Die Montag Stiftung Urbane Räume hatte in den Malkasten in Düsseldorf zu einem Workshop geladen mit dem Titel „Wie weiter mit den öffentlichen Gütern? Alternativen jenseits von Staat und Markt“. Man braucht nicht viel Phantasie um sich vorzustellen, dass es dabei um die Frage der Gemeingüter ging. Eine handverlesene Gruppe von Teilnehmern und Teilnehmerinnen (letztere leider nur ein kleine Minderheit) aus verschiedensten Bereichen diskutierte zwei Halbtage lang (und einen Abend beim exzellenten Dinner) darüber, was die Idee der Gemeingüter zur Lösung aktueller Probleme beitragen könnte: Ökonomen und Politikwissenschafter, StadtplanerInnen, Architekten und Verwaltungsbeamte, Unternehmer und auch einige Menschen aus der Praxis, die die Sichtweise „von unten“ einbringen sollten (z.B. von der Stiftung Trias, der Aktion Kulturland oder von der GLS Bank). Entsprechend den Aufgaben der Stiftung ging es hauptsächlich um Fragen der öffentlichen Infrastruktur und der Stadt- und Regionalentwicklung vor dem Hintergrund des Ausverkaufs öffentlicher Dienstleistungen durch Sparprogramme, von Gentrifizierungseffekten in wachsenden Städten, aber auch – gerade in Hinblick auf das naheliegende Ruhrgebiet – vor der Notwendigkeit große Industriebrachen und leerstehende Häuser in Schrumpfungsregionen sinnvoll zu nutzen.

Schon von Beginn an war klar, die Diskussionen der „Experten“ bewegten sich auf einem sehr abstrakten Niveau. Da wurde die Gütertheorie hin- und hergewälzt, da sprachen Architekten davon, dass sie bei der Gestaltung öffentlicher Plätze Gemeingüter herstellten und Gemeindevertreterinnen sahen sich als Verwalter von Gemeingütern. Alles sicher nicht falsch, aber eben auch nur halb richtig. Vielfach wurde einfach der Begriff „öffentlich“ durch den der Gemeingüter ersetzt. Es wurde nicht unterschieden zwischen den „Gütern“ als solchen, also den Allmenderessourcen, und den dazugehörigen Institutionen, also den Menschen, die sie nutzen und den Regeln, nach denen sie genutzt werden. Natürlich spielte das Thema Partizipation eine wichtige Rolle, aber, so der Tenor, das haben wir doch immer schon gemacht. Daher fand auch die Frage keine Klärung, was denn nun wirklich das Neue sei, das der Bezug auf Gemeingüter bringe. Schon am ersten Tag habe ich darauf hingewiesen, dass es eben wichtig sei, klar zu haben, dass eine Allmende aus Ressourcen + Institutionen besteht, dass man, wenn man das vergisst, die Rechnung ohne der Wirt macht. Antje Tönnies von der GLS Bank meinte: „Ihr redet dauernd von Commons und ihr vergesst dabei die Commoners“. Irgendwie konnten wir uns da noch nicht so richtig verständlich machen.

Am nächsten Tag ging es weiter, diesmal ging es ganz konkret um die Bodenfrage, die hauptsächlich in schrumpfenden Regionen, wo Industrie zurückgebaut wird, problematisch ist. Aber eines blieb weiterhin unklar: was ist der Zusatznutzen, wenn man von solchen Dingen nun als Gemeingüter spricht? Was ändert diese Diskussion daran? Ich hab erst nur zugehört, weil ich das, was ich sagen wollte, nicht auf die Bodenfrage beschränken wollte. Aber in der Schlussdiskussion habe ich gleich als erste das Wort an mich gerissen und die ganze Sache noch einmal von vorne aufgerollt und dabei versucht, die richtige Sprache zu finden. Hier mein Redebeitrag – er war dort nicht ganz so schön ausformuliert, weil ich ihn ja recht spontan entwickeln musste.

Die Verwendung des Begriffes Gemeingüter bedeutet vor allem, dass neben den Perspektiven der Politik und der Ökonomie noch eine dritte Perspektive dazukommt, die der NutzerInnen und Ko-ProduzentInnen der Gemeingüter, der Bürgerinnen und Bürger. Und zwar von Anfang an und mit gleichem Stellenwert.

