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Gegen Angst und Alternativenlosigkeit – und strukturelle Gewalt

Weil Banken gerettet werden müssen (too big to fail) muss anderswo gespart werden. Und gespart wird bei denen, die sich am wenigsten wehren können, die keine Lobby haben. Das mussten in den letzten Jahren unter anderen auch jene erfahren, die im Sozial-, Bildungs- oder Gesundheitsbereich arbeiten und besonders auch KünstlerInnen, für die es oft besonders schwer ist, sich gegen die daraus entstehenden Zumutungen zu wehren.

Es scheint, dass die Schmerzgrenze langsam doch erreicht ist. In Wien trafen sich vergangenen Mittwoch beim Sozialgipfel reloaded Menschen aus dem Sozial-, Bildungs- und Gesundheitsbereich um über Strategien und Aktionsformen gegen die unzumutbaren Arbeitsbedingungen zu diskutieren. In Graz ist das Bündnis noch breiter. In der Plattform25 sind nicht nur Organisationen aus dem Sozialbereich, sondern auch Künstlerinnen und Künstler dabei, die ebenfalls unter der Austeritätspolitik leiden. Nächstes Wochenende, vom 30. März bis 1. April findet im Forum Stadtpark das PlattforUm_25 statt, eine Konferenz, die dem Erfahrungsaustausch zwischen den verschiedenen Gruppen und mit AktivistInnen aus anderen Ländern dienen soll und ebenfalls nach Strategien des Widerstandes sucht.

Der Sozial- und Gesundheitsbereich wird ja seit Jahren ausgehungert, bzw. nach betriebswirtschaftlichen Kriterien umgebaut, was sich auf die Arbeitsbedingungen schon vor den jüngsten Kürzungen negativ ausgewirkt hat. Wie ich hier schon einmal beschrieben habe, blieb all des auf der Strecke, was die Qualität von Sozial-, Gesundheits- und Bildungsdienstleistungen ausmacht, nämlich die Gestaltung von unterstützenden persönlichen Beziehungen. Das Motto, unter dem der Umbau erfolgte, heißt New Public Management (NPM) oder in Österreich auch wirkungsorientierte Verwaltungsführung. „Die Verwaltungseinheiten wurden zu öffentlichen Unternehmen und stellten auf eine betriebswirtschaftliche Buchhaltung um, definierten ihre Produkte und rechneten die Kosten den Produkten zu“, so die Definition im dazugehörigen Lehrbuch. Dabei werden auch ganz nebenbei BürgerInnen zu KundInnen gemacht. Das hat manchmal Vorteile, ein One-Stop-Shop beim Magistrat mag ja durchaus angenehm sein. In manchen Fällen macht es aber auch Regierungen zu Kunden, sie bestellen (und bezahlen) dann – entsprechend einer selbst erstellten Produktliste – Dienstleistungen von privaten, meist nicht-profitorientierten Anbietern. Die Regierungen konsumieren diese allerdings nicht selbst, sondern die NutzerInnen sind Jugendliche, behinderte Menschen, Kinder, alte Menschen, MigrantInnen, usw. In der Ökonomie spricht man von einem unvollkommenen Tauschverhältnis im sogenannten „Dienstleistungsdreieck“: der Kunde zahlt, nutzt die Dienstleistung aber nicht, der Nutzer nutzt die Dienstleistung mehr oder weniger freiwillig (häufig eher weniger), hat aber keinen Einfluss auf ihre Ausgestaltung. Und wenn er ein Bedürfnis hat, für das es kein Produkt in der Liste gibt, dann hat er eben Pech gehabt.

NPM heißt: Stadtverwaltungen sollen wie Unternehmen funktionieren, BürgerInnen werden zu KundInnen, politische Aufgaben und Verantwortlichkeiten verschwinden hinter Managementbegriffen. Die beiden Zauberbegriffe im NPM heißen Controlling und Qualitätsmanagement. Nikolaus Dimmel hat beim Sozialgipfel in Wien gesagt, Controlling sei eine Seuche und daher sollte man ihm mit Seuchenbekämpfungsmethoden begegnen. Das war natürlich eine polemische Äußerung. Controlling muss ja nicht unbedingt schlecht sein, eine ordnungsgemäße Abrechnung erhaltener Gelder kann ja nicht schaden. Trotzdem hat es symbolische Bedeutung. Früher lieferten die Organisationen Jahresberichte an die Geldgeber, in denen sie ihre Leistungen beschrieben haben, heute reichen die Zahlen. Ob soziale Dienstleistungen angemessen erbracht werden, entscheidet sich also rein rechnerisch, was dort geschieht scheint die Geldgeber nicht mehr zu interessieren. Der Grund ist einfach erklärt und heißt Qualitätsmanagement.

