Das hat Harald Welzer schon 2017 gesagt und mit diesem Buch die – von ihm angenommene – Mehrheit der Menschen, die gegen die rechte, fremdenfeindliche und menschenverachtende Politik sind, aufgefordert, sich für eine offene Gesellschaft zu engagieren. Und er sagt dort

Es ist einfacher, für die Demokratie zu kämpfen, solange es sie noch gibt. Danach wird es erheblich schwieriger.

Das war auch der Grund, warum ich angefangen habe, mich weniger für die Commons, sondern mehr für die Weiterentwicklung der Demokratie einzusetzen (was nicht heißt, das mir Commons nicht noch immer wichtig wären – aber, siehe Zitat oben). Das war noch vor dieser Regierung, die alles davor Geschehene in den Schatten stellt. Jeden Tag aufs neue unglaubliche Äußerungen, die einen einfach nur mehr sprachlos machen. Und da sind die „Einzelfälle“ nationalsozialistischer Wiederbetätigung in der FPÖ noch gar nicht inbegriffen.

Da scheint es schon als leichter Hoffnungsschimmer, wenn der economist berichtet, der Wählerzustrom zu den rechten Parteien nehme ab. Könnte aber sein, dass der Grund dafür nur ist, dass andere Parteien diese Positionen übernommen haben und die Wähler nicht mehr unbedingt die ganz rechts außen wählen müssen. Die Türkisen haben sich ja explizit auf die Fahnen geheftet, Europa dicht zu machen und sie haben dafür auch Verbündete in Europa gefunden, also wozu noch FPÖ wählen. In der SPÖ hat auch eher der rechte Flügel das sagen. Die Grünen haben sich noch immer nicht gefunden, die einzige Partei in Österreich, die derzeit einen klaren Standpunkt zu Menschenrechten einnimmt, sind die NEOs.

Mehrheit der EuropäerInnen würde mehr Flüchtlinge aufnehmen

So zumindest fühlt es sich an. Es gibt aber auch Umfragen, die nicht nur zeigen, dass die Stimmen für die Rechten weniger werden, sondern die nahelegen, dass Welzers Behauptung stimmt. Das Pew Research Center in Washington hat bei einer Studie in 10 EU-Mitgliedsstaaten festgestellt, dass eine Mehrheit der EuropäerInnen dafür ist, mehr Menschen auf der Flucht aufzunehmen. Hier in der Zeit auf Deutsch. In Deutschland sprachen sich 82% der Bevölkerung dafür aus, in Schweden 81 und sogar in Italien – das ja eines der Länder ist, die die Hauptlast tragen – 56%. Selbst in Polen würden 49% mehr Flüchtlingen aufnehmen, nur 32% sind strikt dagegen. Ungarn war das einzige Land, in dem mit 54% eine Mehrheit explizit gegen die Aufnahme von Flüchtlingen ist, was zumindest aussagt, dass Orbans Hetze erfolgreich war, aber vermutlich weniger über die Menschen in Ungarn. Und in allen untersuchten Ländern, auch in Ungarn, sprachen sich starke Mehrheiten gegen die Art aus, wie Europa derzeit mit Menschen auf der Flucht umgeht.

Und auch in Österreich mehren sich ja die Stimmen gegen die Regierungslinie, hier noch meist wenn es gegen die Abschiebung von gut integrierten Menschen geht, wie etwa derzeit in Lienz, wo sich der ganze Gemeinderat, einschließlich FPÖ, gegen die Abschiebung einer Familie gestellt hat.

Warum also hört man diese Stimmen nicht lauter?

Widersprechen und demonstrieren

Ich denke, dafür gibt es verschiedene Gründe. Einen davon hat Barbara Kaufmann in diesem Kommentar gut benannt – es ist die Sprachlosigkeit angesichts täglich neuer Eskalationen. Bevor man noch eine angemessene Antwort gefunden hat, kommt schon der nächste Schlag. Trotzdem, meint sie, dürfen wir nicht schweigen – und ich versuche es zumindest auch.

Und natürlich kann man auch demonstrieren, auf die Straße gehen. Das ist auch notwendig, schon um immer wieder einmal aufzuzeigen, dass es sie gibt die Gegenstimmen und um auch für jede und jeden Einzelnen, um zu sehen, ich bin nicht allein. Die Omas gegen rechts oder die Leute von der Seebrücke-Initiative machen ganz wichtige Arbeit in dieser Beziehung. Aber mein Gefühl sagt mir, um wirklich den Diskurs verändern zu können, braucht es etwas anderes, denn diese Demonstrationen tragen doch eher selbst zur Spaltung der Gesellschaft bei, sie sind doch auch ein Ausdruck des „Wir“ gegen die „Anderen“, Gut gegen Böse, nur von der anderen Seite – und es ist denke ich nur eine Frage der Zeit, bis es auch bei uns zu regelmäßigen Zusammenstößen zwischen „linken“ und „rechten“ Demonstranten kommen wird, wie sie in Deutschland schon auf der Tagesordnung sind und die Fronten noch mehr verhärten. An Demonstrationen beteiligt sich halt auch nur ein geringer Teil der Menschen, auch wenn sie, laut Umfragen, durchaus gegen die Politik der Regierung sind. Das ist halt so, vor allem Österreich war nie ein Land, wo Menschen in Massen auf die Straße gehen und das wird sich jetzt auch nicht ändern, ein Grund dafür könnte auch das sein, was Ingolfur Blühdorn als Emanzipation zweiter Ordnung bezeichnet.

