Abundance – Mit einer Rede von Roberto Verzola fing es an, bei der Internationalen Commons Konferenz letzten November in Berlin und in vielen weiteren Diskussionen seither ist es weiter gegangen. Die Frage: leben wir in einer Welt in der grundsätzlich von allem zuwenig da ist und stehen wir daher immer in Konkurrenz um die knappen Güter und müssen uns immer einschränken und sparen, oder ist diese Knappheit nur künstlich hergestellt und Wohlstand für alle ist möglich?
Das Problem beginnt schon beim Begriff: abundance und bei seiner besten deutschen Übersetzung.
Mir gefällt ja „Fülle“ am besten. Aber für manche klingt das komisch, altmodisch, es hat so einen biblischen Beiklang. Der Vorteil, der Begriff ist nicht wirklich besetzt, kann also noch mit Bedeutung gefüllt werden.
Dann die häufigste Übersetzung: Überfluss. Aber heißt es nicht, dass wir derzeit in einer Überflussgesellschaft leben? Seltsam genug, wenn immer noch Millionen Menschen nicht genug zu essen haben und die Schere zwischen arm und reich immer weiter auseinandergeht. Auf jeden Fall, Überfluss wird leicht zu überflüssig, zu einem Symbol für die Konsum- und Wegwerfgesellschaft, vermittelt irgendwie, dass ohnehin mehr als genug da ist, und wir uns eh um nix kümmern müssen. Das ist es nicht, was wir meinen.
Und schließlich: Reichtum. Aber das klingt wieder nach viel Geld und das ist es schon gar nicht. Außerdem, „die Reichen“, das ist ja für manche der sogenannten „Linken“ das Feindbild schlechthin.
Ich bitte um Rückmeldungen bezüglich des preferierten Begriffs und gern auch um weitere zweckdienliche Vorschläge und überlasse es inzwischen den LeserInnen für welchen der Begriffe sie sich jeweils entscheiden und verwende mal Reichtum als Platzhalter.
Eine Reichtumsökonomie, so sagt Wolfgang Höschele, geht nicht davon aus, dass Reichtum existiert, sondern davon, dass Knappheit künstlich hergestellt ist und versucht erst einmal aufzuzeigen, wie und wo das geschieht. Und weiter, wenn wir Knappheit herstellen können, dann können wir auch Reichtum herstellen. Für alle. Und dann geht es eben nicht darum, wie knappe Güter am besten verteilt werden sollen, sondern wie wir produzieren und konsumieren müssen, dass Reichtum entstehen kann.
Knappheit wird hergestellt durch Eigentumsregime, die es ermöglichen, dass Menschen von der Nutzung von lebensnotwendigen Dingen ausgeschlossen werden, obwohl andere mehr als genug davon haben. Sie wird dadurch hergestellt, dass alle Dinge in Form von Waren existieren, die man erst nutzen darf, wenn man das Geld hat, sie zu kaufen. Und sie wird dadurch hergestellt, dass die Nachfrage nach Gütern immer größer gehalten wird (durch welche Mittel auch immer), als das Angebot und das verfügbare Geld immer geringer, als der Bedarf. Knappheitsökonomie geht davon aus, dass menschliche Bedürfnisse unendlich sind und wir daher immer noch mehr produzieren müssen, weil wir immer zu wenig haben, egal wieviel wir auch haben.
So tickt die Wirtschaftswissenschaft aber so ticken wir mittlerweile fast alle, schließlich haben wir nichts andres gelernt. Dabei, so das Argument, ist in der Natur Reichtum – oder sogar Überfluss – weit häufiger anzutreffen als Knappheit und dort funktioniert das seit Jahrmillionen ohne größere Krisen.
Zum Beispiel bei den Fröschen: sie legen Millionen Eier, daraus schlüpfen immer noch zig-tausende Kaulquappen, daraus werden hunderte winzige Fröschlein, von denen letztlich ein paar Dutzend groß werden und sich wieder fortpflanzen können. Extrem ineffizient, wie es scheint. Aber es wird dabei gleichzeitig Nahrung für viele andere Tierarten produziert. Frösche produzieren also positive Externalitäten. Sie externalisieren nicht Kosten, wie Unternehmen, sondern sie externalisieren Nutzen. Das Unternehmen Frosch hätte, wenn es sich um eine menschliche Gesellschaft handeln würde, sicher eine hohe Reputation.
Wie es wohl ausschauen würde, wenn McKinsey die Frösche beraten würde? Schrecklich, das geht ja alles von alleine, keine Lohnarbeit, keine Waren, die man gewinnbringend am Markt verkaufen kann, also trotz Reichtum kein Beitrag zu BIP und keine Möglichkeiten zu profitträchtiger Investition! Außerdem, da sind ja lauter Trittbrettfahrer unterwegs, die kriegen was, ohne dafür was zu leisten! Also, da muss sich was ändern.
