Zum dritten Mal traf sich die Degrowth-Community zu einer internationalen Konferenz, diesmal in Venedig. Was eine Herausforderung für OrganisatorInnen und TeilnehmerInnen darstellte, denn die Infrastruktur ist nicht gerade prädestiniert für die Abhaltung von Events mit mehr als 600 TeilnehmerInnen und an die 70 Workshops. Beide haben die Herausforderung bravourös gemeistert, das muss mensch neidlos anerkennen. Ich war das erste Mal auf einer Degrowth-Veranstaltung und das erste Mal in Venedig.
Letzteres hat mich sehr begeistert, vor allem die Fahrten mit dem Vaporetto auf dem Canale Grande, dessen Anlegestellen aussehen wie schwimmende Busstationen.
Von da aus kann mensch am besten all die leicht morbiden Palazzi bewundern und das beängstigende Gewusel in den Kanälen.
Dann die vielen engen Gassen, die erstaunlicherweise fast immer irgendwo wieder rauskommen, während die breiten Straßen meist an Kanälen enden. Silke hat den Grund vermutlich richtig erkannt – dort, in den Kanälen, werden die Lasten transportiert, da braucht man breite Zugänge. Wo nur Menschen gehen, reichen handtuchbreite Gässchen. Und jede Ecke eröffnet neue Ein- und Aussichten. Ich hätte den ganzen Tag im Boot rumfahren können, zwischen kleinen Inselchen und riesigen Kreuzfahrtschiffen. Aber es gab ja auch anderes zu tun, schließlich waren wir nicht auf Urlaub ;-).
Außerdem hat natürlich Venedig auch weniger romantische Seiten. Auch hier sind die Wohnungspreise in den letzten Jahren so gestiegen, dass immer mehr Menschen abwandern, viele Häuser leer stehen oder von reichen Ausländern aufgekauft werden und dann nicht mehr als Wohnraum für die Einheimischen zur Verfügung stehen. Die Erhaltung eines solchen Kulturerbes geht sicher auch ganz schön ins Geld. Allein die Vorstellung, all diese Häuser in Stand halten zu müssen, die mit ihren Fundamenten im Wasser stehen, muss ein Alptraum für jeden Baustatiker und Bürgermeister sein.
Degrowth – Empowerment oder Biopolitik?
Mit der Degrowth-Idee konnte ich mich dagegen nicht so ganz anfreunden. Ich war ja nicht besonders mit dem Diskurs vertraut, der dort geführt wird. Die Titel der Veranstaltungen klangen durchaus interessant, auch die Tagesthemen – Commons, Arbeit, Demokratie – sind hoch aktuell. Wie sich die Auseinandersetzung mit der Idee der Commons gestalten würde, interessierte mich natürlich besonders, schließlich war dort auch Silke als Keynote-Speakerin eingeladen. Nachdem ich von den Eröffnungsvorträgen am Mittwoch Abend nur mehr den Schluss mitbekam, weil ich mich in den vielen Gässchen und Sackgassen immer wieder hoffnungslos verlaufen hatte, fand ich mich also am Donnerstag früh neugierig in dem Zelt ein, in dem die Plenumsveranstaltungen stattfanden.
Was ich dort im Verlauf der nächsten drei Tage zu hören bekam, war doch einigermaßen enttäuschend. Die einzelnen RednerInnen hatten sehr unterschiedliche Zugänge, so dass sich kaum ein roter Faden finden ließ. Im Großen und Ganzen lief es aber darauf hinaus, die Knappheit natürlicher Ressourcen und die Bedrohung der natürlichen Umwelt durch unseren Lebensstil zu beklagen und als Lösung individuelle Verhaltensänderung zu propagieren. Da wurde das Lob der Einfachheit gesungen, Verzicht – manchmal auch mit erhobenem Zeigefinger – als die neue Ethik beschworen und das System als solches kaum thematisiert. Es wurde als neue Bewegung dargestellt, was von vielen Menschen und Gruppen schon seit Jahrzehnten thematisiert wird, was sich seither vielfach als Sackgasse entpuppt und daher weiter entwickelt hat. Obwohl der Titel lautete: Conference on degrowth, ecological sustainability and social equity, ging es fast ausschließlich um Fragen ökologischen Verhaltens, soziale Gleichheit wurde, wenn überhaupt, eher auf der ethischen Ebene angesprochen, dahingehend, dass diese ökologischen Probleme alle gleichermaßen beträfen.
