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Die ersten Schritte Richtung Rom

Die letzten Tage war ich im Casentino unterwegs. Das ist die nordoestlichste, gebirgigste und waldreichste Ecke der Toscana mit einem schoenen Nationalpark. Der Arno und der Tiber entspringen dort. Ich hab im Arno gebadet und bin im Tiberstausee geschwommen und heute bin ich durch den Tiber gewatet (ziemlich kalt aber heraussen ist es eh heiss) und hab schon mal Gruesse nach Rom geschickt. Und ich bin gut unterwegs – von Sant’Ellero (ca. 20 km oestlich von Florenz) bis Sansepolcro bin ich etwa ein Viertel des Weges nach Rom gegangen. Es koennte sich also ausgehen, dass ich bis Mitte September nach Rom komme. Aber ich will auch nicht vergessen, dass es auf’s Gehen ankommt und nicht darauf, ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Und bis Mitte September kann noch viel passieren.

Zum Beispiel, was Reinhold passiert ist (unter Rytz bei den Links zu finden). In Florenz habe ich es gelesen, erst die kurze Nachricht auf der Webseite, dann das ausfuehrliche Mail und ich habe in den letzten Tagen viel an ihn gedacht. Er, der den letzten Anstoss dazu gab, dass ich aufgebrochen bin, ist krank geworden und musste wieder nach Hause fahren. Das hat mich betroffen und verunsichert. Ich wusste, dass er kurz nach mir los gegangen war und auch wenn wir keinen Kontakt hatten (Reinhold hat im Unterschied zu mir kein Telefon mit) war es fuer mich doch beruhigend und ermutigend zu wissen, dass da noch jemand unterwegs ist. Nun ist mir bewusst geworden, wie verletzlich ich bin, wie schnell etwas passieren kann und wieviel Glueck ich bisher gehabt habe. Ich wuensche ihm auf jeden Fall gute Erholung und dass er seinen Traum, vor dem Winter noch den Antlantik zu ueberqueren, erfuellen kann.

Jetzt aber von dem was passieren koennte, zu dem was in den letzten Tagen geschehen ist:

Ich hatte nicht so unrecht mit meiner Einschaetzung. Das Casemtino sieht hoechstens aus der Ferne so aus, als ob es irgendwo in den Alpen waere. Je naeher man schaut, umso mehr werden die Unterschiede sichtbar. Die Vegetation, die weissen Kuehe, die ausgetrocknete Erde, die sandigen Strassen. So stelle ich mir Wuestenstrassen vor. Wenn man 2 Stunden auf so einer Strasse unterwegs ist, ist man von oben bis unten mit Sand bestaeubt. Am Anfang bin ich durch Olivenhaine und Weingaerten gewandert. Spaeter dann wuchsen Wacholder, Ginster, Rosen, Brombeeren und sonst noch allerlei Straeucher mit Stacheln und wo keine Straeucher sind, wachsen zumindest Disteln auf der Wiese. Mich wuerde interessieren, warum es hier so viel stacheliges Zeug gibt. Vor einigen Tagen bin ich durch eine riesige Flaeche mit Heckenrosen gegangen. Wenn die im Fruehling alle bluehen, muss das wunderschoen ausschauen, wenn man durch muss, ist es eher ein Spiessrutenlauf.

Die Erde ist total ausgetrocknet, auch im dichten Wald in 1000m Hoehe springt die Erde vor Trockenheit auf. Die bemoosten Steine zeigen aber, dass es auch anderes Wetter geben muss. Der Wald im Nationalpark schaut noch am ehesten aus wie bei uns. Riesige Buchen und dazwischen tatsaechlich neben den Kiefern auch Tannen und noch andere Nadelbaeume, mit aehnlichen Nadeln, nur weicher – sind aber keine Eiben.

