Vorige Woche war ich mit Heike Schiebeck vom Europäischen BürgerInnen Forum wieder in Bosnien. Wir wollten sehen, wie die Situation in Velika Kladusa ist, weil es wichtig ist, den Menschen, die für Flüchtlinge spenden, aktuelle Informationen geben zu können. Und wir wollten den schockierenden Neuigkeiten von dem neuen Lager in der Nähe von Bihac nachgehen. Vucjak scheint alles bisher dagewesene in den Schatten zu stellen, wie Dirk Planert berichtete.
Nach VK zu kommen ist ein wenig wie nach Hause kommen. Ich kenne die Situation, die Stadt, die Menschen. Die Menschen, die entlang der Balkanroute Flüchtende unterstützen, egal ob es sich um die lokale Bevölkerung oder um ausländische Freiwillige handelt, kennen sich, man gehört dazu. Und alles ist absurd wie immer – liegt es am Land, liegt es an der EU-Politik oder an der Kombination von beidem?
Die Situation für die Menschen auf der Flucht hat sich kaum verändert, seit ich dort war. Noch immer leben einige hundert Menschen außerhalb des Lagers in Squats oder im „Jungle“, noch immer gehen tägliche viele zum „game“, das heißt, sie versuchen über die Grenze nach Kroatien zu kommen, noch immer wird ein guter Teil davon von der kroatischen Polizei postwendend zurückgebracht, oft genug mit Gewalt. Das Restaurant ist wieder geschlossen, diesmal vermutlich für immer. Die NoNameKitchen verteilt Essen, Kleidung und was sonst noch gebraucht wird, abends, immer noch heimlich, um der Polizei nicht aufzufallen. Sie haben zwar die Registrierung als NGO geschafft, aber sie warten noch immer auf eine ID-Nummer und das kann dauern in Bosnien. Für die Verteilung gibt es ein Fake-Facebook-Profil als Kontakt. Aber es gibt auch eine Verbesserung: SOS Kladusa hat ein neues Lokal gemietet und dort eine Erste Hilfe Station eingerichtet.
Im Keller dieses Lokals betreibt NNK wieder einen Freeshop, allerdings nur 2x die Woche, man wartet auf die ID-Nummer und will nicht auffallen. SOS und NNK arbeiten noch immer gut zusammen und sie planen, wieder eine Essensversorgung zu organisieren, auch Duschen stehen immer noch auf der Wunschliste.
Trotz aller Widrigkeiten scheint die Stimmung in VK aber entspannt zu sein, die meisten grüßen fröhlich, wenn sie uns auf der Terrasse des Restaurants Napoleon sitzen sehen. Der Sommer erleichtert einiges und feindselige Angriffe aus der Bevölkerung wie im Winter gibt es nicht mehr. Der Velika-Kladusa-Sommer im Stadtpark – tägliche Musikveranstaltungen mit lokalen Spezialitäten – und die vorübergehenden Bewohner haben beide im Stadtpark Platz.
Über das Lager Miral gab es Schließungsgerüchte, nachdem es im Frühjahr dort einmal gebrannt hatte. Darum haben wir einen kurzen Stopp auf dem Rückweg von Bihac dort eingelegt und mit den Menschen gesprochen, die vor dem Lager saßen. Es scheint auch dort im Wesentlichen alles beim Alten zu sein, viele Menschen sind zwischen Stadt und Lager unterwegs und die Bewohner sagen, dass noch immer einige hundert Menschen dort wohnen. Sie wissen nichts von Schließung und klagen immer noch über das schlechte Essen und die ungenügende medizinische Versorgung.
Auch S. aus dem Telefonshop haben wir wieder getroffen. Die drei Frauen halten noch immer die Stellung, helfen wo es geht, auch gegen Widerstand der Nachbarn und der Polizei. Warum sie das macht? Die Antwort ist überraschend: Der Telefonshop wird von drei Frauen geführt, die Kunden sind weitgehend Männer. Oft und oft habe sie sexistische Äußerungen und blöde Bemerkungen über sich ergehen lassen müssen. Von diesen Menschen, die jetzt hier auf der Durchreise sind, gebe es das nicht, nicht einen sexistischen Vorfall habe sie erlebt, da werde sie endlich respektvoll behandelt – soviel zu den Männern die angeblich eine Gefahr für europäische Frauen sind.