Die Produktionsweise an sich wurde nicht in Frage gestellt und Machtverhältnisse sowie die Notwendigkeit politischen Handelns wurden kaum thematisiert. Die Verbindungen zu anderen Bewegungen mit ähnlichen Zielrichtungen waren nur selten zu spüren. Es überwog die etwas weinerlich vorgetragene Frage, „warum sind wir so wenige, warum können wir nicht mehr Menschen davon überzeugen, so zu denken wie wir?“ Mit diesem Zugang kommt Degrowth über ein – je nach Haltung der ProponentInnen – pädagogisches bis missionarisches Konzept nicht hinaus und kann keinen emanzipatorischen Charakter entwickeln. Dieser Eindruck hat sich in dem Workshop, der der Grund meines Hierseins war, „Constructing sustainable food economies through collective citizens’ action for food democracy“ bestätigt. Trotz großer Worte wie Empowerment und Ernährungssouveränität lief es letztlich auf die Forderung hinaus, wir müssten doch den Eltern erklären, dass sie ihre Kinder von klein auf daran gewöhnen müssten, Obst und Gemüse zu essen. Anstatt eines emanzipatorischen Zugangs wurde hier ein biopolitischer gewählt, gesunder Lebensstil wird zur obersten Bürgerinnenpflicht gemacht. Degrowth stellt sich auf diese Weise als Lifestyle-Bewegung der weißen Mittelschicht dar. Was ja grundsätzlich nichts Verwerfliches ist, der Versuch den Ansatz als universellen zu präsentieren, läuft aber Gefahr, ins Zynische abdriften, wenn er keine anderen Lösungen für soziale Probleme anbieten kann, als die Aufforderung, weniger und gesünder zu konsumieren.
Vielleicht ist das aber auch ein zu strenges Urteil gegenüber einer neuen Bewegung, der auch viele junge Menschen angehören, die zumindest guten Willens sind und ihre Erfahrungen erst machen müssen. Und vielleicht muss man einer Bewegung, die sich eine Schnecke als Symbol erwählt hat, dafür einfach noch etwas Zeit lassen. Langsamkeit ist ja durchaus auch als Tugend zu sehen in einer Zeit ständiger Beschleunigung.
Und dazwischen fanden sich ja durchaus auch interessante Redebeiträge und Workshops. Aus meiner subjektiven Sicht die besten RednerInnen: Silke Helfrich, Barbara Muraca und Alberto Lucarelli.
Fairness statt Rivalität
Dabei begann der Commons-Tag eher frustrierend. In der Einleitung bezog sich die Rednerin fast ausschließlich auf die ökonomische Gütertheorie, Hardin und das von ihm formulierte Dilemma der Commons, und, so ihre Schlussfolgerung, bis heute haben wir keine Lösung für dieses Dilemma gefunden. Noch nix von Ostrom gehört, oder wie? Gianni Tamino (University of Padova and Associazione per la Decrescita) stellte dann zumindest klar, dass Degrowth keinesfalls wirtschaftliche Rezession bedeute, sondern auf ein anderes Naturverhältnis abzielt, eines, in dem die Natur nicht zur Ware gemacht wird. Und dann kam Silke Helfrich, die in ihrer mitreißenden Art unterschwellig eine gehörige Portion Systemkritik eingebracht hat. Knappheit werde durch unser System erst hergestellt, wir könnten Dinge auch so nutzen, dass alle genug haben. Wir könnten Wohlstand durch Teilen herstellen, das funktioniere aber nicht, wenn alle Dinge zu Waren gemacht werden. Es sei notwendig, Institutionen zu schaffen, die Kooperation leicht machen und Fairness ermöglichen. Fairness bedeute bei rivalen Ressourcen begrenzter Zugang für alle, bei nicht rivalen Ressourcen ein open access Regime. Die Frage heiße dann, wie kann Fairness hergestellt werden und das sei eine andere Frage als die nach der Rivalität.