Im Nationalpark liegt auch das Kloster La Verna, an dem mein Weg vorbeifuehrte. In dem Wald rund um das Kloster  haben angeblich seit Jahrhunderten Moenche meditiert. Er ist auch wirklich wunderschoen und strahlt eine Athmosphaere aus, von der man sich auch verzaubern lassen kann, wenn man kein Moench ist. Was es hier nicht mehr gibt sind Himbeeren und Heidelbeeren. Die Brombeeren sind hier interessanterweise noch nicht reif und die Feigen auch nicht, aber ich bin ja noch eine Zeit lang da.

Ausserhalb des Waldes ist die Landschaft viel offener, beim Gehen auf den Huegelkuppen hat man oft eine wunderschoene Aussicht und oft schaut es wirklich so aus, wie man es von den Postkarten der Toscana kennt. Und den letzten Tag bin ich durch die Ebene gewandert, durchs Tal des Tiber. Dort ist total intensive Landwirtschaft, jedes Fleckerl Erde ist mit Nutzpflanzen bewachsen. Neben Weizen, Sonnenblumen, Mais, allen moeglichen Obst- und Gemuesesorten wird dort auch Tabak angebaut. Der braucht anscheinend viel Wasser, Tag und Nacht arbeiten die Beregnungsanlagen, Bewaesserungs-kanaele durchziehen die Felder. Zwischen Tiber und den Bewaesserungskanaelen liegen kleine Teiche, in denen die Leute fischen und den Spuren nach zu schliessen auch Lagerfeuer heizen. An so einem Teich hab ich die vorletzte Nacht verbracht – zum Fragen gab’s da niemanden, aber ich hab mir eine Stelle gesucht, die man von der Strasse aus nicht sieht.

Auch die Doerfer sind anders. Alles im Nationalpark ist sehr auf Fremdenverkehr ausgerichtet, viele Menschen, viele Hotels, viele Jugendgruppen sind unterwegs und sorgen dafuer, dass die Verzauberung im Zauberwald nicht zu lange anhaelt. Vielleicht eh gut so, sonst waere ich womoeglich noch immer dort, wer weiss. Und ausserhalb der Ortszentren gibt es riesige Privatgrundstuecke. alle eingezaeunt, und sonst ist alles Wald oder Gebuesch.

Auf jeden Fall friere ich nicht mehr in der Nacht! Endlich ist es warm – genau genommen ist es sogar ziemlich heiss und manchmal komme ich ganz schoen ins Schwitzen. Aber die Luft ist sehr trocken, also ist es nicht schwuel. Und da ich lieber schwitze als friere passt es fuer mich so. Ich hab mir einfach einen anderen Tagesrythmus angewoeht: ich gehe um 7 Uhr los, oder noch frueher, je nach dem, wann ich auf komme, um 5 Uhr frueh ist es einfach noch stockfinster, man merkt jetzt schon, dass die Tage kuerzer werden. Zu Hause habe ich das immer zuerst am Abend bemerkt. Dann gehe ich ungefaehr bis Mittag, mache dann eine lange Siesta – z.B. vorgestern war ich in der Mittagspause im Tiber-Stausee baden, oder wenn ich in einem Ort bin, dann kauf ich mir ein Eis, auf jeden Fall lasse ich es mir gut gehen. Und am Abend gehe ich noch ca. 2 Stunden, bis ich halt am Ziel bin oder einen guten Zeltplatz gefunden habe. Es ist auch da so, wie ich es beim Fliegen gelernt habe – wir koennen nicht gegen die Natur arbeiten, sondern nur mit ihr und das was sie uns bietet zu unserem Vorteil nutzen. Wenn sie mir Waerme bietet – mir ist es nur recht.

Aber diese andere Vegetation und die andere Besiedlungsform machen es auch gar nicht so leicht, immer einen Zeltplatz zu finden. Wiesen eignen sich nicht mehr, weil eben immer irgendwas stacheliges drauf waechst, was mir das Zelt kaputt machen koennte. Es ist auch schwierig, einen Grundbesitzer zu fragen, ob ich bei ihm mein Zelt aufstellen darf, wenn man vor einem 2m hohen Zaun steht und das Haus 100m weit weg ist.

