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Warum Solidarisierung mit Uni-Protesten?

Selbst bei sonst engagierten und durchaus gesellschaftskritischen Menschen, die sich auch dem linken Spektrum zuordnen, werden im Gespräch immer wieder Zweifel laut: ich bin mir nicht so sicher, ob ich das unterstützen kann, was da passiert. Grundsätzlich haben die Studierenden ja recht, aber mit allen Forderungen, da kann ich nicht mit, manche sind mir zu utopisch, manchmal widersprechen sie einander, und dann, die ändern sich ja immer wieder, wie soll ich denn wissen, ob ich das unterstützen kann. Und muss man wirklich wochenlang die Uni besetzen, jetzt haben sie es ja eh schon geschafft, Aufmerksamkeit zu erregen und könnten damit Schluss machen. Und warum können sie nicht den „normalen“, formal-demokratischen Weg über die gewählte Vertretung benutzen? Und wodurch sind die eigentlich legitimiert?.

Sich solidarisieren heißt meiner Meinung nach das: zu erkennen, dass die Probleme, mit denen Andere kämpfen, die gleiche Ursache haben wie die Probleme, mit denen ich mich herumschlage und dass die Anderen für die Lösung ihrer Probleme die gleichen Ziele verfolgen wie ich, wenn auch manchmal mit anderen Mitteln, als ich es machen würde.

Unter diesem Blickwinkel einige Antwortversuche auf die oben gestellten Fragen.

1. Muss ich allen Forderungen zustimmen um mich solidarisch zu erklären? Nein, es geht weniger darum, jede einzelne Forderung zu unterstützen, sondern die Art und Weise, wie sie zustande kommen und eben das System gegen das sie sich richten. An anderer Stelle habe ich geschrieben: damit diese vielen unterschiedlichen Bewegungen gemeinsam es schaffen das System zu verändern, müssen sie sich bewusst werden, dass es das gleiche System ist, gegen das sie kämpfen und das sie überwinden wollen, mit unterschiedlichen Methoden und in unterschiedlichein Bereichen der Gesellschaft. Es kommt also nicht darauf an, jeden einzelnen Schritt den andre machen, als gut und richtig zu empfinden. Weil ich das nicht tue, bin ich ja möglicherweise bei einer anderen Gruppe, die das anders macht. Worauf es ankommt ist, zu unterscheiden: richtet sich das, was andre machen gegen das System, das auch ich verändern will? Enthält es das Potenzial zu gesellschaftlicher Veränderung? Versuchen sie neue Wege von Zusammenarbeit, neue Arten die Gesellschaft zu gestalten, die sich gegen Grundprinzipien der bisherigen richten, stehen sie auch gegen Patriarchat, Sexismus, Nationalismus, Homophobie, Gewalt, Fundamentalismen jeder Art, usw.? Wenn ja, ist Solidarisierung nötig, was nicht bedeutet auch mitmachen zu müssen, weil man eben selbst einen anderen Weg für besser, oder einfach den eigenen Einstellungen und Fähigkeiten für angemessener, hält.

2. Ist es um die Gesellschaft zu verändern, um eine solidarische Universität zu bekommen, notwendig, wochenlang die Uni zu besetzen? Nein, ist es vermutlich nicht, aber das ist genau die Form der Aktion, die sich diese Menschen ausgesucht haben. Andere könnten genaus so gut geeignet sind, nur hat sie bisher noch niemand versucht. Diese Aktionsform ist aus meiner Sicht allerdings eine durchaus angemessene, sie symbolisiert Vieles, was sich gegen das herrschende System richtet: die Wiederaneignung von Räumen, die eigentlich ein öffentlicher Raum der Diskussion sein sollten, aber zur Wissensfabrik verkommen sind, die Möglichkeit der Gestaltung von Bildungsinhalten, emanzipatorische Selbstbildung im besten Sinn des Wortes, die Etablierung einer alternativen Öffentlichkeit, schließlich die Ermöglichung der Verbindung universitärem Wissens mit Praxiswissen, weil auch Leute von außerhalb der Unis dort Vorträge, Workshops, anbieten können, die basisdemokratische Gestaltung der Proteste und eine ebensolche Entwicklung der Forderungen.

