Ich weiss nicht, wie oft ich in den Tagen und Wochen seit ich unterwegs bin, das gefuehlt, gedacht, gesagt habe! Weil die Aussicht, die Landschaft so schoen war, weil ich Zeit hatte in der Sonne zu liegen oder an einem schattigen Rastplatz zu sitzen, weil ich nach einem anstrengenden Tag einen schoenen Zeltplatz gefunden hatte, den lauen Abend mit einer Tasse Tee ausklingen lassen konnte. Weil ich nach Tagen in den Bergen am Campingplatz am Meer sass, wo es warm ist und Pizza und Focaccia gibt und Eiscreme und Crostata (Obstkuchen aus Muerbteig, mmmh). Oder weil ich nach den Tagen in der „Zivilisation“ wieder oben in der Einsamkeit in meinen Schlafsack kriechen konnte und mich auf den naechsten Tag freuen. Oder weil ich ganz einfach das Gefuehl hatte, die Welt gehoert mir und alle Zeit der Welt gehoert auch mir! Und dass es so viele unterschiedliche Gruende und jeden Tag wieder andere geben kann, das Leben schoen zu finden, ist ja auch eine Verheissung fuer die Zukunft, was wird sie noch alles Schoenes fuer mich – und fuer uns alle – bereit halten?

Vielleicht ist es diese Konzentration auf den Weg, die Fragen nach „wo gibt es etwas zu essen?“ oder „Wo finde ich einen guten Zeltplatz?“, das Spüren des Körpers, das Zurückgeworfen sein auf das Wesentliche – Gehen, Essen, Trinken, Schlafen – das einen auch offen macht fuer die kleinen, schoenen Dinge des Lebens.

Ich bin jetzt im Ganzen von Genua nach Lévanto gegangen, die letzte Strecke allerdings in die andere Richtung. Die Alta Via delle Cinque Terre, die ich durch mein neues Buch kennen gelernt habe, ist wirklich wunderschoen, sie bietet atemberaubende Ausblicke aufs Meer

und immer wieder wechslende Landschaften. Ausser das eine Mal in der Schutzhuette habe ich immer im Zelt geschlafen, fuer mich ist es inzwischen eher so, dass im Zelt zu schlafen, das Normale ist, ein Zimmer eine Notloesung, wenn es halt nicht anders geht, weil es regnet, zu kalt ist, oder was immer. Es war halt einfach Liebe auf den ersten Blick!

Ich habe ja letztes Mal schon angedeutet, dass vieles aehnlich ist wie bei uns in den Bergen, moechte euch jetzt noch ein bisschen mehr dazu erzaehlen. Denn wenn auch vieles aehnlich ist, durch die Siedlungsform und den Baustil schaut es doch auch wieder ganz anders und fremdartig aus. Dazu kommt der rasche Wechsel der Vegetations- und Landschaftsformen und der Unterschied zwischen der Nord- und der Suedseite der Berge. Ich habe versucht, Fotos hochzuladen, die diese Vielfalt auch zeigen.

Im Sueden ist es mediterran, die Berge fallen ausserdem viel steiler ab, oft mit Felswaenden, waehrend im Norden es flacher runter geht, die Doerfer hoeher liegen, oft 800 bis 1000m und es grosse, fast unberuehrte Waldflaechen gibt. Meine Lieblingsdoerfer sind ja die im Wald versteckten im Norden. Der Wald im Norden besteht hauptsaechlich aus Buchen und Eichen, im Sueden wachsen Kastanien, Kiefern, Wacholder. Das verbindende sind die Pilze und die Wildschweine (die sich von mir aber ausdauernd ferngehalten haben, anscheindend wissen sie es doch). Die Hoehenunterschiede sind geringer, die An- und Abstiege nur selten sehr steil, alles in allem etwas gemuetlicher als bei uns und alles sehr einsam – ausser an diesem Wochenende in der Umgebung der Huette habe ich keine Menschen getroffen.