Bei privaten Gütern oder Waren gilt die Logik des Marktes. Dort geht es um Profit, Wachstum und Wettbewerb, also wie werfen Investitionen den größten Profit ab. Es geht darum, den freien Wettbewerb zu sichern, Monopolbildungen zu verhindern, usw. In der Logik des Staates – oder der Stadtregierungen – , die für öffentliche Güter gilt, geht es um Gesetze und Regulierungen, Steuern oder Budgetzahlen, um Aufrechterhaltung der Ordnung. Und zunehmend geht es auch für die Politik darum, Investoren anzulocken, die Stadt möglichst vollständig zu verwerten, um die leeren Stadtkassen zu füllen. Und auch für die Regierungen ist es ein wichtiges Ziel, die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Städte und Regionen zu sichern, nicht immer zum Vorteil der Lebensqualität. Tun sich die beiden zusammen in Form von Public-Private-Partnerships, dann gehen meist die Profite an die privaten Partner und die Verluste muss die öffentliche Hand tragen.

Wenn wir von Gemeingütern oder Allmende reden, kommt eine dritte Perspektive dazu, die der NutzerInnen dieser Gemeingüter, der Commoners. In der Logik der Allmende geht es um Bedürfnisbefriedigung und den Aufbau und Erhalt von sozialen Netzwerken, um saubere Luft und sauberes Wasser, um Kontrolle über die eigenen Lebensbedingungen.

Diese dritte Logik muss systematisch bei allen Überlegungen mit einbezogen werden und muss die gleiche Gewichtung erhalten wie wirtschaftliche Kennzahlen, denn nur dann ist es möglich, das Gemeingut zu definieren, um das sich alle kümmern wollen. Dann kann es nicht mehr passieren, dass etwa das neue Einkaufszentrum als Gemeingut definiert wird, weil es die Wirtschaftskraft der Stadt steigert, oder die Autobahn, weil sie die Fahrzeiten für alle verkürze (auch wenn gar nicht gefragt wurde, wer denn warum wohin schneller kommen muss). Oder auch, dass die Sicherheit oder Sauberkeit des Parks zum Gemeingut erklärt wird und es deshalb eine Bürgerwache braucht. In diesen Fällen wird aus Sicht der einen Logik (Markt oder Regierung) definiert, was das Gemeingut sein soll. Wenn die Bevölkerung sich dann nicht dementsprechend verhält, dann wird das als „falscher Umgang“ mit den Gemeingütern interpretiert und man versteigt sich in Aussagen, dass der Staat die Gemeingüter vor den Individualinteressen der BürgerInnen schützen müsse. (Diese Beispiele fielen nicht in der Diskussion, das mit dem Einkaufszentrum stammt aber aus dem Reader, der für die Veranstaltung zusammengestellt wurde, das Autobahnbeispiel wurde kürzlich in einer Zeitung verhandelt, den Artikel finde ich leider nicht mehr, und Klagen, dass die BürgerInnen sich nicht richtig um die Gemeingüter kümmern würden, klangen auch im Workshop an).

Diese dritte Perspektive, die Logik der Allmende, muss also von Anfang an gleichwertig einbezogen werden, damit überhaupt erst das Gemeingut definiert werden kann. Nicht erst entscheiden die Experten und dann fragen wir pro forma die BürgerInnen, was sie dazu sagen. Oder wir lassen sie mitreden, damit sie nicht zu lästig werden. Wenn erst das Gemeingut bestimmt ist, dann kann nach Arrangements gesucht werden, die den einzelnen Bedürfnissen möglichst gerecht werden, sodass Interessenskonflikte in den Hintergrund treten. In solchen Arrangements können Regierungen und auch Unternehmen verschieden Aufgaben und Funktionen übernehmen.

Es gilt dabei eine Kombination aus Eigentumsformen, Finanzierungsmodellen, vielfältigen Zugangs- und Nutzungsrechten, Mitbestimmungs- und Mitgestaltungsmöglichkeiten, Kontrollinstanzen, usw. zu finden, die die Macht der Politik begrenzt, also etwa nicht ermöglicht, dass Stadtregierungen das Wasserversorgungssystem verkaufen ohne Zustimmung der BürgerInnen und auch die Profitmöglichkeiten der Unternehmen einschränkt und den Menschen den Zugang zu den Dingen garantiert, die für ein Gutes Leben notwendig sind und ihnen auch ein Mindestmaß an Kontrolle über ihr Lebensumfeld ermöglicht. Wettbewerbsfähigkeit oder Einnahmesteigerung können dann nicht mehr die vorrangigen Ziele sein.

