Wohn- und Arbeitsprojekt im Aufbau
Der Verein »Leben in Gemeinschaft« konnte 2017 mit der südsteirischen Gemeinde Fehring einen Pachtvertrag mit Kaufoption für ein aufgelassenes Kasernengelände abschließen. Seit etwas mehr als einem halben Jahr wird das Gebäude nun von 33 Erwachsenen und 23 Kindern bewohnt und bespielt.
Erschienen in contraste – Monatszeitung für Selbstorganisation im Februar 2018
Seit wann kennt ihr euch als Gruppe und wie seid ihr zu dem Haus gekommen?
Andreas: Einige von uns verfolgten schon seit mehreren Jahren den Plan eines gemeinsamen Wohnprojektes. 2014 lasen wir in den Medien, dass die Kaserne in Fehring geschlossen werden sollte, und in einem ersten Telefonat vermittelte der Bürgermeister eine grundsätzliche Bereitschaft, über einen Verkauf an uns zu reden. Im Sommer 2015 gründeten wir den Verein »Leben in Gemeinschaft« und im Juni 2016 fand unsere grosse Präsentation im Gemeinderat von Fehring statt. Zu dieser Zeit kannten wir bereits das »Cambium«, eine lose Gruppe von ca. 50 Menschen, verstreut über ganz Ost-Österreich, die sich regelmässig trafen, um sich zu Themen gemeinschaftlichen und nachhaltigen Lebens auszutauschen.
Rafaela: »Leben in Gemeinschaft« hatte seinen Vereinsraum direkt neben meiner Wohnung in Graz. Ich habe die vielen Treffen mitbekommen, es hat aber fast ein Jahr gedauert bis ich, als eine der Gründerinnen des Cambium Gemeinschaftslehrgangs, auf den Gedanken kam, diese zwei Gruppen zu verbinden. Wir sind dann zu einem Plenumstreffen in Andreas‘ Wohnung gegangen und haben über uns erzählt. Von da an haben wir regelmäßig Treffen miteinander organisiert und an einer Fusion gearbeitet. Ich denke, dass man die verschiedenen Kulturen immer noch spüren kann, das schnelle Wachstum hat sicherlich neben all der Kraft auch Herausforderungen mit sich gebracht.
Maria Malena: Probleme und Konflikte entstanden aus meiner Sicht vorwiegend dann, wenn es zu wenig Transparenz und Kommunikation gab, aber je besser wir uns kennen, desto besser läuft es.
Wie war die Aufnahme in der Gemeinde?
A: Unser Bemühen um die Gemeinde hat vom ersten Kontakt bis zum Vertragsabschluss zweieinhalb Jahre gedauert. Es gab etliche Verhandlungsrunden und auch gemeinsame Veranstaltungen, um die Menschen dort zu informieren und zu gewinnen. In dieser Zeit haben wir ein gutes Verhältnis aufgebaut.
Manuela: Gemeinde, Fehringer, sowie unmittelbare NachbarInnen haben uns zwar neugierig, jedoch sehr wertschätzend aufgenommen. Bei unserem ersten Tag der offenen Tür haben uns ca. 60 Menschen besucht.
Wieviel Wohnraum und Grund habt ihr aktuell? Was passiert derzeit schon im Haus?
MM: Unser Gesamtgelände hat 16 ha – Bauland, Bauerwartungsland, Wald, Feld und Wiese – ein Teil davon liegt rund ums Haus, der andere Teil ist der alte Truppenübungsplatz. Das Haupthaus hat 5500 m², zusätzlich haben wir eine große Halle, einen großen Komplex mit Lagerhallen, Werkstatt, größeren und kleineren Räumen und kleine Häuschen und Container. Die große Halle möchten wir unter anderem für größere Veranstaltungen nutzen, ein Zirkus hat hier schon Platz und Publikum gefunden bei unserem Sommerfest. In dem großen Komplex könnten weitere Werkstätten entstehen, am Truppenübungsplatz agiert vor allem die Arbeitsgruppe Landwirtschaft, ein Wanderschäfer hat vor kurzem mit seinen Schafen dort Rast gemacht und unsere Wiesen gepflegt.
A: Uns ist es wichtig, wirtschaftliche Aktivitäten am Ort zu haben. Eine Lebensmittel-Produktion gibt es bereits, eine Werkstatt die legal Menschen anstellen kann ist in Gründung, unser Seminarbetrieb ist in Vorbereitung, die gewerbliche Beherbergung ebenso und eine Gruppe befasst sich mit dem Aufbau einer Jurtenwerkstatt.
Wie regelt ihr das Finanzielle?
A: Die Kosten für Pacht und Betrieb werden durch freiwillige Beiträge solidarisch gedeckt. Ebenso fließen freiwillige Essensbeiträge zusammen, wir kaufen zentral ein und kochen täglich für alle. Ihren über Wohnen und Essen hinausgehenden Lebensunterhalt bestreiten die BewohnerInnen bislang autonom.
Wie hat das Projekt euer eigenes Leben verändert?
Herausfordernd ist, dass mich mein bisheriges Leben kaum auf diese Situation vorbereitet hat, die Fähigkeit, sich abzugrenzen und eine gewisse Frustrationstoleranz sind wichtig.
A: Viele alltäglichen Dinge und Entscheidungen sind plötzlich mühsam. Manchmal ist es laut, wenn ich mich ausruhen möchte, Dinge verschwinden, für jeden Furz braucht‘s endlose Diskussionen und Entscheidungsprozesse. Aber es mach ganz einfach Sinn! Einsamkeit gibt es nicht mehr, ebenso wenig Perspektivlosigkeit. Es ist soooo spannend!
M: Mein Job, den ich 25 Jahre in der gleichen Firma ausgeübt habe, ist sinnlos geworden, das Experiment Leben, gelingende Beziehungen zu üben, gemeinsam gestalten, nimmt meine Zeit voll in Anspruch. Es ist herausfordernd, anstrengend, spannend.
R: Seit über zehn Jahren habe ich immer wieder über mehrere Monate hinweg in internationalen Gemeinschaften gelebt und viele Ausbildungen gemacht, in denen man lernen soll wie man Gemeinschaften aufbaut, soziale Konflikte löst, ökologische und ökonomische Krisen behandelt. Der wirkliche Aufbau jetzt ist wohl die beste Ausbildung die es gibt!
MM: Das Projekt hat mein Leben von Grund auf verändert: Ich lebe mit Menschen zusammen um an einer gemeinsamen Vision zu arbeiten, miteinander zu wachsen und einander zu inspirieren und ich sehe Sinn in unserer Arbeit. Ich spüre, dass es auch eine Bereicherung für mein Kind ist. Herausfordernd ist, dass mich mein bisheriges Leben kaum auf diese Situation vorbereitet hat, die Fähigkeit, sich abzugrenzen und eine gewisse Frustrationstoleranz sind wichtig.