Dreimal hab ich auf Campingplaetzen geschlafen, bzw. auf einem Platz neben einem Restaurant, wo schon im Fuehrer stand, dass man dort zelten darf. Nur zweimal neben einem Haus, bei dem ich die Besitzer gefragt habe. Einmal davon war recht witzig: Ich bin durch einen Olivenhain aufgestiegen und oben beim Bauernhof (der eher aussah wie ein Schloss) hab ich meinen Traum-Zeltplatz gefunden. Ich bin rein und hab gefragt – und eine junge Frau hat gemeint, das waer leider nicht moeglich. Naja, hab ich mir gedacht, einmal musste das ja kommen. Ich bin weiter zum naechsten Haus, hab dort gefragt und da war ein sehr nettes aelteres Ehepaar, die mich eingeladen haben, auf ihrem Grund mein Zelt aufzustellen, der ganz in der Naehe sei. Und sie haben mich genau zu dem Bauernhof hingefuehrt. Es stellte sich heraus, dass sie Franzosen sind, zum Teil in Paris und zum Teil in der Toskana leben, und die junge Frau war ihre Tochter, die nur auf Besuch da war, sich nicht zustaendig fuehlte und ausserdem kaum Italienisch spricht. Also war ich wieder am Ziel meiner Wuensche.

Dreimal hab ich auf „oeffentlichen“ Plaetzen geschlafen, die niemandem wirklich gehoeren, wo sich niemand zustaendig fuehlte, und niemand wirklich wusste, ob man denn das darf oder nicht. Einer davon war ein wunderschoener Platz am Ufer des Arno, ein offizieller Badeplatz der Gemeinde, mit Sitzbaenken und Toiletten, im Wald, weit weg vom Ortszentrum kein Laerm, keine Strassenlampen (die bringen mich manchmal zur Verzweiflung, auch auf Campingplaetzen brennen meist die ganze Nacht die Lampen und ich kann bei Licht ganz schlecht schlafen), nur aus der Ferne das Gebell der Hunde im Ort und in der Frueh das Kraehen der Haehne. Ich hatte davor eine Gruppe von Jugendlichen gefragt, ob man hier zelten duerfte, die wussten es aber auch nicht. Aber einer meinte, wenn ich hier ueber Nacht mein Zelt aufstelle und morgen Frueh wieder weg bin, dann kann keiner was sagen, weil das merkt eh keiner. Das hat mich ueberzeugt, weil ich glaube, dass die Jugendlichen eines Dorfes am besten wissen, wo man etwas machen kann, „was keiner merkt“ oder wo am Abend noch schnell die Polizei vorbei schaut.

Die beiden anderen Mal war es halt immer ein bissl ein komisches Gefuehl, ob nicht doch ploetzlich die Carabinieri da stehen. Und das hat mich dazu gebracht, einen neuen Blick auf die Frage oeffentlich – privat zu bekommen. Ich hab ja doch oefter bei eher reichen Menschen uebernachtet, die mich halt an ihrem Reichtum teilhaben liessen, warum auch immer. Z.B. die Franzosen, 15.000 ha Olivenbaeume in der Toscana und eine Wohnung in Paris, das sind sicher keine Armen, oder auch die grosse Hotelanlage oben auf dem Berg, vom lezten Bericht. Und ich gebe zu, dass ich den Luxus gern in Anspruch genommen habe, mich dort auch irgendwie als Gast willkommen und sicher gefuehlt habe. Aber gleichzeitig hab ich mir auch gedacht, mit welchem Recht machen sie eine Zaun um die Quelle oben am Berg, nutzen sie fuer eine Luxusprojekt und die Wanderer muessen dursten? Und ich hab mich gefragt, brauchen wir das Private, um uns sicher zu fuehlen? Muss man Grund und Boden besitzen, um sicher sein zu koennen, dass man ihn nutzen kann? Und andere mitnutzen zu lassen, sie an dieser Sicherheit teilhaben lassen, wenn es einem halt grad einfaellt? Was muesste sein, dass ich mich auf einem oeffentlichlen Platz auch sicher und willkommen fuehlen koennte? Ist es nicht so, dass wir das Private brauchen, weil eben die Nutzung des oeffentlichen, gemeinsamen Eigentums oft eingeschraenkt oder zumindest unklar geregelt ist? Wenn man sicher sein koennte, das was man an Boden – oder Wasser, oder was auch immer – braucht, nutzen zu koennen, brauchten wir kein Privateigentum, um uns sicher zu fuehlen.