Qualität wird dabei nach rein formalen Kriterien bemessen. Wieviel m2 Platz pro Jugendlichem in der WG, welche Ausbildungen haben die MitarbeiterInnen, usw. Das wird kontrolliert, wenn eine Organisation sich bei einer Ausschreibung bewirbt. Erfüllt sie die Kriterien, bekommt sie die Zulassung. Und dann werden noch die Abläufe standardisiert. Wer ist die erste Ansprechperson, wie oft muss mit dem Jugendamt Kontakt aufgenommen werden, stimmen die Dienstpläne mit den abgerechneten Stunden überein, usw. Schafft man es, diese formalen Kriterien zahlenmäßig zu erfassen und ins Controllingsystem einzuspeisen, entsteht ein selbstreferentielles System: stimmen die Zahlen, stimmt auch die Qualität, stimmt die Qualität, stimmen die Zahlen – ob dabei noch irgendjemandes Bedürfnisse befriedigt werden, ist dafür nicht relevant. Die wirkliche Seuche ist also eher die Kombination von beiden. Mit der realen Arbeit, so sagten die MitarbeiterInnen solcher Organisationen mir, als ich sie für meine Diplomarbeit interviewt habe, habe das gar nichts zu tun. Und sie meinten auch noch, solche Qualitätskriterien seien nicht in der Lage, die Qualität Sozialer Arbeit zu messen. Dafür brauche es eigene Qualitätskriterien. Und: für gute Qualität brauchen wir genug Geld. Punkt. Klingt logisch.

Umso überraschter war ich, als ich bei den Interviews, die wir vier Jahre später machten, hörte: Es gehört zu unserer beruflichen Kompetenz, auch mit wenig Geld hohe Qualität zu liefern. (Nachzulesen hier) ??? Gehirnwäsche – oder was? Das Geheimnis dahinter: Die eine Forderung der MitarbeiterInnen, sich sozusagen ihre Qualitätskriterien – jenseits des Controlling-Systems, für die jeweiligen Einrichtungen – selbst zu definieren, wurde erfüllt. Dementsprechend stehen sie dahinter und fühlen sich auch für die Einhaltung verantwortlich. Das Geld wird zunehmend weniger – die Anforderungen an die MitarbeiterInnen stiegen. Eine der von uns untersuchten Organisationen beschreibt das Profil ihrer MitarbeiterInnen im „Management Manual“ folgendermaßen: „Die Übernahme von Verantwortung für die übertragenen Aufgaben zählen neben Engagement und der dauernden Bereitschaft, sich neuen Herausforderungen zu stellen, zu den wichtigsten Merkmalen.“ Ziemlich hoch diese Latte. Besonders für das Gehalt, das es dabei zu verdienen gibt.

Nun gilt das für die Organisationen, die wir untersucht haben und sicher nicht für alle dieser Form. Was man jedoch in allen findet ist der gleiche Teufelskreis: Das Geld wird immer weniger, die Arbeitsbelastung nimmt dementsprechend zu. Stellen werden abgebaut, manche Einrichtungen müssen überhaupt schließen. Die Angst um den Job lässt die Leute die zunehmende Belastung ertragen, ohne sich zu beschweren. Denn wer zugibt, dass er überlastet ist, der ist möglicherweise nicht für den Job geeignet (siehe die ständige Bereitschaft, sich neuen Herausforderungen zu stellen) und wird beim nächsten Einsparungsschritt gekündigt. In der zur Verfügung stehenden Zeit, ist es nicht möglich, die Arbeit gut zu machen, oft ist es nicht möglich, überhaupt die ganze notwendige Arbeit zu erledigen. In manchen Fällen droht deshalb die Gefahr gerichtlicher Klagen, aber auch wo das nicht der Fall ist, entsteht ständig das Gefühl, zu wenig zu tun, im Verhältnis zu dem, was notwendig scheint. Ständig ein schlechtes Gewissen zu haben verstärkt die Angst. Die Burnout-Rate im Sozialbereich ist die höchste von allen Berufen. Aber krank werden darf man ja auch nicht, denn dann droht ja auch wieder Jobverlust. Außerdem ist die Personalsituation so prekär, dass man es den KollegInnen nicht antun will, zu fehlen, man kann sie ja nicht im Stich lassen. Also geht man auch krank arbeiten. Mit dieser Spirale aus Angst und Schuldgefühlen wird beinharte Politik gemacht.

