In letzter Zeit war ich mit verschiedenen Fragen konfrontiert, die mich etwas ratlos gemacht haben. Was kann die Commonsdiskussion zur Diskussion um den Klimawandel beitragen? Was soll ich zum Thema Degrowth sagen? Es fielen mir keine wirklich zündenden Argumente ein. Die Diskussionen und Gespräche bei der Sommerakademie von Attac Deutschland und am Klimacamp im Rheinland haben für mich selbst einige Klarheit gebracht. Die Gedanken, die ich hier und in den nächsten Beiträgen aufschreibe, sind vielleicht noch ein wenig chaotisch, aber ich hoffe, ihr tragt dazu bei, die Dinge noch klarer zu kriegen 🙂 und zum Schluss sollte es doch ein paar anwendbare Ergebnisse geben.
Zum ersten Mal gab es dieses Jahr eine Degrowth-Sommerschule. Um eine Verbindung mit konkreten Bewegungen zu schaffen wurde sie mit dem Klimacamp zusammengelegt und fand im deutschen Braunkohlerevier statt. Das sagte mir erst mal nicht viel, in Österreich ist das kein Thema. Nachdem klar war, dass ich mit Andrea Vetter gemeinsam einen Kurs bei der Sommerschule anbieten würde und auch einen Workshop am Klimacamp habe ich natürlich ein wenig recherchiert: Braunkohletagebau, verwüstet weite Landstriche, Umsiedlung der Bevölkerung, Zerstörung alter Wälder (zB im Hambacher Forst), gesundheitsschädliche und CO2-speiende Kohlekraftwerke. So richtig anschaulich wurde es für mich erst aber kurz vor der Anreise.
Von der Webseite hatte ich mir den Anfahrtsplan runtergeladen, der die nähere Umgebung des Tagebaus Garzweiler zeigte, wo sich das Camp in der kleinen Ansiedlung Lützerath befand. Um die Anfahrt von Hiddinghausen zu planen, legte ich den Plan neben eine Radkarte, die – wie sich bald herausstellte – schon etwa 20 Jahre alt war. Ich war verwirrt. Viele Orte, die auf der alten Karte eingezeichnet waren, gab es auf dem neuen Plan nicht mehr. Uli holte eine neuere Karte, die irgendwo dazwischen lag, manche Orte waren schon verschwunden, manche, die heute fehlten, noch da. Sogar eine Autobahn war abgerissen worden, um den Tagebau auszubauen. Der Vergleich der Karten verstörte mich. So etwas mitten in Europa, in einem demokratischen und reichen Land? Sonst hört man von Umsiedlungen für Industrie- und Energieanlagen meist aus Entwicklungsländern, höchstens noch aus dem Südosten Europas, aus Ländern mit eher diktatorischen Regierungen. Hier gibt es übrigens eine interessante Fotodokumentation.
Als ich ankam, fand ich noch einen anderen Plan. Einen, der den zeitlichen Verlauf des Tagebaus abbildete, von den 1980ern bis 2045 und die neuen Dörfer, wo die umgesiedelten Menschen jetzt wohnen. Ich stellte fest, dass der kleine Ort Lützerath, in dem wir uns befanden, bald von der Landkarte verschwinden würde. Bei zwei Dörfern in der unmittelbaren Umgebung, Borschemich und Immerath war es schon so weit, die Bewohner waren ausgezogen, die Bagger machten sich an die Arbeit. Durch Immerath wanderte ich auf dem Weg zur „Grube“. Es war gespenstisch. Das Krankenhaus und die Kirche stillgelegt und weiträumig mit Baugittern abgeriegelt. Bei fast allen Wohnhäusern Fenster und Türen mit Brettern vernagelt. Da der Abbruchtermin schon lange bekannt war, wurde natürlich in den letzten Jahren auch nichts erneuert. Dementsprechend sahen Straßen und öffentliche Anlagen aus. Nur an einem Fenster klebte ein Zettel „Diese Wohnung ist noch bewohnt“. Dieses Haus hatte sichtbar neue Fenster. Realitätsverweigerung? Optimismus? Sturheit? Um die eigenartige Stimmung noch zu verstärken wurde gerade an dem Tag, an dem ich ankam, der Busverkehr in der Gegend eingestellt, auch der Bus zum Camp verkehrte nicht mehr. Die ganze Szenerie wirkte auf mich unwirklich und fast makaber. Wie kann man so etwas machen und warum lassen sich die Menschen das gefallen?
Dann kam ich zur „Grube“. Natürlich, da war ein riesiges Abbaugebiet, totes Land, Riesenbagger, Staub und dreckiges Wasser. Aber im Verhältnis zu der Fläche, die ich auf der Karte gesehen hatte, erschien mir das unmittelbare Abbaugebiet doch überschaubar. Hier könnt ihr sehen, wie RWE den Tagebau und die Kohlekraftwerke wie eine Touristenattraktion bewirbt. Am Aussichtspunkt las ich die Infotafeln von RWE mit deren Darstellung der Situation. Bei den Umsiedelungen sei es wichtig, BürgerInnen mit einzubeziehen und soziale und Wirtschaftsbeziehungen zu erhalten. Die Ortschaften werden gemeinsam umgesiedelt, die Menschen erhalten Ablösen für ihre Häuser oder Ersatzwohnungen. Da gibt es dann am Ortsrand von Nachbarorten Siedlungen mit Namen wie „Neugarzweiler“, „Neuotzenrath“, „Neuholz“ und natürlich „Neuborschemich“ und „Neuimmerath“.
