Das Ernährungssystem von unten verändern
Ein Begriff, der im Zusammenhang mit einer zukunftsfähigen Form der Landwirtschaft immer wieder auftaucht, ist die „Agrarökologie“. Obwohl auch manche Vertreter*innen der industriellen Landwirtschaft versuchen, ihn sich auf ihre Fahnen zu heften, geht die hauptsächliche Dynamik „von unten“ aus, von den sozialen Bewegungen um Ernährungssouveränität und vom globalen Süden. Der Ansatz der Agrarökologie geht weit über eine landwirtschaftliche Methode hinaus, indem er soziokulturelle Elemente wie traditionelles Wissen und spezifische Methoden vor Ort mit einbezieht. In einer Broschüre der ÖBV Via Campesina (pdf), wird Agrarökologie auf dreifache Weise definiert: als Wissenschaft, Praxis und soziale Bewegung, die letztlich ineinander greifen.
Es gibt keine umfassende Definition von Agrarökologie, es hängt immer von der jeweiligen Situation ab, wie sie umgesetzt wird. Im Grunde geht es aber immer um die Frage: wie können alle Menschen ihre Bedürfnisse befriedigen auf eine Art und Weise, die die Umwelt nicht zerstört. Eine recht gute Erklärung dafür gibt es hier.
Agrarökologie verbindet immer soziale und ökologische Aspekte. Klimapolitik, Umweltpolitik müssen immer auch soziale Aspekte im Blick haben, damit sie nicht die bestehenden Ungleichheiten reproduzieren. Verschiedene landwirtschaftliche Methoden sind damit vereinbar, ökologische Landwirtschaft, regenerative Landwirtschaft, Permakultur, auch Elemente der Renaturierung. Und es geht immer auch um die Fragen, wer Zugang hat zu Land, zu Saatgut, ob jemand davon leben kann, wie die Arbeitsbedingungen sind, und Ähnliches. Und weil es für Agrarökologie, genau so wie für regenerative Praktiken keine universelle Gebrauchsanweisung gibt, sondern sie immer an den jeweiligen Ort und die Kultur der dort lebenden Menschen angepasst werden müssen, ist es wichtig, auch lokales, oft indigenes Wissen einzubinden.
Care + Ökologie = Earthcare
Darum ist Agrarökologie auch so etwas wie ein Scharnier zuwischen verschiedenen Bewegungen. Ich engagiere mich derzeit bei FAIRsorgen! , einem Netzwerk, das die Aufmerksamkeit auf die Bedeutung der Sorgearbeit lenken will und mehr Wertschätzung, mehr Zeit und – sofern sie als Lohnarbeit erbracht wird – bessere Arbeitsbedingungen und bessere Bezahlung erreichen möchte. Ein wesentlicher Punkt in unseren Forderungen ist auch die Sorge um die Umwelt, um unserer Lebensbedingungen. Das schöne Wort „Earthcare“, das sich Kümmern um die Erde, passt da dazu. Die Krise der Caretätigkeiten, die wir derzeit erleben, hat ihre Ursachen ebenso wie die ökologischen Krisen im kapitalistischen Wirtschaftssystem – dazu ein andermal mehr. Darum müssen wir gemeinsam auf einen Systemwandel hinarbeiten.
Die Landwirtschaft transformieren
Das Netzwerk „common ecologies“ hat ein Buch geschrieben über Agrarökologie „Transforming Agriculture und Beyond„. In dem Buch werden die Erfahrungen erfolgreicher Initiativen aus Europa gesammelt, die es geschafft haben, ihre Rechte auf Land durchzusetzen, die Anerkennung ihres Wissens oder ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern. Häufig geht es dabei um undokumentierte Arbeitskräfte, um Menschen die auf der Flucht zu uns gekommen sind und hier ausgebeutet werden. Diese Erfolge haben alle eines gemeinsam: sie wurden nicht allein errungen, sondern waren nur möglich, weil sich viele Menschen gemeinsam engagiert haben, Vereine oder Genossenschaften gegründet haben, und Wege gefunden haben ihr Land und ihren Status rechtlich abzusichern. Das Buch kann von der Webseite heruntergeladen werden.
Es gibt auch eine deutschsprachige Plattform für agrarökologische Initiativen in der Schweizagrarökologische Initiativen in der Schweiz.
Die glücklichen Hühner
Und schließlich, ein Projekt, das ich sehr mag, sieht Agrarökologie ebenfalls als die Basis seiner Arbeit: die Galline Felici – zu Deutsch die „Glücklichen Hühner“ – aus Sizilien. Ihr Motto: Respekt vor der Natur, Respekt vor den Menschen – Einsamkeit in Solidarität verwandeln. Die Galline sind eine Genossenschaft aus über 50 Produzent*innen, die auch solidarische Beziehungen zu ihren Abnehmer*innen eingehen. Sie verkaufen ihre Produkte, hauptsächlich Südfrüchte, an solidarische Einkaufsgruppen in Italien, Frankreich, Belgien, der Schweiz, Österreich und Deutschland liefert. Diese Einkaufsgruppen sind Teil der Genossenschaft und an verschiedenen Projekt beteiligt. Gemeinsam können sie zum Beispiel auch migrantische Arbeitskräfte mit fairen Verträgen das ganze Jahr über anstellen. Und sie schaffen es mit gegenseitiger Unterstützung den Herausforderungen des Klimawandels zu begegnen. Ich habe darüber einen Beitrag für die Contraste geschrieben, der demnächst hier verlinkt wird 🙂 .