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If there’s no good food, it’s not my revolution

So lautete das Motto, unter dem das Lagereröffnungsfest unserer Foodkoop stand und signalisierte damit, welcher Geist dahinter steht und dass sie keine Konkurrenz zum benachbarten Bioladen darstellt, auch wenn dessen Besitzer das nach wie vor befürchtet und nicht wirklich verstanden hat worum es geht. Emma Goldman, an deren Aussage „If I cannot dance, it’s not my revolution“ sich das Motto anlehnt, ist ihm vermutlich kein Begriff und auch wenn wir in vielem ähnliche Ziele haben, so sieht er eben keine Alternative dazu, diese über Marktmechanismen und den Sozialstaat zu verfolgen. Wir sehen es eher so, dass wir mit unterschiedlichen Mitteln ähnliche Ziele verfolgen und würden uns eine gute Zusammenarbeit wünschen, vielleicht wird’s ja noch.

Vorerst aber bleibt er bei seinem Vorwurf, dass die Foodkoop den Sozialstaat gefährde, weil sie Steuern hinterziehe, indem sie die Verteilung der Produkte ohne Lohnarbeit organisiert. Zumindest in diesem kleinen Ausschnitt funktioniert die Foodkoop nach dem Prinzip „beitragen statt tauschen“ und verzichtet daher auf Lohnarbeit.

In den Produkten, die wir von den Erzeugern kaufen, ist natürlich die Mehrwertsteuer enthalten, die diese an den Staat abführen. Und in unserer Erwerbsarbeit bezahlen wir ja auch alle Einkommenssteuer, dem könnten wir uns ohnehin nicht entziehen. Dadurch, dass wir direkte Kontakte mit den Erzeugern pflegen, auch auf deren Interessen und Wünsche Rücksicht nehmen, durchaus auch aushelfen, wenn es viel Arbeit gibt und schließlich die Verteilung selbst organisieren (ausschließlich für zahlende und mitarbeitende Vereinsmitglieder) anstatt einkaufen zu gehen, überschreiten wir die Rolle des Kunden, die uns normalerweise zugewiesen wird. Wir nehmen einen Teil – wenn auch nur einen sehr kleinen – der Reproduktion unserer Lebensbedingungen selbst in die Hand und reduzieren dadurch unsere Abhängigkeit vom Markt aber auch vom Sozialstaat. Durch diese Praxis verändern wir die sozialen Beziehungen zwischen ProduzentInnen und KonsumentInnen und damit auch uns selbst, ganz im Sinne dessen, was wir als wichtigste Erkenntnis von Friederikes Sommeruni mitgenommen haben: Alles was wir tun verändert uns und die Welt in der wir leben.

Und diese Verbindung von Alltag und Revolution – die z.B. im Tanzen oder gut Essen zum Ausdruck kommt – entspricht jener Sichtweise, die John Holloway in „Die zwei Zeiten der Revolution“ vertritt und bei der er sich auf die zapatistische Widerstandspraxis bezieht. „Wenn der Kapitalismus heute existiert,“ sagt Holloway, „so tut er es nicht, weil er vor hundert oder zweihundert Jahren geschaffen wurde, sondern weil wir – die ArbeiterInnen der Welt im weitesten Sinne – ihn heute schaffen. Wenn wir es morgen nicht tun, wird er nicht mehr existieren“.

Es geht also darum, auzuhören, den Kapitalismus zu machen. Der erste Schritt dazu ist die Verweigerung, die sich im großen Aufbrechen sozialer Bewegungen manifestiert. Das ist die Zeit des „Ya basta“, des „es reicht!“ Aber es braucht einen zweiten Schritt. „Um unserer Bewegung Stärke zu verleihen, müssen wir sie durch die Konstruktion einer anderen Welt bekräftigen“. Wir müssen in dieser Welt anfangen, die neue zu bauen. Und in diesen Prozess des Bauens an einer neuen Welt müssen wir unseren ganzen Alltag einbeziehen, wir können nicht auf Liebe und Freude, auf Tanzen und auf Lebensqualität verzichten. Im Gegenteil, das was die neue Welt, die wir anstreben, ausmachen soll, muss auch zum Prinzip ihres Konstruktionsprozesses werden. Was bei den Zapatistas mangels staatlicher und wirtschaftlicher Infrastruktur eine Überlebensnotwendigkeit war, beginnt sich – nicht zuletzt angesichts der vielen Krisen – nun auch bei uns breit zu machen: Inseln, oder besser gesagt, Halbinseln einer nicht kapitalistischen Realität. In diesem Kontext bekommen viele der Dinge, die derzeit geschehen eine neue Bedeutung und die Dichte der aktuellen Ereignisse erscheint in einem neuen Licht.

