Ein ganz wesentliches Verdienst der Werbeindustrie ist es, dass sie uns Verschlechterungen als Verbesserungen verkaufen kann. Das erste Beispiel, von dem ich weiß, stammt aus dem Film „Kaufen für die Müllhalde“ der von geplanter Obsoleszenz handelt, dem „geheimen Motor unserer Konsumgesellschaft“, wie es in diesem Film heißt. Es geht dabei um Glühbirnen. (Der Film ist wirklich sehenswert, wer ihn noch nicht kennt, unbedingt anschauen).
Im Jahr 1924 lag die Brenndauer einer Glühbirne bei etwa 2500 Stunden, so wurde das auch auf den Werbeplakaten angepriesen. Nachdem die Unternehmen beschlossen hatten, dass sie damit nicht genug verdienen konnten, beauftragten sie die Ingenieure, die Lebenszeit von Glühbirnen mit technischen Mitteln auf 1000 Stunden zu begrenzen. Und tatsächlich, die Werbung aus 1940 preist Glühbirnen mit einer Brenndauer von 1000 Stunden als neueste technische Errungenschaft an – was ja in absurder Weise sogar stimmt.
??? Anscheinend war schon damals das Gedächtnis der Konsumenten kurz …
Mein Lieblingsbeispiel für dieses Phänomen ist und bleibt aber die Post.
Once upon a time … , ja es gab tatsächlich einmal eine Zeit, da konnte man abends bis 22 Uhr einen Brief am Bahnhof in den Postkasten werfen, auch sonntags, und fast immer kam er am nächsten Tag, allerspätestens am übernächsten, beim Empfänger an. Dass Briefe innerhalb von 24 Stunden den Adressaten erreichten, außer wenn dieser sehr entlegen wohnte, war die Regel. Postkästen wurden mehrmals täglich geleert, in jeder größeren Stadt gab es Postkästen, die auch sonntags geleert wurden und eben auch bis 22 Uhr abends. In Bahnhöfen stand drauf „Leerung 10 min. vor Abfahrt jedes postführenden Zuges“ – und das waren damals fast alle Züge. Ein Bahnbediensteter hob den Briefkasten aus und gab den Postsack dem Lokführer oder Schaffner des Zuges, die luden ihn wieder aus, dort wo die nächste Sortierstelle der Post war.
Heute wäre das undenkbar, dass ein Bahnangestellter die Arbeit der Post übernimmt – das wäre ja vermutlich wettbewerbsverzerrend. Also werden heute alle Postkästen, im letzten Dorf genauso wie am Grazer Hauptbahnhof Montag bis Freitag um 17 Uhr geleert und nicht öfter. Die Postkästen werden auch immer weniger, kürzlich wurde der Postkasten am Jakominiplatz, dem meistfrequentierten Platz in Graz, abmontiert. Postfilialen werden geschlossen und durch sogenannte „Postpartner“ ersetzt. Das das weder für diese noch für die Kunden eine optimale Lösung ist, kann man hier und hier nachlesen. Der „Postraub“ ist in vollem Gange – und all das wird uns in der Werbung ständig als neue Verbesserung im Dienste der Kunden verkauft.
Ein etwas anders gelagertes Beispiel, das aber der gleichen Logik folgt: Beim Grazer Hauptbahnhof wird die Straßenbahntrasse unter die Straße verlegt, auch die Station wird dann unterirdisch sein. Ich denke, nahezu alle halten es für eine gute Idee, diese stark befahrene Straßenkreuzung zu entlasten, ich habe zumindest noch niemanden gehört, der sich darüber beschwert hätte. Es ist auch einsichtig, dass während der Bauzeit – und das ist doch deutlich mehr als ein Jahr – die Straßenbahnen nicht zum Bahnhof fahren und dort wenden können. Eine Fahrgastinformation in der Art wäre etwa sinnvoll gewesen:
Liebe Fahrgäste, auf Grund der Bauarbeiten können die Straßenbahnen den Bahnhof leider nicht anfahren. Bitte steigen sie bei Station A aus und nutzen sie die Unterführung (es sind nur ein paar hundert Meter) oder benutzen sie Bus B, der sie direkt zum Hauptbahnhof bringt.
Also, die Unannehmlichkeiten begründen, Alternativen anbieten, so fühlen KundInnen sich ernst genommen. Statt dessen lautete die Kundeninformation etwa so:
Sehr geehrte Fahrgäste! Ab xx.xx. bieten wir ihnen eine neue Serviceleistung an. Die Straßenbahn fährt nun 2 Stationen weiter bis zur Laudongasse!
???
Die Laudongasse ist eine kleine Nebenstraße zwei Stationen nach dem Hauptbahnhof. Der einzige Grund, warum die Straßenbahn bis dorthin fährt ist der, dass dort die Straßenbahnremise ist und die Bahn dort wenden kann – schließlich muss sie ja irgendwie wieder zurückfahren. Für die paar Leute, die dort wohnen, ist das natürlich praktisch – aber eine technische Notwendigkeit, die für die meisten Menschen einen Nachteil darstellt, weil die ja eigentlich zum Bahnhof wollen, wenn sie diese Straßenbahn nehmen, als besondere Serviceleistung zu verkaufen, ist eine Kundenverarschung, die ich ärgerlicher finde, als die Tatsache, dass ich nicht zum Bahnhof fahren kann.
