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Cradle-to-cradle – Nachhaltigkeit war gestern!

Heute war in Graz der zweite Österreichische C2C-Kongress. C2C ist die Kurzform für cradle-to-cradle (und hier die weniger kommerzielle Variante), was soviel heißt, wie produzieren ohne Abfall, weil jedes Produkt wieder das Ausgangsprodukt für den nächsten Produktionszyklus ist oder wieder in den natürlichen Kreislauf zurückgeführt wird. Soviel hatte ich schon verstanden und ich hatte auch das Gefühl, dass das ein interessantes Prinzip ist, wenn wir Dinge – vor allem natürliche Ressourcen – als Commons behandeln wollen. Also ging ich hin um mir das näher anzuschauen.

Gleich von Anfang an kam mir vieles sehr bekannt vor aus der Commons-Diskussion. Zum Beispiel wenn gesagt wurde, es gehe eigentlich nicht um ein Zertifikat oder ein Label für ein Produkt, sondern um die Frage, wie man damit umgeht. C2C ist eine Art, Wirtschaft neu zu denken.

Für diese Wirtschaftsform sind Kooperation und Wissensweitergabe Voraussetzung. Unternehmen müssen ihre Produktionsweise offenlegen und ihre Erfahrungen mit anderen teilen. Damit sie darüber entscheiden können was damit passieren darf, gibt es eine „knowledge transfer licence“ und eine Organisation, die als „Wissenstreuhänder“ fungiert. Kling sehr nach Creative Commons Lizenz.

Schließlich ging es darum, dass die solcherart hergestellten Produkte auch auf den Markt gebracht und verkauft werden müssen, also um Marktforschung und die Frage der „Konsumentenzielgruppe“. Von LOHAs wurde da gesprochen, und dass es sich halt vor allem um die höheren Einkommensschichten handelt, die an solchen Produkten interessiert seien und die Frage gestellt, wie man das Bewusstsein auch in andere Schichten hineintragen könnte. Da musste ich doch darauf hinweisen, dass man halt über der Euphorie über neue Technologien die Umverteilungsfrage nicht vergessen dürfe, dass es vielleicht weniger um Bewusstseinsbildung als um Einkommenensgerechtigkeit gehe. Aber es gab noch eine andere interessante Abkürzung: PARKOs = Partizipative Konsumenten ;-).

Und das trifft es schon besser. Denn im darauffolgenden Workshop, wo es dann um die Frage ging, wie KonsumentInnen gewonnen werden könnten, wurde schnell klar gestellt: damit dieses Konzept aufgehen kann, können Menschen nicht auf ihre KonsumentInnenrolle reduziert werden, sondern müssen sich aktiv in den Produktionsprozess einschalten, indem sie die Produkte entsprechend behandeln. Also hat der Workshop-Organisator am Ende gemeint, am besten wir streichen das Wort Konsument aus unserem Wortschatz – sag ich doch immer!

Dann sprach noch ein Herr aus dem Lebensministerium und meinte, ja im Grunde fänden sie das C2C-Konzept schon interessant, aber das gehe doch nicht, dass man die Konsumenten da ganz aus der Verantwortung entlasse, die seien doch notwendig, um das umzusetzen (der Herr war nicht im selben Workshop, hatte das irgendwie den allgemeinen Informationen entnommen). Das Lebensministerium hat ja auch in den letzten Jahren viel Geld für die Bildung verantwortungsbewusster KonsumentInnen ausgegeben.