Das wurde in all den vielen Veranstaltungen der letzten Tage deutlich. Etwa beim eingangs erwähnten Eröffnungsfest der Foodkoop, das ich leider nicht miteleben konnte, weil am selben Tag in Wien das erste österreichische Commons-Symposium stattfand, das ich organisiert hatte. Menschen aus verschiedenen Bereichen trafen sich, um zu diskutieren, ob dieser Begriff und dieses Konzept sich als gemeinsame politische Plattform eignen und wie wir in Zukunft daran und damit arbeiten können. Auch dabei wurde deutlich, dass – unabhängig der vielen noch offenen Fragen – die Stärke dieses Ansatzes in dem Aspekt der Bemächtigung liegt, der Rückgewinnung der Kontrolle über unsere Lebensbedingungen. Dass diese Diskussionen über Alternativen zur Marktwirtschaft, wie solidarische Ökonomie, Peer Economy oder Commons in Wissenschaft, Politik und den sozialen Bewegungen in Nord und Süd derzeit so massiv auftreten, ist ein Zeichen dafür, dass diese vielen Alternativen gesamtgesellschaftlich Bedeutung gewinnen und viele Menschen merken, dass wir Alternativen brauchen. Commons sind nicht zuletzt ein Synonym für die Etablierung nicht kapitalistischer Formen der Vergesellschaftung, sie bieten eine Theorie und ein Modell für alternative soziale Praktiken.

Beim Elevate-Festival, vom 21. bis 26. Oktober schließlich, ging es um die „Civil society“. Auch wenn ich diesen Begriff aus verschiedenen Gründen nicht so sehr mag, das Programm war wie immer spannend und abwechslungsreich und mit vielen TeilnehmerInnen, die man sonst kaum jemals trifft. Mehr als bisher wurde mit Skype gearbeitet – eine Methode, die nicht nur Fahrtkosten sondern auch den CO2 Ausstoß senkt. Rob Hopkins etwa, der Begründer der Transition-Initiative, erledigt seine vielen Vorträge hauptsächlich auf diese Weise, weil er sich aus naheliegenden Gründen weigert zu fliegen. Wenn es auch noch etwas gewöhnungsbedürftig ist, mit einer Kinoleinwand zu kommunizieren, ich denke das hat doch Zukunft für den internationalen Austausch zwischen den verschiedenen Teilen der Bewegung. Und ich denke es ist ebenfalls Ausdruck dieser neuen Aktionsformen der alltäglichen revolution (die, mit kleinem „r“ geschrieben, nach Holloway sich „auf die kreative und einfallsreiche Artikulation der Würde im Hier und Jetzt“ bezieht).

Ein Themenschwerpunkt war die Entwicklung der sozialen Bewegungen in Österreich. Und auch hier sind die „zwei Zeiten“ zu erkennen. Anstatt frustriert und enttäuscht darüber zu sein, dass auch starke Bewegungen sich scheinbar im Nichts verlaufen, etwa die Donnerstagsdemos nach der schwarz-blauen Regierung im Jahr 2000, die starke globalisierungskritische Bewegung am Anfang des Jahrtausends oder die Studierendenproteste letztes Jahr, sollten wir unseren Blick auf den zweiten Schritt richten, auf die Versuche der Erschaffung der neuen Welt in der alten. Denn auch wenn diese Bewegungen selbst nicht mehr existieren, oder zumindest nicht mehr so stark sichtbar sind und auch nicht die Änderungen gebracht haben, die ihren Initiatoren vielleicht vorgeschwebt haben mögen, so haben sie doch die Gesellschaft und die beteiligten Personen verändert. Und wenn man etwas tiefer schaut, so sieht man, dass viele dieser Menschen, die bei den Donnerstagsdemos oder in der globalisierungskritischen Bewegung politisiert wurden, heute die Vorreiter jener neuen sozialen Praktiken sind, die in vielen solidarischen Initiativen sich verwirklichen. Ich kenne kaum Menschen, die nicht gerade in irgendeinem selbstorganisierten Garten-, Wohn- oder sonstigem Projekt engagiert sind. Was als Protest auf der Straße Medienwirksamkeit erregt hat, dann scheinbar abgeflaut ist, erreicht jetzt die Phase der Konsolidierung, die notwendig ist um die Reproduktion der Bewegung sicher zu stellen, jene Phase, die auch auf Dauer ohne Burnout durchzuhalten ist. Denn die Überlastung der Aktivisten, ihre jahrelange prekäre Lebensweise stellt eine reale, materielle Begrenzung für die Dauer und die Intensität der ersten Zeit der Revolution dar. Auf jener zweiten Ebene jedoch können Alternativen auf Dauer gestellt werden, indem sie in kleinen Bereichen aufhören, den Kapitalismus herzustellen. Und diese stellen das Potential dar, für ein erneutes Aufflammen der Bewegungen.

