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Was ich in Montenegro über Biodiversität gelernt habe

Mit Reiseberichten hat dieser Blog vor fast 15 Jahren begonnen :). Auch als ich zu Commons gebloggt habe, flossen immer wieder Reiserfahrungen ein. Warum also nicht an dieser Tradition festhalten?

Montenegro

Also: die letzten Wochen habe ich in Montenegro verbracht. Ich war zuerst in Kotor ganz am Ende der gleichnamigen Bucht. Die Buch von Kotor (Boka Kotorska) ist Weltnaturerbe. Seit dem Erdbeben 1979, bei dem ein großer Teil der in diesem Bereich der Adria gelegenen alten Städte zerstört wurden, ist die Stadt auch Weltkulturerbe. Mit Unterstützung der UNO und der globalen Öffentlichkeit wurde die Stadt nach den alten Plänen und so weit wie möglich mit den originalen Materialen wieder aufgebaut – und das, soweit ich das beurteilen kann, sehr gut.

Es ist also klar, dass es an so einem Ort viel Tourismus gibt, trotzdem lohnt ein Besuch und nur wenig entfernt von den touristischen Zentren kann man, so wie überall, auch schöne Naturerlebnisse haben.

Am schlimmsten empfand ich die Kreuzfahrtschiffe, von denen meist gleich zwei vor Anker lagen. Wenn so ein Schiff anlegt, dann ist die Altstadt eigentlich unpassierbar, weil da mehr Menschen rauskommen als dort reinpassen.

Also: Stadtbesuche dann, wenn kein Kreuzfahrtschiff da ist oder abends wenn es wieder weg ist. Und obwohl die Umweltschädlichkeit der Kreuzfahrtschiffe ebenso bewiesen ist, wie die Tatsache, dass es den Menschen die dort wohnen wenig bringt, das ist nicht das Hauptthema, das mich auf meiner Reise beschäftigt hat.

Vielfältige Landschaften

Das Faszinierende an Montenegro ist die Vielzahl an Vegetations-, Klima- und Landschaftszonen, die sich in diesem kleinen Land finden. Von Hochgebirge über Mittelgebirge, Tieflandebenen, einen der größten Binnenseen Europas mit ihn umgebenden großen Feuchtgebieten, bis hin zum Küstengebiet, Steilküste und Sandstrand, ist alles da. Für die geringe Fläche hat Montenegro auch viele Nationalparks, die diese verschiedenen Landschafts- und Vegetationszonen abbilden. Das liest man, wenn man sich mit dem Land beschäftigt, es zu erleben ist noch einmal etwas anderes. Vor allem, weil sich diese Vielfalt an Lebensräumen noch auf viel kleinerem Raum manifestiert. Man kann in wenigen Stunden mehrere grundverschiedene Ökosysteme durchwandern. Dabei war ich gar nicht im „richtigen“ Hochgebirge im Norden, weil es schwierig ist, dort mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs zu sein.

Ammerkung 1: Ich bemühe mich, möglichst keine kommerziellen Links zu verwenden, diese hier sind aber ausnahmsweise von der montenegrinischen Tourismuswerbung (ich krieg aber nix dafür 😉 ), sind aber einfach schöner als die Wikipedia Artikel und außerdem nennt Wikipedia den Skadarsee „Skutarisee“, ein Wort, das in Montenegro oder Albanien, wo 1/3 des Sees liegt, sicher niemand kennt. Es ist mir nicht gelungen, herauszufinden, woher der Name Skutari kommt, jedenfalls wollte ich den Beitrag nicht verlinken.

Anmerkung 2: was ich hier schreibe sind die Gedanken, die mir bei meinen Wanderungen durch den Kopf gegangen sind, keine wissenschaftlichen Untersuchungsergebnisse. Gerne kommentieren, wenn ihr ähnliche Erfahrungen gemacht habt oder auch eine andere Sichtweise dazu habt. Und jetzt geht’s wirklich los!