Der Druck steigt, vor allem bei denen die noch Familie und Kinder zu Hause haben. Zum Nachdenken bleibt da keine Zeit, einfach irgendwie funktionieren ist gefragt. Sich dagegen wehren? Wenn die Zeit überhaupt dazu reicht, auf diesen Gedanken zu kommen, dann ist immer noch die Frage nach dem „wie?“ offen. In Wien wurden nach dem letzten Sozialgipfel voriges Jahr Briefe an alle Regierungsparteien geschrieben. Die Antwort: ja, wir wissen, ihr macht ganz tolle Arbeit und die ist ganz wichtig für die Gesellschaft – aber leider, wir haben kein Geld. Als dann im letzten Herbst in der Steiermark sich abzeichnete, dass die Sparpläne nicht zurückgenommen würden, dass alle Gespräche nichts fruchteten, tauchte der Gedanke an Streik auf. Aber sofort folgte die Antwort: geht doch nicht, wir können doch unsere KlientInnen nicht im Stich lassen! Schon wieder Schuldgefühle! Und dazu noch das Gefühl der Ohnmacht.

Wie können Menschen, die im Sozial-, Gesundheits- und Bildungsbereich arbeiten, ihren berechtigten Forderungen nach ausreichender Bezahlung ihrer Arbeit und ausreichender Personalausstattung Nachdruck verleihen? Wie kann für KünstlerInnen ein existenzsicherndes Einkommen erreicht werden, angesichts europaweiter Austeritätsprogramme, die man getrost als Klassenkampf von oben bezeichnen kann? Das wird das zentrale Thema bei der PlattforUm25-Konferenz nächstes Wochenende sein.

Den Auftaktvortrag wird Martin Schenk halten, Mit-Autor des Buches Es reicht! Für alle!. Und das ist ja auch das Motto der Konferenz. Es wird darum gehen, klar zu stellen, dass es keinen Grund zum Sparen gibt, dass genug Geld da ist für ein Gutes Leben für alle. Damit die Ausgangssituation klar ist, für die Workshops am Samstag. Die Forderungen nach angemessenen Arbeitsbedingungen und guter Betreuung sind legitim, aber wie sie durchsetzen? In dem Zusammenhang ist noch etwas klar: es geht nur, wenn wir das Auseinanderdividieren, das Gegeneinander-Ausspielen, nicht mitmachen. Nur durch Solidarität zwischen allen Betroffenen, den MitarbeiterInnen, den KlientInnen und deren Angehörigen ist es möglich, Verbesserungen zu erreichen.

Beispiele dafür gab es bei der Wiener Veranstaltung zwei. Eine Abteilung eines Krankenhauses hat gemeinsam eine Überlastungsanzeige an den Arbeitgeber eingebracht. Eine Überlastungsanzeige ist „eine schriftliche oder mündliche Mitteilung eines Arbeitnehmers an den Arbeitgeber oder den zuständigen Vorgesetzten über eine Gefahr für die Sicherheit, die Gesundheit oder andere Interessen des Arbeitsnehmers, des Arbeitgebers oder Drittbetroffener, die aus einer Überlastung oder Überforderung des Arbeitnehmers aufgrund von ihm nicht beeinflussbarer Arbeitsbedingungen oder organisatorischer Mängel resultiert.“ Natürlich ist das nicht so leicht, denn die Ursache der Überlastung könnte ja auch die mangelnde Belastbarkeit des Arbeitnehmers sein. Nun hat aber zwar eine Person die Überlastunganzeige eingebracht, aber die ganze Abteilung hatte sich dahinter gestellt, was einigen Staub im Management aufwirbelte, letztendlich aber wirklich zu einer Aufstockung des Personals geführt hat. Das konnte gelingen, weil alle MitarbeiterInnen dieser Abteilung dahinter standen, keiner versuchte, sich einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen, indem er sich bereit zeigte unter diesen Bedingungen zu arbeiten.

