Das ist die Botschaft der Zapatistas, vermittelt durch John Holloway. Die Solidarität mit Chiapas ist eines, das wichtigere aber ist, bei uns die Verhältnisse zu verändern, denn der Kampf um Würde muss überall andere Formen annehmen. Und darum geht es, um Würde, nicht um Askese, nicht um Geld oder Macht. Und weil unsere Würde auf andere Art bedroht ist als in Chiapas, können wir den Aufstand der Zapatistas auch nicht als Modell nehmen, aber als Inspiration.
Aber – wodurch ist unsere Würde denn bedroht? Langzeitarbeitslose, SozialhilfeempfängerInnen wüssten sofort eine Antwort. Aber sonst – steht unsere Würde überhaupt auf dem Spiel?
„Was ist es, das unsere Würde negiert?“ fragt Holloway und antwortet: „Es ist die Unterbrechung des Tuns selbst. Unsere Würde ist Tun, unsere Fähigkeit, zu tun und es anders zu tun.“ Und weiter „Wir können planen etwas Neues zu machen, und es dann tun. Diese Fähigkeit des Tuns ist immer sozial, ob es so erscheint oder nicht. Unser Tun setzt immer das Tun anderer voraus, in der Gegenwart und in der Vergangenheit. Unser Tun ist immer Teil eines sozialen Flusses des Tuns, in dem das Getane der einen in das Tun anderer einfließt“.
Darum, steht nicht unsere Würde auf dem Spiel, wenn wir in unseren Projekten immer der Logik des Systems nachgeben müssen anstatt das zu tun, von dem wir wüssten, dass es richtig wäre? Wenn wir immer wieder darauf warten müssen, ob es unsere Arbeitsstelle im nächsten Jahr noch geben wird, ob unser Projektantrag angenommen wird? Immer darum betteln zu müssen, für das auch bezahlt zu werden, was wir gerne tun würden, was auch nützlich für die Gesellschaft wäre? Uns immer verkaufen zu müssen, anpreisen mit Worten, die nicht unsere sind, die gegen unser Selbstverständnis stehen? Wenn uns immer eingeredet wird, wir müssten uns gegen alle anderen durchsetzen, statt mit anderen zu kooperieren?
Werden wir nicht entwürdigt, wenn wir, sobald wir unsere Wohnung verlassen, von Kameras beobachtet werden – angeblich zu unserer eigenen Sicherheit? Ist es mit unserer Würde vereinbar, dass auf den Finanzmärkten unsere Lebensqualität zum Einsatz im Börsenroulette wird? Steht unsere Würde nicht auf dem Spiel, wenn wir immer abhängig sind vom good will derer die Geld und Macht haben?
Was ist es dann, was uns unsere Würde wieder zurückgeben kann? Wie können wir unser Leben in unsere eigenen Hände zurückholen, wieder mehr Selbstbestimmung und weniger Abhängigkeit schaffen? Was können wir „Neues planen“ und „anders tun“? Das Mietshäuser Syndikat ist ein Beispiel dafür, wie es in einem kleinen Bereich gehen kann. In Kassel schon habe ich eines der Hausprojekte besucht, in Freiburg ist die Zentrale und dort gibt es auch gleich jede Menge Wohnprojekte. Aber nicht nur Wohnraum wird dort geschaffen, Sozial- und Kulturzentren, freie Radios, Kostnix-Läden, Infoläden, Cafés, Werkstätten, Kindergärten sind in den Häusern untergebracht, auch betreutes Wohnen für alte Menschen gibt es und verschiedenste Wohnformen für verschiedene Altersgruppen und daneben in den Gärten oft auch Wagenplätze.
Selbstbestimmtes Wohnen auch für Menschen, die kein Geld haben um eine Wohnung oder gar ein Haus zu erwerben und das zu möglichst günstigen Mietpreisen. Aber auch nicht gratis, denn es soll durch Solidarbeiträge auch die Schaffung neuer Wohnmöglichkeiten unterstützt werden. Trennung von Eigentum und Nutzung von Wohnraum ist ein Ziel des Syndikats, Häuser auf Dauer dem freien Markt zu entziehen, das andere. Eines das angesichts dieses großartigen Artikels in der „Zeit“ besonders wichtig erscheint. Möglich wird das durch die Gründung von GmbHs, die die Häuser erwerben und an die Hausvereine vermieten. Diese können damit machen was sie wollen – außer sie verkaufen, da hat das Syndikat als zweiter Gesellschafter ein Vetorecht.
