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Nicht die Karten sind falsch, die Spielregeln sind anders!

Kolja Mendler hat einen Artikel zur Verteidigung der Gemeinwohlökonomie geschrieben. Das ist sein gutes Recht und es ist durchaus begrüßenswert, wenn sich VertreterInnen der GWÖ mit ihren KritikerInnen auseinandersetzen. Und es ist auch normal, dass man – aus unterschiedlichen Weltanschauungen und Perspektiven kommend – unter verschiedenen Begriffen verschiedene Dinge versteht. Man kann dann endlos über Begriffe streiten, ohne jemals auf einen grünen Zweig  zu kommen. Das will ich hier nicht tun, aber trotzdem auf einige Aspekte antworten:

Mendler wehrt sich erst gegen den Vorwurf der Vereinnahmung. Wie könne Felber die Solidarische Ökonomie vereinnahmen, wo die SolÖk und GWÖ doch, so die KritikerInnen, miteinander unvereinbar seien? „Entweder Vereinnahmung oder Gegensatz: Beides gleichzeitig geht nicht“, meint Mendler und führt die Wahrnehmung der Vereinnahmung hauptsächlich darauf zurück, dass der Titel des Buches von Christian Felber „Gemeinwohlökonomie –  Das Wirtschaftsmodell der Zukunft“ lautet, anstatt, wie es besser wäre „Ein Wirtschaftsmodell der Zukunft“.

Vereinnahmung oder Gegensatz, beides gleichzeitig geht nicht? Das geschieht doch andauernd, das ist das Prinzip, wie in Gesellschaften Konsens hergestellt wird, dass man Etiketten auf Dinge klebt, deren Inhalt mit dem Etikett unvereinbar ist. Ich sehe die Vereinnahmung nicht im Titel des Buches, der ist mir eigentlich egal. Die Vereinnahmung sehe ich, wenn Christian Felber wiederholt, wie z.B. bei der Diskussion bei der Attac Sommerakademie, sagt, die Commons wären ja Teil der Gemeinwohlökonomie – und – manche Dinge „sollten wir als Commons organisieren“. Aha. Und wer bitte ist wir? Und wird da nicht das Etikett „Gemeinwohlökonomie“ auf die Commons geklebt – vielleicht auch ohne zu schauen, was eigentlich „drin“ ist in den Commons, ob das Etikett überhaupt passt?

Im Konzept der Gemeinwohlökonomie haben Commons einen Platz, dort wo sie „ins Konzept passen“, dort wo sie nach Meinung der Entwickler besser funktionieren als der Markt. Das ist nicht neu. Das geschah im Kapitalismus von Beginn an. Der Markt braucht Bereiche außerhalb des Marktes, damit er überhaupt funktionieren kann. Das sind die unbezahlte Hausarbeit ebenso wie die unbezahlte gesellschaftliche Arbeit, die in solidarischen Wirtschaftsformen in Form von Commoning geschieht. Hier vereinnahmt ein dominierendes Wirtschaftsmodell Produktionsformen, die seiner Logik widersprechen, indem es sie zu seinem Vorteil einsetzt. So funktioniert hegemonialer Machterhalt.

Wenn es das wäre, was wir wollen – Lückenbüßer in einem System  zu sein, das sich selbst nicht erhalten kann – dann bräuchten wir keine Commons-Bewegung. Wenn wir uns für Commons stark machen, dann deswegen, weil wir es für wichtig halten, dass der Bereich der Commons über das hinausgehen kann, was auch dem dominierenden System nützt, weil wir das für den Ansatzpunkt sozialer Transformation halten. Commons kann man nicht von oben verordnen, sie entstehen dort, wo Menschen beschließen, sich für sie notwendige Dinge anzueignen, dafür Verantwortung zu übernehmen und sie zu verwalten nach Regeln, die sie selbst machen. Das sind nicht immer die Bereiche, die sich diejenigen wünschen, die sich Gesellschaftsmodelle ausdenken.

Commons folgen auch nicht den Regeln der Gemeinwohlökonomie, sie „gehören nicht dazu“, sondern sie brauchen Regeln die der jeweiligen Ressource, der Kultur und den individuellen Bedürfnissen derer die sie machen angepasst sind. Und die müssen dann vom Gesetzgeber anerkannt werden, d.h. die Leute, die versuchen Gesetze von oben  zu machen, müssen eben genau jenen Freiraum zugestehen, damit Commons mit ihren eigenen Regeln wachsen und gedeihen können – nicht nur dort, wo es ins Konzept passt.

