Der Trend ist schon seit Jahren zu beobachten, in den letzten Wochen häuften sie sich, die Kriminalisierungen von Menschen, die Zivilcourage beweisen und fragwürdige, oft genug kriminelle Praktiken in Politik, Militär und Wirtschaft öffentlich machen.

Von Julian Assange, einen der Sprecher von Wikileaks über Bradley Manning, jenem Angehörigen der US Army, der Videos über die Erschießung von Zivilisten durch amerikanisch Soldaten in Bagdad veröffentlichte, und Edward Snowden, der die Öffentlichkeit über PRISM informierte, das Überwachungsprogramm des US Nachrichtendienstes NSA, das alle Orwellschen Phantasien in den Schatten stellt, bis zum §278a das Österreichischen Strafgesetzbuches über die Gründung terroristischer Organsationen, der dazu verwendet werden kann, unliebsame NGOs in terroristische Organisationen umzudefinieren, reicht die Palette. Das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien im Berufungsverfahren der Staatsanwaltschaft gegen den Freispruch im Tierschützerprozess liegt ganz in diesem Trend:

Information von KonsumentInnen – ein Vermögensdelikt?

Das Oberlandesgericht Wien gab der Berufung der Staatsanwaltschaft gegen den Freispruch im Tierschutzprozess in allen Punkten recht und das mit zum Teil Besorgnis erregenden Argumenten: Die Aufklärung von Kunden über die Herstellung der Produkte ist geschäftsschädigend, eine gefährliche Drohung und Nötigung und als Eigentumsdelikt zu verstehen. Zitat aus dem Gerichtsurteil:

Auch eine Boykottdrohung […] ist eine Bedrohung mit der Verletzung am Vermögen: denn der Betroffene würde dadurch für die Zukunft die Grundlage seiner vermögensrechtlichen Stellung verlieren, mag die Realisierung einer solchen Drohung selbst auch unter keinen Tatbestand der Vermögensdelikte fallen.

Hier ein längeres Zitat aus Martin Balluchs Blog: Das Oberlandesgericht befand, …

… dass es eine Nötigung sei, ein Modehaus zum Ausstieg aus dem Pelzhandel zu bewegen, indem man durch Veröffentlichung von damit in Zusammenhang stehenden Fakten droht:

  • Wenn eine Firma durch ein geändertes Kaufverhalten ihrer KundInnen Umsatzeinbußen erleidet, dann ist das für sie bedrohlich
  • Eine faktische Information über die Geschäftspolitik der Firma kann das auslösen
  • Wird daher einer Firma angedroht, ihre KundInnen über deren Geschäftspolitik zu informieren, dann ist das eine gefährlich Drohung
  • Wird dadurch eine Änderung der Geschäftspolitik zu erreichen versucht, ist das eine Nötigung

Diese Rechtsansicht, so Balluch mit Recht weiter, ist ein Fass ohne Boden, eine Entwicklung, die zum Ende jeder politischen Partizipation in der Gesellschaft führt. Diese Argumentation lässt sich auf Streiks ausdehnen und damit das Streikrecht aushebeln, sie lässt sich auch auf Kampagnen gegen politische Parteien anwenden, sie stellt die Hauptlegitimation zivilgesellschaftlichen Engagements schlechthin in Frage, alle Kampagnen zu Fair Trade, Clean Clothes, Clean IT, gegen die Vernichtung des Regenwaldes, für Klimaschutz usw.

Boykott wurde ja selbst von bürgerlicher Seite immer als die Möglichkeit der KonsumentInnen zur Übernahme von Verantwortung gesehen. Es wird also das unter Strafe gestellt, was bisher auch von liberaler Seite immer als Aufgabe verantwortungsbewusster KonsumentInnen benannt und als „Demokratie mit der Geldbörse“ hoch gelobt wurde (was ja ohnehin immer fragwürdig war, weil dann eben die Möglichkeiten zur demokratischen Teilhabe an den Inhalt der Geldbörse gebunden ist, aber es war genau dieses Argument, dass KonsumentInnen ja letztlich darüber entscheiden, was produziert wird und was nicht, das viele Unternehmen immer wieder als Legitimation und als Lösungsmöglichkeit gleichermaßen vorschlugen), genau diese ohnehin schon eingeschränkte Möglichkeit der „Demokratie des Marktes“ wird den KonsumentInnen damit auch noch genommen. Denn woher sollen wir wissen, was wir kaufen wollen, wenn die Information über Produktionsbedingungen und den Umgang mit Ressourcen nicht veröffentlicht werden dürfen? Wo bleibt die vollständige Information, die laut Ökonomen die Voraussetzung für das Funktionieren von Märkten ist? Gerade die Markt-Partei ÖVP hat nun eine Entschärfung von §278a verhindert, das bedeutet, sie will KonsumentInnen weiterhin uninformiert halten und politisches Engagement weiterhin kriminalisieren.