Finanziert wird ein großer Teil durch Direktkredite. Das heißt, Menschen, die ihr Geld nicht einer Bank anvertrauen wollen, können es in einem Hausprojekt anlegen. Es gibt bis zu 2% Zinsen, aber Gewinn ist ja auch nicht der Zweck der Geldanlage. Der liegt vielmehr in der Schaffung eines Raumes außerhalb des Marktes, und das mit Hifle der kapitalistischen Instrumente Kredit und Privatunternehmen. Mit drei Monaten Kündigungsfrist können die Anleger ihr Geld samt Zinsen zurück bekommen, dafür müssen neue Kreditgeber angeworben werden. 50 bis 60 Kreditgeber haben manche Hausvereine.
Die Hausprojekte sind – ich kann nichts dafür, das kommt von selbst 😉 – ein Musterbeispiel für commons. Jenseits des Einflusses von Markt und Staat, Trennung von Eigentum und Nutzungsrecht, Verkauf oder Profit explizit ausgeschlossen, kollektiv durch solidarisches Handeln ermöglicht, nach Regeln organisiert, die sich die NutzerInnen selbst geben. Ein Großteil der Menschen, die in solchen Hausprojekten leben, hat kein oder nur wenig Geld in den Häusern stecken, die sie bewohnen und könnten ein gleichwertiges Haus nie auf dem Markt erwerben. Das gemeinsame Wohnen macht das Leben auch billiger, häufig werden auch Lebensmittel selbst angebaut. Das bedeutet, dass auch mit wenig Geld ein „Gutes Leben“ möglich wird und auch der sozialen Isolation vorgebeugt wird. Ein Beispiel, sich nicht im Tun beschränken zu lassen. Ein kleiner Schritt auf dem Weg zur Rückgewinnung unserer Würde? Auf jeden Fall eine Idee, die Schule machen sollte und sicher auch auf andere Projekte übertragbar wäre.
Und dann noch etwas ganz anderes: nach einer Woche in Freiburg und Abstinenz von der österreichischen Medienwelt (und verwöhnt von der „Zeit“) habe ich gestern abend die Zeitungen der vorigen Woche durchgeblättert und die aktuellen Meldungen haben mich schnell wieder in die österreichische Realität zurückgeholt und einmal mehr veranlasst zu fragen, in welchem Land wir eigentlich leben???
Wer verdächtigt wird, Kontakte zur Animal Liberation Front zu haben, kommt ein halbes Jahr in Untersuchungshaft und wird wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung angeklagt. Wer nachweislich Kontakte zu Menschen hat, die wiederholt wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung verurteilt wurden, kann für die Bundespräsidentenwahlen kandidieren.
Es wird ein öffentliches Transferkonto für Sozialleistungen eingerichtet, damit jeder weiß, wer die „Sozialschmarotzer“ sind (dass die SPÖ wieder einmal umgefallen ist, ist nicht einmal mehr Anlass zur Verwunderung). Aber wieviel Geld in die Banken geflossen ist und wieviel davon sie wirklich wieder zurückzahlen, wieviel davon in Prämien für Manager geflossen ist oder in den Kauf kleinerer Banken, wieviele Kredithaftungen schlagend werden, wieviel Geld bei den Salzburger Festspielen in diversen dunklen Kanälen versickert ist und wieviel Geld in die Wirtschaftsförderung fließt, die Nebeneinkommen unserer PolitikerInnen, das alles braucht natürlich keine Transparenz. Wäre es nicht auch im Sinne unserer Würde sich dafür einzusetzen, dass auch für die Großen gilt, was den Kleinen zugemutet wird?
„Die Hausprojekte sind – ich kann nichts dafür, das kommt von selbst 😉 – ein Musterbeispiel für commons. “
An der Stelle musste ich lachen. Als wir 2006 in Mexiko eine Konferenz gemacht haben, und uns mühsam an den Commonsbegriff rangepirscht, hatten wir Leute aus Nord- und Südamerika eingeladen. Für alle war das ziemlich neu. Nach der Konferenz viele gute Rückmeldungen. Eine Kollegin schrieb: „Komisch, ich seh‘ plötzlich überall commons.“
Ist der Perspektivwechsel erst vollzogen, kommt der Rest (neue Ideen, Projekte, Konzepte, Gesetzesvorschläge u.v.a. ein weniger selbstbezogener Freiheitsbegriff) von allein.
Ansonsten: Können wir nicht fix den Abschnitt über’s Mietshäusersyndikation auf’S Gemeingüterportal stellen?