Wenn Christian Felber z.B. immer wieder meint, wir sollten das Bildungs- oder Gesundheitssystem als Commons organisieren, so würde ich das eher skeptisch sehen. Natürlich, wir sollten diese Dienstleistungen demokratisieren, die NutzerInnen und MitarbeiterInnen sollten mitreden können und die Regierungen sollten sie nicht ohne die Zustimmung der BürgerInnen verkaufen können. Aber als Commons scheinen mir solche Dinge nur bedingt geeignet, weil wir es nicht offen lassen sollten, ob sich Menschen finden, die sich darum kümmern. Hier laufen wir leicht Gefahr zur Privatisierung öffentlicher (ich verstehe „öffentlich“ nicht gleichbedeutend mit „staatlich“) Aufgaben beizutragen. Allenfalls kann das in einem sehr fortgeschrittenen Stadium in der Entwicklung einer commons-basierten Gesellschaft geschehen. Damit zu beginnen kann leicht jenen in die Hände spielen, die ohnehin gerne Sozial- und Bildungsausgaben kürzen wollen. In anderen Bereichen kann das viel schneller und besser funktionieren – etwa bei der Nahrungsmittelversorgung, bei der Wissensproduktion, bei der Nutzung von Natur- und Freizeiteinrichtungen, bei Bau- und Reparaturarbeiten, usw. Auf jeden Fall, nicht nur die staatlich organisierten Bereiche umbauen, sondern mindestens ebenso dringend, Bereiche die marktförming organisiert sind. Wie gesagt, man kann nicht ein gesamtwirtschaftliches Konzept entwerfen und dort vom Schreibtisch aus Commons platzieren. Commons entstehen durch Selbstermächtigung und Aneignung, sie ordnen sich nicht unter größere Gesamtkonzepte unter.

Weiters wirft Mendler mir vor „mit falschen Karten zu spielen“, weil ich die Werteorientierung der GWÖ ablehne, dann aber selbst neue Werte setze:

„Ein wesentliches Merkmal einer Gesellschaftsordnung sollte für mich sein, dass sie gerade Menschen, die die Werte der Mehrheit nicht teilen, nicht von der Nutzung lebenswichtiger Güter ausschließt – sie muss sich an den Bedürfnissen orientieren nicht an Werten.“, schreibt Brigitte Kratzwald (a.a.O. 75 %). Auch wenn man es vielleicht nicht auf den ersten Blick erkennt, ist dieser Satz genauso paradox wie „ein Kreter sagt, alle Kreter sind Lügner“. Denn es handelt sich hier um einen normativen Satz, einen Satz, der sich an einer Wertvorstellung orientiert (der Wert ist in diesem Fall Bedürfnisorientierung), während er sich gleichzeitig gegen Werte ausspricht, also sich selbst die Existenzberechtigung abspricht …

Ich gebe zu, die Formulierung „eine Gesellschaftsordnung müsse sich an den Bedürfnissen ihrer Mitglieder orientieren“ kann zu Missverständnissen Anlass geben, weil es wieder so klingt, als müsse jemand „von oben“ oder irgendein Konzeptentwickler auf die Bedürfnisse anderer Rücksicht nehmen. Und: ja, natürlich, Bedürfnisorientierung ist ein Wert, den jemand verfolgen kann, der Dinge für andere herstellt. In Commons geht es aber nicht um bedürfnisorientiertes Handeln, sondern um unmittelbare Bedürfnisbefriedigung. Diese ist kein Wert sondern eine pure Notwendigkeit. Jede Gesellschaft muss die Bedürfnisse ihrer Mitglieder zumindest ansatzweise befriedigen, sonst hat sie keine Überlebenschancen.

In einer Marktgesellschaft werden Dinge hergestellt, um sie zu verkaufen. Nicht weil die Produzenten dieser Güter gierig sind, sondern weil man in einer Marktgesellschaft Geld braucht, um überleben zu können. Dazu müssen die Produkte nach ihrer Herstellung über den Markt mit den möglichen KonsumentInnen vermittelt werden. Damit KonsumentInnen die Dinge auch kaufen, müssen sie irgendwelche Bedürfnisse erfüllen. Diese Passung kann durch die Werbeindustrie hergestellt werden. Ein Unternehmer tut aber sicher gut daran, schon vorher herauszufinden, welche Bedürfnisse seine zukünftigen KundInnen haben, das kann ihm viele Werbekosten ersparen. Und sozial verantwortliche UnternehmerInnen können dann sagen, ihnen sei die optimale Befriedigung der Bedürfnisse ihrer KundInnen so wichtig, dass sie dafür auch auf einen Teil des Profits verzichten. Das wäre dann Bedürfnisorientierung, die als Wertmaßstab an einen Produktionsprozess angelegt wird, in dem Menschen für andere produzieren.