Nationalpark Lovćen

Meine nächste Station war der Nationalpark Lovćen, eine Karsthochebene, die direkt von der Küste ansteigt. Es handelt sich eher um ein Mittelgebirge, auch die höchsten Berge sind unter 2000m. Der Lovćen hat für die Menschen in Montenegro auch große kulturelle Bedeutung, weil auf dem zweithöchsten Berg, dem Jezero Vrh, das Mausoleum des Petar II. Petrović-Njegoš steht, der einerseits wichtige Beiträge zur Gründung des Staates Montenegro geleistet hat, andererseits auch als einer der wichtigsten Dichter serbischer Sprache gilt. Die Landschaft erinnert sehr an das Tote Gebirge, wenn auch Fauna und Flora auf Grund der südlicheren Lage und der Nähe zum Meer zum Teil unterschiedlich sind. Smaragdeidechsen und Schildkröten zum Beispiel findet man im Toten Gebirge eher nicht. Ansonsten aber ist vieles vergleichbar: die von Steinen durchsetzten Bergwiesen mit den kurzstieligen, intensivfärbigen Blumen, die Föhren und niedrigen, verkrüppelten Laubbäume, die Vögel, die man hört, der Kuckuck der seinem Namen gerecht wird und auch die vielen Höhlen. Die Jahreszeit war sicher ideal, den ganzen Aufstieg war ich umgeben von einer Fülle an bunten Blumen, von Vogelgesang und bei jedem zweiten Schritt huschte eine Eidechse zur Seite.

Beim Nationalpark Infozentrum kam ein Mann auf mich zu, der ganz desillusioniert meinte, hier sei alles tot.??? Er habe in der Früh einen 2-stündigen Spaziergang gemacht und keines der auf den Infotafeln angeführten Tiere (Wolf, Füchse, Dachse, diverses Rotwild, usw.) gesehen. Ok, ja, aber solche Tiere sieht man grundsätzlich eher selten und zufällig. Da habe ich mich gefragt, was eigentlich Nationalpark bedeutet. Es heißt, dass eine bestimmte Zone nicht von Menschen genutzt wird, um den Tieren ungestörten Lebensraum zu geben. Normalerweise ist ein Teil des Nationalparks für Besucher*innen geöffnet, der größere Teil ist aber der ungestörten Entfaltung der nichtmenschlichen Natur vorbehalten. Da ist es ja eigentlich normal, dass sich die Tiere großteils in diesem Bereich aufhalten. Um sie zu sehen müsste man erstens wissen wann und wo, und dort zweitens einige Zeit ruhig verharren. Durchs Gehen vertreibt man die Tiere ja ohnehin – mit und ohne Nationalpark.

In österreichischen Nationalparks gibt es Angebote, wo man solche Beobachtungstouren mit Nationalparkrangern machen kann. Solche Angebote habe ich in Montenegro nicht gesehen. Mich hat schockiert, dass der Mann das ganze überschäumende Leben rund um sich herum nicht wahrgenommen hat, und erwartet hat, dass sich hier Wölfe oder Rehe von ihm streicheln lassen. Er hat offenbar Nationalpark und Tierpark verwechselt.

Ich habe nicht den Berg mit den Mausoleum erstiegen, das wäre mir einem Tag zu weit gewesen. Aber ich war auf dem Trestenički Vrh, und die Aussicht war grandios. Ein weiterer Unterschied zum Toten Gebirge: man sieht das Meer 🙂 . Hier links der Blick aufs Meer und rechts auf den Skadarsee und damit der Übergang zu meinem nächsten Aufenthaltsort.

Nationalpark Skadarsee

Von Cetinje, der Basis für die Wanderung in den Lovćen, bin ich nach Rijeka Crnojevica gewandert, von ca 700m Seehöhe auf 19m, also fast auf Meeresniveau. Kurz nach Rijeka Crnojevica beginnt der nächste Nationalpark, der rund um den Skadarsee. Und bei dieser Wanderung habe ich diese Veränderung der Ökosysteme das erste Mal so wahrgenommen. Es ist eine spezielle Erfahrung innerhalb weniger Stunden vom Gebirge über die dazwischen liegenden Laubwaldzone ins Feuchtgebiet am See zu kommen. Und für diese Erfahrung sensibilisiert, habe ich in den nächsten Tagen festgestellt, dass das noch in einem viel kleineren Raum möglich ist. Ganz besonders bei meiner nächsten Station in Virpazar, direkt am See: bei einer Wanderung vom See über einen der umgebenden Berghänge und auf der anderen Seite zurück, hab ich den Wechsel innerhalb weniger Stunden mehrmals erlebt.

