Über Liberalismus und die liberale Demokratie wird derzeit viel diskutiert. Das ist erst mal gut. Am Liberalismus gab und gibt es ja nicht nur von Konservativen Kritik, sondern auch von „Links“ oder von feministischer Seite. Kritik am Individualismus, den er befördert, an der Überbetonung und gleichzeitig Unterbestimmung des Freiheitsbegriffes, am Menschenbild, an der Vermischung von Marktfreiheit und Menschenrechten – was nicht immer zusammengeht. Gut, wenn da etwas in Bewegung kommt. Ein paar Ideen dazu, hab ich ja schon im vorletzten Post beigesteuert. Noch besser, wenn die Liberalen selbst ihre Weltanschauung zu hinterfragen beginnen.

Aber der Artikel von Eric Frey im Wochenendstandard hat viele Menschen in meinem Umfeld verstört, auch mich. Er schreibt:

Liberale Asylpolitik gefährdet die liberale Gesellschaft.

Und er fordert die „Festung Europa“ um die liberale Demokratie in Europa zu retten. Wenn das stimmt, dann ist es der Offenbarungseid des Liberalismus. Wenn Liberalismus nur ohne Humanismus geht, dann ist hier was grundlegend falsch gelaufen. Oder das Liberalismuskonzept ist obsolet.

Liberale Asylpolitik?

Einerseits, denke ich, kann man den Liberalismus gegenüber Eric Frey verteidigen, denn einige der Setzungen und Kausalbezüge, die ihn zu dieser Schlussfolgerung führen, sind schlicht nicht nachvollziehbar.

So sieht er offenbar allein die – von ihm als liberal bezeichnete – Asylpolitik von 2015 als Ursache für den Rechtsruck Europas. Das hält so nicht, den Rechtsruck gibt es schon länger und die FPÖ war schon 2000 in der Regierung. Richtig ist, dass die Asylpolitik, die seither gemacht wurde und wird, von den Rechten geschickt genutzt wurde, um ihre Position zu stärken. Insofern stimmt seine Kritik, Europas liberale Kräfte hätten das Thema den Rechten und Populisten überlassen, dafür kann man aber nicht die Flüchtlinge, sondern eben nur die Liberalen selbst verantwortlich machen.

Dass es für die Rechten so einfach war in enger Zusammenarbeit mit den Medien die Ängste der Menschen zu schüren, hängt auch mit der neoliberalen Wirtschaftspolitik seit den 90er Jahren zusammen, vor allem mit der Austeritätspolitik seit der Eurokrise. Wenn Menschen jeden Tag hören, dass von allem immer zu wenig da ist, dass es nie für alle reicht, dass jeder ständig sich selbst optimieren muss, um im Wettbewerb zu bestehen, dann liegt es nahe, die Flüchtlinge in erster Linie als Bedrohung zu sehen – und das in den reichsten Ländern der Welt! Eigentlich ist das geradezu absurd, aber eben am allerwenigsten der Flüchtlingspolitik geschuldet.

Schließlich würde ich in Frage stellen, ob denn das, was da während einiger Monate im langen Sommer 2015 passiert ist, eine „liberale“ Flüchtlingspolitik war, wenn liberal mehr bedeuten soll, als den Dingen ihren Lauf lassen. Aus meiner Sicht war es ein eher planloses Handeln, eine hilflose Reaktion auf Probleme und Situationen, die sich schon längere Zeit angebahnt hatten, vor denen viele gewarnt hatten, vor denen die europäischen PolitikerInnen aber die Augen verschlossen hatten, bis sie vor vollendeten Tatsachen standen. Als das Problem akut wurde, wurden zwar die Grenzen vorübergehend geöffnet, aber gerade ohne politisches Konzept dahinter. Das war auch daran zu sehen, dass es die Zivilgesellschaft war, die die Situation gerettet hat, die Politik hatte keinen Plan.