Sie hat sich dann noch ziemlich weit aus dem Fenster gelehnt, als sie vor diesen Ökos ausgerechnet Wikispeed, ein kollektiv gebautes Rennauto, als Beispiel dafür vorstellte, dass Peer-Produktion auch mit stofflichen Gütern funktionieren kann. Und sie setzte noch eins drauf, als sie ihren Vortrag mit der Aufforderung schloss, „hört auf „beni comuni“, also Gemeingüter zu sagen“! Commons sind eine soziale Praxis, es geht um die Menschen, nicht um die Dinge!
Ein weiterer Höhepunkt dieses Tages war für mich die Rede von Alberto Lucarelli, seines Zeichens Vizebürgermeister und zuständig für Common Goods and Participatory Democracy in der Stadtregierung von Neapel. Später habe ich von Barbara gehört, dass es in Neapel ein sehr weitreichendes System der Bürgerbeteiligung gibt, was überhaupt nicht bis zu unseren Medien vordringt. Wir lesen ja von Neapel nur im Zusammenhang mit Mafia und Problemen der Müllentsorgung. Lucarelli jedenfalls sagte, die Stadtregierungen seien nicht die Eigentümer, sondern nur die Verwalter öffentlicher Güter und deren Verkauf sei ein Missbrauch des Eigentumsrechtes gewesen. Daher brauche es einen neuen Rechtsrahmen für diese Güter, es brauche eine eigene Rechtsform und eine „Commons-Demokratie“. Denn die Commons dienten zur Absicherung der Grundrechte, und dürften daher nicht im keynesianischen Sinn an ökonomisches Wachstum gebunden sein. Und zum Schluss fügte er noch hinzu: um diese Commons für zukünftige Generationen zu erhalten seien auch ziviler Ungehorsam und Widerstand notwendig. Starke Worte für einen Vizebürgermeister!
Interessant schließlich auch Arturo Escobar (Professor of Anthropology, University of North Carolina), der versuchte, den Degrowth-Diskurs zu entsprechenden Diskursen und Forderungen in den Entwicklungsländern in Beziehung zu setzen. Es geht einfach nicht, von den Millionen Menschen, die von weniger als zwei Dollar im Tag leben müssen, „Konsumverzicht“ zu fordern. Da braucht es andere Konzepte und ein solches fand Escobar in der Forderung nach „Alternatives to development“, also nicht irgendwelche Formen alternativer Entwicklung, sondern Alternativen zum Entwicklungskonzept überhaupt, denn die westliche Zivilisation, die als Vorbild dafür dient, sei in einer massiven Krise und könne keine Zukunftsperspektiven mehr für Entwicklungsländer bieten.
Von der Theorie zur Praxis
Der Workshop „Saving by Sharing – the potential for co-housing to contribute to sustainable lifestyles“, den ich anschließend besuchte, bot jedenfalls recht anregenden Diskussionsstoff. Ein Mann aus Schweden und einer aus Italien berichteten aus ihren Ländern und es war interessant zu hören, dass die meisten der zahlreichen Co-Housing-Projekte in Schweden ganz normale Gemeinde-Mietwohnungen sind. Unter anderem auf Druck der Frauen, die sich ihre Teilhabe am politischen und beruflichen Leben nicht durch Betreuungspflichten nehmen lassen wollten, wird im Gemeindewohnbau die Möglichkeit angeboten, durch einen geringfügigen Verzicht auf eigene Wohnfläche Gemeinschaftsräume zu schaffen. Ein wichtiges Merkmal fast aller Co-housing-Projekte ist des gemeinsame Abendessen, zu dem wechselweise alle beitragen müssen. Also etwa so: jeder kocht 2x im Monat, die restliche Zeit kann mensch sich zum fertig gedeckten Tisch setzen. Man sieht schon, hier ging es nicht in erster Linie um „Degrowth“, um nachhaltigen Konsum oder einen einfachen Lebensstil. Es ging um eine Veränderung sozialer Beziehungen und Praktiken, die dann in Folge einen nachhaltigen Lebensstil erleichtern können.