Gerade das Transition-Movement, das am Freitag nachmittag das Hauptthema war, ist ein Beispiel dafür, wie Menschen – über ideologische Unterschiede hinweg – sich im gemeinsamen Tun finden können, indem sie ihr Leben selbst in die Hand nehmen, ohne darauf zu warten, dass die Staaten in ihrem Sinne tätig werden und damit in ihren Städten oder Stadtteilen neue Beziehungen entstehen lassen und schließlich auch die Politik in Zugzwang bringen.

Das ist eine weitere Wirkung all dieser Bewegungen der letzten 10 Jahre: die Kooperation und Solidarisierung über die Inhalte und zum Teil auch, aber das ist noch schwieriger, über ideologische Unterschiede hinweg. Bei der Transition-Bewegung wird das im Moment am deutlichsten sichtbar. Aber es zeigte sich auch auf einer anderen Ebene, bei einer Podiumsdiskussion im Rahmen des Elevate, bei der es um die Kampagne „Wege aus der Krise“ ging, einer Kampagne, die von einigen größeren NGOs und Teilen der Gewerkschaften getragen wird.

Obwohl die Notwendigkeit einer Systemänderung in den Grundsätzen der Kampagne angesprochen wird, sind die Forderungen doch eher systemerhaltend, es geht um Steuerpolitik, Investitionen, usw. Die erste große gemeinsame Aktion war die Budgetrede am 18. Oktober. Weil die Bundesregierung – unter Bruch der Verfassung – mit der Bekanntgabe des Budgets fürs nächste Jahr bis nach den Wiener Wahlen gewartet hatte, ergriff „Wege aus der Krise“ die Chance, ein ihren Vorstellungen entsprechendes, sozial und ökologisch nachhaltiges Budget der Öffentlichkeit vorzustellen. Ich bin ja eher skeptisch, ob das der richtige Weg ist, sich staatstragend zu geben und der Regierung die Arbeit abzunehmen. Dementsprechend kritisch und auch provokant hatten wir die Fragen für die Diskussion angelegt. Aber in der Diskussion wurde mir klar, es kommt nicht sosehr darauf an was die Beteiligten an solchen Plattformen machen (in Grenzen natürlich, aber die sind ja durch die politische Ausrichtung schon abgesteckt), sondern was das mit ihnen macht.

Allein dass sich diese Organisationen aus verschiedenen Themen- und Politikbereichen zusammensetzen ist auf eine gewisse Art revolutionär – sich nicht gegeneinander ausspielen lassen, was ja gängige Regierungsstrategie ist, die auf der Hand liegenden Zusammenhänge nutzen, die Gunst der Stunde nutzen. Und vor allem, was hier passiert ist, hat in den Organisationen viele Diskussionsprozesse angeregt, hat diese verändert, hat diese der besseren Welt, dem neuen System, das wir anstreben, ein Stück näher gebracht.

Das gleiche gilt für die Transition-Bewegung. Gemüse anzubauen, Secondhandläden und Fahrgemeinschaften zu gründen, ist nicht per se revolutionär. Aber erstens verändert es die Menschen, die es tun und ihre Beziehungen und zweitens gilt auch hier: dass es so viele verschiedene Menschen zusammenbringt ist schon ein Erfolg. Auch wenn mir die esoterischen Begründungen vieler immer noch suspekt sind und ich eigentlich glaube, dass sie eine Veränderung eher verhindern als befördern können, solange sie auf dieser Ebene bleiben; so lange sie das tun, sind sie aber auch nicht Teil der Transition-Bewegung, das werden sie erst, sobald sie etwas Konkretes tun. Und da ist es egal, warum sie es tun, es hat die gleiche Wirkung, wie für die Menschen, die politische Veränderungen anstreben und die Selbstorganisation als Lebensgrundlage brauchen. All das sind Versuche, Würde und Selbstbestimmung zurückzugewinnen: „Würde“, so ebenfalls Holloway, „bedeutet, in einer Gesellschaft, die uns fragmentiert, unsere Ganzheit zu behaupten“, es bedeutet, „jetzt das zu leben, was noch nicht ist“.

