Hans Rauscher hat im Standard den Liberalismus erklärt und hält dabei ein Plädoyer für dessen Verteidung. Auch wenn ich – natürlich 😉 – nicht in allem seiner Meinung bin, finde ich den Beitrag im Großen und Ganzen gut gemacht und zum aktuellen Zeitpunkt auch wichtig. Seinen Aufruf zum Engagement – „Hinschauen ist Pflicht“ oder „sich kümmern ist alternativlos“ – kann ich sogar voll und ganz unterstützen.
Interessant auch das Glossar, in dem die verschiedenen Spielarten des Liberalismus erklärt werden. Da gibt es aber einen Punkt, in dem ich nicht nur nicht übereinstimme, sondern den ich für höchst problematisch halte:
Am besten ist der Sozialliberalismus in der sozialen Marktwirtschaft verkörpert, die nach dem Krieg in der Bundesrepublik Deutschland aufblühte. Die Kombination von effizienter Marktwirtschaft mit dem Sozialstaat und diversen Schutzbestimmungen ist immer noch die – auch gesellschaftspolitisch – erfolgreichste Wirtschaftsverfassung überhaupt.
Das ist das Problem der meisten überzeugten Liberalen: sie denken, das Modell mit dem Deutschland nach den zweiten Weltkrieg erfolgreich war (und auch Österreich) sei universell anwendbar, man müsste halt irgendwie ein bissl die „Ökologie“ integieren. Das genau ist das Problem: das Modell war für die europäischen Staaten höchst erfolgreich, aber schon in den 70er Jahren erhielt es die ersten Kratzer, weil klar wurde, dass wir unseren Wohlstand auf Kosten der postkolonialen Ausbeutung der Länder des globalen Südens erwirtschafteten und dabei auch die natürlichen Ressourcen gnadenlos übernutzten.
Fred Luks trifft das Dilemma besser, wenn er in seinem neuen Buch von „Ausnahmezustand“ spricht: wir müssen den Liberalismus gegen totalitäre und rechte Tendenzen verteidigen, das meint auch er und das dürfte wohl unumstritten sein. Wir müssen dieses auf dem Liberalismus basierende Wirtschaftssystem aber auch radikal umbauen, damit es zukunftsfähig wird. Das ist die Herausforderung, vor der wir stehen und vor der die Liberalen gern die Augen verschließen oder auf die „Green economy“ hoffen. (Hier die Kritik daran.)
Rauscher nennt die drei Säulen des Liberalismus die „unveräußerlichen“ Rechte auf Freiheit, Leben und Eigentum. Alle drei müssten beim radikalen Umbau hinterfragt und neu definiert werden.
Das Recht auf Leben muss auf die nichtmenschliche Mitwelt ausgedeht werden, wie jüngst in Kolumbien. Die Amazonas-Region wurde dort als juristische Person anerkannt, das heißt, wie ein Mensch oder ein Unternehmen behandelt. Wer ihr Schaden zufügt, muss künftig mit Strafe rechnen. In Bolivien erklärt das Gesetz von Mutter Erde („Ley de Derechos de La Madre Tierra“) den Planeten als heilig und erhebt ihn zu einem lebenden System, welches das Recht darauf hat, vor Ausbeutung beschützt zu werden
Auch was genau man unter Freiheit versteht, ist diskussionswürdig. Die Wahlfreiheit auf dem Markt? Die individuelle Freiheit, die nur durch die Freiheit anderer beschränkt wird? Liberale vergessen gern auf die grundsätzliche Abhängigkeit des Menschen – FeministInnen sprechen daher lieber von „Freiheit in Bezogenheit“. Die Wahrnehmung des Menschen als Beziehungswesen und nicht als autonomes Individuum wäre ein wichtiger Aspekt bei der Neudefinition von Freiheit – wie etwa hier im ABC des Guten Lebens.
Am größten ist meiner Meinung nach aber die Notwendigkeit von Adaptionen wenn es um das Recht auf Eigentum geht. Rauscher beruft sich dabei natürlich auf John Locke, von dem der liberale Eigentumsbegriff sich bis heute ableitet. Lockes Ansicht, Eigentum werde durch Arbeit geschaffen, also durch das Bebauen eines Stück Landes werde ein Mensch zu dessen Eigentümer, war im 17. Jahrhundert, in einer Zeit, wo alles Land wenigen adeligen Großgrundbesitzern gehörte und die Bauern in Abhängigkeit und Armut lebten, naheliegend und wohl auch revolutionär. Ob das Recht auf Eigentum aber in einer globalisierten Welt, mit begrenzten Ressourcen und steigender sozialer Ungleichheit, bedingungslos zu schützen ist, finde ich jedenfalls sehr fragwürdig. Eine Begrenzung der Höhe individuellen Besitzes durch progressive Vermögenssteuern und / oder Erbschaftssteuern wäre eine Minimalforderung. Ich finde, es sollte aber in die Richtung gehen, mehr den Besitz als das bedingungslose Privateigentum zu schützen. Das Recht auf Wohnung, das Recht auf Zugang zu Land, um die Grundbedürfnisse zu befriedigen, müsste über dem Recht auf Anhäufung von Eigentum auf Kosten anderer stehen, hier böte die Commons-Idee wichtige Anknüpfungspunkte.