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Der Zweck von Seenotrettung

Unser neuer alter Bundeskanzler war auf Antrittsbesuch bei Frau Merkel. Er hat sich dort, so berichten es deutsche Medien, zwar wie ein braver Schulbub benommen, allerdings hat er der Frau Lehrerin auch widersprochen. Sie will, dass die Europäische Union die eigene Seenotrettung, die „Mission Sophia“ wieder aufnimmt und diese Arbeit nicht nur NGOs überlässt. Herr Kurz will das nicht, denn die Seenotrettung „zerstöre das Geschäftsmodell der Schlepper nicht“, sondern – und jetzt kommt’s – im Gegenteil, es würde die Schlepper sogar noch ermutigen. Und sie Seenotrettung sei, so meinte unser Kanzler schon wiederholt, für die Menschen in Libyen überhaupt erst die Motivation in diese untauglichen Boote zu steigen, sei also ein „Pullfaktor“.

Wie bitte? Also, das muss man erst einmal auseinanderdröseln.

1. Natürlich hat die Seenotrettung nicht dazu geführt, dass es weniger Schlepper gibt. Wie sollte sie auch? Der Zweck von Seenotrettung ist, Schiffbrüchige aus Seenot zu retten. Punkt. Und das hat sie getan. Auch wenn Kurz meinte, „Sophia habe nicht das Sterben im Mittelmeer beendet, sondern dazu geführt, dass mehr Menschen gekommen und mehr gestorben seien.“ Niemand weiß, woher er diese Info hat, denn:

2. Seenotrettung ist kein Pullfaktor, das haben mehrere Studien bewiesen. Vielmehr legen diese Studien das Gegenteil nahe: ohne Seenotrettung waren 2014 etwa weit mehr Boote unterwegs als später mit.

Eine Studie des Migration Policy Center zeigt klar:

Wie viele Migranten monatlich von Libyen aus in See stechen, stehe dabei in keinerlei Zusammenhang mit der Präsenz privater Seenotretter. Flüchtlinge entscheiden unabhängig von der Präsenz der Rettungsschiffe, ob sie die Überfahrt wagen oder nicht. Einen großen Einfluss auf die Entscheidung hat der Studie zufolge hingegen das Wetter vor der libyschen Küste.

Zum gleichen Ergebnis kommt eine andere Studie.

Bevor Menschen in Libyen – oder auch in Izmir – ihr letztes Geld für Schlepper ausgeben und sich in ein Schlauchboot setzen, sind sie oft schon Jahre unterwegs, haben Schreckliches erlebt, sind mehrfach traumatisiert, haben meist weder Geld noch die Möglichkeit zurückzugehen und sind in Libyen täglichem Terror ausgesetzt. Dass sie die Flucht übers Mittelmeer möglicherweise nicht überleben, hält diese Menschen so kurz vor dem Ziel auch nicht mehr ab.

3. Schlepper gibt es überall dort, wo Menschen, die dort wo sie herkommen nicht leben können, auf legalem Weg nicht in andere Länder einreisen können. Manchmal heißen sie nicht Schlepper, sondern Fluchthelfer und werden dann als Helden gefeiert. So war das damals, im kalten Krieg … Die einzige Möglichkeit, Schlepperei zu verhindern, ist legale Fluchtwege zu schaffen. Wieder Punkt.

Nur zur Ergänzung: Während wir mit unseren EU-Reisepässen 185 Länder dieser Welt bereisen können (obwohl wir in unseren Ländern sicher sind), erlaubt ein afghanischer Pass gerade einmal die Einreise in 14 andere Länder (in denen es vermutlich auch nicht viel sicherer ist, als in Afghanistan selbst).

Abgesehen davon, hat die Mission Sophia natürlich auch einen Haken, sie hat nicht nur Menschen aus Seenot gerettet, sondern auch den Aufbau und die Ausbildung der sogenannten Libyschen Küstenwache unterstützt, von der man weiß, dass es personelle Überschneidungen mit den Schleppernetzwerken gibt. Insofern hat vielleicht die Mission Sophia wirklich das Schlepperwesen unterstützt, aber nicht dadurch, dass sie Menschenleben gerettet hat, sondern duch den schändlich Deal mit Libyen.