Nachbarschaftshilfe nennt die Caritas Vorarlberg ein Projekt, das Asylsuchenden stundenweise Arbeit und Zuverdienst ermöglicht. Asylwerberinnen und -werber verrichten für Private Hilfsarbeiten in Haus und Garten, bezahlt wird über Spenden an die Caritas. Die Caritas wiederum bezahlt für die Arbeiten vier Euro pro Stunde. Das Projekt bewährt sich seit 23 Jahren. Nun muss die Nachbarschaftshilfe eingestellt werden. Es sei illegal, befinden Sozialministerium und Finanzpolizei, die Behörden sehen Übertretungen nach Ausländerbeschäftigungs- und Grundversorgungsgesetz.
So konnte man es kürzlich im Standard lesen. Und der Sprecher des Sozialministeriums weiter: Man müsse sich vorstellen, da müssen Menschen ohne Arbeitsbewilligung für geringes Entgelt arbeiten, „da müsste man von Sklaverei sprechen“! Wobei der Tatbestand „Sklaverei“ wohl nicht durch das Nicht-Vorhandensein einer Arbeitsbewilligung hergestellt wird, sondern eher durch die zu geringe Bezahlung, nehme ich mal an.
Der Herr hat ein seltsames Verständnis davon, wie gesellschaftliche Produktion funktioniert. Nachbarschaftshilfe – wenn sie auch mit einem geringfügigen Geldbetrag abgegolten wird – oder überhaupt jede Arbeit ohne Vertrag gelten ihm offentbar als der Sklaverei verdächtig. Wie ist das dann mit der freiwilligen Feuerwehr, mit den vielen ehrenamtlichen RettungsfahrerInnen und wie ist das mit den vielen Ehrenamtlichen, die sich gerade um die AsylwerberInnen kümmern, weil der Staat es nicht schafft, und die auch mit geringen „Aufwandsentschädigungen“ abgespeist werden? Ganz zu schweigen vom unbezahlten und vertragslosen Zustand der vielen Care-ArbeiterInnen in den Haushalten und Familien! Alle bedroht von Sklaverei?
Welches Bild von Menschen und Gesellschaft müssen diese „Experten“ (bewusst männliche Form) haben, um ein solches Narrativ zu produzieren. Diese Art der Nachbarschaftshilfe und des ehrenamtlichen Engagements ist ein wesentlicher Faktor dafür, dass eine demokratische Gesellschaft funktioniert, weil die Menschen zu AkteurInnen und GestalterInnen dieser Gesellschaft werden, wie bereits Alexis de Tocqueville vor 150 Jahren bei seiner Reise in die USA feststellte. Genau dieser Austausch von Tätigkeiten, der jenseits von Arbeitsverträgen geschieht, festigt den sozialen Zusammenhalt und macht die Entstehung von „Wohlstand“ überhaupt erst möglich.
Nun sind AsylwerberInnen ohnehin von der formalen Integration über den Arbeitsmarkt ausgeschlossen – mit solchen Verboten schließt man sie auch von der Teilhabe an jenen informellen Netzwerken aus, die den Kitt der Gesellschaft darstellen, verurteilt sie zur Tatenlosigkeit und drängt sie in die Rolle reiner Dienstleistungs- und AlmonsenempfängerInnen. Warum, verdammt noch einmal, lässt man sie nicht beitragen, warum verweigert man ihnen alles was zur „Integration“ führen könnte?
Warum glaubt man, diese Menschen zu Schutzbefohlenen und Unmündigen machen zu müssen, sobald sie im Land sind? Dabei fand man vorher nichts dabei, sie Schleppern in die Arme zu treiben und ihr Leben zu riskieren, weil man ihnen die legale Einreise verwehrt. Und die Menschen, die es geschafft haben, erfolgreich mit Schleppern zu verhandeln und die gefährliche Reise zu überstehen, müssen jetzt plötzlich davor beschützt werden, von österreichischen EinfamilienhausbesitzerInnen versklavt zu werden? In welcher Welt leben Menschen, die solche Argumente produzieren?
Dabei wäre es die natürlichste Sache der Welt. Viele Menschen geben ehrenamtlich AsylwerberInnen Deutschunterricht, begleiten sie zum Arzt und zu Behörden, helfen ihnen, sich im neuen Land zu orientieren. Dass ihrerseits die AsylwerberInnen etwas zurückgeben wollen, zeugt ja gerade von ihrer „Integrationsfähigkeit“ und würde dazu führen, dass es zu einer sozialen Interaktion auf Augenhöhe kommen könnte. Aber genau das scheint man verhindern zu wollen, sie sollen klein und abhängig bleiben. Wem soll das nützen? Ihnen sicher nicht, aber auch nicht der Aufnahmegesellschaft.
Zu den ökonomischen Bedenken: vermutlich handelt es sich bei diesen Tätigkeiten zu 90% um Dinge, die nicht an Professionalisten vergeben würden, sondern selbst oder von anderen Familienangehörigen erledigt würden. Und zur Erhöhung des Steueraufkommens gibt es erfolgversprechendere Zielgruppen als Menschen mit einem Stundenlohn von 4 Euro.
Aber auch ganz grundsätzlich und ohne AsylwerberInnen: wenn jegliche Nachbarschaftshilfe, jede Form informellen Austausches, auch wenn dabei in einer Gesellschaft in der man ohne Geld nicht leben kann, geringe Geldbeträge fließen, als Schwarzarbeit kriminalisiert wird, was zunehmend geschieht, und damit gleichgesetzt wird mit den Praktiken großer Unternehmen, die – oft sogenannte illegale, also auch nicht über eine Beschäftigungsbewilligung verfügende – Arbeitskräfte ohne Versicherungsschutz ausbeuten, dann zerstört eine Gesellschaft ihre eigene Basis. Selbst der Kapitalismus braucht für sein Bestehen diese Tätigkeiten außerhalb seiner selbst, braucht jene informellen Produktionssphären, die für sozialen Zusammenhalt sorgen. Deshalb täten unsere Regierungen gut daran, sie zu schützen und nicht zu kriminalisieren.