Der Sommereinbruch am 1. Mai lockte die Menschen ins Freie – auch mich, obwohl ich eigentlich einen Antragstext schreiben sollte. Darum folgte ich der Verlockung auch nicht so weit, dass ich mich wirklich aus der Stadt hinausbegeben hätte, sondern ich schlenderte durch die Innenstadt. Und weil ich demnächst in Zagreb über „Urban Commons“ diskutieren soll, leitete der Gedanke daran meine Blicke. Ich kam am Brunnen auf dem Karmeliterplatz, mitten im Stadtzentrum von Graz, vorbei. Kinder – nackt bis auf die Unterhose – plantschten darin herum. Man sieht auf den ersten Blick, dass es Kinder sind, die, wie man auf Neudeutsch so schön sagt, „Migrationshintergrund“ haben. Hier haben sie vor allem eines: großen Spass. Ich finde es schön, dass das geht. Mitten in der Stadt. Es sind Kinder, mit denen ihre Eltern wohl kaum ins Schwimmbad gehen. Dieser Brunnen, denk ich mir, ist ein echtes Commons. Und ich gehe nach Hause um meinen Fotoapparat zu holen. Als ich wiederkomme sind sie weg. Ich weiß nicht, ob sie jemand vertrieben hat oder ob sie einfach von selbst genug hatten – oder ihre Eltern. Ich hoffe letzteres, denn dieser Brunnen ist wirklich etwas besonderes: Bänke, auf denen man auch gemütlich liegen kann stehen auf zwei Seiten, immer noch sitzen Menschen am Rand und lassen die Beine ins Wasser baumeln. Ohne Konsumzwang, einfach so, im Zentrum einer Stadt zu sitzen und mit Beinen und Seele zu baumeln, das kommt schon nahe ans Gute Leben.

Anderswo sehen Bänke auch so aus, damit man sich ja nicht hinlegen kann:

Wasser ist in Graz überhaupt leicht erreichbar, auch Trinkwasser. Die Trinkbrunnen, das muss auch einmal gesagt werden, wurden in den letzten Jahren immer mehr, nicht weniger. Und viele haben auch einen Trinknapf für Hunde dabei.

Im Stadtpark liegen viele Menschen unter den alten Bäumen im Schatten,

in diesen Teich im Stadtpark hat sogar jemand die Sessel aus dem angrenzenden Café reingestellt.

Das ist nicht überall so. In Florenz, so berichtet meine Kollegin und Freundin Silke Helfrich, gibt es kein Trinkwasser, außer in den teuren Straßencafés. Als ich das letzte Mal dort war, gab es zumindest noch einen Trinkwasserhydranten. Vor der großen Buchhandlung Feltrinelli, dort hab ich mehrmals meine Waserflasche gefüllt, aber vielleicht ist der ja inzwischen auch schon weg. Und in der Nähe von Triest fand ich am Eingang eines Parks folgendes Schild (das kostenlose Einatmen der frischen Luft ist noch erlaubt):

Das ist es, was ich an Graz liebe, warum ich gern hier wohne – diese Offenheit, diese Möglichkeit Sonne, Luft und Wasser zu genießen, ohne dafür zahlen zu müssen, mitten in der Stadt.

