Letzten Mittwoch und Donnerstag waren wir in Nürnberg. Wir das sind 13 Personen, die für unterschiedliche Modelle alternativen Wirtschaftens stehen und diese aus verschiedensten Anlässen auch aktiv vorstellen und vertreten. Da waren VertreterInnen der Gemeinwohlökonomie, der solidarischen Ökonomie, von Transition Towns, von attac, der Wachstumskritik und eben auch der Commmons-Idee, vertreten durch Silke Helfrich und mich. Wichtig ist es noch zu sagen, dass es sich nicht um so etwas wie Delegierte fester Gruppierungen handelte, die für „ihre“ Gruppen sprechen können, sondern in erster Linie um ein Vernetzungstreffen von Personen, die häufig zu diesen Themen in der Öffentlichkeit präsent sind. Es waren sehr anregende eineinhalb Tage und es sollte nicht das letzte Treffen dieser Art gewesen sein, wir wünschen uns dabei ein moderates Wachstum der Gruppe 😉 und das Nürnberger Netzwerk wird vielleicht einmal so berühmt – hoffentlich nicht so berüchtigt – wie die Mont Pelerin Gesellschaft sein :).
Ein Teil der Zeit war der gegenseitigen Vorstellung und dem Versuch der Positionierung im politisch-strategischen Spektrum gewidmet. Mit der Gliederung und der Matrix, die dafür vorgeschlagen wurde, bin ich nicht ganz glücklich, ein bissl hab ich das Gefühl, es sollen alle in ihre Schublade gesteckt werden, trotzdem war es ein guter Anlass für ein wenig Selbstreflexion, die ich hiermit – versehen mit persönlichen Anmerkungen – an euch weitergeben möchte.
Einleitung
Wir stellten erst einmal klar, dass es sich bei der Commonsdiskussion um keine einheitliche, abgeschlossene Theorie handelt, sondern dass wir alle, die wir darüber reden, unterschiedliche Zugänge und Schwerpunkte haben und das was wir hier zusammengetragen haben auf jeden Fall mal die Sicht von Silke und mir ist, nicht aber unbedingt von allen anderen Menschen, die über Commons reden und schreiben. Wir begannen mit einer kurzen Begriffsklärung, nämlich dass Commons keine Dinge sind, daher der Begriff nicht mit „Gemeingüter“ übersetzt werden kann. Commons sind „jenseits von Markt und Staat“ angesiedelt, allerdings gibt es unterschiedliche Sichtweisen darüber, ob „jenseits“ nun „ohne“ oder „über hinaus“ oder „mit anderem Markt und Staat“ bedeutet.
Da es bereits viele Untersuchungen gibt, ist die Commonsdiskussion empirisch sehr fundiert. Commonsinstitutionen und Commoning als Praxis gibt es in allen Kulturen. Die Commonsdiskussion ist kein in erster Linie wertebasierter Diskurs, denn Werte fallen nicht vom Himmel. Begriffe wie „definieren“ und „messen“ usw. – die für andere wichtig sind – kommen bei uns eigentlich nicht vor, denn soziale Prozesses kann man nicht vermessen und das ist auch gut so.
Commons werden auch oft als andere Produktionsweise / Wirtschaftsweise diskutiert. Stichworte dazu sind: Ecommony; Commons Based Peer Production; Commons Creating Peer Ecology
Ziele
Da ich eine tiefsitzende Abneigung gegenüber Zieldefinitionen habe, habe ich diese Aufgabe für mich gleich umdefiniert in die Frage nach der Motivation: warum mache ich, was ich mache, was will ich damit erreichen? Zwei wesentliche Punkte haben wir gefunden:
- Freiheit, Fairness und Nachhaltigkeit zusammendenken und einen Paradigmenwechsel unterstützen: weg vom dualistischen Denken, Fokus auf Prozess und Kultur (weg vom dualistischen Denken heißt nicht Einheitsbrei oder wir sind eh alle gleich und ein diffuses alles hängt mit allem zusammen, sondern analytisches, aber trotzdem systemisches, vernetztes Denken, Vielfalt und Komplexität zulassen und aushalten).