Die Bevölkerung als Staatsfeind?

Die Verfolgung von Menschen, die wichtige Informationen der Öffentlichkeit zugänglich machen als Landesverräter und Spione – was sie unter die Bedrohung der Todesstrafe stellt – folgt dem gleichen Muster. Spionage bedeutet, dass jemand – normalerweise gegen Bezahlung oder ein anderes Privileg, manchmal auch unter Druck – eine Feind geheime Informationen über das eigene Land zur Verfügung stellt und zwar ebenfalls wieder geheim, sie wollen nach Möglichkeit nicht entdeckt werden.

Was Assange, Manning und Snowdon gemacht haben ist genau das Gegenteil. Durch ihre Arbeit wurden sie Zeugen, wie die US Regierung systematisch Gesetze, die Verfassung, internationale Abkommen und Menschenrechte verletzte. Sie konnten das mit ihrem Gewissen nicht vereinbaren und haben schließlich den Weg gewählt, die Öffentlichkeit über diese Praktiken aufzuklären. Auch da wieder: es geht ja um die Regierungen, die von den BürgerInnen gewählt werden. Wie sollen Menschen wählen, wenn sie nicht wissen, was die Regierungen tun? Das als Spionage zu bezeichnen stellt die Dinge auf den Kopf, denn das würde heißen, dass Regierungen ihre eigenen BürgerInnen als Feind empfinden, als jemand, vor dem man wichtige Informationen geheim halten muss. Veröffentlichung ist im Übrigen das genaue Gegenteil von geheimer Weitergabe von Informationen, eine Anklage wegen Spionage ist daher ganz klar ein weiterer Gesetzesbruch.

Zur Anklage von Edward Snowdon wegen Spionage schreibt Glenn Greenwald im Guardian:

Who is actually bringing „injury to America“: those who are secretly building a massive surveillance system or those who inform citizens that it’s being done?

Nahezu einhellig ist in den Medien die Meinung, dass das was Snowdon gemacht hat nicht Spionage war, sondern verantwortungsbewusstes Handeln eines Staatsbürgers. Die Anklage könnte sogar ein Verfassungsbruch sein. Das wird die USA auch nicht daran hindern, Snowdon weiterhin durch die ganze Welt zu jagen und mit der Todesstrafe zu bedrohen. Und es gibt Putin die Chance, sich zum Beschützer der Menschenrechte aufzuspielen. Welch ein Triumph, einem in den USA politisch Verfolgten in Russland Asyl zu gewähren und welch absurdes Schauspiel! Die Frage, wo hier die kriminellen Organisationen angesiedelt sind, muss jedeR für sich selbst beantworten.

Um Missverständnissen vorzubeugen: ich bin auch skeptisch gegenüber den Versuchen, diese Menschen zu den neuen Helden hoch zu stilisieren – ich bin skeptisch gegenüber allen Helden, weil die Menschen dahinter unsichtbar werden, die wie alle Menschen ihre guten und weniger guten Seiten haben. Wie sinnvoll es ist, Bradley Manning für den Friedensnobelpreis vorzuschlagen und ob er ihn verdient hat, weiß ich nicht. Vielleicht sind diese Menschen ja auch Narzisten oder Wichtigtuer, die sich in den Vordergrund spielen wollen, die die Medienaufmerksamkeit suchen. Was sie gemacht haben war unabhängig davon eine längst überfällige Information der Öffentlichkeit und hat Themen ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt, die bisher gerne gesellschaftlicher Verdrängung anheim gefallen sind: die schleichende Unterwanderung von Demokratie und Menschenrechten, eine Zunahme der Machtkonzentration, die kaum wahrnehmbar ist, weil sie sich nicht in Repression äußert und nicht sichtbar ist. Vielleicht braucht es manchmal auch Menschen, die im Mittelpunkt stehen wollen, damit die Gesellschaft aufgerüttelt wird. Gegen die Kriminalisierung solcher Menschen aufzutreten, ist auf jeden Fall angebracht, denn diese Gesetze und diese Praktiken können jede/n treffen, der oder die das System kritisiert, sobald er oder sie eine kritische Aufmerksamkeitsschwelle überschreitet. Sie sind eine existenzielle Bedrohung für die Vision einer freien Gesellschaft.