Da ist einerseits das Feuchtgebiet im Tal. Es umfasst den Mündungsbereich der Flüsse Crnojevica und Moraca und die Umgebung des Sees selbst mit breiten Schilfgürteln, riesigen Seerosenfeldern, Auwäldern und all den Tieren die dazu gehören, vor allem eine reiche Vogelwelt mit der angeblich einzigen Pelikanpopulation in Europa. Dann geht es in eine Zone, die ich für mich „Regenwald“ genannt habe, obwohl das natürlich streng genommen keiner ist. Auf jeden Fall ist es hier feucht und dunkel, mit mit Efeu bewachsenen Laubbäumen, Farnkraut, Moos und üppiger Veregation. Und dann gibt es die Karstzone, die ich oben schon beschrieben habe und die auch hier, viel tiefer gelegen schon sehr ähnlich auftritt. Mit den bunten Blumen, der kargen Vegetation und viel blankem Fels, heiß und trocken, das Titelbild gibt einen Eindruck davon. Und alle diese Zonen habe ich an diesem Tag zweimal durchwandert.

Besonders beeindruckt hat mich aber das Mündungsgebiet des Flusses Crnojevica. Ich habe dort eine Bootstour mitgemacht und mir das Gebiet am nächsten Tag von oben angesehen. Ich hatte so etwas noch nie gesehen und mir ist hier erst so richtig klar geworden, was gemeint ist, wenn wir von „Feuchtgebiete wieder vernässen“ reden, oder was eigentlich „Feuchtgebiet“ bedeutet, was so ein Fluss macht, wenn er Platz hat. Dieses Foto ist von schlechter Qualität, es war sehr diesig an diesem Tag, aber es zeigt sehr schön, wie viel Platz der Fluss hat um bis zur Mündung in den See hinter den letzten Hügeln hinauszumäandern.

Wir sind zur Bootstour relativ zeitig aufgebrochen, wir waren das erste Boot und wir haben unglaublich viele Vögel gesehen, auch die Pelikane und es ist ein besonderes Erlebnis durch Schilf, Seerosen und Auwälder zu fahren, ein Erlebnis, das man von Land aus nie haben kann. Einige Bilder sagen mehr als Worte:

Und der Crnojevica selbst macht innerhalb der etwa 12 Kilometer zwischen Quelle und Mündung eine ebenso erstaunliche Verwandlung durch. Eine halbe Wegstunde oberhalb des Nationalparks ist er ein sprudelnder Bergbach:

Das Potenzial von Grenzen

Mit dieser Erfahrung habe ich verstanden, warum Biodiversität nicht nur die Vielfalt von Arten meint und die genetische Vielfalt innerhalb der Arten, sondern auch die Vielfalt an Ökosystemen bedeutet. In der Permakultur wird die Bedeutung von solchen Grenzregionen, wo verschiedene Ökosysteme aufeinander treffen, besonders betont. Denn dort ist die Artenvielfalt besonders hoch.

Da ist mir klar geworden, wie wichtig es ist, solche Gebiete zu schützen, nicht nur für Montenegro oder wo es es sie sonst noch im Osten Europas gibt. Nicht nur für die Menschen, die dort leben, sondern für uns alle. Dass wir dafür auch mit Verantwortung übernehmen müssen, wenn wir schon bei uns fast alles zerstört haben. Und gleichzeitig habe ich an mir selbst erlebt, wie wichtig es für diese Erkenntnis ist, diese Erfahrungen konkret machen zu können, um zu begreifen, was das eigentlich bedeutet. Dass es also notwendig ist, diese Räume zu bewahren und sie gleichzeitig zugänglich zu machen.

Tourismus und Ökosysteme

Grundsätzlich gilt es in Nationalparks zwei widersprüchliche Bedürfnisse zu vereinbaren: Den Wunsch, Räume zu schaffen und zu schützen, wo die Natur sich ungestört entfalten kann und den Wunsch der Menschen, diese Natur auch erfahren zu können. Das ist auch eine Bedingung für deren Bewahrung, denn, „nur was wir kennen, wollen wir schützen“.