Was ich auch gesehen habe und was zu dem Thema passt: es gibt hier auch im kleinsten Dorf sogenannte „Farmacie comunali“, das sind aber offenbar nicht nur Apotheken, sondern die werden gemeinsam mit dem Roten Kreuz oder anderen sozialen Organisationen betrieben, und es gibt dort auch einige Stunden in der Woche Ambulanzzeiten. Ich weiss zwar nicht, mit welchen Beschwerden man dort hin gehen kann, wer dort ist – Arzt, Krankenschwester, Hebamme – aber es klingt sehr nach einem guten Beispiel zur Sicherstellung der Nahversorgung.

Das Ziel meiner letzten Etappe war Sansepolcro, dort bin ich gestern angekommen und dann nach Arezzo gefahren. Diese Stadt gefaellt mir sehr gut, eigentlich besser als Siena. Als Gesamtkunstwerk ist Siena natuerlich vermutlich einzigartig in der Welt, aber ich habe in solchen Staedten immer das Gefuehl, in einem Musem zu sein, Arezzo ist aber eine Stadt, die noch lebt. Auch Sansepolcro ist schoen, ich war an einem Tag in 2 Domen und sie waren beide so, wie es mir gefaellt. Beide gotisch, der in Sansepolcro hat sicher sogar romanische Elemente, sehr schlicht, kein barocker Firlefanz, kein Prunk, wenig Gold, dafuer viel Athmosphaere. Und in Arezzo bin ich gestern abend grad dazu gekommen, wie eine Chormesse geprobt wurde. Der Chor hat total schoen gesungen, verstanden hab ich nix, auch nicht von der Liturgie dazwischen, aber das macht es eh manchmal umso beeindruckender. Auf jeden Fall, der Gesang, die Stimmung, die Akustik in der Kirche, ein sehr stimmungsvoller Abschluss des Tages. Die Provinz Arezzo kann ich, was Natur und Kultur betrifft, fuer einen Toscana-Urlaub waermstens empfehlen, ist auch nicht so ueberlaufen und nicht so teuer wie die Region um Florenz und Pisa.

Die naechste Etappe meines Weges fuehrt mich, wie von Tina schon richtig erwaehnt aus der Toscana nach Umbrien. Gubbio, Valfabbrica, Assisi … mal schauen, was die Zukunft bringt!

ps: Fotos werden nachgeliefert!

5 thoughts on “Die ersten Schritte Richtung Rom

  1. Hallo!

    Wow – das klingt ja alles ziemlich aufregend, was du bisher erlebt hast. Echt sehr ausführlich immer – deine Erzählungen 😉

    Hier in Graz ist eh alles beim Alten – hast bisher zumindest nix versäumt 😉

    Wünsch dir noch alles Gute auf dem Weg nach Umbrien!

    Liebe Grüße,
    Larissa

  2. Das kommt davon, weil du nicht ordentlich liest, was ich schreibe ;-). Die Stunde holt uns immer ein – die Haelfte der Zeit ist schon um!

  3. Das ist ja gerade das Beunruhigende, wenn ihr schreibt, ich hab nix versaeumt! Da glaubt man immer, man muss alles wissen und ueberall dabei sein, und dann ist man nicht da und alles geht trotzdem seinen Lauf. Vielleicht ist das die Gefahr, wenn man so lange weg ist, dass man sich fragt, wie wichtig und sinnvoll denn alles ist, was man so macht und ob wir als einzelne ueberhaupt etwas machen koennen …

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