Und heute ein neues Beispiel: ich erlebte eine unangenehme Überraschung als ich in die Mailbox einer Mailadresse schauen wollte, die unter meinem Domainnamen läuft. Ich sah keine Mails sondern nur ein Fehlermeldung und die Aufforderung diese an den Provider zu schicken, um Hilfe zu bekommen, was ich auch umgehend tat. Ebenso umgehend kam die Antwort – offensichtlich ein automatisch verschicktes Mail. Die Firma hätte einen neuen Mailserver und ein Upgrade meines Accounts sei selbstveständlich kostenlos möglich, dann würde dieses Problem nicht mehr auftreten. Also suchte dich die Webseite auf, dort steht geschrieben:
Hier können Sie auf das neueste Mailserver-Modell umsteigen. Das Webmail wurde komplett erneuert, IMAP ist nun verfügbar, es bietet höhere Performance & Security, ist zukunftssicher und IPv6-ready.
Was auch immer das heißt. Fast hätte ich schon auf den Button geklickt, und die Umstellung in Auftrag gegeben – dann hab ich doch noch runtergescrollt bis zur Fußnote – und dort musste ich lesen:
Bitte beachten Sie, dass eventuell vorhandene Kontaktgruppen oder Mailinglisten nicht übernommen werden. … Weiters ist zu beachten, dass die Mailinglisten-Funktion generell nicht mehr zur Verfügung steht.
Hervorragendes Service! Der neue Mailserver mag ja technisch wirklich besser sein (vielleicht ist er auch nur besser für die Vorratsdatenspeicherung geeignet) und es klingt sehr großzügig, dass ich dieses neue Service kostenlos in Anspruch nehmen kann – nur im Endeffekt bekomme ich in Zukunft für das gleiche Geld weniger Leistung, was eindeutig eine versteckte Teuerung darstellt. Ein Nachteil, der als besonders großzügiges Angebot verkauft wird, und das man auch noch schwer ablehnen kann, weil mit der alten Version das Webmail offensichtlich nicht funktioniert – für wie blöd halten die ihre Kunden eigentlich?
In den ersten beiden Fällen erfolgte die Verschlechterung sukkzessive innerhalb mehrerer Jahre, die Sache mit der Straßenbahn ist nicht ganz vergleichbar, das ist ja eine Übergangslösung. Aber was den Mailserver betrifft, da beträgt der Abstand zwischen der Anpreisung der neuen Qualitäten des Servers und der Hinweis auf die Nachteile grad mal eine halbe Webseite – und anscheindend stört das niemanden mehr – weil wir es schon so gewöhnt sind?
Die Überschrift gibt einen Alltagsspruch wieder (der übrigens ja auch schon zum Werbespruch gewendet wurde: »… ich bin doch nicht blöd«), aber ich frage mich, warum darin »verkaufen« im Passiv in bezug auf uns steht: »… lassen wir uns verkaufen«. Eigentlich soll ja uns etwas verkauft werden. Sind eigentlich wir die Verkäufer? Nein, denn wir werden ja verkauft. Wir sind also — Sklaven.
Und das Tauschgegenstück, quasi die Währung, ist »blöd«: x blöd gegen y Sklave. Der Spruch beklagt nun auf den ersten Blick die ungünstige Tauschrelation: »Für wie(viel) blöd lassen wir uns verlaufen?«. In dem Fall wäre jedoch nicht »mehr blöd« gut, sondern eher »weniger blöd«. Blödheit ist sozusagen eine negative Währung. Aber egal wie günstig die Tauschrelation ist: Wir lassen uns als Sklaven verkaufen und bekommen immer nur »blöd«.
Ist das der subversive Kern des Alltagsspruchs? Oder nur deprimierendes Eingeständnis unser Ohnmacht?
Danke, Stefan, für deine philosophischen Überlegungen ;-). Ich finde nicht, dass die Blödheit die Währung ist, eher so etwas – wenn auch nicht genau – wie eine Ware, vielleicht besser so: die Verblödung der Kunden ist ein Mittel um die Ware teurer verkaufen zu können, mir fehlt grad wieder einmal ein Wort dafür.
Es wird zwar nicht die Blödheit verkauft, aber die Menschen so zu manipulieren, dass sie sich verhalten, als wären sie blöd, steigert den Profit. Damit wir darauf hereinfallen, gibt es bestimmte psychologische Tricks, wie wir manipuliert werden. Diese Tricks, wie man Menschen dazu bringt, sich blöd zu verhalten, werden von Marketingexperten an die Firmen verkauft, diese machen mit der so hergestellten Blödheit wieder ihr Geschäft. Je mehr Blödheit, desto mehr Geschäft.
Ich glaube, diese Idee steckt hinter dem Auspruch „jemanden für blöd verkaufen“, also so zu tun, als wäre er blöd und mit bestimmten Mitteln darauf hinzuarbeiten, das der das nicht bemerkt.
und hier das Buch zum Thema 🙂