeutung ist, auf welcher Ressourcen-Grundlage dies geschieht und welche Beschaffenheit diese Ressourcen haben. Es war doch gerade unsere große Leistung, herausgearbeitet zu haben, dass es eben _keinen_ wesensmäßigen Unterschied zwischen den verschiedenen Commons gibt. Dies zu erkennen, schließt ein, dass die je _besonderen_ Commons eben gleichen Wesens sind. In ihrer je eigenen Besonderheit — und da geht’s nicht nur um die Beschaffenheit der Ressourcen, sondern um weitere Dimensionen mehr — sind sie dennoch einander darin gleich, dass sie prinzipiell die gleiche neue soziale Form konstituieren können. Hinter diese Erkenntnis sollten wir nicht zurückfallen.

    Im übrigen habe ich nicht von »Solidarischer Ökonomie« gesprochen, wie du in deinem ersten Kommentar meinst. Ich unterscheide hier tatsächlich deutlich, weil Commons für mich erstmal gar nichts mit Ökonomie zu tun haben, weder mit »solidarischer« noch »ordinärer«. Deswegen teile ich auch nicht, dass Commons »sich rechnen«, wie Silke das in ihren Kommunalthesen schreibt (ich habe ihr einen Kommentar dazu eingetragen). Es handelt sich um eine kategorial unmögliche Aussage, etwa wie: »Zu Fuß ist es kürzer als über den Berg«.

    Irgendwie habe ich das Gefühl, wir brauchen mal ein intensives Seminar, um diese vielfältigen Fragen in Ruhe durchgehen zu können.

  5. Ah, vermutlich hast du Genossenschaften=SoliÖkonomie gesehen, fällt mir jetzt auf. Aber auch das würde ich nicht gleichsetzen.

  6. Ja, erstens, ein intensives Seminar wär wirklich super.

    Zweitens: ich halt es nicht für notwendig und nicht für machbar, dass wir alle (vor allem, wer sind denn alle?) uns auf eine Sichtweise und einheitliche Begriffe einigen.
    Z.B. ob Commons etwas mit Ökonomie zu tun haben, hängt davon ab, wie man Ökonomie definiert. Es ist mir auf der Winterschool solidarische Ökonomie nicht gelungen, einen substanziellen Unterschied zu erkennen, zwischen unserem Diskurs zu Commons und deren Diskurs zu solidarischer Ökonomie, es geht aber auch nicht sie zueinander schlüssig in Beziehung zu setzen. Das sind einfach unterschiedlich motivierte Diskurse zum gleichen Thema, die man gut nebeneinander stehen lassen kann, ohne Dinge immer der einen oder anderen Schublade zuordnen zu wollen, Das gleiche trifft auch auf den Begriff Subsistenzwirtschaft zu und es gibt sogar Leute, die sagen, der Überbegriff für das alles sei Permakultur (als Abkürzung für permanent culture und nicht auf Landwirtschaft beschränkt). Und alle meinen das Gleiche. Ich sehe keinen Grund warum man endlos Zeit dafür verschwenden sollte, dass sich alle auf die gleichen Begriffe einigen, dass man alle diese Zugänge systematisiert, ich denke, es kommt auf den Inhalt an.

    Und drittens: ich habe tatsächlich einen sehr ähnlichen Zugang wie Massimo, wenn ich auch nicht digitale und materielle Commons gegeneinander ausspielen möchte, weil ich eben finde, dass man sich das für jeden Fall spezifisch anschauen muss, wie oben beschrieben. Aber ich stimme ihm zu, dass wir in der Lage sein müssen, unsere Grundbedürfnisse über Commons zu decken, wenn sie ihr emanzipatorisches Potential entfalten sollen, und ich stimme ihm zu, dass es dabei um eine Machtfrage geht und nicht darum, ob Commons „besser“ sind als die Marktlogik, Auch dazu will ich was schreiben, aber jetzt hab ich grad ein anderes Projekt am Laufen :-).

  7. Ach ja, über das mit dem „sich rechnen“ der Commons, hab ich mit Silke auch diskutiert ;-). Aber das würden die Solök-Leute genau so sehen.

  8. Ok, dann warte ich mal auf deinen neuen Post, keine Hektik 🙂

    Ich finde nämlich tatsächlich, dass die Commons _besser_ die Bedürfnisse der Menschen befriedigen können — also besser als die Marktlogik sein — müssen, um sich durchzusetzen. Das ist aus meiner Sicht die Voraussetzung, um überhaupt an so etwas wie die Machtfrage herankommen zu können. Diese These von mir also schon mal vorab mit auf den (Nachdenk-) Weg 🙂

    Ich habe noch nicht verstanden wie die Solök-Leute es »genauso« sehen würden: so wie du, so wie Silke, so wie ich?

  9. Die Solök-Leute aus Villach würden sich gegen das „sich rechnen“ auch wehren :-).

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