Solche Modelle gibt es auch heute schon hin und wieder, es wurden auch einige bei der Veranstaltung vorgestellt. Aber bisher waren das Ausnahmen von der Normalität, solche Dinge konnten nur darüber bestimmt werden, was sie NICHT sind, keine Unternehmen und keine staatlichen Einrichtungen. Es konnte immer jemand kommen, der gegen die Wettbewerbsverzerrung oder die Preisabsprachen Klage führte oder die Umgehung demokratischer Strukturen beklagte und damit die Konstrukte zu Fall bringen konnte, weil eben – nach den bekannten Logiken – irgendetwas „falsch“ ist. Das Konzept der Gemeingüter bringt nun den Vorteil, dass solche Arrangements einen Namen haben, dass es eine Theorie dazu gibt, dass sie einer eigenen Logik folgen, nach der die Regeln „richtig“ sind, weil sie eben durch alle Beteiligten gemeinsam festgelegt wurden, und daher nicht von außen beeinsprucht werden können (obwohl sie natürlich im Einvernehmen auch geändert werden können). In solchen Allmende-Institutionen können Regierungen nicht nur die Treuhandschaft übernehmen, sondern auch die Rolle der Mediation und die Bereitstellung von Konfliktlösungsplattformen und -mechanismen sind ganz wichtige Aufgaben von Regierungsinstitutionen, das zeigt auch Ostroms Arbeit. Schließlich braucht es auch eine Anpassung der gesetzlichen Rahmenbedingungen, denn diese von allen Beteiligten ausgehandelten Regeln müssen vom Gesetzgeber anerkannt und gegen die Begehrlichkeiten des Marktes und die Kontrollansprüche des Staates geschützt werden.

Der Bezug auf Gemeingüter öffnet also einen Weg aus dem Dualismus entweder Markt oder Staat und eröffnet viele neue Möglichkeiten, wie Konfliksituationen überwunden werden können. Das ist für uns nichts Neues, aber es scheint schwer zu sein, das zu denken, wenn man die eingefahrenen Pfade gewohnt ist. Aber ich  hatte, so scheint es, nun die richtige Sprache gefunden, denn plötzlich kam Schwung in die Diskussion und dann bekam ich noch das Schlusswort mit der Frage, wie denn die individuellen Interessen, die von Bürgerinitiativen vertreten würden, mit dem „Allgemeininteresse“ zusammengebracht werden könnten.

Da musste ich dann doch in Frage stellen, ob wir denn so eindeutig davon ausgehen könnten, dass die PolitikerInnen immer Allgemeininteressen vertreten und Bürgerinitiativen immer Einzelinteressen. Wenn man an die vielen Skandale in Zusammenhang mit Politikern denkt, die in den letzten Monaten in Österreich und Deutschland aufgedeckt wurden, scheint mir diese Annahme nicht wirklich haltbar. Auch Unternehmen dürften meist nicht unbedingt Allgemeininteressen im Auge haben. Andererseits gibt es durchaus Bürgerinitiativen, die das vielleicht besser können. In Graz geht es etwa darum, dass im Zusammenwirken zwischen Denkmalamt und Immobilienunternehmen immer wieder der Denkmalschutz umgangen wird und nun Bürgerinitiativen dessen Beachtung einfordern. Das dürfte durchaus im allgemeinen Interesse liegen.

Wenn Bürgerplattformen die Möglichkeit bekommen, die Wasser- oder Energieversorgung einer Stadt zu organisieren, bedeutet das auch noch keine Verwirklichung von Individualinteressen, sondern erst einmal ein „Zurück an den Start“ um genau diese Aushandlungsprozesse noch einmal zu führen. Allgemeininteresse ist nicht eindeutig von einer Position aus zu definieren, sondern das Finden des „Allgemeininteresses“ kann wohl nur in solchen Aushandlungsprozessen zwischen den drei Perspektiven geschehen.

Solche Institutionen sind sicher nicht das gleiche, als wenn wir von Gemeinschaftsgärten oder Hausprojekten oder dem Umsonstladen als Commons reden. Aber in einem solchen Umfeld ist es vermutlich leichter, solche alternativen Lebens- und Produktionsweisen zu entwickeln, als gegen den Widerstand eines hoch kompetitiven Marktes oder eines zunehmend repressiver werdenden Staates. Da kann es sogar sein, dass Ressourcen für alternative Projekte, die durch die Stadtregierungen oder Unternehmen bereitgestellt werden, Teil des Abkommens sind, wie in einigen Fällen von denen bei der Veranstaltung auch berichtet wurde.

3 Gedanke zu “Gemeingüter als Perspektivenerweiterung”
  1. Sehr geehrte Frau Kratzwald!
    Wieder ein großes Dankeschön für Ihren Einsatz und solche für mich wertvollen Informationen.
    Sie geben mir wichtigen „persönlichen und öffentlichen Rückenwind“ für meine sehr lokalen Bemühungen im „Triesterviertel“ im 10.Bezirk in Wien.

  2. liebe brigitte, so aufs erste durchlesen kann ich nur wieder einmal sagen, dass du mich mit deinen aktivitäten bildest und dass für mich auffallend ist, wie du komplexe sachverhalte dann letztlich doch in eine allgemein verständliche sprache bringst. dein einsatz bei diesem treffen – zielgerichtet und erfolgreich. ich freu mich über den erfolg bei der schlussveranstaltung. liebe grüße erna

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