Und das war das Stichwort für den großen Meister. Michael Braungart hielt die Keynote-Speech zum Abschluss – und es war wirklich ein Aha-Erlebnis. Gut, er kann seine Botschaft ausgezeichnet verkaufen, er kann sie auch wirklich unterhaltsam und einprägsam rüberbringen, eine Pointe folgt der anderen und es ist nicht so einfach, alles gleich zuzuordnen, manches ist sicher einfach überzeichnet, manches kann und muss man hinterfragen und ich muss mir das erst genauer durch den Kopf gehen lassen. Aber auch mit diesen Einschränkungen – es war wirklich sowas von inspirierend, einleuchtend und ermutigend, einfach unglaublich. Erst hier wurde den meisten von uns klar, worum es wirklich geht und dass das eben kein neues Wirtschaftsmodell ist, nichts was sich auf die Ebene der Industrie beschränken kann, sondern ein soziales und kulturelles Projekt, das unser ganzes Denken in Bezug auf unsere Produktionsweise auf den Kopf stellt.

Er begann mit der Frage nach den Konsumenten, und damit hat er gleich mein Herz erobert ;-). Er war nämlich der einzige Mensch den ich bisher – außer mir – sagen gehört habe, dass es ja bei dem, was wir damit meinen, gar nicht um Konsum gehe sondern ums kaufen. Niemand konsumiert eine Waschmaschine oder ein Auto. Wenn wir nach dem C2C-Prinzip arbeiten, gibt es keine Trennung zwischen ProduzentInnen und KonsumentInnen, sondern alle sind Beteiligte an diesem geschlossenen Produktionskreislauf. Das sagen wir auch, wir nennen es halt „Commoners“.

Denn, so sagte er, es werden ja auch keine Produkte verkauft, die sollen ja wieder zurückkommen. Es wird kein Schreibtischsessel verkauft, sondern die Dienstleistung des 5 Jahre darauf Sitzen-Dürfens, kein Fenster, sondern die Dienstleistung, 50 Jahre durchschauen zu dürfen. Wir würden sagen: das Nutzungsrecht, aber gut das ist halt der Unterschied ob Unternehmer reden oder Commoners.

Aber das Entscheidende war – und nun verstand ich auch das Motto „Öko-Effektivität statt Öko-Effizienz“ – es geht nicht darum, so wenig Rohstoffe, Energie, Öl, zu verbrauchen wie möglich, sondern so zu produzieren, dass man etwas der Natur hinzufügt. Also, nicht den ökologischen Fußabdruck zu reduzieren, was heißen würde, weniger zu zerstören, Dinge weniger schlecht zu machen, sondern Dinge besser zu machen, sozusagen einen positiven Fußabdruck zu hinterlassen, Überfluss zu produzieren, die Verschwendung in der Natur nachempfinden. Das ist ein sehr ähnliches Argument, wie wenn wir in der Commons-Diskussion die Fragen von Knappheit und Überfluss diskutieren und auch hier sind durchaus nicht alle einer Meinung. Manche meinen, man müsse doch trotzdem auch sparen. Und ich denke, das kann man nicht so einfach und verallgemeinernd sagen, weil es eben von der Situation abhängt. Aber einige Beispiele konnte er sehr konkret erklären.

Wenn man etwa versucht ein Passivhaus zu bauen, das möglichst wenig oder gar keine Energie verbraucht und damit auch nur einen sehr geringen ökologischen Fußabdruck verursacht, dann ist das immer noch der Versuch, so wenig wie möglich zu schaden. Wenn man aber das Haus mit einem begrünten Dach versieht und an den Hauswänden Bäume sich hochranken lässt, dann nehmen diese Grünpflanzen mehr CO2 auf, als die Hausbewohner produzieren, sie sind also nicht CO2 neutral, sondern machen einen positiven Fußabdruck.

Durch die gute Isolierung und das Energiesparen ist die Raumluft oft mehr mit Schadstoffen angereichert als die Luft im Freien. Viele der Dinge, die wir produzieren, vor allem Möbel und Textilien, geben Giftstoffe an die Raumluft ab. Nun wird versucht, per Gesetz Obergrenzen für diese Schadstoffmengen festzulegen – so wenig Schaden wie möglich zu machen, wie sich der Giftstoffmix auswirkt, wissen wir trotzdem nicht. Michael Braungart sagte, es gibt Teppichböden, die Schadstoffe aus der Luft aufnehmen, also die Luft besser machen. Anstatt antibakterielle Beschichtungen zu machen, die alle Bakterien zerstören, auch die guten, kann man Raumfarben Bakterien beimengen, die schädliche Keime vernichten, usw.