Ich denke, dass grundsätzlich jeder Versuch, Formen des Zusammenlebens zu entwickeln, die in die genannte Richtung gehen, anzuerkennen und zu unterstützen ist. Daraus leitet sich auch ihre Legitimation ab. Bei diesen Versuchen wird es zwangsläufig zu Irrtümern, zu Fehlern kommen, viele werden nach kürzerer oder längere Zeit im Sand verlaufen. „Scheitern“ wird keiner, weil alle bei den Beteiligten aber auch in der Gesellschaft Spuren hinterlassen, weil Erfahrungen gewonnen werden, die nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Bei diesen Versuchen darf nicht jedes Wort auf die Goldwaage gelegt, jede Handlung aus Sicht eines Wertekataloges dieses Systems kritisiert werden. Das bedeutet natürlich nicht, dass sie überhaupt nicht kritisiert werden dürfen, im Gegenteil, ohne Kritik können sie sich nicht weiter entwickeln. Aber die Maßstäbe, die wir für die Kritik anlegen, müssen den angestrebten Zielen entsprechen.

3. Der Vorwurf, die Forderungen wären utopisch, sie würden sich immer wieder ändern, geht deshalb ins Leere. Was hier passiert, ist der Versuch etwas Neues zu schaffen. Die Menschen, die hier arbeiten, machen etwas, wofür sie erst die Regeln miterfinden müssen. Ihre Forderungen entstehen aus diesen Erfahrungen, die müssen sich zwangsläufig verändern und können nicht an Maßstäben des bestehenden Systems gemessen werden. Um Utopien zu verwirklichen braucht es utopische Forderungen und sie dürfen nicht festgeschrieben werden, sondern müssen sich mit den Utopien entwickeln.

4. Kann man sich dabei nicht an herrschende Gesetze und vor allem an die bestehenden demokratiepolitischen Regeln und Mechanismen, wie Vertretung durch gewählte Gremien, Volksbegehren, usw. halten?

Was die herkömmlichen Demokratieinstrumente betrifft, nein, grundsätzlich nicht! Diese sind bestenfalls dazu geeignet, Veränderungen im System zu erreichen, häufig dienen sie auch nur dazu, den Eindruck der Mitbestimmungsmöglichkeit aufrecht zu erhalten. Sie schließen systematisch aus, was das System gefährdet. Systemveränderungen sind nicht mit den Mitteln des Systems zu erreichen.

Was die Gesetze betifft ist das natürlich eine heikle Frage. Aber auch da gilt – herrschende Gesetze beschützen den Status Quo, das ist ihre Aufgabe. Das ist jetzt kein Aufruf zum ungehemmten Bruch von Gesetzen, aber dort wo Gesetze gegen notwendige gesellschaftliche Veränderungen stehen, weil sie z.B. dem Privateigentum eine privilegierte Position einräumen gegenüber dem Gemeinwohl, weil sie strukturell kritisches Denken verhindern oder den Vorrang von Autos gegenüber Fußgängern im öffentlichen Raum festschreiben kann auch einmal „bürgerlicher Ungehorsam“ nicht nur sinnvoll, sondern sogar notwendig sein. „Alltagsregeln müssen außer Kraft gesetzt werden, damit sich neue Diskursräume eröffnen“ hat Johanna Rolshoven heute in ihrer Vorlesung „Soziale Bewegung und Protest“ in der befreiten Vorklinik gesagt.

Natürlich muss jede und jeder selbst entscheiden, wobei sie oder er mitmachen will. Aber es ist wenig hilfreich, wenn diejenigen, die sich sonst so progressiv und links geben, dann sofort mit den Wölfen heulen, wenn es um die Infragestellung formaler Entscheidungswege und systemkonformen Verhaltens geht.

Zum Schluss noch ein Satz von einem Plakat aus dem Hörsaal in dem ich das gerade schreibe: Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn macht, egal wie es ausgeht.

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