Entweder: den Input minimieren, also nur mehr die Minimalzahl an Eiern legen, die notwendig ist, um die Art zu erhalten. Dann einen Zaun ums Gelege, Wächter darum, Wissenschaftler, die dafür sorgen, dass die ideale Temperatur eingehalten wird, genaues Timing und einen Bonus für den Laichmanager für jeden fertigen Frosch, damit er sich auch wirklich anstrengt. Und möglichst viele Kosten externalisieren, den Zaun sollen die Bundesforste bauen, die Überwachung die Polizei übernehmen und die Wissenschaftler die öffentlich finanzierte Uni ausbilden, schließlich geht es ja um die Bewahrung der Biodiversität, das muss der Allgemeinheit schon was wert sein. Und dass jede Menge anderer Tiere dadurch ihre Nahrung verlieren würden? Pech gehabt, so ist eben die Natur, der Stärkere gewinnt!
Oder: wenn die vielen Eier nun schon da sind und man darauf keinen Einfluss nehmen kann, dann sie fein säuberlich in Dosen abpacken und als Waren verkaufen. Wer davon essen möchte, soll bitte vorher zahlen. Da müssen die faulen Trittbrettfahrer sich erst mal durch Lohnarbeit verdienen, was sie brauchen. Dass da welche verhungern könnten, weil sie nicht genug Geld haben? Pech gehabt, siehe oben.
Das Unternehmen Frosch hätte seine Reputation verloren, aber ein Anstieg des BIP wäre garantiert und Profite für die Investoren ebenso, so etwas definieren wir seit einigen hundert Jahren als Fortschritt und arbeiten zielstrebig darauf hin, dass sich dieses Prinzip auf der ganzen Welt durchsetzt – und erzeugen so eine Ökonomie der Knappheit.
Auch wenn Darwin nie das gesagt hat, was ihm später oft in den Mund gelegt wurde, nämlich dass die Natur ein permanter Kampfplatz sei, in dem sich nur der Stärkste durchsetze, so ist er doch einer Logik gefolgt, der alle Wissenschaften in der Moderne verhaftet sind: Einzelfälle zu analysieren, einzelne Tiere, einzelne Merkmale, einzelne Individuen, einzelne Produktionsakte und individuelle Verhaltensweisen und diese dann zusammenzuzählen, ohne die Wechselwirkungen zwischen ihnen zu beachten. Alles in eine Schublade stecken, fein säuberlich voneinander trennen und die notwendigen Beziehungen nachträglich herstellen, am besten als Tauschbeziehungen, die kann man gut berechnen. So funktioniert das moderne Weltbild und anders können wir gar nicht mehr denken. Darwin hat nur untersucht, wer überlebt und warum, er hat sich nicht drum gekümmert, weshalb und wie gerade die Tatsache, dass nicht alle überleben für das Gesamtsystem wichtig ist.
Es gibt ja mittlerweile genügend Untersuchungen, die die biologischen Grundlagen des „survival of the fittest“ in Frage stellen, die von kooperativen Genen anstatt von egoistischen Genen sprechen. Wie auch immer, ich halte nichts davon, die menschliche Gesellschaft von genetischen Anlagen her zu erklären. Wie Gesellschaft funktioniert hängt davon ab, wie wir sie machen. Nicht „die Gesellschaft“ soll also nach dem Muster der Natur funktonieren, aber unsere Produktion, die Art wie wir die Dinge und Dienstleistungen herstellen, die könnten wir schon in Anlehnung an dieses Prinzip organisieren.
Und genau darum geht es bei Permakultur und beim Cradle-to-cradle-Prinzip. Alle unsere Produktionsprozesse so zu organisieren, dass ihre Neben- und Abfallprodukte die Ausgangsbasis für andere Produktionsprozesse verbessern, positive Externalitäten zu produzieren, optimale Entfaltungsmöglichkeiten für Menschen und die Natur zu schaffen, anstatt herauszuquetschen, was immer möglich ist. Wenn wir so produzieren, dann können wir Überfluss herstellen, so die Idee. Das bedeutet gerade nicht, dass wir so viel haben, dass wir es sinnlos vergeuden können, oder dass wir nicht verantwortungsbewusst damit umgehen müssen. Es bedeutet im Gegenteil, dass wir sehr sorgsam planen müssen – so sorgsam, wie wir jetzt Markt und Wettbewerb planen und organisieren – wie wir Dinge produzieren, damit wir so viele positive Externalitäten wie möglich erreichen, dann ist ein Leben in Überfluss möglich, ohne dass jede/r alles selber haben muss, weil die Handlungen aller Menschen sich gegenseitig unterstützen. Das aber ist auf der Basis herkömmlicher Wirtschaftstheorien nicht planbar.