Grundsätzlich geht es darum, nicht Gifte zu reduzieren, sondern gleich bei der Herstellung zu überlegen, was kann das Ding für positive Auswirkungen haben, z.B. auch was kann ich mit dem Ding machen, wenn es später recycled wird. Manche giftigen Chemikalien oder Metalle, die für die Funktion von etwas notwendig sind, aber die Umwelt schädigen würden, wenn sie zum Müll kommen, kann man vorher wieder extrahieren und sie wieder als Rohstoffe verwenden. Und vor allem, er hat es immer wieder betont, das alles kann nur wirklich funktionieren, wenn wir unsere ganze Gesellschaft darauf einstellen, es kann nicht gehen, wenn ein paar Unternehmen so produzieren, sondern es braucht auch veränderte soziale Strukturen und Beziehungen.

Und noch etwas ist sehr ähnlich wie in der Commons-Diskussion: es gibt keine allgemeingültigen Lösungen, denn es kommt auf die jeweilige lokale und regionale Situation an. Was in einem Land gut ist, kann in einem anderen falsch sein. Und dass es einen Umstieg auf erneuerbare Energie, eine Dezentralisierung der Produktion, bedeutet, das ist auch klar. Der große Unterschied zu allem, was ich bisher so kannte, ist, dass es um eine wirkliche technische Innovation geht – nicht um ein zurück zur Natur (das heißt nicht, das natürliche Rohstoffe grundsätzlich nicht verwendet werden, aber das ist nicht zentral), sondern es geht um die Entwicklung einer Technologie, die der Erde nicht schadet, sondern sie verbessert. Darum stellt er, was natürlich viele stört, die sich jahrelang dafür starkgemacht haben, das Konzept der Nachhaltigkeit in Frage. Nachhaltigkeit heißt ja, nicht mehr zu verbrauchen, als wieder nachwachsen kann, aber Braungart sagt, nein, wir sollen unseren Nachkommen mehr hinterlassen, als wir vorgefunden haben – wir müssen nicht sparen, sondern mehr produzieren. Das ist natürlich provokant und sicher nicht verallgemeinerbar, aber es fordert Diskussion heraus, und darum soll es gehen.

Für mich war es die erste technologische  Zukunftsperspektive, die ich gehört habe, die mir nicht erschreckend erschien, wie viele dieser Geo-engineering Ideen, die nicht versucht, aus Schäden, die wir vorher verursachen – sozial und ökologisch – neue Wirtschaftsfelder und damit neue Profitmöglichkeiten zu erschließen, was mir nicht sehr sinnvoll erscheint, die soziale und ökologische Aspekte verbindet, nach dem Motto „der Klimawandel und der Hunger auf der Welt haben die gleiche Ursache“ und die außerdem realisierbar zu sein scheint, schließlich arbeiten ja schon etliche Unternehmen damit. Und es ist wie beim Transition-Movement: wenn wir es als Denkweise sehen, nicht als Produktionsmethode, kann jedeR damit anfangen, jetzt.

Was mich noch angesprochen hat war, dass er sagte, wir sind nicht zu viele Menschen und wir brauchen uns nicht dauernd zu sorgen, dass zu wenig für alle da ist. Wir brauchen nicht um unseren Teil kämpfen und wir brauchen uns nicht gegenseitig als Konkurrenten zu empfinden. Denn die Gier der Menschen, die oft beklagt wird, kommt genau daher, weil wir denken, es ist nicht genug für alle da. Wenn wir den Menschen diese Angst nehmen, dann sind sie auch friedlich und kooperativ. Und wir müssen nicht dauernd ein schlechtes Gewissen haben, weil wir die Erde zerstören und irgendwie das Gefühl haben, es wäre besser, wenn es uns gar nicht gäbe – und wir müssen nicht immer verzichten und leiden, damit wir unser Gewissen beruhigen. Es braucht keine „guten“ Menschen und es braucht keine Askese.