Und auch sie hat eine absurde Geschichte: Regelmäßig bekommt sie Pakete mit kaputten Telefonen aus Kroatien, die können sie noch für Ersatzteile verwenden. Im letzten Paket, erzählt sie, seien viel mehr zerbrochene Smartphones gewesen als sonst, und sie waren anders zerbrochen, sie hätten ein Loch gehabt, da habe deutlich jemand draufgeschlagen. Die Vermutung liegt nahe, dass das die Telefone sind, die kroatische Polizei den Flüchtlingen wegnimmt und zerstört …
Und dann waren wir in Vucjak. Ca 10 km außerhalb von Bihac mitten im Nirgendwo. Auf einer ehemaligen Müllhalde. Bihac ist ein Fremdenverkehrsort im Nationalpark Una Sana. Da wollte man in der Sommersaison keine obdachlosen Menschen in der Stadt herumlungern sehen, ganz abgesehen davon, dass das ja auch für die Betroffenen selbst kein zufriedenstellender Zustand ist und es vermehrt zu Konflikten mit der Bevölkerung gekommen war. Rotes Kreuz und IOM wurden angefragt, es sollte ein weiteres Lager geben. Der von der Stadtregierung vorgeschlagene Platz wurde aber von beiden nicht akzeptiert, kein geeigneter Ort hieß es. Da machte es die Stadt einfach alleine, Menschen wurden von der Polizei eingesammelt und hingebracht, einfach so, ohne irgendwas, nachzulesen im Link oben und immer wieder auf der Seite Balkanstories die Berichte von Dirk Planert und Ayre Wachsmuth. Wir haben Dirk getroffen, ein bissl Verbandsmaterial und Medikamente mitgebracht und zwei Helfer.
Als wir ankamen gab es schon Fortschritte: Zelte vom roten Halbmond, seit 2 Tagen gab es Duschen, zwar nur kalt und im Freien, man kann sich nicht ausziehen, klagten die Männer. Es gab ein Teehaus mit Küche und ein Moscheezelt und es wurde Essen vom Roten Kreuz verteilt. Allerdings nur von Ehrenamtlichen des lokalen Roten Kreuzes in Bihac. 8 junge engagierte Menschen, ohne besondere Ausbildung führen quasi für ein Taschengeld das ganze Lager. Wir haben mit einer von ihnen gesprochen, eine großartige junge Frau, da ist sie noch, diese ganz sebstverständliche Menschlichkeit des Sommers 2015: Menschen sind in Not, also helfen wir. Es fehlt an allem, aber, sagt sie, das Hauptproblem ist, hier sollte kein Lager sein, das ist kein Ort, an dem Menschen wohnen sollten. Besonders aufgefallen ist mir, dass fast niemand von den Männern dort auch nur einigermaßen vernünftige Schuhe anhatte, das ist wirklich ein Problem …
Auf der Rückfahrt sehen wir sie: Menschen, die wie eine Schafherde die Berg hinaufgetrieben werden, ein Polizeiauto vorne eines hinten, dazwischen 40 oder 50 Menschen, die in der Mittagshitze zu Fuß die 10 km zurücklegen müssen.
Soweit, so schlecht. Aber, wie alles hier, hat auch das mehr als eine Seite. Dieses Lager liegt quasi am Weg zur Grenze, am Weg zu einer Grenze in den Bergen zwar, aber für die jungen Männer, die schon monate- oder jahrelang weitgehend zu Fuß unterwegs sind, keine große Herausforderung. Einer Grenze auch, die noch nicht elektronisch überwacht ist, wo noch kaum Polizei unterwegs ist. Und im Lager zirkuliert ein kleines weißes Büchlein mit dem Titel „How to win the game“. Man braucht dafür nicht Englisch können, nicht einmal lesen, es ist eine bebilderte Anweisung, wie man über die Grenze kommen kann – ohne Garantie vermutlich. Ja, dieses Lager ist eine Katastrophe, aber bei mir weckt das die Assoziation: könnte es sein, dass das die Rache der Stadt an der EU ist, die sie im Stich lässt? Ist das hier so etwas wie das Basiscamp für den Weg über die Grenze? Ist das Ganze sowieso nur als Durchgangsstation gedacht?
Ihr könnt übrigens Dirk auch unterstützen bei seiner Arbeit in Vucjak, näheres gibt’s hier, oder ihr könnt an das Europäische BürgerInnen Forum spenden, wenn ihr die NoNameKitchen und die lokalen HelferInnen von SOS Kladusa unterstützen wollt. Oder ihr könnt eure Europaabgeordneten fragen, wielange die EU noch alle europäischen Werte verletzen will, um nur ja schutzsuchende Menschen davon abzuhalten, ins reiche Europa zu kommen, dazu demnächst mehr.