Die Verfassungen von Bolivien und Ecuador, die beide unter breiter Beteiligung der Bevölkerung entstanden sind und beide explizit der Natur einen eigenen Rechtsstatus zuschreiben, waren Thema am zweiten Tag des BUKO Seminars in Wernsdorf. (Hier
Teil 1 des Berichtes). Wir bezogen uns auf zwei Briefe von Veronika Bennholdt-Thomsen (nachzulesen hier und hier) und auf einen Text von Alberto Acosta, Ökonom aus Ecuador und dort auch Präsident der verfassungsgebenden Versammlung.
Weniger die Art der Entstehung der Verfassungen war ein Thema beim Seminar, obwohl diese durchaus eine nähere Betrachtung wert wäre, sondern das Naturverständnis, das sich grundsätzlich vom westlichen unterscheidet. Rechte der Natur sind in den Verfassung beider Staaten festgeschrieben worden. Acosta versucht in diesem Artikel an Hand des Konzeptes „Buen vivir“ einen Brückenschlag zwischen indiginen und westlichen Kulturen und postuliert eine neues Verständnis von „Entwicklung“. Er kommt zu dem Schluss:
Das Buen Vivir – mehr als eine Verfassungserklärung – stellt sich also als Möglichkeit dar, um gemeinsam ein neues Entwicklungsregime zu erschaffen bzw eine neue Lebensweise. Es ist somit ein wichtiger qualitativer Schritt von der „nachhaltigen“ Entwicklung hin zu einer anderen Vision, die viel reicher und komplexer in ihrem Inhalt ist. Der Vorschlag des Buen Vivir kann, immer wenn er aktiv von der Gesellschaft übernommen wird, mit viel Nachdruck in die weltweiten Debatten über Transformationen eingebracht werden. Das Buen Vivir hat also definitiv mit einer anderen Lebensweise zu tun, mit vielen sozialen, wirtschaftlichen und umweltspezifischen Rechten und Garantien. Das Konzept wurde auch in die richtungsweisenden Prinzipien des Wirtschaftsregimes der Verfassung von Ecuador aufgenommen, z.B. die Förderung einer harmonischen Beziehung zwischen Menschen (individuell und kollektiv) sowie mit der Natur.
Speziell geht er dann auf den Aspekt der Verfassung ein, der die Natur als Rechtsträgerin konstituiert. Die Meinungen dazu waren in der Gruppe durchaus geteilt.
Grundsätzlich haben wir zuerst festgestellt, dass in unserem modernen Weltbild die Natur als Objekt gilt, das außerhalb von uns existiert und in erster Linie dazu da ist, uns mit Ressourcen zu versorgen. Als Natur gilt meist alles, was kostenlos vorhanden ist und ausgebeutet und angeeignet werden kann (bis hin zur Gebärfähigkeit der Frauen). Natur ist nach Belieben bearbeitbar und verfügbar.
„Naturschutz“, so eine Meinung, ändere daran nichts. Denn auch dabei wird Natur als Objekt wahrgenommen, in dem Fall eben als schützenswertes. Dann errichtet man einen Zaun rund herum und hält die Menschen davon fern – immer wieder wird auch im Namen des Naturschutzes, der Erhaltung bedrohter Arten, Land enteignet und so Menschen ihre Existenzgrundlage entzogen, obwohl diese seit Jahrhunderte pfleglich mit ihrer natürlichen Umwelt umgegangen waren. Es ist also unsere westliche Produktionsweise, die für die Natur eine Bedrohung darstellt.
Wenn wir die Natur nicht als Objekt der Ausbeutung sehen, in welchem Verhältnis zur Natur stehen wir dann? Klar ist, wir sind abhängig von der Natur – aber fühlen wir uns als „Teil von ihr“? Darauf fanden wir keine eindeutige Antwort. In beiden Fällen aber gilt, die Zerstörung der Natur zerstört letztlich auch unsere Lebensbedingungen. Es muss sich also auf jeden Fall etwas ändern.
Dieses objektivistische Naturverständnis ist, so meinten wir, einer individualisierten Gesellschaft immanent. Es ist eine notwendige Konsequenz von Aufklärung, Modernisierung und Kolonialisierung, die erst die heute gültige Trennung zwischen dem Menschen als Träger der Kultur und der vorgefundenen Natur hervorbrachten. Liberale Werte stehen gegen das Gefühl des „Eins-Seins“ mit der Natur. Es braucht also nicht nur eine andere Politik, sondern vor allem eine kulturelle Veränderung.