„Entreterra“ nennen die Menschen hier diese Region zwischen der Kueste und der Poebene, diesen beiden wichtigen Wirtschaftsraeumen, das „Zwischenland“, fast bin ich versucht zu sagen, das Niemandsland, oder auch „Liguria nascosta“, das verborgene Ligurien. Und wenn auch das Land, die Kulturen und Traditionen verschieden sind, so gibt es doch viele Parallelen zur historischen Entwicklung bei uns in den Alpen. Die Landwirtschaft natuerlich, Hirten, Jaeger, dann Bergbau, der auch kleine Alpendoerfer voruebergehend zu wirtschaftlichen Zentren machte. Auch wichtige Verkehrsverbindungen, ueberall wo es Berge gibt mussten in allen Zeiten Menschen und Waren drueber gebracht werden, von den Roemerstrassen ueber mittelalterliche Handelswege bis zu den neuzeitlichen Passstrassen. Und nicht nur fuer den legalen Handel, auch fur den Schmuggel bieten die Berge ausreichend Platz und waren immer auch Rueckzugsgebiet fuer religioes und politisch Verfolgte. Und alle diese Dinge haben Spuren hinterlassen, die man heute noch sehen kann und natuerlich auch die grossen Kriege des letzten Jahrhunderts. Die duenn besiedelten und schwer zugaenglichen Bergregionen haben immer eine wichtige wirtschaftliche und strategische Rolle gespielt, ohne bedeutend genug zu sein, in die Geschichte einzugehen. Sie spielen ihre Rolle weiterhin im Verborgenen.

Dabei sind immer wieder verschiedene Tafeln aufgestellt, mit Informationen ueber Geschichte, Biologie, usw. Es gibt auch viele markierte Wege und oft habe ich mir gedacht, dass es auch nett waere weiter unten von Dorf zu Dorf zu wandern und nicht immer nur hier heroben auf den Bergen. Da gibt es oft auch nette Mulattiere oder Crarrarecce, die angenehmer zum Gehen sind als die Strassen.

Nachdem ich jetzt schon so einen guten Fuehrer habe, moechte ich auf jeden Fall wieder kommen, muss auch nicht mit dem Zelt sein. Fuer ein, zwei Wochen kann ich mir auch vorstellen in den diversen Huetten, Albergos, B&B und was es da so alles gibt zu uebernachten, oder auch die Schluessel der kleinen Selbstversorgerhuetten auszuborgen, die es immer wieder einmal gibt, und die alle sehr einladend aussehen. Falls jemand aus diesem LeserInnenkreis Lust dazu hat, mitzukommen – ich wuerde mich freuen.

Einige uerberaschende Erlebnisse und nette Begegnungen gibt es auch wieder zu berichten aus den Tagen dazwischen. Am ersten Tag bin ich einen Weg gegangen, der auch im neuen Fuehrer nicht vorkam, daher hab ich mir extra eine Karte gekauft, obwohl nach allen Informationen die verfuegbaren Karten sehr schlecht sind – ich musste es aus eigener Erfahrung lernen, sie sind es wirklich. Auf jeden Fall dachte ich einen Tag lang, ich sei auf einem bestimmten Weg unterwegs, war es aber nicht, was ich aber erst spaeter erfuhr. Und ich fand natuerlich das gesuchte Ziel nicht, auch nicht die erwartete Quelle und rechnete schon damit, ohne Wasser in der Wildnis uebernachten zu muessen, ploetzlich – wirklich in the middle of nowhere – eine funkelnagelneue Hotelanlage, Bungalows, ein Swimmingpool. Ich denk mir, ob die mich hier wollen? – aber fragen kostet nix und einen Versuch ist es auf jeden Fall wert. Ganz selbstverstaendlich kommt die Zustimmung, das Zelt auf ihrem Grund aufstellen zu duerfen, und ich kann die Dusche und das WC vom Swimmingpool benutzten. Es sind noch keine Gaeste da, es ist wirklich ganz neu – wenn Gaeste hier waeren, ich weiss nicht, ob es dann noch so einfach gewesen waere. So ist wieder einmal ein wunderschoener Zeltplatz gesichert, in so noblem Ambiente war ich noch nie. Und ich ueberlege mir, was denn eigentlich ein „richtiger“ Weg ist – ist ein Weg richtiger als ein anderer, weil er auf einer Landkarte mit einem roten Strich markiert ist? Sind nicht manchmal die Wege, die nicht markiert sind, die richtigen und wann wissen wir ueberhaupt, ob ein Weg richtig war oder nicht?

Ja, und am letzten Tag, als ich wieder runterfahren wollte, kam ich in das Dorf mit der Bushaltestelle und sah: Sonntags faehrt kein Bus, das hat mir nicht mal mein superschlauer Fuehrer gesagt. Ich versuche es mit Stoppen, schon das zweite Auto bleibt stehen. Eine Frau nimmt mich mit, sie erzaehlt, dass sie auch lieber in die Berge geht als ans Meer, sie kennt die Wege alle, die ich gegangen bin. Sie faehrt zu ihrer 80jaehrigen Mutter runter ins Tal, wir unterhalten uns die ganze Fahrt und sie laesst mich an einer Haltestelle raus, wo verschiedene Busse zusammenkommen – schon nach 10 Min. ist einer in die richtige Richtung da.