- Aha-Erlebnisse erzeugen: es kann alles auch ganz anders sein -> von der Knappheit zur Fülle
Prinzipien
einerseits Ostroms Designprinzipien auf der institutionellen Ebene (empirisch sehr gesichert), andererseits Prinzipien des „Commoning“, d.h. Commons als PRAXIS vieler Welten (die enorm verschieden sind, aber vielleicht durch ähnliche Grundmuster vergleichbar werden). Die Erforschung dieser Prinzipien / Grundmuster ist im Kontext der Commoning-Debatte bislang wenig systematisiert. Eine Bewertung der jeweiligen Praxis ist immer kontextabhängig.
Beispiele
Beispiele gibt es überall, wo gemeinsam Verantwortung für eine Ressource / einen Raum / einen Prozess übernommen wird, der von keiner Person alleine angeeignet werden kann, vom Wohnprojekt bis zur Regionalentwicklung, vom Leihladen zum FabLab, von der Almweide zur Energiegenossenschaft.
Theorien
Da die Commons-Diskussion sich nicht auf den Bereich der Ökonomie beschränkt, sondern sich als Vision für gesellschaftliche Organisation schlechthin begreift, bezieht sie sich auf unterschiedliche Theorien. Wobei mir auch wichtig ist zu sagen, dass wissenschaftliche Theorien immer auch ein Teil der bestehenden Wissensordnung sind, über die wir hinaus denken wollen. Daher ist es für mich kein Anspruch, für alle empirischen Befunde theoretische Grundlagen in anerkannten wissenschaftlichen Theorien zu finden. Vielmehr geht es auch darum, mit diesen empirischen Befunden diese Theorien in Frage zu stellen und manchmal auch auf marginalisierte Theorien zurückzugreifen.
- Ostrom-Schule (d.h. Institutionenanalyse)
- Nachhaltigkeitsforschung
- viel Politökonomie
- soziale Theorien von Gemeinschaftsbildung / Gemeinschaftsprozessen
- P2P Theorie
- (Akteur-)Netzwerktheorie
- Systemtheorie
- Wirtschaftspsychologie
- Kritische Psychologie
- Kommunikationstheorie
- Anthropologie
- Neurowissenschaften
Zudem gibt es viele Impulse aus unterschiedlichen Traditionen der Ideengeschichte: z.B. Subsistenz, Anarchismus, Marxismus, Liberalismus, usw.
Aktuelle Probleme / Diskussionen
- Verhältnis von Offenheit und Grenzziehung
- „issues of scale“
- „Menschen sind nicht so“ (Sie sind „so“ gemacht. Aber man kann es auch immer anders machen.)
- Commons sind schwer im gegenwärtigen Paradigma zu diskutieren, so wie sie auch schwer gegen den Kapitalismus zu verteidigen sind, d.h. dass man sich immer mit Kooptierung / Kannibalisierung und enclosures auseinandersetzen muss
- Verbindung mit Care-Ansätzen – Skepsis aus dem Bereich feministischer Forschung
- Politische Ökonomie der Commons
- Verknüpfung mit Paradigmenwechseln in anderen Feldern (Biologie, Psychologie, Physik usw.)
Akteure und Akteurinnen
Wissenschaftlich: Umweltsystemwissenschaften, Nachhaltigkeitsforschung, Energiewende, Politikwissenschaft überhaupt: alle Sozialwissenschaften inkl. Wirtschaftswissenschaften, Geschichte und Anthropologie, viel Landwirtschaft, Stadtplanung, Kommunikationswissenschaften, usw.
Derzeit entstehen viele Qualifizierungsarbeiten zu commonsrelevanten Themen.
Politisch/publizistisch: Parteien, Kirchen, Gemeinden / Regionen, NGOs aus Entwicklungspolitik, Energiepolitik, Klimapolitik.
Es gibt derzeit viele Medienberichte, allerdings wird da vieles in einen Topf geworfen (z.B. Shareconomy).
Netzwerke und Plattformen: Ouishare, Commonopolis, Commons Abundance Network, Shareable, Sharing Cities Network, School of Commoning u.v.m.
In der Praxis: überall wo Menschen sich hierarchiefrei selbst organisieren um ihre Bedürfnisse zu befriedigen oder ihre Lebenswelt selbst zu gestalten! Stadtgärten, Umsonstläden, offene Werkstätten, P2PCarsharing, Leihläden, Energiegenossenschaften, CSA, öffentlicher Raum / Stadtentwicklung, Freie Software/ Freie Kultur u.v.m.