Das zweite Beispieil war ein Streik in der Charité, einem Berliner Krankenhaus, mit dessen Hilfe ein Kollektivvertrag in dem Facility Management Unternehmen erzwungen wurde, an das ein Teil der MitarbeiterInnen ausgelagert wurde, um Personalkosten zu sparen. Als zentrale Aussage blieb mir dabei in Erinnerung: als wir dort in der Eingangshalle beisammen waren, da hatten wir keine Angst mehr. Das hört man ja auch immer wieder von den besetzten Plätzen in Athen, in Madrid und überall sonst. Wenn Menschen zusammenkommen, merken, dass sie die selben Interessen haben und sehen, wie viele sie sind, dann können sie diese Spirale aus Angst und Ohnmacht überwinden. Wenn die PlattforUm25-Konferenz dafür Raum bieten und Anstöße geben kann, dann hat sie ihre Aufgabe erfüllt.

Denn die steirischen Sparmaßnahmen sind ja erst der Anfang, sie sind nur der Vorgeschmack dafür, was noch auf uns zukommen wird, wenn es nach den Vorstellungen derer geht, die im Moment in Europa das Sagen haben. Der europäische Fiskalpakt, das angebliche Wunderheilmittel gegen Wirtschafts-, Finanz- und Schuldenkrisen, ist in Wahrheit eine Zeitbombe. In einer Podiumsdiskussion vor wenigen Tagen in Wien ging es um die rechtlichen Probleme: Es handelt sich dabei um keine EU-Richtlinie oder Verordnung, denn dieser vielgepriesene Pakt ist nicht mit EU-Recht vereinbar, sondern um einen völkerrechtlichen Vertrag (soviel für die, die meinen, ein Austritt aus der EU würde alle Probleme unserer kleinen Insel der Seligen lösen) und er ist auch verfassungswidrig. Er verletzt nämlich die in den nationalen Verfassungen und im EU-Vertrag garantierte Budgethoheit des Parlaments, das bedeutet, dass das Parlament das Budget genehmigen muss. Um das zu erreichen, so ein Redner in der Diskussionen, waren immerhin drei Revolutionen notwendig: die englische des 17. Jahrhunderts, die amerikanische und die französische. Diese Errungenschaften werden nun in kürzester Zeit zunichte gemacht.

Der Ökonom Stephan Schulmeister hat sich die wirtschaftlichen Auswirkungen angesehen – und die verstärken die Tendenz. Europa ist auf dem Weg zu einem neofeudalen Gesellschaftssystem, in dem die Demokratie ausgehebelt und die Umverteilung von unten nach oben vorangetrieben wird. Der Fiskal-Pakt fordert ein ausgeglichenes Budget einerseits und eine Reduktion der Staatsschulden auf 60% des BIP andererseits. Führen die Sparmaßnahmen, die das Budgetdefizit reduzieren sollen, zu einer Rezession und schrumpfendem BIP, werden auch die 60% weniger und eine Staatsverschuldung, die einem Jahr noch zulässig wäre, ist im nächsten Jahr zu hoch, was wieder weitere Sparmaßnahmen notwendig macht. Eine sich immer weiter nach unten drehende Spirale, die, so Schulmeister, in Europa zu einer Situation wie in den 1930er Jahren führen könnte.

Ein völkerrechtlicher Vertrag, der Regierungen zu Maßnahmen verpflichtet, die Demokratie abschaffen und die Schere zwischen Reich und Arm weiter auf machen, ein völkerrechtlicher Vertrag, der Verfassung und EU-Recht aushebelt, ist eine Pervertierung des Rechts, ist strukturelle Gewalt. Schulmeister schließt seinen Falter-Artikel (gibt’s leider nicht online) mit den Worten: Die Verhinderung des Fiskal-Paktes ist erste Bürgerpflicht. Schon Bertolt Brecht wusste: wenn Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht.

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