Gestern war Kapitän Claus Peter Reisch zu Gast in der Sendung Punkt Eins in Ö1. Claus Peter Reisch ist ein wichtiges Sprachrohr gegen die Kriminalisierung der Seenotrettung und nimmt sich selten ein Blatt vor den Mund. Ungeachtet meines Respekts vor der Leistung von Claus Peter – der auch schon bei der Seebrücke in Graz zu Gast war – wurde das an sich interessante Gespräch am Ende doch etwas seicht. „Was können wir tun?“, lautete die Frage, wo es dann plötzlich nur mehr darum ging, wir sollten doch Fairtrade Produkte kaufen und unseren Müll nicht in die Länder des globalen Südens schicken, denn, wir seien ja der Grund, warum diese Menschen zuhause nichts mehr zu essen haben.

Nun ist es natürlich richtig, dass die Armut im globalen Süden in direktem Zusammenhang mit unserem Wirtschaftssystem und unserem Reichtum stehen, aber wenn es um die Menschen geht, die derzeit nach Europa kommen, greift das deutlich zu kurz. Ein großer Teil flieht nicht wegen Armut, sondern vor Krieg, Konflikten, Verfolgung in Diktaturen. Auch dazu tragen die EU und die USA ihren Teil bei, durch Waffenlieferungen und geopolitisches Taktieren, allerdings hilft es diesen Menschen nicht, wenn wir fair gehandelte Produkte kaufen. Diese Menschen fliehen, weil sie zuhause tödlichen Bedrohungen ausgesetzt sind und darum haben sie ein Recht darauf, einen Asylantrag stellen zu können. Darum riskieren sie auch die gefährliche Überfahrt, weil sie nichts mehr zu verlieren haben, siehe auch den letzten Beitrag.

Aber, gerade diese Menschen kommen im Verhältnis eher selten nach Europa. Wenn wir immer wieder hören, es könnten doch nicht „alle“ zu uns kommen, dann kann die Antwort darauf nur sein, dass gar nicht alle zu uns wollen.

Die UNO-Statistiken (Daten vom Juni 2019) zeigen es klar: von den mehr als 70 Millionen Menschen, die derzeit weltweit auf der Flucht sind, sind 40% Binnenflüchtlinge, halten sich also in ihren eigenen Ländern auf. Von den restlichen wieder bleiben 80% in den Nachbarländern und der Rest verteilt sich auf die Länder dazwischen und Europa bzw die USA. Wir könnten uns also durchaus einmal entspannen und uns fragen, was daran eigentlich so schlimm ist.

Die Länder mit den meisten Flüchtlingen konzentrieren sich am Horn von Afrika und im nahen Osten (UNO Bericht von Ende 2018). Diese Länder sind alle wesentlich ärmer als Europa und sie kommen anscheinend mit den Flüchtlingen gut zurecht, etwa Uganda, das immer wieder als Vorbild in Bezug auf Flüchtlingspolitik gilt. Viele geflüchtete Menschen hat auch die Türkei aufgenommen, allerdings ist sie auch nicht unbeteiligt an den Kriegshandlungen, die in Nordsyrien gerade wieder neue Fluchtgründe schaffen. Eine halbe Million Menschen mussten seit Dezember die Provinz Idlib verlassen.

Die Mehrzahl der europäischen Regierungen will nun, dass schutzsuchende Menschen erst gar nicht mehr zu uns kommen. Dafür ist ihnen jedes Mittel recht, auch die Finanzierung von Menschenrechtsverletzungen in unseren Nachbarländern, bzw im Süden des Mittelmeers, und die Ignoranz gegenüber der Situation auf den griechischen Inseln, ein Vorgehen, dass Jean Ziegler die „Schande Europas“ nennt.

Woher kommt diese Arroganz, dass gerade die reichsten Länder der Welt behaupten, sie könnten keine schutzsuchenden Menschen aufnehmen? Warum sollten alle anderen Länder die Menschen wollen, die Europa nicht haben will? Warum weigert sich das Europa, das so stolz auf seine humanistischen und christlichen Wurzeln ist, Verantwortung gegenüber diesem globalen Phänomen der Fluchtbewegungen zu übernehmen? Das sind die Fragen, die wir wirklich diskutieren sollten, nicht ob Seenotrettung ein Pullfaktor ist!