Diese Rezension ist in der Juni-Ausgabe der CONTRASTE erschienen.

Die Aktionskonferenz Care Revolution im März 2014 in Berlin stellte eine Art Wendepunkt in der Care-Diskussion dar: Die Argumentation bewegte sich aus der häufig anzutreffenden Defensiv- und Opferposition hin zu einem selbstbewussten Verständnis von Care als Grundlage für jede Form des Wirtschaftens und Ausgangspunkt für eine neue Gesellschaftsordnung. Diese Entwicklung zeichnet auch das Buch von Gabriele Winker nach.

Es beginnt mit einer Beschreibung der schwierigen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für Care-Tätigkeiten innerhalb einer neoliberalen Familien- und Sozialpolitik und den verschiedenen Strategien, mit denen Betroffene darauf reagieren. Charakteristisch für das Buch ist, dass dabei immer bezahlte und unbezahlte Arbeit berücksichtigt werden, die Situation der Care-GeberInnen und Care-NehmerInnen gleichermaßen in den Blick kommt und die Selbstsorge nicht vergessen wird. Nach einer umfassenden und kompetenten Analyse der ambivalenten Bedeutung von Sorgearbeit im Kapitalismus wird klar, dass individuelle Lösungsstrategien nicht zielführend sind, weil die Care-Krise immanenter Bestandteil des Prozesses der Kapitalverwertung ist. Der Kapitalismus war noch nie in der Lage, die Bedürfnisse auch nur des Großteils der Menschheit zu befriedigen. Heute ist diese Entwicklung soweit vorangeschritten, dass die Reproduktion der Arbeitskraft selbst leidet, Winker spricht von einer »Krise der sozialen Reproduktion«. Daher ist eine Systemveränderung notwendig, eben eine Revolution – die jedoch, nach Ansicht der Autorin, nicht aus der Perspektive der Lohnarbeit erfolgen kann, sondern nur aus einer Care-Perspektive.

Diese Erkenntnis war letztlich der Anstoß zur Gründung des Care Revolution Netzwerks, in dem sich eine große Vielfalt an Organisationen zusammengeschlossen hat, von denen einige auch in dem Buch beschrieben werden. Obwohl die Bedürfnisse und Probleme dieser Gruppen sehr unterschiedlich sind, einigt sie die Erkenntnis, dass die Ursachen ihrer Probleme gesellschaftlicher Natur sind und innerhalb der Verwertungslogik eine für alle Beteiligten befriedigende Organisation von Care-Tätigkeiten nicht möglich ist. Im letzten Kapitel schließlich beschreibt Winker Care-Revolution als Transformationsstragie, »die konsequent von menschlichen Bedürfnissen ausgeht und insbesondere die gegenwärtig meist unsichtbare Sorgearbeit ins Zentrum einer gesellschaftlichen Alternative stellt«. Sie beschreibt Schritte und Elemente für den Übergang in eine solidarische Gesellschaft, bei dem Forderungen nach Verbesserungen im System möglich und notwendig sind, perspektivisch jedoch immer darüber hinausreichen müssen. Damit reiht sich die Care-Diskussion in die Vielzahl jener Diskursstränge ein, die derzeit nach Auswegen aus dem Kapitalismus suchen und bietet wichtige Anknüpfungspunkte für Querverbindungen und zum gemeinsamen Weiterdenken.

Gabriele Winker (2015): Care Revolution. Schritte in eine solidarische Gesellschaft. Transcript Verlag, Bielefeld.