Ohnmacht und Rückzug

In seinem Buch „Simulative Demokratie“ schreibt er, dass im ersten Emanzipationsschritt BürgerInnen den Anspruch erhoben hätten, ihre Lebenswelt mitzugestalten, wozu auch gehörte, Verantwortung für das Gemeinwesen zu übernehmen. Durch den zunehmenden Wohlstand in der Konsumgesellschaft wollen Menschen sich nun auch von dieser Verantwortung emanzipieren.

Doch vor dem Hintergrund veränderter gesellschaftlicher Verhältnisse werden diese Normen, auf denen die Bewegungsideale einer wahren Demokratie, einer befreiten Gesellschaft und einer versöhnten Natur noch unerschütterlich gründeten, heute anders wahrgenommen. Sie erscheinen nun als verkrampft, ideologisch, moralinsauer, fundamentalistisch. Sie werden zum Hindernis, zur unerträglichen Belastung und zunehmend als ungerechtfertigte persönliche Einschränkung erfahren, die die wahre Freiheit und Selbstverwirklichung blockieren. Das führt dann zu dem Bedürfnis, sich von diesen Normen zu befreien, diese Belastungen abzuschütteln, diesen Ballast der alten Subjektivität abzuwerfen,

sagt Blühdorn in einem Interview am Göttinger Institut für Demokratieforschung. Ein Rückzug in eine neues Biedermeier sozusagen, einfach auszublenden, was rund um uns geschieht. Und irgendwie ist das auch verständlich. Die Globalisierung mit ihren guten und schlechten Seiten und zuletzt noch die neuen Medien haben dazu geführt, dass wir in Echtzeit erfahren, was auf der ganzen Welt geschieht. Das macht die Vielzahl und den Umfang der Probleme sichtbar und die Ohnmachtsgefühle umso größer. Das trifft sogar für politisch aktive Menschen zu, und dann retten wir eben weiter lieber die Mur und den Augarten oder arbeiten an all den anderen – wirklich auch wichtigen – Projekten weiter wie bisher (damit meine ich auch mich selbst), weil wir keine Sprache finden, für das, was eigentlich notwendig wäre. Aber wer von etwas weiß, kann sich nicht mehr aus der Verantwortung stehlen und so tun, als habe er oder sie nichts gewusst, das zumindest sollten wir aus der Vergangenheit gelernt haben. Es gibt aber noch einen Grund, warum es so schwer ist, sich Gehör zu verschaffen und das ist die

Fake Politik

Ich kann mich nicht mehr erinnern, wo ich diesen Begriff gelesen habe. Er steht dafür, dass die wirklich dringenden Probleme derzeit gar nicht verhandelt werden, weil das Flüchtlings- und Migrationsthema – das im Moment gar nicht so drängend ist – am Kochen gehalten wird und vorgeschoben wird; entweder um hinter diesem Schutzschirm Politik zu machen, die den Herrschenden nützt oder um Themen überhaupt auszublenden. Indem PolitikerInnen die Migration als Hauptursache – die „Mutter aller Probleme“ – hochstilisieren, können sie sich als Retter Europas inszenieren, wenn sie die „Flüchtlingsrouten schließen“ und die „Grenzen dichtmachen“. Dabei gäbe es genug Probleme, die dringend angegangen werden müssten: Klimawandel, Ressourcenknappheit, Artensterben, soziale Ungleichheit, die Arbeit der Zukunft – und natürlich wäre auch der Umgang mit der Tatsache, das global immer mehr Menschen auf der Flucht sind, ein Thema, zu dem Lösungsvorschläge entwickelt werden könnten, aber dazu müsste man auf die Ebene der Realität und einer konstruktive Auseinadersetzung zurück kommen. Steigen die Gegner dieser Politik nun auf diese Diskussion ein, indem sie versuchen, dem Flüchtlingsdiskurs der Regierungen einen humanitären Diskurs entgegenzusetzen, so verstärken sie damit gleichzeitig diese Fake Politik, das heißt, sie tun so, als ob das wirklich unser größtes Problem wäre. Sprechen sie andere, wichtigere Themen an, finden sie weder bei Medien, noch bei Wählern Gehör, weil das Flüchtlingsthema alles dominiert.

Ein Aspekt der Fakepolitik vordergründig auf dem Rücken von „AusländerInnen“, in Wirklichkeit aber auf dem Rücken aller, die auf Mindestsicherung angewiesen sind, ist der Fokus auf die Mindestsicherung, obwohl sie nur einen kleinen Prozentsatz der Sozialausgaben ausmacht.

Was also tun?

Einerseits natürlich, wie von Barbara Kaufmann vorgeschlagen, trotzdem widersprechen, nicht schweigen, auch wenn es meist ungehört verhallt (vielleicht trifft es ja trotzdem das eine oder andere offene Auge oder Ohr). Was aber in einem erschreckenden Maß verlorgengegangen ist, ist offenbar die Fähigkeit, über unterschiedliche Standpunkte respektvoll und konstruktiv zu diskutieren. Es gibt nur mehr Beschimpfungen, man ist entweder „linksgrün versifft“ oder ein Nazi. Dazwischen ist kein Raum der Aushandlung mehr. Dabei sind unterschiedliche, ja gegensätzliche Sichtweisen zu gesellschaftspolitischen Themen normal, sie sind das Wesen der Demokratie, ja der Grund dafür, dass wir Demokratie brauchen. Wenn es die „eine“ Volksmeinung gäbe, bräuchten wir keine demokratischen Instrumente. Eine Notwendigkeit ist also, solche Räume zu schaffen, wo ernsthafte Gespräche wieder möglich werden. Wie sehr das wirkt und wie lange das dauert – ich weiß es nicht. Aber wenn das mit der Mehrheit stimmt, dann ist es vielleicht nicht ganz hoffnungslos.

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