Die Uniprotestbewegung hingegen befindet sich noch – oder wieder – in der Zeit des Aufruhrs, in der Zeit des „es reicht“. Die geplanten Budgetkürzungen haben gestern wieder zu großen Demostrationen in allen Städten geführt, an denen durchaus nicht nur die teilgenommen haben, die es direkt betraf. Schon lange nicht mehr waren in Graz so viele Menschen auf der Straße.

Und es geht gleich weiter: jetzt sitze ich schon in Wien und warte auf den Nachtzug nach Berlin, wo eine große internationale Commons-Konferenz stattfindet, ebenfalls die erste ihrer Art. Und drum muss dieser Blogeintrag heute noch raus. Die Berliner Konferenz wird übrigens auch teilweise per Videostream übertragen – so, see you in Berlin ;-)! Zumindest virtuell.

3 thoughts on “If there’s no good food, it’s not my revolution

  1. Pingback: Endlich Zeit!
  2. Hallo Brigitte,

    ich hab Deinen Eintrag gelesen, der Mut macht. Find ich gut, wichtig und notwendig.
    Ich schreib hier ein paar kritische Gedanken die nicht zum Text passen aber sich auf die Überschrift beziehen.
    „If there’s no good food, it’s not my revolution“.
    Einerseits ein positiver genußvoller Ansatz, was unbedingt dazugehört, wenn man was verändern will. Andererseits ist der Satz (hier bezogen auf ‚my‘ statt ‚our‘) deutet der Satz auch auf die doch egoistischen Strömungen hin (will alles, billiger, wann es mir einfällt, spontan, bequem, Auto statt Zug). Wenn die eigene Bequemlichkeit dazu führen, daß die Solidarität in der Gruppe, die Solidarität zur Mitwelt, zu denen die noch kommen werden, (zer)stören, ist das nicht gut. Wenn man dann nicht darüber reden will, und mit Freiheit und individueller Entscheidungsfreiheit abgeschmettert wird, dann sehe ich daran gar nichts revolutionäres.
    Ich denke besser wäre „if there is no solidarity there will be no revolution“ oder wenigstens „if there is no good food for all, it’s not our revolution“
    Aber vielleicht kommt das im zweiten Schritt.

    LG

    René

  3. Danke René für diese Anmerkung, sie ist absolut wichtig und ich merke, dass ich dazu dringend was schreiben muss. Weil ich aber wieder einmal mehrere Dinge dringend tun muss, hier kurz ein erster Antwortversuch:

    Ich finde es wichtig, dass wir von dem Kurzschluss wegkommen, „ich“, „mein“ und „selbst“ bedeuten immer schon Egoismus und die Weigerung etwas für das Ganze zu leisten. Der zweite ebenso häufige Kurzschluss ist der, wenn man etwas „gern“ tut, dann hätte es unbedingt mit Bequemlichkeit und Hedonismus zu tun. Daraus entsteht das Gefühl, alles was „gut“ ist müsste auch schwer sein, weh tun, Vezicht bedeuten und darf nicht Spass machen.

    Dabei gibt es doch nichts Schöneres als am Abend so richtig müde zu sein, nach einem anstrengenden Tag, an dem man das Gefühl hat, etwas wirklich sinnvolles gemacht zu haben, auch wenn oder gerade weil es anstrengend war.

    In der Commons-Diskussion sagen wir, dass Commons nur dann auf Dauer überleben können, wenn die Bedürfnisse jedes Einzelnen befriedigt werden können. Das bedeutett, dass strukturell, das heißt nicht durch moralische Forderungen, sondern durch die Regeln sichergestellt ist, dass es allen nur gut gehen kann, wenn es jedem Einzelnen gut geht, dass die beiden Dinge als voneinander abhängen. Und wenn wir aufhören wollen, den Kapitalismus zu machen, dann müssen die Bedürfnisse der Menschen dadurch mindestens ebenso gut befriedigt werden, wie im herrschenden System. Wenn ich die Welt verändern will, dann muss ich auch in der Lage sein, dafür zu sorgen, dass es mir selbst gut geht, sonst schaff ich es nicht.

    Nur wenn jeder Einzelne sagen kann „it’s my revolution“ dann wird es auch „our revolution“.

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