Ist Graz eine Stadt der Commons? In diesem Sinn sicher. Aber wenn man genauer schaut sieht man auch – diese Freiheit, sich hinzusetzen, wo man will, gilt nicht für alle. Commons sind vor allem für die wichtig, die sich nicht alles kaufen können, für die Ärmsten, sie sind darauf angewiesen. Da ist Graz bei weitem kein Vorzeigebeispiel. Seit einem Jahr gibt es ein Bettelverbot. „Das Bettelverbot kriminalisiert das Geben und Schenken“ so steht es in der aktuellen Ausgabe der Grazer Straßenzeitung Megaphon, die unter dem Titel „Platz da!“ thematisiert, für wen allen es in Graz keinen Platz gibt. Z.B. für Jugendliche, die sich nicht widerstandslos in den Mainstream der Gesellschaft fügen wollen. Die sind vor allem betroffen vom Alkoholverbot, das erst kürzlich vom Hauptplatz auf die ganze Innenstadt ausgedehnt wurde. Das gilt freilich nicht für die vielen Schanigärten, die das südliche Flair von Graz ausmachen. Das gilt auch nicht für die vielen kommerziellen Veranstaltungen die häufig ebenfalls auf dem Hauptplatz stattfinden und bei denen jede Menge Alkohol verkauft und auch konsumiert wird. Das Alkoholverbot richtet sich also, so wird schnell klar, nicht wirklich gegen den Alkohol, sondern gegen eine ganz bestimmte Gruppe von Menschen, die nicht dem Idealbild vom kaufkräftigen Kunden entsprechen und die optisch nicht ins Bild der schönen, sauberen Konsumstadt passen und lieber auf dem Boden sitzen als im Schanigarten. Und die werden auch zum Ziel polizeilicher Intervention, wenn sie dort sitzen und Wasser trinken, wie ein Selbstversuch eindeutig gezeigt hat.

Commons bedeutet aber nicht nur freien Zugang zu lebenswichtigen Dingen, es bedeutet auch mitreden und mitgestalten zu können und zwar unabhängig vom Geldbeutel. Auch da schaut es in Graz nicht so gut aus. Wirklich aufmerksam darauf wurde ich, weil ein schönes altes Haus mit Garten gleich bei mir um die Ecke, mitten in einem dicht verbauten Gebiet, ins Visier eines Immobilienunternehmes geriet.

Es sollte abgerissen werden, die Menschen aus der Nachbarschaft wollten nicht ihre letzte grüne Oase verlieren. Außerdem beherbergte dieses Haus vor etwa 100 Jahren die erste Grazer Fahrradschule ;-). Es entstand eine Bürgerinitiative, die sich für die Erhaltung des Kastellhofes, so der Name des Hauses einsetzte und auch allerlei kreative Ideen für eine Nutzung entwickelte. Als jedoch ein von der BI beauftragter Historiker herausfand, dass dieses Haus möglicherweise ein Fall für den Denkmalschutz sein könnte, fuhren Freitag mittag die Bagger auf. Die Herren und Damen PolitikerInnen waren leider schon in ihrem wohlverdienten Wochenende und erst am Montag wieder erreichbar, bis dorthin war das Haus dem Erdboden gleichgemacht.

Wie es heute hier aussieht? So:

Und das hat in Graz durchaus System. Denkmalgeschützte Bauten werden so lange verfallen gelassen bis Gefahr im Verzug ist und ein Abbruchbescheid ausgestellt wird. Jedes noch so kleine Fleckchen Grün muss noch einem neuen Büro- oder Wohnhaus zum Opfer fallen, Einwände der Anrainer werden nicht einmal ignoriert. Kulturerbe und Erholungsraum werden für „Vorsorgewohnungen“ geopfert. Das Ziel der Profitmaximierung steht den Bedürfnissen der Menschen, die hier wohnen entgegen. Was hier produziert wird, ist die nächste Immobilienblase – wenn wir draufkommen, dass es für all diese Immobilien möglicherweise nicht einmal Abnehmer gibt, dann ist es zu spät, denn was dafür zerstört wurde, ist unwiederbringlich dahin. Auch das ist eine Einhegung von Commons. Genug zu erzählen für Zagreb also!

2 Gedanke zu “Graz – Stadt der Commons?”
  1. Bildergeschichten sind immer großartig! Danke.
    Diese Kastellhofsache kommt mir vor wie im mexikanischen Hinterland (was sag ich – wie in der mexikanischen Hauptstadt)!

  2. Ich fürchte, so weit muss frau nicht fahren, um Ähnliches zu entdecken. Ist das nicht allen unseren Städten heute gängige Praxis?

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