Stärken und Schwächen
Aus meiner Sicht ist das Stärken-Schwächen-Denken selbst problematisch, es gehört zum alten Paradigma, zum bipolaren Denken, das wir eigentlich überwinden wollen. Ob etwas eine Stärke oder Schwäche ist, hängt vom Kontext ab. Aber mit diesem Vorbehalt versuchten wir es halt doch einmal:
Stärken
- starke Thematisierung der Eigentumsfrage, mit kreativen und undogmatischen Lösungen dazu, Faustregel: Commons heißt:
- verschiedene Formen kollektiven Eigentums mit gemeinsamer und individueller Nutzung oder
- bei nicht kodifizierten Regeln/Normen: keine formelle Eigentumsregelung, dennoch Regeln und Normen (das „ungeschriebene Gesetz“)
- zunehmende Betonung auf Prozess und soziale Praxis statt Form und Institution
- konsequentes Zusammendenken von Umgang mit rivalen und nicht-rivalen Ressourcen
- Koexistenz in Vielfalt
- Interkulturalität (es gibt keine Kultur, in denen Commons nicht eine lange Tradition haben)
- Vertrauen in die Fähigkeiten der Menschen, ihre Probleme selbst zu lösen jenseits von Dualismen, natürlich auch jenseits von links und rechts
- hebt die Schätze aus unterschiedlichen Traditionen der politischen Ideengeschichte und ist so an viele politische Milieus andockbar
Dazu ein Punkt von Daniel Constein: „Eine besondere Stärke des Commons-Diskurses ist es, die Bedingtheit der sozialen Beziehungen aufzeigen und diese Beziehungen in ihre Einzelteile auflösen und so erst ein Wissen darüber herstellen, wie gemacht unsere sozialen Beziehungen sind und wie sie anders sein könnten.“ – Danke Daniel!
Schwächen:
Wenn, dann die, dass es nicht die eine Lösung gibt, dass Komplexität und Vielfalt gedacht werden muss und die Menschen immer die für jeden spezifischen Fall beste Lösung selbst finden müssen.
Das war übrigens etwas, das einige der Anwesenden vermerkten: diese Unbestimmtheit ist Stärke und Schwäche zugleich und wir müssen einfach lernen, damit umzugehen.
Selbstverortung im strategisches Spektrum
Hier ging es auch darum, die Ansatzpunkte zu benennen, strebt man eher Bewusstseinsänderung, individuelle Verhaltensänderung, eine Änderung der rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen an oder überhaupt einen Paradigmenwechsel?
Da konnten wir zwar bei allen ein kleines Kreuz hin machen, aber für mich persönlich liegt der Hauptansatzpunkt der Commons noch eine Ebene darüber: Commons ändern Machtverhältnisse, sie wirken ermächtigend, das Leben selbst in die Hand zu nehmen, auch das ist ein Grund für Einhegungen. Mir geht es hauptsächlich um Selbstermächtigung, um das Sichtbar machen der vielen Handlungsmöglichkeiten, damit Menschen dann selbst entscheiden können, in welchem dieser Bereiche sie aktiv werden wollen. Und außerdem geht das eine – individuelle Verhaltensänderung – nur mit dem anderen – Strukturelle Änderungen – gemeinsam.
Commons sind nicht (nur) ein alternatives Wirtschaftsmodell, sondern eine grundsätzlich andere Art, Vergesellschaftung zu denken. Lösungen finden, die für alle besser sind (das funktioniert nur jenseits der Marktlogik). Es geht auch darum, sichtbar zu machen, was da ist. Commons sind nicht neu! Und es muss nicht überall Commons draufstehen, wenn etwas dieser Logik folgt.
Soweit einmal das, was wir dort eingebracht haben, ist vielleicht auch in anderen Kontexten hilfreich. Und wie schon gesagt, wir sehen das als Beginn, wir wollen diese Vernetzung weiter betreiben. Ganz sicher bei der Degrowth Konferenz in Leipzig, vielleicht auch schon davor. Und wir wollen noch mehr Menschen dazu einladen, aus der P2P- und der Makerszene, aus der Sharing-Szene und was es sonst noch an Akteuren in diesem Bereich gibt.