Ein großer Teil, mehr als 75%, des abgebaggerten Materials ist Schutt, der nicht verwendet werden kann. Wenn die Kohle davon getrennt ist, wird damit am anderen Ende die Grube wieder aufgefüllt. Da wird kein totes Land hinterlassen, sondern es werden Naherholungsgebiete, Seen und landwirtschaftlicher Grund geschaffen, neue Lebensräume für bedrohte Arten. Bei RWE liest es sich so, als würde das alles die Lebensqualität eher steigern als verringern und als wäre es beinahe eine Naturschutzmaßnahme. Zusätzlich könne man die Industrie mit regionaler Energie versorgen. Dazu kommt die lang verwurzelte Bergbau- und Industriekultur in der Gegend. Ich nehme an, nahezu alle Menschen, die hier wohnen, leben direkt oder indirekt vom Kohlebergbau oder damit zusammenhängenden Industrien. Auch wenn alles nicht so idyllisch und harmonisch ablaufen dürfte, wie von RWE beschrieben, so ist es in Kombination mit dem Versprechen von Arbeitsplätzen offenbar doch geeignet, viele Menschen zu überzeugen und soziale Aufstände zu verhindern.
Und plötzlich wurde mir klar: So wie RWE das hier macht, sozial und ökologisch behübscht, passt es perfekt in die herrschende spätkapitalistische Logik, wo es nicht mehr darum geht, den Lebensstandard durch die Produktion von Gebrauchsgütern zu steigern, sondern nur noch darum, den Prozess irgendwie im Laufen zu halten. Der Abbruch der Siedlungen und deren Neuaufbau an anderen Orten, der Abbau und Verkauf der Kohle und die Rekultivierung verbrauchen dreimal Energie, schaffen dreimal Arbeitsplätze und leisten damit einen enormen Beitrag zum Wirtschaftswachstum und das Ganze mit einem durchaus idyllischen Ergebnis. Dieser geradezu bestechenden Logik, die eine Win-Win-Situation zu sein scheint, kann man innerhalb dieses Systems kaum etwas entgegensetzen.
Die Verlierer dabei sind die Gesundheit der dort lebenden Menschen und das Klima. Denn genau so bestechend, wie es innerhalb der Systemlogik ist, genau so absurd ist dieses Vorgehen natürlich in Bezug auf seine Auswirkungen aufs Klima auf die Luftqualität (laut eben diesen Infotafeln wird etwa 2/3 der Energie, die RWE verkauft, aus Braun- und Steinkohle produziert und das noch als nachhaltig angepriesen) und auch auf die Energiebilanz. Das erste was auf dem frisch aufgeschütteten Land wieder gebaut wird ist – richtig, die Autobahn, die A44. „Freie Fahrt für Autos und Lastwagen“ verkündet RWE. Hurra, wir tun auch noch etwas Gutes für die Autoindustrie! Auf den Infotafeln konnte man auch lesen, wieviel Energie der Abbau einer Tonne Kohle verbraucht. Ich kann mich an die Zahl nicht erinnern, sie war jedenfalls ziemlich hoch – und wenn man die Energie dazurechnet, die durch den Abriss der Häuser und der Autobahn vernichtet wird und dafür noch zusätzlich aufgewendet werden muss, ebenso wie für den Bau der neuen Häuser und der neuen Autobahn, könnte es gut sein, dass das am Ende ein Nullsummenspiel ist. Leere Kilometer. Grube auf- und zuschaufeln, Häuser einreißen und aufbauen, ohne Gewinn an verfügbarer Energie, ohne „produktives“ Ergebnis. Aber es ist der Verbrauch an Energie, der Verbrauch an Arbeitskraft, der zum Wirtschaftwachstum beiträgt. Zerstören und reparieren, Löcher schaufeln und und wieder zuschütten ist gut für die Wirtschaft, egal was dabei herauskommt. Und einen guten Teil der Kosten für Umsiedlung und Renaturierung bezahlt vermutlich doch der Steuerzahler.
In diese Logik ist die Klimawandelthematik nicht integrierbar. Der Konflikt, der entsteht, wenn hier plötzlich Menschen auftauchen, die sich über den Klimawandel Sorgen machen und fordern, den Abbau einzustellen (was klimapolitisch sicher richtig wäre, wenn wir den Klimawandel stoppen wollen, müssen wir die fossilen Brennstoffe im Boden lassen), ist innerhalb dieses Systems nicht lösbar. Das war mir mit einem Schlag klar.
Und genau dieses Szenario stellte ich in meinem Workshop zur Diskussion mit der Frage, was man als Klimabewegung dem entgegensetzen könnte. Die Antworten waren, nicht alle Betroffenen sähen es positiv (ja, klar, natürlich ist die RWE-Sicht nicht objektiv, aber das ist gar nicht der Punkt), es gäbe auch negative Auswirkungen, Kinderärzte sprechen über eine Häufung von durch die Luftverschmutzung verursachten Krankheiten, schließlich werden hier als Konsequenz auch noch jede Menge dreckige Kohlekraftwerke betrieben. Die Ablösen von Rheinbraun für die Häuser und Wohnungen sind bei weitem nicht ausreichend. Wenn auch die Menschen am Anfang dieses Vorgehen positiv gesehen hätten, so hätten sie doch, sobald sie die Schäden bemerkt hätten, es von sich aus überdacht und verändert, hätten sie die Möglichkeit gehabt, so eine Teilnehmerin. Ja, natürlich, das kann schon sein – aber genau das ist eben innerhalb der Pfadabhängigkeiten des Systems nicht möglich. Noch nie stand mir die Bedeutung des „System Change not Climate Change“ so drastisch vor Augen als an diesem Ort. Und damit bekamen auch die Überlegungen bezüglich der Commons in diesem Zusammenhang eine neue Perspektive. Mehr davon demnächst.