Wenn jemand isst, weil er hungrig ist, würde man das wohl kaum als bedürfnisorientiertes Handeln bezeichnen, sondern es handelt sich um einen unmittelbaren Akt der Bedürfnisbefriedigung. Genau so ist es bei Commons. Menschen machen und erhalten Commons, weil sie ihre Bedürfnisse so besser befriedigen können als alleine. Ist das nicht der Fall, so gibt es keine Commons. Aus. Das wissen wir von Elinor Ostrom. So einfach und doch anscheindend so schwer verständlich. Es wird nur deshalb produziert, damit und solange Bedürfnisse erfüllt werden, die der Menschen die sie herstellen. Für sich selbst, nicht für andere, nicht für einen Markt, wo sie dann erst KäuferInnen finden müssen. Nach Regeln, die sie selber machen. Dass die Ressourcen dabei pfleglich behandelt werden ist Teil dieses Bestrebens, sonst ist ja die Bedürfnisbefriedigung nicht gesichtert. Nicht die Karten sind also falsch, sondern die Spielregeln sind anders.

Und noch ein letzter Punkt: auf meinen Einwand, die Ideen für eine soziale Transformation müssten im Tun entstehen und könnten nicht vom Schreibtisch aus entwickelt werden, meint Mendler:

Ich denke, die GWÖ ist eine notwendige Ergänzung zur Solidarischen Ökonomie, wenn diese wirklich ihre Nischen verlassen und die ganze Gesellschaft umgestalten will. Man kann auch von den Menschen, die in der Solidarischen Ökonomie arbeiten und dort genug zu tun haben, nicht auch noch erwarten, ein gesellschaftliches Gesamtkonzept auszuarbeiten und entsprechende Netzwerke zu organisieren. Dies ist die Aufgabe von Philosophen und Sozialwissenschaftlern, die so etwas „vom Schreibtisch aus“ machen.

Hier ist mir ja wirklich fast die Luft weggeblieben! Die kleinen, braven Commoners und solidarwirtschaftlichen Unternehmen machen ihre niedlichen Commons und die großen Denker der Gemeinwohlökonomie machen die gesamtgesellschaftlichen Regeln dafür? Und die Philosophen und Sozialwissenschaftler sind ausschließlich in den Reihen der GWÖ zu finden, oder was? Geht’s noch?

Das zeigt genau wieder jene Rolle, die die Gemeinwohlökonomie für die Commons vorsieht. Eine Rolle in von ihr definierten Nischen und als Teil ihres Gesamtkonzeptes. Hier ist sie wieder, die Vereinnahmung. Denn was anderes als Vereinnahmung ist es, wenn hier behauptet wird, die Commoners bräuchten die Leute am Schreibtisch, die für sie die Regeln machen und sich die GWÖ damit als Schutzpatronin der Commoners präsentiert?

Wenn wir Commons fordern, dann fordern wir genau das: dass niemand von oben, vom Schreibtisch aus, die Regeln für uns macht, sondern wir fordern Entwicklung der Gesetze von unten! Das ist der Unterschied zwischen uns, dass wir der Überzeugung sind, dass sich die gesamtgesellschaftliche Ordnung aus der Art und Weise ergibt, wie Gesellschaften ihre Reproduktion organisieren, da können die am Schreibtisch machen was sie wollen. Uns für die Commons einzusetzen bedeutet, genau jene Freiräume jenseits eines wie immer gearteten, gesamtgesellschaftlichen Konzeptes einzufordern, in denen sich Commons nach ihrer jeweils eigenen Logik entwickeln können und zu fordern, dass diese Freiräume gesetzlich abgesichert sind, ebenso wie das Recht zur Verteidigung dieser Freiräume.

Wenn wir einen gesetzlichen Rahmen schaffen wollen, in dem Commons gedeihen können, reicht es nicht, Privateigentum nach oben zu begrenzen, um es gerechter zu verteilen, sondern es geht darum, das Konzept des Privateigentums selbst in Frage zu stellen und durch Nutzungsrechte zu ersetzen und es geht vor allem darum, die Trennung zwischen Produktion, Konsum, und politischer Entscheidungsebene aufzuheben und anzuerkennen, dass Wissensproduktion Teil des gesamtgesellschaftlichen Reproduktionsprozesses ist und nicht von den „objektiven“ Wissenschaftlern von außen erfolgen kann. Dann brauchen wir die Bedürfnisorientierung als Wert nicht, weil niemand davon abhängig ist, dass sich jemand bei der Planung gesellschaftlicher Tätigkeiten an ihren oder seinen Bedürfnissen „orientiert“, weil alle diese unmittelbar einbringen können.

1 thought on “Nicht die Karten sind falsch, die Spielregeln sind anders!

  1. Hallo Brigitte,
    vielen Dank für dein ausführliches Feedback. Einige deiner Argumente teile ich jetzt, da ich mich inzwischen von der GWÖ-Bewegung gelöst habe. Den völligen Verzicht auf normative Begründungen halte ich aber nach wie vor für problematisch … Vielleicht finden wir ja nochmal Gelegenheit, um uns auszutauschen.
    Viele Grüße,
    Kolja

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