Aber ist es die Lösung, nun die Natur wie ein eigenes Rechtssubjekt zu behandeln? Das ändert eigentlich doch nichts an dieser Trennung, an diesem Bild der Natur als etwas unabhängig von uns Existierendem. Das Konzept individueller Rechte auf die Natur auszudehnen, folgt im Grunde der neoliberalen Tendenz zur Individualisierung und der naturwissenschaftlichen Logik der Isolierung einzelner Elemente, ohne deren Zusammenhänge zu beachten.
Die Frage ist auch, wer denn die Anliegen der Natur vertreten sollte, sie kann sich ja selbst nicht beschweren. Geht es nicht eher darum, die Rechte indigener Gruppen gegen transnationale Konzerne zu verteidigen und wird die Natur dabei nicht nur vorgeschoben? Müsste es nicht eher um ein Recht der Menschen gehen, ihre Umwelt selbstbestimmt zu gestalten?
Das waren so einige der Bedenken. Andererseits gab es aber auch Meinungen, die das politische Potenzial dieses Konzeptes betonten und der Argumentation Acostas folgten, dass die Einforderung von Rechten für benachteiligte Gruppen (die oft genug auch als „Objekte“ wahrgenommen wurden, wie Sklaven oder Frauen) immer erst als illusorisch galt und gerade durch die Festschreibung der Rechte erst sich Dinge verändern konnten. Er schreibt:
An diesem Punkt möchte ich darauf hinweisen, dass im Laufe der Geschichte jede Erweiterung von Rechten zuvor undenkbar war. Die Befreiung der Sklaven oder die Erweiterung der Zivilrechte auf Afro-AmerikanerInnen, Frauen und Kinder wurde früher von Autoritäten bekämpft, da sie als absurd betrachtet wurde. Für die Abschaffung der Sklaverei musste zuerst „das Recht, Rechte zu haben“ anerkannt werden und politischer Druck war notwendig, um die Gesetze zu verändern, welche diese Rechte absprachen. Um die Natur aus der Bedingung eines Subjekts ohne Rechte oder eines Eigentumsobjekts zu befreien, ist ebenfalls politischer Druck notwendig.
Die Festschreibung von Rechten für die Natur könnte das Bewusstsein schärfen für unsere Abhängigkeit von der Natur, könnte ein neues Denken herausfordern und ein starkes politisches Instrument sein. Im Grunde handle es sich um eine ethische Frage, um eine Ethik der Verantwortung, aber Rechte könnten ein erster Schritt dorthin sein. Und zumindest sei es eine Dezentrierung des Menschen, der Mensch sieht sich nicht länger als Mittelpunkt des Universums sondern erkennt seine Eingebundenheit in etwas größeres.
Aber: wie durchsetzungsfähig sind solche Gesetze überhaupt im Rahmen eines globalisierten Kapitalismus? Die Gefahr ist groß, dass sie nicht mehr als ein Feigenblatt bleiben. Auch die Menschenrechte haben bisher nicht dazu geführt, dass die Strukturen der Ungleichheit abgebaut worden wären, im Gegenteil, sie werden im Moment wieder verstärkt.
Ich bin dem Konzept individueller Rechte gegenüber skeptisch, auch wenn ich gar nicht leugnen will, dass sie viele Fortschritte gebracht haben, sind sie doch bestens kompatibel mit dem individualisierenden Marktsystem. Abstrakte Rechte, wie das auf Nahrung, brauchen immer eine ökonomische Fundierung, wie z.B. das Recht auf Zugang zu Grund und Boden, zu Produktionsmitteln oder eine bedingungslose finanzielle Grundsicherung. Das war historisch die Funktion der Commons. Die Zugangsrechte zu den Commons sicherten die bürgerlichen Freiheitsrechte, die in der Magna Carta festgeschrieben waren, auch für diejenigen ab, die keinen eigenen Besitz hatten. Auch Rechte der Natur müssen also durch die ökonomische Praxis erst realisiert werden. Wie wir mit der Natur umgehen, ist weitgehend durch die Art und Weise bestimmt, wie wir die Dinge herstellen, die wir zum Leben brauchen, also von der Reproduktionsweise einer Gesellschaft. Solange das Ziel der Wirtschaft Profitmaximierung ist, solange wir eine lineare Wegwerf-Produktion verfolgen, werden eigene Rechte der Natur nicht viel helfen. Wenn wir unsere Gesellschaft auf ein bedürfnis- und ressourcenorientiertes Wirtschaftssystem umstellen, wird sich der Umgang mit der Natur von selbst verändern. Unser Verhältnis zur Natur ist sozial bedingt, wir sprechen auch von „gesellschaftlichen Naturverhältnissen“. Diese soziale Bedingtheit unseres Naturverhältnisses wird in der Idee von Rechten für die Natur ausgeblendet.