Zufällig habe ich heute im Internet einen Artikel zu dem Thema aus Kanada gefunden mit dem netten Titel „People Love Watching Grizzlies. Do the Bears Love Being Watched?“ Der Text ist wirklich empfehlenswert und sehr nett geschrieben. Es geht genau um die Frage, wie man die beiden Bedürfnisse unter einen Hut bringen kann. Ausgehend von der Beobachtung, dass während der Pandemie viel mehr Bären in einem bestimmten Gebiet beobachtet wurden, weil die Menschen weg blieben, wird untersucht, wie man den Tourismus so gestalten kann, dass er die Tiere möglichst wenig beeinträchtigt, den Menschen aber trotzdem die Möglichkeit gibt, diese Tiere zu erleben. Natürlich sind die Maßnahmen im Norden Kanadas andere als im Lovćen oder am Skadarsee, aber ich denke, dass das ein ganz wichtiger Punkt ist, um solche Lebensräume bewahren zu können. Menschen ganz auszuschließen würde die Akzeptanz sicher schmälern und den Menschen gerade so bereichernde Erfahrungen vorenthalten.

Mein Eindruck ist, dass in Montenegro dieser Ausgleich zwischen den Bedürfnissen der dort lebenden Menschen, der Besucher*innen und der nichtmenschlichen Lebenwesen derzeit recht gut gelingt. Nicht in der Bucht von Kotor, da besteht eher die Gefahr von „Overtourism“, aber in den beiden Nationalparks, die ich besucht habe. Besonders der Nationalpark Skadarsee: das ist ein ländlicher Raum mit kleinen Dörfern. Die Menschen leben seit Generationen von Fischfang, Landwirtschaft und Weinbau. Genau solche Regionen sind eigentlich überall von Abwanderung bedroht. Dass Menschen heute noch dort leben, hat mit dem Nationalparkstatus und dem dadurch einsetzenden Tourismus zu tun, der sich aber noch im Rahmen hält. Die Menschen leben vom Tourismus, sie wissen aber auch, dass dieser wieder vom Erhalt der Ökosysteme abhängig ist.

Als wir am Morgen mit den Boot durch den Flusslauf gefahren sind und die Vögel scharenweise aufgeflogen sind, habe ich mir – wie mit den Grizzlies oben – auch überlegt, dass es ja eigentlich besser wäre, sie ganz in Ruhe zu lassen. Von oben hab ich dann gesehen, dass sie jedoch viel mehr Raum zur Verfügung haben, als mit den Booten angefahren wird und wohin sie sich zurückziehen können, sobald die Boote mehr werden. Die Boote fahren zwar im offenen Flussbereich recht schnell, aber ganz langsam und vorsichtig, wenn sie durch den Schilfgürtel, die Seerosen und zwischen den Bäumen fahren und dort sind ja die wichtigen Lebensräume. Wenn die Vögel aber jeden Tag in der Früh wieder in der Fahrrinne sind, dann kann sie das nicht so sehr beeinträchtigen. Überhaupt waren sie überall. In der Früh habe ich vor meinem Fenster, direkt an der Brücke und zwischen den Booten, Reiher und Kormorane gesehen. Noch scheint der Tourismus die Tiere also nicht zu beeinträchtigen.

Und ich habe den Eindruck, dass den Menschen dort die Bedeutung der Erhaltung dieses Ökossystems bewusst ist, dass sie aber auch davon leben können und dieser Interessensausgleich ist wichtig. Andererseits fand ich auch gut, und das ist jetzt eher wieder das Thema Commons, dass die Art wie die Menschen dort ihre Angebote organisieren, noch weniger am Marktsystem, sondern noch viel mehr an alten Dorfstrukturen, in denen es eher um Bedürfnisbefriedigung geht, ausgerichtet sind. Es gab in beiden Orten wo ich war, viele Anbieter von Bootstouren, es schien aber mehr Kooperation als Konkurrenz zu geben. Alle haben die gleichen Touren zu den gleichen Preisen, sie haben das gleiche Plakat, das an allen Ständen hängt, nur mit dem jeweils anderen Namen. Alle haben noch irgend ein zweites Standbein. Sie vermieten Zimmer, haben ein Fischlokal, verkaufen selbstgemachte Säfte, Marmeladen oder – sehr häufig – Schnaps. Aber die kitschigen Souvenirs halten sich noch sehr in Grenzen, es ist alles noch sehr authentisch und ich hatte das Gefühl, dass die Menschen den Gästen gerne zeigen und bieten, was sie haben und können. Es bleibt nur zu wünschen, dass die Montenegriner*innen es schaffen, diese Art des Tourismus zu bewahren – eigentlich könnte man sagen, sie ist ein stimmiger Teil des ganzen Ökosystems.

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