Am letzten Tag ging es um Demokratie und das Thema eingeleitet hat Barbara Muraca (Institut für Soziologie, Friedrich-Schiller-Universität Jena). Sie ist vor allem auf die linke und feministische Kritik eingegangen, die auch für die Commons relevant ist: eine Dezentralisierung und Regionalisierung von Entscheidungen unterlaufe die bestehenden demokratischen Entscheidungsstrukturen und öffne ausschließenden Praktiken Tür und Tor. Es sei gefährlich, wenn Regionalisierung mit der Vorstellung kultureller Homogenität verbunden werde. Ein Rückbau staatlicher Strukturen und eine Romantisierung kleiner Einheiten berge auch die Gefahr, dass Care-Tätigkeiten wieder an die Frauen zurückfallen würden. Zwar stimme es, dass die bestehenden demokratischen Mechanismen ihre Aufgabe nicht mehr erfüllen, es müsse aber bei allen Versuchen der Adaption und Erneuerung immer darauf geachtet werden, das auch die Transformation selbst demokratisch ablaufen müsse und die zentrale Frage daher sei, welche Institutionen das gewährleisten könnten.
Spannend auch die Ausführungen von Salvör Nordal über den Prozess der Entstehung der neuen Isländischen Verfassung. Sie war Vorsitzende des Iceland Constitutional Council und konnte aus erster Hand berichten. Wie das Parlament mit dem partizipativ entstandenen Verfassungstext umgehen wird, ist noch nicht entschieden, der Ablauf selbst kann durchaus als beispielhaft für eine Erneuerung der Demokratie gelten.*
Man sieht also immer wieder, normative moralische Appelle und pädagogisch-ethische Konzepte reichen nicht, um Veränderungen umzusetzen, es geht immer um die soziale Praxis. Die Verbindung sozialer und ökologischer Ziele ist nur durch einen grundlegenden Systemwandel möglich. Daran wird auch die Degrowth-Bewegung nicht vorbeikommen, wenn sie aus ihrem Nischendasein herauskommen will.
* Ergänzung am 29. Oktober: Inzwischen hat das isländische Parlament die Verfassung angenommen. Siehe den Bericht hier in der Presse.
*Ergänzung im Februar 2018: inzwischen wissen wir, dass das isländische Parlament die Verfassung im letzten Abdruck doch abgelehnt hat.
Danke für die Blumen :-), schreib vielleicht nächste Woche auch noch was dazu.
Danke dir für den tollen Bericht! Ich habe auch Rob Hopkins Tageszusammenfassungen verfolgt. Und zusammen mit deinem Artikel sehen sich meine Vorstellungen von der „Degrowth-Bewegung“ leider bestätigt.
Aber vielleicht kann ich dir aus eigener Anschauung sagen, dass es zumindest in den wachstumskritischen Kreisen, in denen ich mich hier in Deutschland bewege, deutlich weniger moralisch-zeigefingermäßig vorgeht als es in Venedig den Anschein macht. Gerade die Leute um das Netzwerk Wachstumswende (http://wachstumswende.de/) herum, sind beseelt von Forscherdrang und Experimentierlust. Mir erscheint das, wovon du und Rob erzählst und dem, was wir hier als studentisches / promovierendes Netzwerk aufziehen, immer mehr wie zwei paar Schuhe.
Welche Art von Publikum hat sich eigentlich in Venedig gezeigt? Wirkten die schon wachstumskritik-erfahren oder waren das eher Neulinge?
Ich denke, das Publikum war sehr gemischt, Junge und Erfahrene und da gab es durchaus auch systemkritische dabei. Darauf deutete zumindest der Beifall hin, den die entsprechenden Redner bekamen. Auch in dem Ernährungsworkshop war ich nicht die einzige, die sich von diesem rein pädagogischen Zugang distanzierte. Ich wollte keineswegs alle dort in eine Schublade stecken und bin überzeugt, dass da auch ganz tolle Menschen dabei sind.
Was ich glaube ist, dass der Auftritt nach außen zu einem guten Teil von WissenschaftlerInnen vermittelt wird, die an Universitäten forschen. Und die Möglichkeiten, an Universitäten systemkritisch zu forschen sind einfach begrenzt, während solche Dinge, die suggerieren, man brauche nur die Moral und die Bildung zu erneuern, dann würde sich alles schon wieder von selbst einrenken, leichter finanziert werden.
Die AktivistInnen selbst können da viel radikaler sein.
Wir drehten – wie immer – eine lange Runde um die Definition der Commons (You know, there is no definition of the commons without commoning!) und vielleicht ist tatsächlich das Einzige, was alle Commons gemeinsam haben, dass sie niemandem allein gehören, dass sie niemandes exklusives Eigentum sind.