Das fragt sich so manche nach dem Abschluss der Regierungsverhandlungen zwischen Türkis und Grün. Es war mir schon klar, dass die Grünen nicht besonders viele Erleichterungen in Bezug auf Asyl und Menschenrechte reinverhandeln werden können. Ich bin aber doch entsetzt, wie wenig es ist! Und ich bin überrascht von der Eindeutigkeit mit der der Bundeskongress diesem Abkommen zugestimmt hat.

Andererseits: es ist einfach komplett unrealistisch, dass Kurz von einer Legislaturperiode auf die andere einen 180-Grad-Schwenk macht. Damit würde er jegliche Glaubwürdigkeit verlieren. Und eigentlich muss man – bei allem Bauchweh – schon zugeben, dass das die beste Regierung ist, die in Österreich derzeit möglich scheint. Ein bisschen kommt es mir vor, wie die 12. Fee bei Dornröschen. Nachdem die zornige 13. ihren unheilvollen Fluch ausgesprochen hat, kann die 12. ihn nicht mehr zurücknehmen, sie kann ihn nur noch abschwächen. Und solche Abschwächungen der Grauslichkeiten finden sich in dem Regierungsprogramm an vielen Stellen. (Ich hab das ganze Regierungsprogramm in der Kurzfassung gelesen, die Abschnitte über Migration und Asyl in der ausführlichen Version.)

Da ist zwar immer noch die vielgeschmähte „Sicherungshaft“ – die konnte man anscheinend nicht wegverhandeln. Allerdings mit dem Zusatz „verfassungskonform“ sind – falls das überhaupt möglich ist – sicher schon viele Einschränkungen verbunden. Hier könnte quasi ein Ausstiegsszenario schon eingebaut sein.

Überhaupt liegt eine große Betonung auf Menschenrechten, zB: „Österreich positioniert sich in der kommenden Legislaturperiode aktiv als internationaler Vorreiter beim Menschenrechtsschutz“. Das ist sehr positiv nach den wiederholten Angriffen auf die Menschenrechte durch die letzte Regierung und auch eine Vorlage für die Zivilgesellschaft – die übrigens auch gestärkt werden soll. Hier liegt es eben an uns, immer wieder einzufordern, dass das auch in der Realpolitik sichtbar wird.

Obwohl die Bundesbetreuungsagentur umgesetzt werden soll, wird auch die Sicherstellung der Unabhängigkeit der Rechtsberatung explizit angeführt: „Unter anderem Schaffung eines Qualitätsbeirates zur zusätzlichen Absicherung der Unabhängigkeit der Rechtsberatung unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft, Juristinnen und Juristen, dem UNHCR und der Volksanwaltschaft.“

Beim Thema Integration gibt es durchaus einige der oben erwähnten Abschwächungen zu finden. Das leidige Thema Kopftuch konnte allerdings anscheindend auch nicht raus … . Mir erschließt sich immer noch nicht, warum es besser sein soll, Mädchen und Frauen bestimmte Kleidungsstücke zu verbieten als ihnen bestimmte vorzuschreiben.

Bei der Frage der Menschen, die noch an den Außengrenzen der EU warten, sei es in Libyen und übers Mittelmeer kommen, oder auf der Balkanroute und in Fragen der Abschiebung liest man leider keine Verbesserungen heraus. Menschenrechtskonforme SAR-Zentren in sicheren Drittstaaten erscheinen mir eine nicht umsetzbare Zielsetzung, auf jeden Fall brauchen die Menschen dort jetzt sofort Hilfe, nicht in 2 Jahren, wenn sich vielleicht irgendein Staat gefunden hat. Den Ausbau von Frontex zu fördern klingt auch eher nach gefährlicher Drohung und Verhandlung von Rücknahmeabkommen mit den Herkunftsländern klingt auch nach eher mehr als weniger Abschiebungen.

Wenn das alles war, was möglich war, so bleibt es eben an uns, an den Akteur*innen der Zivilgesellschaft, einerseits auf die Umsetzung des Wenigen zu achten, was im Regierungsübereinkommen drin steht, vor allem aber eine kontinuierliche konstruktive Auseinandersetzung mit dem Thema Flucht/Migration einzufordern.

Flüchtlinge gehen nicht weg, wenn man Grenzen schließt. Und schon in absehbarer Zeit wird die Zahl der Flüchtlinge wieder zunehmen. Es braucht dringend ein europäisches Konzept, aber wir können auch in Österreich einfach schon einmal anfangen.

  • Etwa Familien mit Kindern von den griechischen Inseln aufnehmen, oder Menschen, die aus dem Mittelmeer gerettet werden. Ich bin mir sicher, dass sich Gemeinden finden würden, die diese Menschen aufnehmen würden – wenn sie könnten.
  • Die Abschiebungen nach Afghanistan beenden.
  • Asylwerbern Arbeit ermöglichen und sie nicht jahrelang untätig herumsitzen lassen – und dann als Sozialschmarotzer diffamieren. Die wollen das nicht.
  • Und sicher noch mehr …

Auch in der ÖVP gibt es viele Menschen, zB aus dem kirchlichen Bereich, die mit Flüchtlingen arbeiten und mit dieser menschenverachtenden Politik ihrer Partei nicht einverstanden sind; die vielleicht aber auch einfach sehen, dass sich die reichen europäischen Länder nicht vor ihrer Verantwortung in dieser Frage drücken können. Warum sollten viel ärmere Länder die Flüchtlinge aufnehmen können, die wir uns angeblich nicht leisten können?

Unsere Chance: Diese Regierung ist mit Sicherheit wesentlich ansprechbarer als Tükis-Blau auf Druck aus der Zivilgesellschaft. Also, es liegt an uns, das durchzusetzen, was die Grünen in den Verhandlungen nicht geschafft haben.

Demokratiepolitisch interessant finde ich die Möglichkeit, dass sich die ÖVP im Fall einer „Migrationskrise“ die Möglichkeit offen hält, eine andere Mehrheit – es kommt da ohnehin nur die FPÖ in Frage – zu suchen. Viele sagen, sie verstehen nicht, warum die Grünen das zugelassen haben. Ich finde, diese Regelung gibt aber auch den Grünen den Freiraum, bei Dingen, die für sie gar nicht gehen, ihrem Gewissen zu folgen und gegen den Regierungspartner zu stimmen, ohne dass gleich die ganze Regierung platzt. In Punkten wo man sich gar nicht einigen kann, das „freie Spiel der Kräfte“ zuzulassen, könnte ein durchaus interessanter Versuch sein – wem das letztlich nützt in Bezug auf Wählerstimmen, muss sich zeigen. Ich finde es nicht so unwahrscheinlich, dass es soweit kommen könnte, dass dieser Passus in Kraft tritt.

Positiv finde ich auch, dass in vielen Bereichen umfassendere Konsultationen mit Expert*innen und Zivilgesellschaft geplant sind und nicht schon fertige Ergebnisse im Übereinkommen drinstehen. Auch da gilt es eben dranzubleiben und diese Prozesse auch einzufordern.

Bleibt zu hoffen, dass die Grünen diesen Balanceakt schaffen und möglichst unbeschadet überstehen. Je länger die Regierung hält, deste größer wird vielleicht aber auch die Möglichkeit, dass die ÖVP sich doch auch langsam aber sicher wieder aus ihrer rechtsextremen Position herausbewegt.