Verzicht bedeutet Einschränkung, bedeutet, dass man auf etwas „verzichtet“, das man eigentlich gerne hätte, meist um einem – aus welchen Gründen immer – höher bewerteten Ziel zu dienen. Verzicht, so vermittelt dieses Wort, verringert die Lebensqualität, bedeutet Mangel und Askese. Schwer vereinbar mit den Werten einer Konsumgesellschaft. So oder ähnlich müssen die Überlegungen gewesen sein, die dazu führten, dass ich vor wenigen Tagen einen Brief in meinem Briefkasten fand, mit der Anrede:
An Werbeverzichter
Jakoministraße 20
8010 Graz

Werbeverzichter? Galt das mir, hatte ich darauf verzichtet, für mich zu werben? Nein, ich habe vielmehr einen Aufkleber auf meinem Briefkasten „Bitte keine unadressierte Werbung“. Wenn schon, dann sollte es also zumindest „Werbungsverzichter“ heißen. Und wenn so ein Aufkleber auch keine rechtliche Grundlage hat, so sollte seine Befolgung doch die Befriedigung eines Kundenwunsches bedeuten, was ja für unsere Wirtschaft angeblich immer höchste Priorität hat. Mit dieser Anschrift wurde eine elegante Möglilchkeit gefunden, die Wünsche der KundInnen zu umgehen, ohne direkt der Bitte zuwider zu handeln. Ist Werbeverzichter eine ausreichende Adresse, damit solche Brieflein in den betreffenden Briefkästen landen können? Die Erfinder dieser Aktion waren offensichtlich dieser Meinung und haben ihre WerbungsausträgerInnen oder die BriefträgerInnen angewiesen, zu erheben an welchen Adressen wieviele „Werbeverzichter“ wohnen, um dann die entsprechenden Etiketten drucken zu können.

Drinnen fand sich ein Brief mit dem fettgeduckten Satz „Sie bestimmen, was in ihren Briefkasten kommt“. Das ist jetzt erst einmal in Frage zu stellen. Ein Briefkasten hat ja doch den Zweck, dass Menschen, die mir etwas mitteilen oder etwas zukommen lassen wollen, einen Platz haben, wo sie diese Dinge deponieren können. Ein Briefkasten ist so etwas wie ein Austauschort für Informationen. Wenn ich da immer schon vorher bestimmen könnte, was reinkommt, wäre das zum Teil auch kontraproduktiv. Erst die Werbeindustrie machte den Briefkasten zu einem umkämpften Terrain. Und was das betrifft, hatte ich ja, meiner Meinung nach, durch den Aufkleber mein Selbstbestimmungsrecht schon in Anspruch genommen, was von den Schreibern dieser Zeilen aber ignoriert wurde.

Kurz dachte ich daran, eventuell die Zustellung von Telefonrechnungen oder Briefen vom Finanzamt abzubestellen. Aber Rechnungen werden heute per Bankeinzug bezahlt und Briefe vom Finanzamt bedeuten für mich üblicherweise, dass ich Geld zurückbekomme. Außerdem gab es keine solche Rubrik in dem Brief.

Stattdessen fand sich dort eine Liste all jener üblichen Verdächtigen, die regelmäßig dazu beitragen, dass die Altpapierentsorger nicht arbeitslos werden. Ich sollte mir aussuchen, von welcher dieser Firmen ich gerne Werbung bekommen würde – um Geld zu sparen.

Ach so, diesen altruistischen Grund für Werbung hatte ich bisher gar nicht beachtet! Diese Leute sparen weder Geld noch Mühe um mir beim Sparen zu helfen? Sollte ich etwa doch – ? Und dann bekomme ich einen Aufkleber auf den Briefkasten, von den Firmen, deren Werbung rein darf und mache damit meinerseits Werbung für sie? Schlau ausgedacht, zugegebenermaßen. Eine Verarschung ist es trotzdem – unter tatkräftiger Mithilfe der – noch im Staatsbesitz befindlichen – österreichischen Post-AG, die sich dann noch auf diese Liste dazugeschrieben hat. Eine gute Möglichkeit, KundInnen beim Sparen zu helfen, wäre vermutlich, solche Werbeaktionen zu unterlassen.

Werbeverzichter – als ob es eine Beeinträchtigung der Lebensqualität bedeuten würde, nicht jeden Tag ein Kilo Altpapier entsorgen zu müssen. Wenn schon solche Aktionen, dann bitte beim nächsten Mal mit der Anrede:
Werbungsfreiheit-Genießerin!