Zu der Geschichte mit den Partisanen in Barbagelata hab ich letztes Mal noch etwas vergessen zu erzaehlen: Einmal in den 60er Jahren war ein so schneereicher Winter, dass das Dorf von der Umwelt abgeschnitten war. Da hat sich ein Rettungstrupp aus ehemaligen Partisanen gebildet, die sich damals dort verborgen gehalten haben und Rettung gebracht und damit 20 Jahre spaeter den Dank abgestattet fuer die Unterstuetzung damals. Auch auf den Wegen der letzten Tage gab es immer wieder Hinweise auf den antifaschistischen Widerstand. Ich finde es bemerkenswert, dass diese Erinnerung hier so praesent ist. Die Tafeln stammen zum Teil aus den 60er Jahren, zum Teil sind sie ziemlich neu, es handelt sich also auch nicht um eine „Modeerscheinung“, eine Pflicht, die halt einmal  zu erledigen war, sondern die Erinnerung scheint wirklich lebendig zu sein, im Gegensatz zu uns, wo dieses Thema eher totgeschwiegen wird.

Nach der Wanderung fuhr ich nach Siena, sie ist wunderschoen diese Stadt, keine Frage  und wer das erste Mal den „Campo“, den grossen Platz im Zentrum betritt, kann sein Erstaunen sicher kaum verbergen. Aber ohnehin vertrage ich es schlecht wenn ich von Menschenmassen durch die Stadt geschoben werde und dann noch nach der Einsamkeit in den Bergen! Und dazu sind die Menschen hier unglaublich unfreundlich. Ich brauchte lange um herauszufinden, wie ich nach Ciciano komme, den Ort, wo ich Niko und Dani und Manuel und Nina besuchen wollte. Die Hauptauskunft in den Infobueros besteht in „I don’t know“, eigentlich sind es also „Nichtinformationsstellen“. Aber es klappte doch, ich verbrachte ein paar sehr entspannende Tage in einem alten toscanischen Landhaus, an das Nichtstun koennte ich mich auch gewoehnen! Jetzt bin ich in Florenz und morgen geht es auf den Franziskusweg. Ich bin schon neugierig. Ich glaube, dass die Landschaft ganz anders sein wird und der Weg geht zwar auch ueber Paesse, die mehr als 1000m hoch sind, aber er geht nicht durch die Berge, sondern viel mehr durch Doerfer, was fuer die Wasser und Lebensmittelversorgung eine Erleichterung sein sollte. Ihr werdet auf jeden Fall davon lesen!

4 Gedanke zu “La vita è bella!”
  1. liebe brigitte,
    ich betätige mich wieder als „nachteule“, es ist kurz nach drei uhr morgens und es ist eine schöne laue sommernacht. schlafen kann ich wieder wenns regnet.
    danke für die aufführlichen reiseberichte und die schönen fotos. sag nicht noch einmal du könntest nicht fotografieren!
    dein italienisch muss ja von tag zu tag besser werden!
    jetzt wirst du ja schon in richtung umbrien unterwegs sein. wenn du nach spoleto kommst, lass es schön grüßen von mir. und vielleicht kommst du auch in gubbio vorbei. da gibt es die unglaublichsten porzellansachen zu kaufen. na ja, vor 20 jahren als ich dort war war es so.
    deine blumen gedeihen übrigens gut. der hibiskus bekommt dauernd neue blüten die mein auge erfreuen. das scheibenblatt werde ich morgen in einen größeren topf setzen (dann wird es noch ein bischen umfangreicher, haha) und der tränenbaum hat sich auch ganz prächtig entwickelt. du wirst es ja sehen wenn du wieder da bist.
    jetzt wünsche ich dir noch schöne wandertage auf schönen wanderwegen mit schönen ausblicken und eine gute „nahversorgung“.
    tanti saluti a te
    tina

  2. wenn alles nach plan geht, komm ich nach gubbio und nach spoleto (dort war ich schon einmal im winter) und lasse beide von dir gruessen 🙂

  3. Es ist dein Verdienst, dass es diesen Blog gibt, daher Dank zurueck, allerdings ohne Musik. Aber freut mich, wenn das Lesen Spass macht 🙂

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