Rezension des Buches
Stefan Brunnhuber: Die offene Gesellschaft. Ein Plädoyer für Freiheit und Ordnung im 21. Jahrhundert, oekom Verlag 2019, 178 Seiten, 20 Euro.
Zuerst erschienen in Contraste – Zeitung für Selbstorganisation
Der Autor will mit diesem Buch das Konzept der offenen Gesellschaft von Karl Popper für die Auseinandersetzung mit den drängenden Problemen des 21. Jahrhunderts nutzbar machen. Da wir es heute mit komplexen Problemlagen zu tun hätten und nur mit unvollkommenem Wissen ausgestattet seien, seien offene gesellschaftliche Verhältnisse ein geeigneter Rahmen um zukunftsfähige Lösungen zu entwickeln.
Eine offene Gesellschaft wird nicht als Governancemodell oder ausgearbeitete Utopie vorgestellt, sondern gibt vielmehr einen Rahmen vor für verschiedene Gesellschaftsmodelle, die sich darin entwickeln können. Eine dieser Rahmenbedingungen seien Grenzen: nach unten in Form eines gesicherten sozialen Mindeststandards für alle, nach oben die planetarischen Grenzen, horizontal die Abgrenzung gegenüber jenen Menschen, die eine geschlossene Gesellschaft wollen. Innerhalb dieser Grenzen brauche es Regeln und Institutionen, die fehlerfreundlich und revisionsoffen sind. Welche Formen der Demokratie – partizipativ, repräsentativ, plebiszitär – in welchem Ausmaß zum Tragen kommen, welche Formen des Wirtschaftens wofür eingesetzt werden, das kann unter diesen Rahmenbedingungen von den Bürger*innen sehr unterschiedlich, regional und kulturell angepasst, entschieden und auch wieder verändert werden.
Die »bürgerlichen Tugenden«, die es dafür brauche, sind überraschend: neben »reziproker Toleranz« geht es etwa um die Bereitschaft zu kritisieren und sich kritisieren zu lassen, sowie die Bereitschaft zu Protest und Widerstand. Ebenfalls unerwartet: Konkurrenz als Wettstreit unterschiedlicher Sichtweisen und Weltbilder sei zwar für die Demokratie essentiell, in der Wirtschaft sei aber eher Kooperation angebracht. Offenheit vertrage sich nicht mit Wachstumszwang und mit Großtechnologien deren Wirkungen wir nicht abschätzen können.
Am schwächsten ist das Buch dort, wo es um den Übergang zu einer solchen offenen Gesellschaft geht. Die Änderung, so der Autor, müsse im Bewusstsein beginnen, erst dann könnten sich Institutionen und Technologien ändern. Dieses neue Bewusstsein, das mit vielen schönen Worten ausgemalt wird, soll durch einen evolutionären Prozess in die Welt kommen – was aber, wenn die Evolution die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllt?
Tatsächlich scheint es nicht unmöglich, dass viele Menschen, die sich Sorgen über die Zukunft machen, sich auf solche minimalen Rahmenbedingungen einigen könnten, um dem Rechtspopulismus etwas entgegenzusetzen und innerhalb dieses Rahmens Fragen neu stellen zu können. Dass man mit dem Verfasser nicht in allen Punkten einer Meinung sein muss, versteht sich von selbst, schließlich sind Kritik und der konstruktive Wettstreit um Ideen essentiell für die offene Gesellschaft.