Hinter den Bildern der Hilfsbereitschaft verwandelte sich bei der schweigenden Mehrheit die anfängliche Skepsis in Zorn,

schreibt Frey. Es ist mehr als fraglich, ob es wirklich die schweigende Mehrheit ist, die zornig ist, oder nicht eher eine laute Minderheit. Und selbst wenn es stimmt, ist sicher nicht nur die Grenzöffnung von 2015 die Ursache für diesen Zorn, sondern die politische Planlosigkeit, die darauf folgte und immer mehr in Repression überging. Viele Menschen, die sich engagiert hatten und noch haben, werden vor den Kopf gestoßen. Das spricht Frey dann auch im letzten Absatz seines Artikels an, wo er den Umgang mit den Menschen, die schon hier sind, kritisiert, eine Kritik, der ich nur zustimmen kann. Aber, wenn die Bewahrung der Demokratie in Europa bedeutet, dass die anderen in libyschen Flüchtlingslagern verrecken oder im Mittelmehr ertrinken, in Konfliktregionen auf ihre Ermordung oder in durch den Klimawandel unbewohnbar gewordenen Gebieten aufs Verhungern warten sollen, dann kann das nicht die Lösung sein! Das gute Leben bei uns gegen das gute Leben anderer Menschen auszuspielen ist kein zukunftsfähiges Konzept.

Was gilt es zu verteidigen, was muss anders werden?

Es bleibt also andererseits die Notwendigkeit, den Zusammenhang von Wirtschaftsliberalismus und liberaler Demokratie zu überdenken. Dass die kapitalistische Marktwirtschaft zwingend zu demokratischen Gesellschaften führt, wurde in den Jahren seit 1989 vielfach widerlegt. Zu große soziale Ungleichheit schadet nachweislich der Demokratie, ein Minimum an Absicherung ist für politische Beteiligung Voraussetzung. Es gilt also zu definieren, was genau wollen diejenigen verteidigen, die sich die Verteidigung der „liberalen Demokratie“ auf die Fahnen geschrieben haben? Was muss sich ändern – auch am Konzept des Liberalismus – damit diese Demokratie verteidigt werden kann? Wie müsste eine Wirtschaftspolitik aussehen, die der sozialen Exklusion entgegen wirkt, die Würde aller Menschen respektiert, die ökologische Nachhaltigkeit sichert und die gleichzeitig jene Entfaltungsmöglichkeiten für Individuen ermöglicht, die die Liberalen zu recht einfordern?

Wie hat der italinische Schriftsteller Giuseppe Tomasi di Lampedusa geschrieben?

Wenn wir wollen, daß alles bleibt wie es ist, dann ist nötig, daß alles sich verändert.

Das gilt auch heute noch, und diesmal denken wir uns vielleicht wirklich die Republik aus :)!

Und schließlich: natürlich braucht es ein geplantes Vorgehen beim Umgang mit Flüchtenden, am besten in europäischer Zusammenarbeit und in Kooperation mit der UNHCR. Aber wie ein solches aussehen könnte, jenseits einer „Festung Europa“, darüber wird ja nicht einmal ansatzweise gesprochen. Die Panik, „wir können doch nicht alle aufnehmen!“, verhindert ein konstruktives Herangehen. Dabei ist es nur ein kleiner Teil der Menschen, die weltweit auf der Flucht sind, die wirklich nach Europa kommen. Die finanziellen Mittel, die für den Schutz der europäischen Grenzen aufgewendet werden müssen, werden einerseits auch die europäische Politik nach innen beschränken, ich bezweifle, dass es Freiheit in einer Festung geben kann. Und andererseits wäre das Geld er in einer echten Hilfe in den Herkunftsländern deutlich besser angelegt. Das wäre möglicherweise sogar deutlich billiger, aber das ist eine andere Geschichte.

Ein Gedanke zu “Noch einmal Liberalismus”

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