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Ottensheim, das Otelo und das Hochwasser

Am 13. Mai war ich in Ottensheim, einer Marktgemeinde an der Donau etwa 10km westlich von Linz. Dort ist einer der fünf österreichischen Otelo-Standorte. Otelo steht für „Offenes Technologie-Labor“ und genau darum geht es. Wobei Technologie sehr breit gefasst ist. Es geht darum andere Formen des Arbeitens und Zusammenlebens, der gesellschaftlichen Mitgestaltung und nachhaltiger Produktion und Daseinsvorsorge zu erproben. Aus der Beschäftigung mit Frithjof Bergmanns Konzept „Neuer Arbeit-Neue Kultur“ unter der aufgeschlossenen damaligen Ottensheimer Bürgermeisterin Ulrike Böker* und dem Engagement von Martin Hollinetz aus Vorchdorf wurde ein Modell entwickelt, wie diese Idee der offenen Werkstätten und der Bürgerbeteiligung an den ländlichen Raum angepasst werden kann.

Das Besondere am Otelo-Konzept ist die breite Kooperation. Die Räume werden von der Gemeinde zur Verfügung gestellt, mit Unterstützung durch lokale Unternehmer renoviert und können von den BürgerInnen kostenlos genutzt werden. Im Otelo in Ottensheim gibt es einen Raum mit 3D-Drucker, einen Umsonstladen, eine Fahrradwerkstatt, das freie Radio ist dort untergebracht und es gibt eine Küche, in der regelmäßig gekocht wird und Veranstaltungsräume. Dort gibt es Kurse zu Lehmbau und Seifenherstellung ebenso wie fürs Radio machen. Einmal in der Woche gibt es das „offene Wohnzimmer“, wo gemeinsam gekocht, gegessen und anschließend gespielt wird. Regelmäßig finden auch Dialogrunden statt, wo die EinwohnerInnen von Ottensheim sich darüber austauschen können, wie sie sich die Zukunft in ihrer Gemeinde vorstellen.

Das 3D-Druckerteam ist recht aktiv an der Weiterentwicklung dieser Technologie beteiligt und es ist bereits ein „Start-up-Unternehmen“ aus dem Otelo entstanden. Kooperationen mit Schulen, Universitäten und der Ars electronica in Linz vervollständigen das große Netzwerk, in das die Otelos eingebettet sind. Martin Hollinetz wurde für seine Initiative inzwischen zum Ashoka-Österreich-Fellow ernannt. „Martin Hollinetz hat ein Open Source Modell zur Regionalentwicklung gestartet, das bereits an fünf Standorten und in vielen Kooperationen erfolgreich wirkt. Ashoka und das Fellowship gibt ihm nun die Möglichkeit OTELO in ganz Österreich und über die Grenzen hinaus auszubauen“, heißt es dazu auf der Webseite.

Inzwischen gibt es fünf Otelo-Standorte in Oberösterreich, neben Ottensheim sind das Gmunden, Vorchdorf, Kremstal und Vöklabruck und einen ein Angermünde in Brandenburg. Ich habe mit Menschen gesprochen, die das Otelo in Ottensheim nutzen und der Tenor ist einhellig: die Wertschätzung, das Vorschussvertrauen, das den Menschen entgegengebracht wird, dass sie mit den Räumen sorgfältig umgehen und dort etwas Sinnvolles tun, wirkt sich darauf aus, was dort passiert, wie man miteinander umgeht, wie man das eigene Tun bewertet. Das Vorhandensein von offenen Räumen regt Aktivitäten an und lässt Beziehungen wachsen.

Ich war also fast einen Tag dort, hab mir den Ort angesehen, bin auf dem Dürnberg, den Hausberg von Ottensheim, gewandert, hab einige Menschen kennen gelernt und auch erfahren, wie gelebte Partizipation aussehen kann. Ottensheim bekam auch einen Preis für vorbildliche Bürgerbeteiligung. Und dachte, hier, in dieser Region, ließe es sich auch gut leben. Im Umkreis von Linz leben viele aktive Menschen, die spannende Initiativen entwickeln, das Donautal ist auch landschaftlich wunderschön. Dann kam das Hochwasser und erst habe ich noch gar keine Verbindung zwischen diesen beiden Dingen hergestellt. Nun bin ich heute früh endlich dazu gekommen, das Album zu lesen, die Wochenendbeilage des Standard. Und die Titelgeschichte ist von der Lehrerin und Autorin Gabi Kreslehner und die ist aus – Ottensheim. Und sie beschreibt – mit entsprechenden Bildern – wie es war, das Hochwasser in Ottensheim. Und ich konnte es mir bildlich vorstellen. Der Marktplatz, dachte ich, blieb vermutlich verschont, er liegt etwas erhöht – das hat sich im Zuge der Lektüre dann auch als richtig herausgestellt – aber das Gasthaus, in dem ich gegessen habe, das hat es vermutlich voll erwischt. Mich hat diese Geschichte ziemlich betroffen gemacht, so knapp nachdem ich aus Ottensheim einen so positiven Eindruck mit nach Hause genommen habe. Und dann las ich weiter:

Aus einer spontanen Initiative junger Leute aus dem Ort entsteht die „Hochwasserhilfe Ottensheim“. Sie koordinieren Arbeitseinsätze Freiwilliger, organisieren Kinderbetreuung und alles, was sonst noch ansteht. „Betroffene kommen und sagen uns, was sie brauchen; Helfer, was sie tun und bieten können. … Verbreitet übers Internet wird aus einem kleinen Stein eine große Lawine. „Ich wollte eigentlich nur in der Küche des alten Gemeindeamtes für ein paar Betroffene eine Gemüsesuppe kochen“, sagt Lisi, „ich dachte so für zwanzig Leute, aber dann …“

Ja, dann zeigte sich, was das Otelo wirklich kann, denn diese Küche im alten Gemeindeamt ist einer der „nodes“ des Otelo. Und es entstand eine Eigendynamik:

Freiwillige jeder Altersgruppe kochen in der alten Amtsküche gemeinsam Eintöpfe, Suppen, Knödel, Gulasch. Auch zu Hause kochen Leute, bringen Essen in großen Töpfen, Hauptsache, es lässt sich aufwärmen. Brote werden geschmiert, Wurstsemmeln gerichtet. Es gibt Kaffee und ein großes Kuchenbuffet. In den ersten Tagen werden bis zu 150 Menschen hier versorgt. Jeder kann vorbeikommen und sich eine Pause gönnen, kann hier essen oder sich Essen mitnehmen, kann sitzen, reden, sich stärken. Nicht nur den Körper, auch die Seele. Und das ist wichtig in diesen Tagen.

Hier zeigt sich einmal mehr, wie sozialer Zusammenhalt unauflösbar an die Existenz entsprechender Räume gebunden ist und was solche Räume, wenn es drauf ankommt, leisten können. Wenn es noch einer Bestätigung bedurft hätte, dass das Otelo eine sinnvolle Einrichtung ist, besser hätte sie nicht sein können. Aber auch ohne Naturkatastrophen kann man nur sagen: jedem Ort sein Otelo!

* geändert 13. Juni 2016 weil es in Ottensheim inzwischen einen anderen Bürgermeister gibt.