Auch hier wieder sehr viele Ähnlichkeiten mit der Commons-Diskussion. Und, wie schon gesagt, ich glaube nicht, dass sich alle Probleme so im Handumdrehen lösen lassen, ich glaube auch nicht, dass dann die Idylle kommt, in der sich alle lieb haben und wir unsere Erde immer schöner machen und auch Braungart sagt, dass vieles noch offen ist. Wie in der Commons-Diskussion gibt es auch in der C2C-Community viele unterschiedliche Denkweisen und es wird auch untereinander gestritten. Das ist wichtig und das müssen wir ja auch wenn wir von Commons sprechen immer wieder dazu sagen. C2C und Commons sind nicht die Lösung aller Probleme, aber sie sind eine Änderung des Blickwinkels, der andere Lösungen in den Blick bringt. Und die Wirtschaft nicht von der Knappheit her zu denken, und uns dann zu überlegen, wie wir knappe Güter gerecht verteilen können, sondern auszugehen von der Möglichkeit von Überfluss und Fülle und uns dann überlegen, wie gehen wir es an, dass wir das auch erreichen, das halte ich wirklich für ein Alternative, über die nachzudenken sich lohnt.

Ein Problem bei der Vermittlung nach außen, und das merkt man so stark, wenn man diese Broschüre zum EU-Projekt liest, ist, dass die Kriterien, die wir jetzt an zukunftsfähige Wirtschaftsprozesse anlegen, nicht so wirklich passen wollen. Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit, nachhaltiges Wachstum, Arbeitsplätze schaffen, alles das muss dort drinnen stehen, obwohl es darum überhaupt nicht geht. Aber auch das kennen wir aus der Commons-Diskussion, beide lassen sich in den herkömmlichen Kriterien nicht so leicht denken, weil sie eben ganz anderen – und sehr ähnlichen – Denkmustern folgen.

Immer wieder fiel auch das Wort von der nächsten industriellen Revolution und ja, dem kann ich etwas abgewinnen. Aber wenn es um Revolution geht, dann stellt sich natürlich auch die Frage, wer von dieser Revolution profitiert. Ob wirklich alle einbezogen werden in diesen sozialen Veränderungsprozess, oder ob wieder die Reichen und Mächtigen gewinnen auf Kosten derer, die ohnehin jetzt schon weniger haben. In Zeiten von Revolution, auch wenn es eine friedliche ist, kommen auch Machtverhältnisse in Bewegung. Es gilt auch hier, was für die Commons-Diskussion gilt: man kann die Machtfrage nicht aussparen. Darum kommt es drauf an, wie dieser Prozess organisiert wird, wer mitreden kann, wer welche Nutzungsrechte bekommt. Und ich denke mir, dass ist der Platz für die Idee der Commons.

Commons geben die Struktur und die Mechanismen vor, ihre Regeln können sicherstellen, dass niemand benachteiligt wird, dass alle Betroffenen gemeinsam über die Regeln bestimmen und sie auch kontrollieren, dass alle beitragen können, dass niemand ausgeschlossen wird von der Nutzung lebenswichtiger Dinge und das es das Recht auf die Verteidigung dieser Möglichkeiten gibt – das C2C-Prinzip könnte den Inhalt der Regeln bestimmen, könnte eine Leitlinie dafür sein, wie wir Dinge behandeln müssen, damit soziale und ökologische Aspekte gleichermaßen berücksichtigt werden und Überfluss produzieren können – oder zumindest ein gutes Leben für alle. C2C ist eine Technologie, die gut zur Produktions- und Regulationsweise der Commons passt und die beiden könnten sich gegenseitig stärken.

Hier ein Artikel in der taz mit ähnlichem Inhalt und das Video Waste equals food.