Die Idee ist: Commons können nicht nur eine Möglichkeit sein, sozial und ökonomisch nachhaltig zu wirtschaften und den Menschen mehr Kontrolle über ihre Lebensbedingungen zurückzugeben, sondern sie bieten darüber hinaus noch die Chance, Reichtum für alle zur Verfügung zu stellen. Allerdings keinen materiellen Reichtum in dem Sinn, das jeder Besitz und Geld anhäufen kann, sondern einen Reichtum an Entfaltungsmöglichkeiten, weil wir keine Sorgen um die Befriedigung unserer Grundbedürfnisse haben müssen. Dazu müssen wir aber erst Denkmodelle entwickeln, denn mit den herkömmlichen Methoden der Sozialwissenschaften ist das kaum zu fassen. Der Vorschlag der „Reichtumsökonomie“ will dazu einen Beitrag leisten.
Zusätzlich stellt sich diese Idee gegen die herkömmlichen ökologischen Argumentationsmuster, die Menschen mit moralischen Appellen zu Einschränkung und Verzicht aufrufen. Stattdessen geht sie davon aus, dass wir eigentlich jetzt in einem Zustand des Mangels leben, weil die kapitalistische Produktionweise extrem ineffizient ist, weil sie enorm viel menschliche Zeit und Kreativität verschwendet und nur deshalb den Schein der Effizienz bewahren kann, weil sie die Kosten ihrer Produktionsweise abwälzt, auf die Gesellschaft, auf die Natur, auf zukünftige Generationen. Was wir also brauchen, sind weder neue Technologien, noch mehr Effizienz oder mehr Selbstbeschränkung, sondern ein anderes „Betriebssystem“ für die Gesellschaft, in dem die Interessen, Bedürfnisse und Tätigkeiten der Menschen anders zueinander in Beziehung gesetzt werden.
Das ist provokant und ich denke, dass wir auch damit nicht alle Probleme lösen können, dass es vermutlich immer noch Dinge geben wird, wo wir einfach sparen müssen. Aber ich halte es für eine sehr spannende und motivierende Perspektive, weil ich glaube, dieses Effizienzdenken und dieses „wir müssen sparen und uns einschränken“ ist noch Teil unseres Jahrhunderte alten kapitalistichen Erbes, das es uns schwer macht uns etwas anderes überhaupt vorzustellen. Es ist aber nicht die einzig mögliche Art, die Welt zu denken. Ein Weltbild, das von der Möglichkeit von Reichtum und Überfluss ausgeht, scheint vielen unter den gegebenen Umständen nahezu ein Verrat an den hehren Zielen sozialer Gerechtigkeit und ökologischer Nachhaltigkeit zu sein, ich habe den Verdacht, es ist der einzig mögliche Weg dorthin. Diese neue Art, die Welt zu denken müssen wir erst lernen, bevor wir sie auch anwenden können. Begriffe wie Überfluss oder Reichtum bekämen dann eine andere Bedeutung und ich müsste nicht mehr überlegen, welchen davon ich denn jetzt am besten verwenden sollte, damit die Botschaft auch ankommt.
Ich bin gerade auf diesen Kommentar gestossen, und freue mich, dass meine Arbeit hier auf so positive Weise aufgegriffen worden ist!
Zur deutschen Uebersetzung des englischen Wortes „abundance“ wuerde ich „Reichlichkeit“ vorschlagen – ein Wort, das zwar nicht sonderlich oft verwendet wird, aber doch daran erinnert, wie Essen z.B. reichlich vorhanden sein kann, selbst wenn es davon nur eine begrenzte Menge gibt. Es ist darin auch die Bedeutung der Grosszuegigkeit enthalten, dass man mit Freude etwas hergibt oder mit anderen teilt, weil dadurch das Leben aller bereichert wird.
Das Wort „Reichtum“ ist dann angebracht, wenn man es im taoistischem Sinne begreift, das reich ist, wer weiss, dass er/sie genug hat!
Danke für dieses nette Beispiel mit den Fröschen, wie wir die Natur zu zähmen versuchen. Wolfgang Höschele rüttelt mit seinem Werk an den Grundfesten der Wirtschaftswissenschaften, die das Axiom der Knappheit und die Notwendigkeit zum Wachstum in allen Lehrbüchern verankert hat.
Meine Buchbesprecheung auf Ethify Yourself zieht Parellelen wie hier zu den Commons. Was Kreative eigentlich schaffen, das sollten wir alle noch ausführlicher beschreiben.
Hier meine Rezension: http://ethify.org/content/die-wirtschaft-der-reichlichkeit
[…] „die Preise ruinieren“. Ich bin Brigitte Kratzwald dankbar, dass sie mich auf die Idee einer „Abundance Economy“, also einer „Wirtschaft der Fülle“, aufmerksam gemacht hat, die im direkten Gegensatz zu […]